L 11 KR 70/20 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 51 KR 2304/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 70/20 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 29. Juni 2017 aufgehoben. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Beklagte wehrt sich gegen die Streitwertfestsetzung im Klageverfahren.

Die Klägerin begehrte im Klageverfahren von dem beklagten Krankenhausträger zunächst die Herausgabe der näher bezeichneten Krankenakte und Patientendokumentation zum vollstationären Aufenthalt eines ihrer Versicherten im März 2014 an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) und alsdann die Verurteilung der Beklagten, die zu viel gezahlten Krankenhauskosten zu erstatten, soweit sich nach Auswertung der übergebenen Unterlagen eine Reduzierung des Rechnungsbetrages ergeben werde.

Die Beklagte erkannte den Herausgabeanspruch der Klägerin an und übersandte die Unterlagen an den MDK (Schriftsatz vom 13. März 2017). Eine Annahme des Teilanerkenntnisses durch die Klägerin erfolgte trotz gerichtlicher Aufforderung nicht (gerichtliche Verfügung vom 16. März 2017).

Die Prüfung der Unterlagen durch den MDK bestätigte die Abrechnung des Beklagten. Die Klägerin erklärte daraufhin den "Rechtsstreit [ ... ] insofern für erledigt" und beantragte die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen (Schriftsatz vom 23. Juni 2017). Diese habe Anlass zur Klageerhebung gegeben, da sie ihrer Pflicht, die Unterlagen an den MDK gemäß § 276 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) herauszugeben, nicht nachgekommen sei. Die Vorgehensweise im Rahmen einer Stufenklage sei der Klägerin nicht entgegen zu halten. Sie sei aus prozessökonomischen Gründen geboten gewesen. Der Streitwert bemesse sich in solchen Fällen nach den bezahlten Gesamtbehandlungskosten (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 27. November 2014, B 3 KR 7/13 R) und liege bei 1.287,82 EUR.

Die einseitige Erledigungserklärung wurde der Beklagten mit Verfügung vom 29. Juni 2019 und der Bitte um Mitteilung, ob ein Kostenanerkenntnis abgegeben werde, zugeleitet. Mit Beschluss vom gleichen Tag setzte das Sozialgericht (SG) Dortmund den Streitwert endgültig auf 1.287,82 EUR fest. Auf die Begründung wird Bezug genommen.

Die Beklagte stimmte der Erledigungserklärung der Klägerin hinsichtlich der zweiten Stufe nicht zu, ein Kostenanerkenntnis werde ebenfalls nicht abgegeben, vielmehr seien die Kosten für die Klagerücknahme auf der zweiten Stufe der Klägerin aufzuerlegen (Schriftsatz vom 29. August 2017).

Gegen den ihr am 4. Juli 2017 zugestellten Beschluss hat die Beklagten am 4. Januar 2018 Beschwerde eingelegt. Die endgültige Festsetzung stehe im Widerspruch mit der Begründung der vorläufigen Streitwertfestsetzung. Die Klägerin habe die Klage auf der zweiten Stufe zurückgenommen, denn die einseitige Erledigungserklärung stelle sich vorliegend als Klagerücknahme dar (BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995, 6 RKa 18/95).

Die Klägerin hat zu der eingelegten Beschwerde keine Stellungnahme abgegeben.

Mit Beschluss vom 22. Januar 2020 hat das SG die Kosten des Verfahrens nach § 197a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1, 155 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) der Beklagten auferlegt und der Streitwertbeschwerde gemäß Erklärung vom 26. Januar 2020 aus den im Beschluss vom 29. Juni 2017 genannten Gründen nicht abgeholfen.

II.

Der Senat entscheidet - wegen grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - über die Beschwerde in der Besetzung mit drei Berufsrichtern (vgl. § 68 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 2 Gerichtskostengesetz [GKG]).

Die Beschwerde ist zulässig (1.) und im Sinne der Aufhebung des Streitwertbeschlusses begründet (2.).

1. Die fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Insbesondere fehlt der Beklagten im Zeitpunkt der Entscheidung durch den Senat nicht das Rechtsschutzbedürfnis, da sie durch den Beschluss des SG vom 22. Januar 2020 mit den Kosten des Rechtsstreits belastet wurde.

