Essen. Mit seinem Strategie-Chaos hat Klinikbetreiber Contilia bei Politik und Bürgern viel Vertrauen verspielt, meint NRZ-Redakteur Wolfgang Kintscher.

Die Contilia-Spitze hat entschieden: Kein Neubau in Altenessen, kein Verkauf der katholischen Kliniken im Norden, dafür schließen zwei Krankenhäuser schon zum Jahresende und das Haus in Borbeck wird umgebaut – ja, so wird’s gemacht, ganz bestimmt, also jedenfalls ist das der Stand von Freitagabend 19 Uhr. Sollten wir, um ganz sicher zu gehen, nochmal sechs Monate ins Land gehen lassen, ob’s dabei bleibt?

Die Linde (Con-tilia: „mit der Linde“) im Unternehmensnamen, so heißt es im Leitbild, sie steht unter anderem „für starke Wurzeln, Schutz und Sicherheit“. Tatsächlich aber hat es der Klinik-Betreiber binnen gerade mal zwölf Monaten geschafft, auf einem Gebiet, in dem es um die Gesundheit hunderttausender Essener und mehr als alles andere um Vertrauen geht, mit drei teils gegensätzlichen Strategien nur eines auszulösen: Skepsis, Unsicherheit und ausgeprägtes Misstrauen in das eigene Vermögen, den richtigen Kurs zu finden.

Politik und Patienten, Mitarbeiter und Kirche – alle sind vergrätzt

Wie das Haus mit seinen mehr als 7500 Beschäftigten seinen Platz im Essener Gesundheitswesen sucht, das hat was vom erratischen Hin und Her eines Mähroboters, der den Rasen kreuz und quer nach überstehenden Halmen abfährt. Die augenscheinliche Orientierungslosigkeit lässt sich weder gegenüber Mitarbeitern und Patienten noch gegenüber Politik und Kirche als gezielte Operation verkaufen, was neben dem inhaltlichen auch noch ein kommunikatives Desaster auslöst: Alle sind enttäuscht, fühlen sich getäuscht, manche auch benutzt.

Vorgestern war noch ein 700-Betten-Neubau klassischen Stils das große Ziel, gestern der Verkauf der katholischen Kliniken im Norden, heute ist es die Sanierung auf eigene Faust mit atemberaubenden Schnellschüssen, die selbst Wohlmeinende nur noch den Kopf schütteln lassen. Und morgen? Wie die Contilia ihren durchaus guten Ruf verspielt, das sieht mehr nach einer finanziell begründeten Not-OP aus, als nach einem durchdachten Heil- und Kostenplan.

Der Verlust von Fachabteilungen beschert neue Abstiegsängste im Norden

Man kommt nicht umhin, nach Verantwortlichen für dieses Drama zu suchen. Und landet dabei nicht nur im Management des Klinik-Betreibers, sondern auch bei einem Aufsichtsrat, der bislang noch jede Volte abgesegnet hat. Eine weitere Kontrollinstanz gibt es nicht, man wird sich gegenseitig stützen, so sieht es jedenfalls aus.

Und es gibt ja andere Probleme, die allemal drängender erscheinen: Schon Ende des Jahres wird es im Essener Norden keine stationäre Urologie, keine Geburtsheilkunde keine Onkologie mehr geben. Das mag aus gesundheitspolitischen Gründen vertretbar sein, schließlich steht ja das politische Ziel im Raum, Krankenhaus-Betten abzubauen. Es löst aber in einem Stadtgebiet, das – mal zu Recht, mal zu Unrecht – ein Verlierer-Image trägt, neue Abstiegsängste aus.

Die Politik will mögliche Versorgungslücken stopfen

Hier anzusetzen ist die Pflicht der Politik, die am Mittwoch im Rat in seltener Einmütigkeit signalisiert hat, dass sie mögliche Versorgungslücken im Norden der Stadt stopfen will. Contilia darf dabei gerne mitwirken. Aber wenn es um die Strategie geht, sollten doch lieber andere das Sagen haben.