FormalPara Zusammenfassung

Die Ziele der Krankenhausplanung sind in Deutschland klar definiert. So soll die Krankenhausplanung eine qualitativ hochwertige, patienten- und bedarfsgerechte Versorgung durch wirtschaftlich leistungsfähige Krankenhäuser sicherzustellen. Der derzeit in allen Bundesländern in Deutschland angewendete traditionelle Planungsansatz wird diesen Zielen nicht mehr gerecht. Dieser Planungsansatz stützt sich auf Fachgebiete zur Leistungsabgrenzung, auf eine undifferenzierte Anwendung der Hill-Burton-Formel zur Bedarfsabschätzung und nur selektiv auf Qualitätsvorgaben zur Zuteilung von Versorgungsaufträgen. In diesem Beitrag wird ein neuer Planungsansatz vorgestellt, dem eine detaillierte, medizinisch-hierarchisch aufgebaute Leistungsgruppensystematik zugrunde liegt (Leistungsorientierung). Diese wird verwendet, um eine transparente Bewertung der aktuellen Versorgungssituation vorzunehmen und eine differenzierte Bedarfsprognose unter quantitativer Berücksichtigung relevanter Einflussfaktoren durchzuführen (Bedarfsorientierung). Schließlich wird eine Methodik zur Entwicklung von Qualitätsvorgaben je Leistungsgruppe vorgestellt (Qualitätsorientierung). Der Beitrag schließt mit dem Entwurf eines Planungsprozesses, der die leistungs-, bedarfs- und qualitätsorientierte Krankenhausplanung in die Praxis überträgt.

In Germany, hospital capacity planning goals are well defined. Hospital capacity planning must be demand driven and is to secure high quality care for patients treated in economically efficient hospitals. The traditional planning method that is currently used in all states in Germany can no longer meet these requirements. This planning method employs medical areas of expertise for the distinction of treatments, it uses an undifferentiated application of the Hill-Burton Formula to forecast future demand and only selectively applies quality requirements for the allocation of licenses for inpatient care. In this article, we develop a new planning method that is based on a detailed system of treatment areas structured in a medically meaningful hierarchy (treatment orientation). This system is used to assess the current care situation and to conduct a sophisticated forecast of future demand with quantitative consideration of relevant influence factors (demand orientation). Finally, a method to develop quality requirements per treatment area is presented (quality orientation). The article concludes with the drafting of a planning process for this new treatment, demand and quality oriented hospital capacity planning method.

1 Hintergrund

Die Ziele der Krankenhausplanung sind gesetzlich klar definiert. Seit Einführung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) im Jahre 1972 obliegt die Krankenhausplanung den Ländern, um die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser (KH) und damit eine qualitativ hochwertige, patienten- und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen, qualitativ hochwertig und eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern zu gewährleisten (vgl. § 1 in Verbindung mit § 6 KHG). Nähere und ergänzende Regelungen bestimmen die Länder individuell in Landesgesetzen zur Gestaltung der Krankenhausplanung und -landschaft (vgl. § 6 Abs. 4 KHG und z. B. in § 1 Abs. 1 KHGG NRW oder § 1 Abs. 3 KHG LSA).

Gleichzeitig steht die Krankenhausplanung vor immensen Herausforderungen. Derzeitige Planungsansätze, die auf einer relativ breiten Definition medizinischer Bereiche in Anlehnung an die Fachgebiete der ärztlichen (Muster-)Weiterbildungsordnung und der selektiven Anwendung der Hill-Burton-Formel zur Bedarfsabschätzung basieren (DKG 2018), haben in Zusammenspiel mit dem leistungsorientierten DRG-basierten Fallpauschalensystem Anreize zur angebotsinduzierten Mengenausweitung gesetzt (Schreyögg et al. 2014; SVR 2014). Die daraus folgende fragmentierte Leistungserbringung und das relativ hohe Fallaufkommen in Deutschland fordern effektive planerische Bemühungen zur Sicherung einer zukunftsfesten Krankenhauslandschaft, insbesondere vor dem Hintergrund anhaltender Qualitätsvariation und verstärkten Fachkräftemangels.

