S 24 KR 274/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 24 KR 274/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kosten für eine Krankenhausbehandlung.

Der am 06.09.0000 geborene Herr B wurde in der Zeit vom 03.08.2015 bis 13.08.2015 im Krankenhaus der Klägerin stationär behandelt. Grundlage war ein gerichtlicher Beschluss des Amtsgerichts Minden vom 03.08.2015 nach dem nordrhein-westfälischen "Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten" (PsychKG NW) zu einer Entgiftung aufgrund langjähriger Alkoholabhängigkeit.

Für die stationäre Behandlung stellte die Klägerin Herrn B Kosten in Höhe von 2.942,39 EUR in Rechnung, die dieser jedoch nicht beglich.

Die Klägerin versuchte darauf hin, die Kosten bei dem überörtlichen Sozialhilfeträger, dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) geltend zu machen, was dieser jedoch zurückwies. Er erklärte in einem Schreiben vom 28.06.2016, dass der Patient rückwirkend bei einer Krankenkasse versichert werden könne. Eine Antragstellung durch Herrn B sei hierfür nicht erforderlich.

Die Klägerin machte daraufhin in einem Schreiben vom 11.01.2018 die Kosten gegenüber der Beklagten geltend. Diese teilte der Klägerin in einem Schreiben vom 15.01.2018 mit, dass zuständig für die Auffangpflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) diejenige Krankenkasse sei, bei der zuletzt eine Versicherung bestanden habe. Bei ihr habe jedoch zu keiner Zeit eine Mitgliedschaft des Herrn B vorgelegen. Des Weiteren sei die Versicherung persönlich zu beantragen.

Mit der am 21.12.2018 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter. Sie trägt vor, dass sie versucht habe, mit Herrn B Kontakt aufzunehmen, was jedoch gescheitert sei. Anfragen, die an verschiedene Adressen geschickt worden seien, seien unbeantwortet geblieben. Nach § 186 Abs. 11 SGB V beginne die Mitgliedschaft mit dem ersten Tag ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall. Eine Antragstellung sei nicht erforderlich. Bei der Auswahl der Krankenkasse sei eine Vertretung zulässig. Die Beauftragung bzw. Genehmigung oder Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) sei im Interesse des Versicherten erfolgt und daher wirksam. Daher habe sie die Krankenkassenauswahl treffen dürfen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.942,39 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (21.12.2018) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass die Klage unbegründet sei, weil bei ihr keine Versicherung bestanden habe und sie daher nicht zuständig sei.

Eine gegen den LWL erhobene Klage wird beim Sozialgericht Detmold unter dem Aktenzeichen S 2 SO 28/19 geführt. Dieses Verfahren ist noch anhängig.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung der Kammer durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten im Sach- und Streitstand nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie die ebenfalls beigezogene Patientendokumentation über den stationären Aufenthalt des Patienten B. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis damit erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die Klage ist zulässig.

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG unmittelbar zulässig, denn es geht bei einer auf Zahlung von Behandlungskosten für einen Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhauses gegen eine Krankenkasse um einen so genannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen; die Einhaltung einer Klagefrist war nicht geboten (st. Rspr., vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG] Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01 R –, juris Rn. 13).

Die Klage ist jedoch unbegründet.

Die Klägerin kann von der Beklagten nicht die Zahlung von 2.942,39 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.12.2018 verlangen.

Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch eines zugelassenen Krankenhauses gegenüber einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG, der sich die Kammer anschließt, § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. der Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten. Der Behandlungspflicht des zugelassenen Krankenhauses nach § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der nach Maßgabe des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, des Krankenhausentgeltgesetzes und der Bundespflegesatzverordnung festgelegt wird (vgl. BSG Urteil vom 25.11.2010 – B 3 KR 4/10 R –, juris Rn. 9 f.; BSG Urteil vom 29.04.2010 – B 3 KR 11/09 R –, juris Rn. 7; BSG Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R –, juris Rn. 10). Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht dabei unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch einen Versicherten. Da der Zahlungsanspruch des zugelassenen Krankenhauses jedoch mit dem Naturalleistungsanspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung korrespondiert, müssen beim Versicherten bei der Aufnahme in das Krankenhaus die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sowie Krankenhauspflegebedürftigkeit vorliegen (Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen Urteil vom 30.01.2002 – L 4 KR 110/00 –, juris Rn. 22).

Auf die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit kommt es hier nicht an, weil bereits der Nachweis einer Mitgliedschaft bei der Beklagten nicht erbracht ist. Da weder der Tatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. 1-12 SGB V noch der des § 188 Abs. 4 SGB V in Betracht kommt, könnte sich eine Versicherungspflicht allenfalls aus § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ergeben. Allerdings liegen die Voraussetzungen einer aus dieser Norm abgeleiteten Mitgliedschaft bei der Beklagten nicht vor.

Nach § 186 Abs. 11 SGB V beginnt die Mitgliedschaft der nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V Versicherungspflichtigen zwar mit dem ersten Tag ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall im Inland. Aus dieser Norm ergibt sich allerdings nur, dass die Versicherungspflicht grundsätzlich mit dem ersten Tag ohne anderweitigen Krankenbehandlungsanspruch automatisch entsteht. Die Norm enthält keine Regelungen zur Frage, welche Krankenkasse für die Durchführung der Auffangpflichtversicherung zuständig ist. Dies wird vielmehr abschließend in den §§ 173-175 SGB V geregelt.

