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"Aufsichtsrat kann sich seiner Verantwortung nicht entziehen“

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Statt eines sachlichen Ringens um den richtigen Weg eskalierte die Diskussion im Aufsichtsrat des Klinikums am Montagabend.
Wolken über dem Klinikum der Stadt Soest © Dahm

Ex-FDP-Fraktionschef Bernd Milke über die Fehler der Vergangenheit und ihre fatalen Folgen

[Update vom 12. Mai 2021] Die Strafvorwürfe gegen den ehemaligen Geschäftsführer des Klinikums, Oliver Lehnert, haben sich nicht bestätigt. Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren eingestellt.

[Erstmeldung] Soest – „Defizit des Klinikums: Fehler der Geschäftsführung.“ Vor exakt sieben (!) Jahren hat der Soester Anzeiger diese Schlagzeile gedruckt. Das Zitat und der Vorwurf stammen von Bernd Milke; er war damals Fraktionschef der FDP im Soester Rat. Über Jahre hat er immer wieder, obwohl er gar nicht mal selber dem Aufsichtsrat des Klinikums angehörte, haarklein und öffentlich die Entscheidungen, Zahlen und Bilanzen seziert – mit damals schon vernichtendem Ergebnis. Doch gehört hat so gut wie keiner auf ihn. Fragt man ihn heute, wie das sein konnte, sagt er: Beim städtischen Krankenhaus hätten stets „betriebswirtschaftliche Belange hinter Streben nach politischen Renommee zurückstehen“ müssen. Holger Strumann sprach mit dem 60-jährigen Betriebswirt.

Herr Milke, das Klinikum steckt in einer tiefen wirtschaftlichen Krise; die Stadt als Muttergesellschaft muss mehr als 20 Millionen Euro bereithalten, damit das Krankenhaus nicht untergeht. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Fehler, die gemacht worden sind?

Die 45 Millionen Euro Investition sollte sich durch Erträge aus dem Cyberknife amortisieren. Die prognostizierten 25 Millionen Euro sind nicht annähernd erreicht worden. Damit musste der Kapitaldienst für den aufgenommenen Großkredit aus dem laufenden Geschäft finanziert werden. Damit war das Klinikum hoffnungslos überfordert. Leider wurde das nicht erkannt. Es wurden im Gegenteil zusätzliche Millionen für die Planung des Reha-Zentrums genehmigt, die die Liquidität des Klinikums weiter belastet haben.

Sie haben in Ihrer Zeit als Ratsmitglied bis 2014 und auch danach immer wieder hingeschaut und vor Fehlentwicklungen gewarnt. Genutzt hat es wenig bis gar nicht. Waren Sie nicht energisch genug?

Nach dem Verlust des Klinikums im Jahr 2012 über 4,6 Millionen Euro hatte die FDP im Rat eine Sonderprüfung der Umfinanzierung des Großkredits erreicht, die (Geschäftsführer) Lehnert nach nur drei Jahren Kreditlaufzeit vereinbart hatte. Die Umfinanzierung war aufgrund der Vorfälligkeitsentschädigung betriebswirtschaftlicher Unsinn. Die Sonderprüfung wurde „schöngerechnet“ und weder Rat noch Aufsichtsrat hatten ein Problem mit dem Verlust. Da wurde mir klar, dass betriebswirtschaftliche Belange hinter Streben nach politischen Renommee zurückstehen.

Bernd Milke, Soester FDP-Chef.
Bernd Milke, FDP © -

Wie genau sollte und muss ein Aufsichtsrat hinschauen, wenn beispielsweise Verträge mit niedergelassenen Ärzten geschlossen werden? Oder hat sich das – wie es jetzt heißt – „alles unter dem Radar“ der Geschäftsführung abgespielt, so dass Aufsichtsräte nichts mitbekommen haben oder nichts mitbekommen haben können? 

Der Kampf um Belegungen von niedergelassenen Ärzten war in den letzten Jahren sicher gegeben. Das wird im Aufsichtsrat auch bestimmt thematisiert worden sein. Einzelne Verträge dürften nicht vorgelegt worden sein. Die Diskretion aller Aufsichtsratsmitglieder war ja nicht gewährleistet. Im Moment schieben Klinikum und Stadt die alleinige Schuld an der Fehlentwicklung dem ehemaligen Geschäftsführer zu; die Staatsanwaltschaft soll ihrer Meinung nach prüfen, ob er sich womöglich wegen Untreue strafbar gemacht hat. 

Ist das die Flucht nach vorn? Sind die Aufsichtsgremien ihrem Auftrag und ihrer Verantwortung gerecht geworden?

Der Aufsichtsrat kann sich hier seiner Verantwortung für diese Millionenverluste nicht entziehen. Auch der Wirtschaftsprüfer muss Rede und Antwort stehen. Wie kann es sein, dass der Wirtschaftsprüfer die Aufdeckung von solchen Vorgängen in seinem Bericht explizit ausschließt? Solche Hinweise hätten die Aufsichtsratsmitglieder doch bemerken müssen.

Wer außer Strafverfolgern müsste / könnte jetzt auf den Plan treten, um die Ursachen für die Entwicklung aufzuarbeiten? 

Die Geschäftsführung ist ausgewechselt worden. Der Wirtschaftsprüfer muss folgen. Die jetzigen Aufsichtsratsmitglieder werden sich nach der nächsten Kommunalwahl diskret zurückziehen. Den Scherbenhaufen werden andere zusammenkehren müssen. Der von der FDP mehrfach vorgeschlagene Beirat von Fachleuten wäre sicher kostengünstiger zu haben als ständig neue Gutachter.

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