Damit gesetzliche Zielvorgaben erreicht und derzeitigen Herausforderungen erfolgreich begegnet werden kann, muss eine effektive Krankenhausplanung über Instrumente verfügen, mit der die Versorgung gesteuert und die Krankenhauslandschaft nachhaltig geformt werden kann:

  • Qualitativ hochwertige Versorgung: Die Krankenhausplanung muss einerseits Qualitätsstandards für jeden medizinischen Bereich sicherstellen und andererseits Anreize zur ständigen Qualitätsverbesserung setzen.

  • Patientengerechte Versorgung: Eine Versorgung ist immer dann patientengerecht, wenn sie die Bedürfnisse der Patienten befriedigen kann und den Patientennutzen maximiert. Die Krankenhausplanung muss deshalb unter Berücksichtigung der Qualität die Zugänglichkeit, d. h. ausreichende Kapazitäten mit akzeptablen ErreichbarkeitenFootnote 1 für den Großteil der Bevölkerung sicherstellen. Da die Steuerung der Versorgung zugunsten von QualitätFootnote 2 in einem Spannungsverhältnis zur Zugänglichkeit von Krankenhausleistungen stehen kann, muss die Krankenhausplanung über Instrumente verfügen, einen Ausgleich zwischen diesen Zielen zu finden.

  • Bedarfsgerechte Versorgung: Bedarfsgerecht versorgt ist ein geografisches Gebiet und ein medizinischer Bereich immer dann, wenn weder Über-, Unter- noch Fehlversorgung vorliegen (SVR 2014, 2018). Die Krankenhausplanung sollte folglich Über-, Unter- und Fehlversorgung entgegenwirken, indem abgeleitet von der derzeitigen Versorgungssituation und vom mittel- bis langfristig zu erwartenden Bedarf eine ausreichende Anzahl an Krankenhäusern je medizinischen Bereich und Geoebene (räumliche Aggregationsebene, z. B. Landkreis, Regierungsbezirk oder Bundesland)Footnote 3 im Krankenhausplan berücksichtigt wird. Es bedarf demnach Instrumente, mittels derer die derzeitige Versorgungssituation bewertet und der zu erwartende Bedarf valide für verschiedene medizinische Bereiche und Geoebenen prognostiziert werden kann.

  • Wirtschaftlichkeit als Grundlage: Die Zielvorgaben einer effektiven Krankenhausplanung können selbstredend und im Sinne des § 1 Abs. 1 KHG nur dann erreicht werden, wenn die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser unterstützt wird. Einerseits bildet die Aufnahme in den Krankenhausplan und die damit einhergehende Berechtigung zur Förderung mit Investitionsmitteln einen Baustein zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit. Andererseits sollten die Rahmenvorgaben und Auswirkungen der Krankenhausplanung die Wirtschaftlichkeit von relevanten, qualitativ hochwertigen Krankenhäusern stärken. Dies kann beispielsweise durch die Schaffung eines vergleichsweise konstanten Wettbewerbsumfelds und/oder die Ermöglichung von Skalenerträgen gelingen.

Zur Bewertung eines bestehenden bzw. zur Entwicklung eines neuen Planungsansatzes zur effektiven Krankenhausplanung müssen also folgende Fragen evaluiert werden:

  • Wie werden medizinische Bereiche voneinander abgetrennt und definiert? Wird die medizinische Planungsgrundlage den Zielvorgaben einer Krankenhausplanung gerecht? Ist die Geoebene, die zur Analyse und Planung herangezogen wird, hinsichtlich der Komplexität und der Anforderungen des jeweiligen medizinischen Bereichs adäquat gewählt?

  • Wie wird die Versorgungssituation im Status quo bewertet? Wie wird der zukünftige Bedarf prognostiziert?

  • Wie wird die Einhaltung von Qualitätsstandards durch die Krankenhausplanung sichergestellt? Wie wird eine Qualitätsverbesserung angeregt? Werden Qualitätsvorgaben erarbeitet und wenn ja, wie werden diese (weiter)entwickelt?

  • Wie wird die wirtschaftliche Sicherung der KH, die über eine Aufnahme in den Krankenhausplan und Berechtigung für die Förderung von Investitionsmitteln hinausgeht, durch die Rahmenvorgaben der Krankenhausplanung berücksichtigt?

