«Es gibt ein paar Leute, wegen denen das Spital in einem miserablen Licht dasteht» – Paul Vogt will die Herzchirurgie am Zürcher Universitätsspital zur Ruhe bringen

Der beurlaubte Klinikdirektor Francesco Maisano dürfte für längere Zeit nicht ans Spital zurückkehren. Der Kantonsrat schickt sich derweil an, die Macht über die umstrittenen Zusatzhonorare neu zu verteilen.

André Müller
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Das Universitätsspital Zürich (USZ) arbeitet sich weiter ab an den mutmasslichen Skandalen rund um seine Klinikdirektoren, die es seit Monaten in Atem halten. Am Donnerstagabend verschickte das Spital zwei magere Mitteilungen, die es aber in sich hatten: Zum einen wird Martin Rücker, der Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, das USZ per Ende Jahr verlassen, auf eigenen Wunsch, wie das Spital schrieb.

Das Universitätsspital Zürich kämpft wegen mutmasslicher Verfehlungen seiner Klinikdirektoren um seine Reputation.

Das Universitätsspital Zürich kämpft wegen mutmasslicher Verfehlungen seiner Klinikdirektoren um seine Reputation.

Ennio Leanza / Keystone

Rücker wird vorgeworfen, dass er systematisch USZ-Patienten nach der Erstbehandlung in seine Privatpraxis gebracht und dort auf eigene Rechnung weiterbehandelt haben soll. Möglicherweise verstiess er mit dem Vorgehen aber nicht einmal gegen Vorschriften, da er auch beim Zentrum für Zahnmedizin an der Universität Zürich angestellt ist. Der Spitalrat hat deswegen schon Ende Mai beschlossen, dass Rücker vorerst nur noch am USZ Patienten behandeln darf und dass die Schnittstelle zum Zentrum für Zahnmedizin überprüft wird. Ob dies der Grund für Rückers Demission ist, war am Freitag nicht zu erfahren, weder von ihm selbst noch vom Spital.

Zum Zweiten teilte das USZ mit, dass ab 1. Juli Paul Vogt interimistischer Direktor der Klinik für Herzchirurgie wird. Er vertritt Professor Francesco Maisano, der beurlaubt ist, bis die Universität Zürich ihre Untersuchung wegen Verdachts auf wissenschaftliches Fehlverhalten abgeschlossen hat. Maisano wird vorgeworfen, Studienresultate zu Implantaten geschönt zu haben, die er selbst mitentwickelt hat. Zudem soll er Interessenbindungen – er ist an der Firma beteiligt, der die Produkte gehören – verschwiegen oder zumindest nicht korrekt angegeben haben.

Das USZ sagt derzeit nichts Konkretes zur Dauer von Paul Vogts Anstellung oder zu seinem genauen Aufgabenbereich. Aus personalrechtlichen Gründen und aufgrund des Persönlichkeitsschutzes gebe man über individuelle Anstellungsverhältnisse und -bedingungen keine Auskunft, heisst es auf Anfrage, dasselbe gelte im Fall von Martin Rücker. Die Medienmitteilungen seien am Donnerstag «sobald wie möglich publiziert» worden. Über Abgänge informiere das USZ sonst «wie allgemein Usus» nicht. Es sei daher keineswegs der Fall, dass die Mitteilungen mit einer späten Publikation hätten versteckt werden sollen.

Die Universität Zürich teilt nun auf Anfrage mit, dass diese Untersuchung zu Francesco Maisano noch sechs bis acht Monate dauern werde. Eine baldige Rückkehr Maisanos ist vor diesem Hintergrund nicht zu erwarten. Der 63-jährige Paul Vogt dürfte also nicht bloss Lückenbüsser sein, sondern zumindest auf mittlere Frist die Geschicke der Klinik leiten. Er wird dabei mit dem 45-jährigen Herzchirurgen Peter Matt zusammenarbeiten. Dieser wurde Anfang Juni, vom Luzerner Kantonsspital her kommend, als stellvertretender Klinikdirektor verpflichtet.

«Ich gehe von ein paar Monaten aus, in denen ich aufräumen kann»

Paul Vogt ist ein sehr erfahrener Herzchirurg, der sich zeitlebens mit der Ausbildung junger Chirurgen beschäftigt hat: Mit seiner Eurasia Heart Foundation arbeitet er seit 20 Jahren in Schwellen- und Entwicklungsländern, die ihre Herzchirurgie verbessern wollen. Die Stiftung begleitet Kliniken mit zu hoher Mortalität und passt gemeinsam mit ihnen die Abläufe an. Zuletzt war Vogt mit der Stiftung fast ein Jahr lang in Usbekistan tätig, um in Taschkent eine Kinderherzchirurgie aufzubauen.

