BSG kippt Genehmigungsfiktion im SGB V

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Das BSG hat in einer überraschenden Entscheidung vom 26.05.2020 (- B 1 KR 9/18 R -) seine bisherige Rechtsprechung zur Annahme eines Sachleistungsanspruches aufgrund der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V aufgegeben.

Nach der neuen Rechtsprechung des BSG gewähre die fingierte Genehmigung der Leistung nach § 13a Abs. 3a Satz 6 SGB V keinen eigenständigen Leistungsanspruch (so noch etwa BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R –), sondern nur eine vorläufige Rechtsposition, die ihm lediglich einen begrenzten Kostenerstattungsanspruch zubillige. Die Entscheidung liegt bisher nur als Termingsbericht vor.

Die gesetzliche Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V erlaube es dem Versicherten nach dem BSG nur sich die Leistung selbst zu beschaffen und verwehre es der Krankenkassen nach erfolgter Selbstbeschaffung, eine beantragte Kostenerstattung mit der Begründung abzulehnen, dass nach allgemeinen Grundsätzen kein Rechtsanspruch auf die Leistung bestehe.

§ 13 Abs 3a Satz 6 SGB V enthalte nach Meinung des BSG auch nach den Gesetzesmaterialien nur einen Kostenerstattungsanspruch des Versicherten. Dafür spreche nach dem BSG auch die Systematik des § 13 SGB V. Dieser regelt in den Absätzen 2 bis 6 ausschließlich Kostenerstattungsansprüche als Ausnahme zu dem in Absatz 1 geregelten Sachleistungsgrundsatz. Diese Auslegung des § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V trage dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung und dem Sanktionscharakter der Norm nach Ansicht des BSG auch ausreichend Rechnung. Das Gesetz giebe der Krankenkasse kurze Reaktionsfristen vor. Werden diese nicht eingehalten, kann sich der Versicherte die Leistung selbst beschaffen. Die Krankenkasse trägt dann das Risiko, Kosten für eine Leistung erstatten zu müssen, die sie nach allgemeinem Leistungsrecht nicht zu gewähren hätte. Das BSG hat hierzu schon entschieden, dass die genannten Zwecke ihre Grenze beim Rechtsmissbrauch finden. Diesen Rechtsgedanken hat der Gesetzgeber in § 18 Abs. 5 SGB IX aufgegriffen und näher konkretisiert. Im Hinblick hierauf sieht sich das BSG nun berechtigt und verpflichtet, das in § 18 Abs. 5 SGB IX gesetzlich geregelte Wertungsmodell auch bei der vergleichbaren Vorschrift des § 13 Abs. 3a SGB V zur Anwendung zu bringen. Im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung ist der Maßstab des § 18 Abs. 5 SGB IX konkreter gefasst, indem er inzident auf die zu § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X entwickelten Maßstäbe Bezug nimmt. Allen Kostenerstattungsansprüchen sei dabei immanent, dass Versicherte unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Lage in Vorleistung treten müssen. Auch mittellose Versicherte haben den potentiellen Sachleistungsanspruch und werden dadurch nach Auffassung des BSG hinreichend geschützt. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet es nach dem BSG nicht, mittellosen Versicherten Leistungen zu gewähren, auf die sie nach allgemeinem GKV-Leistungsrecht keinen Anspruch haben.

Ferner stellt das BSG nun unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung klar, dass ein Versicherter die Aufhebung des Ablehnungsbescheides nicht mit der Begründung verlangen, dass eine Genehmigungsfiktion eingetreten sei. Die nach Fristablauf fingierte Genehmigung eines Antrags auf Leistungen hat nun nach dem BSG nicht die Qualität eines eigenständigen Verwaltungsaktes. Durch den Eintritt der Genehmigungsfiktion wird das durch den Antrag in Gang gesetzte Verwaltungsverfahren nach jetziger Ansicht des BSG nicht abgeschlossen. Die Krankenkasse ist danach weiterhin berechtigt und verpflichtet, über den gestellten Antrag zu entscheiden und damit das laufende Verwaltungsverfahren abzuschließen (anders noch BSG, Urteile vom 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R – und vom 27.08.2019 – B 1 KR 36/18 R – ). Ist über den materiell-rechtlichen Leistungsanspruch bindend entschieden oder hat sich der Antrag anderweitig erledigt, endet das durch die Genehmigungsfiktion begründete Recht auf Selbstbeschaffung der beantragten Leistung auf Kosten der Krankenkasse. Die bestandskräftige Entscheidung über den Leistungsantrag vermittelt dem Versicherten positive Kenntnis darüber, ob er die beantragte Leistung beanspruchen kann.

Die Entscheidung lässt die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V weitgehend leer laufen und ist mit Blick auf den Gesetzeswortlaut auch schwer nachzuvollziehen, weil das Gesetz in § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V eine ausdrückliche Fiktion der Genehmigung und damit einen fingierten Verwaltungsakt enthält und erst in § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V einen Kostenerstattungsanspruch regelt. Die jetzige Rechtsprechung des BSG  wird zumindest bei dauernden Leistungen der Genehmigungsfiktion und dem Kostenerstattungsanspruch nur sehr begrenzten Raum lassen. Der Hinweis des BSG, dass mittelose Patienten durch den Sachleistungsanspruch ausreichend geschützt sind, hilft diesen nicht weiter, wenn sich die Klärung eines umstrittenen Sachleistungsanspruchs durch die Krankenkassen über Monate hinzieht und der betroffene Versicherte sich trotz Nichteinhaltung der Frist schlicht keine Möglichkeit hat, sich die Leistung selbst zu besorgen. Warum hier keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG vorliegen soll, erschließt sich nicht.

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