Da der weit verbreitete, auf medizinischen Fachgebieten bzw. Fachabteilungen und der Hill-Burton-Formel basierenden lediglich fortschreibende Planungsansatz nicht die nötigen Instrumente umfasst, um den oben genannten Zielen der Krankenhausplanung gerecht zu werden (SVR 2018), wurde im Rahmen der Erstellung des Gutachtens „Krankenhauslandschaft NRW“ ein neuer Planungsansatz entwickelt (MAGS 2019), der in diesem Beitrag vorgestellt werden soll. Dieser Planungsansatz umfasst analog zu den Fragen einer effektiven Krankenhausplanung drei aufeinander aufbauende Teile:

  1. 1.

    Leistungsorientierung: Das medizinische Leistungsgeschehen wird in medizinisch sinnvoll konsolidierte und aufeinander aufbauende Leistungsgruppen (LG) unterteilt. Diese LG bilden dann die medizinische Planungsgrundlage.

  2. 2.

    Bedarfsorientierung: Die Versorgungssituation wird mittels drei standardisierter Analysen je LG und Geoebene für das Basisjahr erfasst. Darüber hinaus wird der Bedarf für einen Zeitraum von 15 Jahren in Fünf-Jahres-Abständen und unter Berücksichtigung relevanter Einflussgrößen wie demografische Entwicklung und Ambulantisierungspotenzial prognostiziert. Hierauf basierend wird der planerische Handlungsbedarf je LG und Geoebene abgeleitet.

  3. 3.

    Qualitätsorientierung: Voraussetzung für die Zuteilung eines Versorgungsauftrags für eine bestimmte LG ist die Einhaltung von Vorgaben zur Struktur- und Prozessqualität sowie Mindestmengen. Die berücksichtigten Qualitätsdimensionen sowie die Ausprägungen einzelner Vorgaben sind für jede LG individuell zu definieren.

In den folgenden drei Abschnitten werden die oben genannten Teile des Planungsansatzes detailliert ausgeführt. Darüber hinaus wird im Laufe jedes Abschnitts ein Vergleich zu tradierten Planungsansätzen gezogen. In Abschn. 18.5 wird ein Planungsprozess entwickelt, der die drei Teile des Planungsansatzes zusammenführt. Abschn. 18.6 schließt den Beitrag mit einem Fazit ab.

2 Leistungsorientierung

Damit die Ziele der Krankenhausplanung erreicht werden können, sollte die medizinische Planungsgrundlage, das heißt die Abgrenzung und Definition der geplanten medizinischen Bereiche, ausreichend detailliert und skalierbar sein, um

  • die Versorgungsituation patientenrelevant bewerten zu können,

  • den zukünftigen Bedarf valide prognostizieren zu können,

  • medizinisch fundierte und zweckmäßige Qualitätsvorgaben je Bereich definieren zu können.

Andererseits muss beachtet werden, dass die Anzahl der definierten medizinischen Bereiche nicht zu groß wird, um den Analyse- und Planungsaufwand überschaubar zu halten. Außerdem sollte ein medizinischer Bereich nur dann weiter unterteilt werden, wenn der gewonnene Detailierungsgrad zu einer weiteren versorgungsrelevanten Leistungsdifferenzierung führt. Schließlich sollte der definierte medizinische Bereich einen relevanten Anteil am Fallvolumen widerspiegeln, wobei die genaue Höhe des Anteils von der Komplexität der Leistungen abhängt.Footnote 4

Generell bestehen zwei Möglichkeiten zur Abgrenzung und Definition von medizinischen Bereichen – auf Grundlage von Fachgebieten und Teilgebieten in Anlehnung an die ärztliche Weiterbildungsordnung oder nach Leistungsbereichen (LB) und Leistungsgruppen (LG), die auf Basis medizinisch zusammenhängender Leistungen gebildet werden. Die traditionell geprägte Krankenhausplanung nutzt oftmals allgemein gehaltene Fachgebiete wie beispielsweise Chirurgie oder Innere Medizin. Teilweise werden jedoch auch etwas klarer abgegrenzte Fachgebiete herangezogen, etwa Urologie, Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Nuklearmedizin oder Kinder- und Jugendmedizin sowie Fachgebiete zur Spezialversorgung wie Stroke Units oder Transplantationszentren, wobei die konkreten Bezeichnungen und Abgrenzungen der Fachgebiete je Bundesland unterschiedlich sein können (DKG 2018).