Nach § 173 Abs. 1 SGB V sind Versicherungspflichtige (§ 5 SGB V) und Versicherungsberechtigte (§ 9 SGB V) Mitglied der von ihnen gewählten Krankenkasse, soweit in den nachfolgenden Vorschriften, im Zweiten Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte oder im Künstlersozialversicherungsgesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach § 174 Abs. 5 SGB V werden abweichend von § 173 SGB V Versicherungspflichtige nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V Mitglied der Krankenkasse oder des Rechtsnachfolgers der Krankenkasse, bei der sie zuletzt versichert waren, andernfalls werden sie Mitglied der von ihnen nach § 173 Abs. 1 SGB V gewählten Krankenkasse; § 173 SGB V gilt. § 175 Abs. 1 SGB V bestimmt schließlich, dass die Ausübung des Wahlrechts gegenüber der gewählten Krankenkasse zu erklären ist (Satz 1). Diese darf die Mitgliedschaft nicht ablehnen oder die Erklärung nach Satz 1 durch falsche oder unvollständige Beratung verhindern oder erschweren (Satz 2). Das Wahlrecht kann nach Vollendung des 15. Lebensjahres ausgeübt werden (Satz 3).

Die Wahlrechtserklärung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist eine einseitige, empfangsbedürftige und rechtsgestaltende Willenserklärung, die dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist (vgl. BSG Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 26/15 R –, juris).

Aus der Zusammenschau der Regelungen in den §§ 173 Abs. 1, 174 Abs. 5 und § 175 Abs. 1 SGB V ergibt sich, dass der Versicherte selbst die Krankenkassenwahl ausüben muss. Eine solche Wahlausübung durch den Patienten B hat es jedoch gegenüber der Beklagten unstreitig nicht gegeben.

Die Erklärung gegenüber der gewählten Krankenkasse muss zwar nicht höchstpersönlich abgegeben werden, sondern kann auch durch einen Stellvertreter erfolgen (vgl. LSG Bayern Urteil vom 23.10.2008 – L 4 KR 485/07 – juris; Baier, in: Krauskopf, Soziale KV/PV, Stand: 103. EL, 06/2019, § 175 Rn. 6; Peters, in Kasseler Kommentar, SGB V, Stand: 105. EL, 08/2019, § 175 Rn. 7; Sonnhoff, in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: 03/2018, § 175 Rn. 14). Herr B hat die Klägerin jedoch (unstreitig) nicht bevollmächtigt, in seinem Namen gegenüber der Beklagten zu erklären, dass er bei ihr versichert werden wolle.

Auch eine entsprechende Anwendung des § 180 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kommt nicht in Betracht (vgl. dazu Sonnhoff, in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: 03/2018, § 175 Rn. 14). Danach finden die Vorschriften über Verträge entsprechende Anwendung, wenn derjenige, welchem gegenüber ein einseitiges Rechtsgeschäft vorzunehmen war, die von dem Vertreter behauptete Vertretungsmacht bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts nicht beanstandet hat oder er damit einverstanden war, dass der Vertreter ohne Vertretungsmacht handele. Die Beklagte hat in ihrem Schreiben vom 15.01.2018 deutlich gemacht, dass sie das Handeln der Klägerin nicht gegen sich gelten lassen wolle. Sie hat konkludent zu verstehen gegeben, dass sie die fehlende Vertretungsmacht der Klägerin beanstandet. Unabhängig davon ist zu beachten, dass beim Vertragsschluss durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht die Wirksamkeit des Vertrages für und gegen den Vertretenen nach § 177 Abs. 1 BGB ohnehin von dessen Genehmigung abhängt. Bis zu seiner Erklärung über die Genehmigung ist die Wahlrechtserklärung schwebend unwirksam (vgl. BSG Urteil vom 11.06.1992 – 12 RK 59/91 –, juris).

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass in der Rechtsprechung bereits entschieden wurde, dass die Erklärung eines Sozialhilfeträgers ohne Vertretungsmacht für eine Krankenkassenwahlausübung nicht ausreichend ist. Der Sozialhilfeträger kann sich nicht auf ein eigenes Recht aus § 95 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) berufen (vgl. BSG Urteil vom 19.12.1991 – 12 RK 24/90 –; BSG Urteil vom 11.06.1992 – 12 RK 59/91 –, jeweils juris). Gleiches muss auch für einen Krankenhausträger gelten, zumal es eine mit § 95 SGB XII vergleichbare Regelung zur "Feststellung von Sozialleistungen" im SGB V gar nicht gibt.

Schließlich ergibt sich ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte weder aus den Grundsätzen der GoA (entsprechend §§ 677 ff. BGB) noch aus Bereicherungsrecht. Die unmittelbare oder auch nur entsprechende Anwendung des Bereicherungsrechts oder der GoA scheidet aus, wenn Vorschriften des öffentlichen Rechts eine erschöpfende Regelung enthalten, die einen Rückgriff auf solche Ansprüche nicht erlaubt (vgl. BSG Urteil vom 03.11.1999 – B 3 KR 4/99 R –, juris). So liegt der Fall hier. In den §§ 173-175 SGB V ist abschließend geregelt, welche Krankenkasse für die Durchführung der Krankenversicherung zuständig ist. Dies kann durch einen Rückgriff auf Grundsätze der GoA oder des Bereicherungsrechts nicht umgangen werden. Insbesondere die Heranziehung der GoA würde dazu führen, dass der Krankenhausträger durch die Wahl einer x-beliebigen Krankenkasse sich einen "Geschäftsherrn" willkürlich auswählen und von ihm die Erstattung seiner Aufwendungen verlangen könnte. Dass dies von den §§ 173-175 SGB V weder vorgesehen noch beabsichtigt ist, liegt aus Sicht der Kammer klar auf der Hand. Vor diesem Hintergrund kommt es auf die einzelnen Voraussetzungen der GoA nicht an.

Da bereits kein Anspruch auf die Hauptforderung bestand, entfiel auch ein akzessorischer Zinsanspruch.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Rechtskraft
Aus
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