2. Die Beschwerde ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Streitwertbeschlusses begründet. Für die vom SG vorgenommene endgültige Festsetzung des Streitwertes fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) setzt das SG als Prozessgericht den Streitwert endgültig fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. Eine Entscheidung ist hier ersichtlich nicht ergangen. Das Klageverfahren hat sich - zumindest hinsichtlich der zweiten Stufe der Stufenklage - bislang nicht erledigt.

a) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine Erledigung nicht durch Klagerücknahme eingetreten (§ 102 Abs. 1 Satz 2 SGG).

aa) Die anwaltlich vertretene Klägerin hat ausdrücklich den "Rechtsstreit [ ... ] insofern für erledigt" erklärt. Wie schon der Vergleich von § 155 Abs. 2 VwGO und § 161 Abs. 2 VwGO zeigt, sind die Rücknahme einerseits und die Erledigungserklärung andererseits unterschiedliche Prozesserklärungen, die sich gegenseitig ausschließen.

bb) Eine Auslegung der Erledigungserklärung als Klagerücknahme scheidet aus.

(1) Der Senat gibt seine diesbezügliche, unter Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 12. Dezember 1995 (6 RKa 18/95, juris) vertretene Rechtsprechung, wonach auch im gerichtskostenpflichtigen sozialgerichtlichen Verfahren eine (einseitige) Erledigungserklärung als Rücknahme des Rechtsbehelfs auszulegen sei (Senat, Beschluss vom 31. Oktober 2011, L 11 KA 61/11 B ER), ausdrücklich auf.

Die zitierte Entscheidung des BSG ist vor Inkrafttreten des § 197a SGG am 2. Januar 2002 (aufgrund von Art. 1 Nr. 68 i.V.m. Art. 17 6. SGG-Änderungsgesetz vom 22. August 2001, BGBl. I S. 2144) ergangen und betrifft damit eine andere Gesetzeslage, nämlich das gerichtskostenfreie Verfahren des SGG, in dem §§ 155 Abs. 2, 161 Abs. 2 VwGO nicht anzuwenden sind und dem das Institut der Erledigungserklärung fremd ist. Gerade weil sich an die Klagerücknahme unter Umständen eine andere Kostenfolge knüpft als an die Erledigungserklärung, verbietet es sich vielmehr grundsätzlich, eine eindeutige Erledigungserklärung als Rücknahme auszulegen (vgl. auch BSG, Beschluss vom 29. Dezember 2005, B 7a AL 192/05 B; LSG NRW, Beschluss vom 23. Februar 2016, a.a.O., jeweils juris).

(2) Der Ausnahmefall einer durch die Erledigungserklärung verdeckten Rücknahme liegt hier nicht vor. Davon kann nur dann die Rede sein, wenn die Rechtsverfolgung aufgegeben wird, obwohl der Rechtsstreit in Wirklichkeit noch nicht erledigt ist (oder die Erledigung selbst herbeigeführt wird), um auf diese Weise die Kostenfolge einer Rücknahme zu umgehen (vgl. Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Beschluss vom 24. Juni 2008, 3 C 5/07, juris). Hier hat die Klägerin demgegenüber erkennbar angenommen, dass sie ihr Rechtsschutzziel einer Prüfung und Leistung etwaiger Erstattungsansprüche aufgrund zunächst hauszugebener Unterlagen teilweise - bezüglich der Herausgabe - erreicht hat und teilweise - mangels Erstattungsanspruch - nicht erreichen kann. Im Anschluss daran hat sie sich der prozessual für diese Situation zur Verfügung stehenden Erledigungserklärung bedient.

b) Eine Erledigung ist auch nicht durch übereinstimmende Erledigungserklärung der Beteiligten gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO eingetreten.

aa) Vielmehr hat die Beklagte ausdrücklich erklärt, "der Erledigungserklärung der Klägerin hinsichtlich der zweiten Stufe nicht" zuzustimmen (Schriftsatz vom 29. August 2017).

bb) Zwar kann die Übereinstimmung mit einer zunächst einseitigen Erledigungserklärung auch dadurch zustande kommen, dass die Beklagte der Erledigungserklärung der Klägerin nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes widerspricht und sie vom Gericht auf diese Folge hingewiesen worden ist (§ 161 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Hier hat die Beklagte zwar allem Anschein nach nicht binnen zwei Wochen widersprochen. Es fehlt jedoch an einem entsprechenden Hinweis des SG und einer Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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