Grundlage der Leistungsgruppensystematik (LG-Systematik) kann prinzipiell jedes medizinische Klassifikationssystem sowie Kombinationen davon sein, wobei eine Verknüpfung unterschiedlicher Klassifikationssysteme für die klare Abgrenzung einzelner Leistungen zielführend sein kann. Im Kontext der in Deutschland verwendeten Klassifikationssysteme sind beispielsweise folgende Grundlagen für eine LG-Systematik denkbar:

  • Prozeduren als Grundlage von LG: Eingriffe und Leistungen des Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS) können zur Definition von LG herangezogen werden, entweder ausschließlich oder in Kombination mit Diagnosen der International Classification of Diseases (ICD). Eine Erweiterung um ICD-Codes ist immer dann sinnvoll, wenn die alleinige Verwendung eines OPS-Codes für die eindeutige Zuweisung eines Falles in eine LG nicht möglich ist (z. B. bei Prozeduren, die zur Behandlung mehrerer Diagnosen eingesetzt werden).

  • Diagnosis Related Groups (DRG) als Grundlage für LG: In DRGs zusammengefasste Leistungen könnten ebenfalls zur Definition von LG verwendet werden, entweder ausschließlich oder in Kombination mit OPS-Codes. Eine Hinzunahme von OPS-Codes ist vor allem dann angezeigt, wenn die der DRG zugrunde liegende Leistung alleine über den DRG-Code nicht klar identifizierbar ist.

International gesehen bestehen bereits einige Ansätze zur leistungsorientierten Steuerung der Versorgung (Geissler und Busse 2015). In der Schweiz, vor allem im Kanton Zürich, ist die leistungsorientierte Steuerung am weitesten vorangeschritten. In Zürich wird demnach eine detaillierte LG-Systematik für die Spitalplanung verwendet.

Diese LG-Systematik basiert auf Prozeduren der Schweizerischen Operationsklassifikation (CHOP) sowie ICD-Codes und umfasst für den Bereich Somatik circa 140 LG, die in 25 LB gruppiert sind (Gesundheitsdirektion Kanton Zürich 2019). Die LB orientieren sich an der bekannten medizinischen Fachabteilungsstruktur bzw. an einzelnen Organsystemen wie Herz, Lunge, Verdauungssystem, Bewegungsapparat etc., haben jedoch keinerlei planerische Bedeutung, sondern dienen lediglich der Strukturierung der LG. Beispielsweise umfasst der LB Bewegungsapparat chirurgisch insgesamt elf LG (z. B. Handchirurgie, Arthroskopie der Schulter und des Ellenbogens, Wirbelsäulenchirurgie etc.), wobei einige LG in mehrere LG unterteilt sind (die LG Rekonstruktion untere Extremitäten ist beispielsweise in die LG Erstprothese Hüfte und die LG Erstprothese Knie unterteilt).

Die für das Gutachten „Krankenhauslandschaft NRW“ entwickelte LG-Systematik basiert demgegenüber ausschließlich auf DRGs und umfasst für den Bereich Somatik lediglich 70 LG, die ebenfalls in 25 LB gruppiert sind (MAGS 2019). Tab. 18.1 im Anhang gibt einen Überblick über die definierten LG. Zwei wichtige Hinweise zum Aufbau der LG-Systematik sind:

  • Medizinisch-hierarchischer Aufbau: Die LG sind beginnend von niedrigen hin zu komplexeren medizinischen Leistungen und parallel von konservativer Therapie über interventionelle bzw. minimal-invasive Eingriffe hin zu (komplexeren) operativen Eingriffen aufgebaut. Hintergrund dieses medizinisch-hierarchischen Aufbaus ist unter anderem, dass so medizinisch bzw. operationstechnisch komplexe LG sinnvoll mit Qualitätsvorgaben für diese LG verbunden werden können (siehe Abschn. 18.4).

