Seit Längerem ist das Klinikum Nord dabei, sich ein anderes Profil zu geben: Das sogenannte Schwerpunktkrankenhaus will zum Maximalversorger werden. Wie das Klinikum Mitte, nur kleiner und regionaler. Doch der Ausbau von Angeboten ist für ein kommunales Krankenhaus schwerer als für ein privates. Beim Klinikum an der Hammersbecker Straße reden viele mit – nicht nur der Klinikverbund Gesundheit Nord, dem es angehört, sondern auch Krankenkassen, die Behörde und Politiker.
Sie sitzen zu zweit am Tisch. Links Birgit Hilmer, rechts Frank Wösten. Wer etwas über die Entwicklung des Krankenhauses wissen will, hat es jetzt mit beiden zu tun. Hilmer ist seit Jahren die geschäftsführende Direktorin, Wösten seit Februar der ärztliche Direktor. Vorher hatte er ausschließlich die Zentrale Notaufnahme des Krankenhauses geleitet. Die neue Führungskonstellation ist Ausdruck einer neuen Ausrichtung. In allen Häusern des Verbundes soll künftig ein Gespann entscheiden, was gemacht wird und wie.
Oder zumindest mitentscheiden. Hilmer sagt, dass sie zum Beispiel gerne die Geburtshilfe erweitern würde, damit noch mehr Kinder als 2000 pro Jahr im Nordbremer Krankenhaus geboren werden. Doch die Direktorin kann nicht so einfach agieren, weil sie eben nicht in der freien Wirtschaft ist. Politiker und Vertreter der Gesundheitsbehörde beraten über die Pläne. Zusammen mit dem Klinikverbund, der das letzte Wort bei den Finanzen hat und darüber wacht, dass seine Häuser nicht zu Konkurrenten werden.
Mehr dazubekommen hat das Klinikum aber trotzdem. Auf Hilmers und Wöstens Liste der Neuerungen stehen eine Einheit für Schlaganfallpatienten, die Erweiterung der Neurologie, eine Parkinson-Ambulanz und der Ausbau der Onkologie. Auch die Notaufnahme ist umstrukturiert worden. Für Wösten ist das Krankenhaus ein Notfallkrankenhaus. Er spricht von 28.000 Frauen, Männern und Kindern, die jährlich als Notfall kommen. Das ist mehr als ein Drittel des gesamten Patientenaufkommens: 76.000.
Vor fünf Jahren war die Zahl noch nicht so hoch. Damals kam das Klinikum auf 65. 000 Patienten. Ob es wieder mehr werden als im Jahr 2015, kann der ärztliche Direktor nicht sagen. Wegen der Corona-Krise hat das Krankenhaus wie alle Kliniken diverse Plätze für Covid-19-Fälle freigehalten. Wösten sagt, dass das Klinikum im März und April die Folgen der Pandemie noch nicht so gespürt hat wie im Mai und Juni. Er begründet das mit der Zahl der Notaufnahmepatienten, die in den ersten Monaten stabil geblieben ist.
1.400 OPs im Jahr
Jetzt sinkt sie. Genauso wie ein anderer Wert. Außer Betten hat das Krankenhaus wegen des Erregers auch OP-Kapazitäten zurückgehalten. Operationen, die nicht zwingend notwendig waren, wurden verschoben. Zwar gibt es wieder Eingriffe bei Menschen, die keine Notfälle sind, aber noch nicht so viele wie sonst – um auf eine zweite Infektionswelle vorbereitet zu sein. Wie viele Operationen bisher gestrichen beziehungsweise vertagt wurden, ist noch nicht ermittelt. In normalen Jahren kommt das Krankenhaus auf 1.400 OPs, 1.100 stationäre, 300 ambulante.
Was das Minus an Behandlungen für die Abschlussbilanz des Nordbremer Klinikums am Jahresende bedeutet, wird sich zeigen. Zwar gibt es Geld vom Staat für jedes Bett, das für Covid-19-Patienten freigehalten wird. Doch ob die Summe ausreicht, um den finanziellen Ausfall zu kompensieren, ist unklar. Nach Angaben des Klinikverbunds hat das Krankenhaus an der Hammersbecker Straße zuletzt einen Jahresumsatz von rund 86 Millionen Euro verzeichnet. Ein Gewinn wurde nicht erwirtschaftet.
Wie groß der Verlust war, schlüsselt der Verbund nicht für jedes Haus auf, sondern nur für die Einheitsgesellschaft. Das Defizit beläuft sich momentan auf 27 Millionen Euro. Für den Fehlbetrag werden mehrere Gründe angeführt, auch der Fachkräftemangel ist darunter: Weil nicht genug Pflegepersonal da ist, sind Betten gesperrt. Das Klinikum hat rund 400 Plätze. Wie viele davon nicht belegt werden dürfen, kann der Verbund nicht genau sagen, weil auch die Quarantäne von Corona-Fällen für weniger Betten sorgt.
Auch wenn derzeit Mitarbeiter fehlen, ist ihre Zahl in den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich gestiegen: von 850 auf 950. Momentan gibt es rund 500 Pflegekräfte und 250 Mediziner, die in elf Fachkliniken des Krankenhauses arbeiten. Laut Wösten ist das Klinikum gemessen an der Zahl der Patienten und Betten das zweitgrößte im Verbund – und sollte noch größer werden. Ginge es nach ihm, würde in den nächsten Jahren die Chirurgie um die Neurochirurgie erweitert und auch die Kardiologie ausgebaut.
Ihm zufolge ist das Krankenhaus zwar ein Notfallkrankenhaus, doch Patienten, bei denen das Gehirn verletzt ist, werden nach wie vor in Kliniken in der Innenstadt gebracht. Genauso wie Patienten, die akute Herzprobleme haben. Frank Wösten sagt, dass es sowohl bei den einen wie bei den anderen schnell gehen muss – und es darum im Grunde besser wäre, wenn sie gleich im Klinikum Nord behandelt werden könnten, statt wertvolle Zeit verstreichen zu lassen, in der sie im Rettungswagen in ein anderes Krankenhaus gefahren werden.
Kämen es zum Ausbau beider Fachrichtungen – und würden die übrigen Abteilungen des Klinikums so wie bisher immer weiter ergänzt – , wäre aus Sicht des ärztlichen Direktors und der geschäftsführenden Direktorin das große Ziel erreicht: dass Nordbremer Krankenhaus wäre ein regionaler Maximalversorger. Wösten geht davon aus, dass es in fünf Jahren so weit sein könnte.