Er habe dem USZ aus zwei Gründen zugesagt, sagt Vogt: «Erstens ist es meine Alma Mater, unter Marko Turina habe ich hier selbst eine hervorragende Ausbildung erhalten. Zweitens haben die Patienten in Zürich Anspruch auf eine funktionierende Herzchirurgie.» Diese stecke wie das ganze Universitätsspital derzeit in schwerwiegenden Problemen. «Das USZ ist eine grossartige Institution, und viele hier leisten hervorragende Arbeit. Doch es gibt ein paar Leute, wegen denen das Spital in einem miserablen Licht dasteht.»

Die Kooperation sei erst vor wenigen Tagen aufgegleist worden, sagt Vogt. Wie viel Zeit er als Direktor am USZ verbringen werde und wie lange das Engagement dauere, müsse alles noch vereinbart werden. Er sei ad interim angestellt. «Ich gehe von ein paar Monaten aus, in denen ich aufräumen kann. Meine Bedingung war, dass ich hierfür auch die Kompetenzen erhalte.»

Paul Vogt ist einer, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Er gilt als scharfer Kritiker des Schweizer Gesundheitssystems – es sei zu sehr auf teure IT und Bürokratie ausgerichtet, die Praxis und die Ausbildung würden vernachlässigt, sagt er. Hierauf möchte er auch am USZ den Fokus legen: bessere Behandlungsprotokolle und Abläufe im Operationssaal, eine Eins-zu-eins-Betreuung von Nachwuchschirurgen.

«Den Anspruch, wir seien die Weltbesten, können wir jetzt einmal zur Seite legen», sagt er. Es gehe darum, dass die Herzchirurgie das Vertrauen der Zuweiser zurückgewinne. Das Universitätsspital sei zunächst für die Behandlung schwieriger Fälle da, erst dann komme die Forschung. «Sie können auch als Forscher nur Erfolg haben, wenn Sie gute klinische Resultate liefern. Wenn diese nicht vorliegen, dann publizieren Sie entweder nichts, oder Sie lügen.»

Sein Alter sieht Vogt in der aktuellen Situation als Vorteil: «Ich muss keine Konkurrenzkämpfe ausfechten, brauche keine weiteren Titel und bin vollkommen unabhängig. Ich könnte morgen aufhören und Blumen züchten.»

Es laufen zahlreiche Untersuchungen

An einen baldigen Abschluss der Fälle ist derweil nicht zu denken, weder politisch noch rechtlich: Am Freitagmorgen gab die Aufsichtskommission des Zürcher Kantonsrats bekannt, dass sie eine Subkommission gründet, welche die Vorwürfe gegen drei USZ-Klinikdirektoren untersucht. Der dritte Fall betrifft die Gynäkologie: Deren Leiter, Daniel Fink, soll sich gleichzeitig für mehrere Operationen eingetragen, diese aber nicht alle selbst durchgeführt haben. Er hat das USZ kürzlich bereits verlassen, aus gesundheitlichen Gründen.

Die Kommission hat zudem einen Motionstext aufgesetzt, um das Zusatzhonorargesetz anzupassen. Fortan soll der Spitalrat entscheiden können, wie die Honorare verteilt werden, die aus der Behandlung von zusatzversicherten Patienten stammen. Bisher hatten die Klinikdirektoren hierbei ein gewichtiges Wort mitzureden. 2017 scheiterte eine Anpassung des Gesetzes noch am bürgerlichen Widerstand. Jetzt dürfte die Gesetzesänderung den Kantonsrat locker passieren, gemäss der Aufsichtskommission sind bis auf die SVP alle Fraktionen im Boot.

Die Staatsanwaltschaft klärt weiterhin ab, ob es bei den genannten Fällen zu strafbaren Handlungen gekommen ist. Diese Vorabklärungen würden einige Zeit in Anspruch nehmen, heisst es vom Sprecher der Staatsanwaltschaft. Es gehe erst darum, herauszufinden, ob ein Anfangsverdacht für strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorliege. Erst dann würde ein Strafverfahren eröffnet, während dessen weiterhin die Unschuldsvermutung gälte.

Zudem beschäftigt nun ein vierter Fall die Spitzen im Zürcher Hochschulquartier. Am Dienstag hat die Universität Zürich auch gegen Professor Frank Ruschitzka, den Leiter der Kardiologie des USZ, eine Untersuchung lanciert wegen Verdachts auf wissenschaftliches Fehlverhalten. Dabei geht es nochmals um einen ganz anderen Vorwurf: Ruschitzka war an einer Studie beteiligt zur Wirkung eines Malariamedikaments bei der Behandlung von Covid-19-Patienten. Diese erschien im Mai im renommierten Fachmagazin «Lancet» und wurde sehr breit rezipiert. Im Nachhinein stellte sich jedoch heraus, dass sie wohl auf frisierten, wenn nicht gar erfundenen Daten basiert.