Julia Lutz

In Sigmaringen haben am Mittwochmittag über 100 Beschäftigte der SRH-Kliniken im Landkreis Sigmaringen für bessere Arbeitsbedingungen und einen Tarifvertrag demonstriert. Dazu aufgerufen hatte die Vereinte Dienstleistungsgesellschaft (Verdi). Ausgestattet mit Mundschutz, Schildern und Spruchbannern protestierten die Beschäftigten bei Dauerregen vor dem Haupteingang des Sigmaringer Krankenhauses.

Lange Liste mit Forderungen an die Regierung

Hintergrund war die Gesundheitsministerkonferenz, die an diesem Tag in Berlin hätte stattfinden sollen. Geplant war laut Verdi ein größer angelegter Protest in Berlin, um die jeweiligen Landesgesundheitsminister zu erreichen. Doch die Konferenz fand wegen der Corona-Pandemie nicht statt. Protestieren wollten Verdi und die Klinikmitarbeiter trotzdem, und zwar in Form eines stillen Protests. Denn die Liste der Forderungen, die sie an die Politik richten, ist lang. Zeitgleich fanden auch in Bremen, Nürnberg, Magdeburg, Dresden, Berlin, Jena, Halle, Freiburg, Düsseldorf und Ulm Protestaktion statt.

Stille Protestaktion im Dauerregen vor dem Krankenhaus

Trotz strömenden Regens versammelten sich die Klinikmitarbeiter mit Mundschutz und ausreichend Abstand vor dem Haupteingang am Krankenhaus, um dort gemeinsam zu schweigen. „Wir haben in der Vergangenheit oft Krach gemacht, jetzt wollen wir den Hinweis geben, dass wir noch still sind. Aber wenn nichts passiert, wird es nicht still bleiben“, sagt Benjamin Andelfinger von Verdi, der den Protest organisiert hatte. „Unsere Forderungen stehen für sich, da braucht es keinen Lärm“, sagt Jannik Widon. Er ist Gewerkschaftssekretär im Verdi-Bezirk Ulm-Oberschwaben.

Eine bedarfsorientierte statt betriebswirtschaftliche Planung forderte dieser Mitarbeiter mit seinem Schild.
Eine bedarfsorientierte statt betriebswirtschaftliche Planung forderte dieser Mitarbeiter mit seinem Schild. | Bild: Julia Lutz

Beschäftigte kritisieren Personalmangel an Kliniken

Die Beschäftigten hielten Schilder in die Höhe, auf denen Forderungen standen wie „Bedarfsorientierte statt betriebswirtschaftliche Planung“, „Menschen vor Profit“ und „500 Euro Zulage“. Die 2004 eingeführte Fallpauschale wird von vielen Pflegekräften kritisiert. Die Folge ist nämlich, dass es mehr Behandlungen gibt und weniger Zeit für die Patienten. Doris Engst ist seit 27 Jahren in den SRH-Kliniken beschäftigt. Normalerweise arbeitet sie auf der Inneren Station im Krankenhaus in Bad Saulgau. Aufgrund er Corona-Pandemie wechselte sie aber übergangsweise nach Sigmaringen, um dort auf den Corona-Stationen zu helfen. In den letzten Wochen hat sie viel gearbeitet. „Ich bin hier, weil sich ganz dringend etwas ändern muss“, schildert die 52-Jährige ihren Wunsch. Sie ist Betriebsrätin für die Beschäftigten der drei Krankenhäuser im Kreis Sigmaringen.

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Kritik an Pflegeuntergrenzen

Das Pflegepersonal hätte generell keine Lobby. Am Personal werde an den drei Standorten immer weiter gespart. „Wir sind am Limit“, sagte Doris Engst. Die seit Anfang 2019 geltenden Untergrenzen für das Pflegepersonal im Krankenhaus werde nicht als Mindestgrenze verstanden, sondern dazu genommen, weiter Personal wegzurationalisieren. Das führe dazu, dass Stationen jetzt noch schlechter dastünden, als vor der Pflegeuntergrenzen-Regelung. Hinzu käme, so Engst, der eklatante Nachwuchsmangel in der Pflege.

Der Zweitjob ist keine Seltenheit mehr

„Viele Kolleginnen machen Zusatzausbildungen oder haben sogar Nebenjobs, weil sie von ihrem Gehalt nicht mehr leben können“. Obwohl es zu Beginn der Corona-Krise viel Applaus und Wertschätzung für die systemrelevanten Pflegeberufe gab, „blieben die Willensbekundungen seitens der Politik bislang leere Worte“ fasst Janik Widon zusammen. Dem pflichtet Doris Engst bei.

Doris Engst
Doris Engst | Bild: Julia Lutz

Pflegepersonal hat Belastungszulage bislang nicht erhalten

Die 500 Euro Belastungszulage, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn den Pflegekräften zugesagt habe, sei nicht für Beschäftigte in den Krankenhäusern, sondern für Altenpfleger. Aber aus ihrem Bekanntenkreis wisse sie, dass auch Altenpfleger diese Pauschale noch nicht erhalten hätten. Um die einmalige Pauschale ging es den Klinik-Mitarbeitern am Mittwoch allerdings nicht. Vielmehr sei eine langfristige Aufwertung der Berufe wichtig. „Wir brauchen mehr Personal, kein Gerede mehr“, erzählt Engst.

Pfullendorf und Bad Saulgau sollen nicht vergessen werden

Ihre Kollegin Petra Gerber arbeitet an der Pforte am Krankenhaus in Bad Saulgau. Auch sie beklagte sich über die immer schwierigeren Voraussetzungen an ihrem Arbeitsplatz. Dabei ist sie an der Pforte die erste Person, mit der Besucher und Patienten in Kontakt kommen. Das Coronavirus habe dazu geführt, dass Stress und Arbeitsbelastung zunahmen. „Wir müssen Ärzte reinlassen, Fieber messen und den Empfang regeln. Für das Krankenhaus in Sigmaringen hätte man Security-Mitarbeiter engagiert, für die beiden Krankenhäusern in Pfullendorf und Bad Saulgau nicht. „Ich will auch zeigen, dass es Bad Saulgau auch noch gibt“. Sie fordert mehr Hilfe für die kleineren Krankenhäuser. Es werde auf allen Ebenen viel geredet, aber eine Verbesserung trete nicht ein.

Petra Gerber
Petra Gerber | Bild: Julia Lutz

Wenig Hilfe von Lokalpolitikern

Eine Krankenschwester aus Pfullendorf, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagte, dass sie von der Politik enttäuscht sei. Auch von den Lokalpolitikern. Man habe schon mehrfach Briefe an Lokalpolitiker geschrieben und seinen Unmut über die Zustände in der Pflege geäußert. Sie erinnerte an mehrere Protestaktionen im Kreis, die einfach kein Gehör fanden. Geändert habe sich nichts. Sie könne verstehen, dass immer weniger junge Menschen einen Beruf in der Pflege ergreifen wollen.

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Das sagt die Klinikleiterin

Die Interimsleiterin der SRH-Kliniken im Kreis Sigmaringen, Christine Neu, war bei der Protestaktion ihrer Mitarbeiter anwesend. Sie hatte bereits am Vortag bei der Bilanzkonferenz der SRH-Kliniken im Landkreis Sigmaringen betont, dass die Krankenhäuser die neue Pflegepersonal-Untergrenzenverordnung einhielten, die die maximale Anzahl an Patienten pro Pflegekraft festlegt. Natürlich sei die Personalsuche in Zeiten des Fachkräftemangels auch für die Kliniken im Landkreis nicht einfach, weswegen nicht alle Stationen optimal besetzt sei. Im vergangenen Jahr habe man, so Neu, die Tariferhöhungen mitgegangen. Die Berufsaussichten seien allerdings rosig. Alle 75 Krankenpflegeschüler an der Pfullendorfer Krankenpflegeschule hätten eine Übernahmegarantie, sagte Christine Neu. „Die Krankenpflegeschule ist in Juwel“, betont Neu.