  • Grundversorgung: Der LB Grundversorgung umfasst alle Leistungen, die von einem Krankenhaus ohne erweitere Fachabteilungsstruktur erbracht werden können. Ein Krankenhaus nimmt nur dann an der vollumfänglichen Grundversorgung inklusive Notfallversorgung teil, wenn in allen UntergruppenFootnote 5 der beiden LG (internistische und chirurgische Grundversorgung) des LB Grundversorgung eine Mindestanzahl an Fällen behandelt wurde. Anderenfalls umfasst die Teilnahme an der Grundversorgung und NotfallversorgungFootnote 6 die eines Spezialversorgers (siehe Abschn. 18.4).

Ausschlaggebende Gründe für eine Adaptierung der Züricher LG-Systematik hinsichtlich der Anzahl der LG war, dass die Definition weiterer LG voraussichtlich nicht zu einer höheren Leistungsdifferenzierung geführt hätte, alle aus Versorgungssicht wesentlichen Leistungen abgedeckt waren und der Analyseaufwand für 70 LG noch vertretbar war. Darüber hinaus wurde darauf geachtet, den Leistungsgruppenkatalog eher schlank zu halten, um dessen Anwendbarkeit für die Krankenhausplanung zu gewährleisten.

Hinsichtlich des der LG-Systematik zugrundeliegenden Leistungskatalogs hat eine Definition und Abgrenzung mittels DRG-Codes gegenüber einer Verwendung von OPS- und ICD-Codes zwei wesentliche Vorteile:

  • Benchmarking: OPS- und ICD-Daten sind verknüpft auf Patientenebene nicht mit Standortbezug bundesweit veröffentlicht. Daher kann bisher nicht analysiert werden, in welchem Umfang und mit welchen Prozeduren ausgewählte Diagnosen behandelt werden. Folglich kann ein fallbasiertes Benchmarking mit geografischem Bezug, das vor allem für die Bewertung der Versorgungssituation unabdinglich ist, nur bei der Verwendung des DRG-Klassifikationssystems durchgeführt werden.

  • Homogenität und Aufwand für Grouping: Indem DRG-Codes verwendet werden, ist gewährleistet, dass die DRGs einer LG homogen sind und keine Ausreißer auftreten. Bei der Verwendung von OPS- und ICD-Codes ist dies aufgrund der Dynamik des G-DRG-Systems nicht auszuschließen.

Um dem entgegenzuwirken, hat die Gesundheitsdirektion Zürich eine Hierarchieordnung von Diagnosen und Prozeduren entwickelt. Diese regelt, welcher Code ausschlaggebend für den Krankenhausaufenthalt war und in welche LG der Fall folglich einzuordnen ist. Die Entwicklung einer solchen Hierarchieordnung und die Umsetzung der Grouper-Logik erfordert jedoch einiges an Zeitaufwand sowie interdisziplinäre Zusammenarbeit, um zu einer eindeutigen Zuordnung und einem konsentierten Ergebnis zu gelangen.

Im Übrigen ist das G-DRG-System aufgrund des hohen Detailgrads des OPS-Katalogs, der der Kodierung der DRGs zugrunde liegt, medizinisch und klinisch etwas schärfer als das Swiss-DRG-System.Footnote 7 Folglich ist eine genauere Definition und Abgrenzung der LG im G-DRG-System möglich, als dies im Swiss-DRG-System der Fall wäre.

Trotzdem ist die Verwendung von DRG-Codes zu Recht der Kritik ausgesetzt, dass DRGs vor allem kostenhomogene und nicht zwangsweise medizinisch-homogene Gruppen abbilden sollen. Dementsprechend existieren unter anderem DRGs, denen sowohl unterschiedliche Diagnosen als auch Therapien bzw. Prozeduren an verschiedenen Organen bzw. Extremitäten zugrunde liegen können.Footnote 8 Auch wenn solchen DRGs oft zu großen Teilen derselbe Eingriff zugrunde liegt, bleibt für diese DRGs eine gewisse Unschärfe bestehen.

Zur Steigerung der medizinischen Genauigkeit für einige LG ist also die Hinzunahme einzelner OPS- und ggf. ICD-Codes zusätzlich zu DRGs nötig. Ungeachtet dessen bietet eine LG-Systematik ausschließlich auf Grundlage von DRGs bereits eine detaillierte und medizinisch-hierarchisch aufbauende LG-Systematik. Bei einer Definition von LG auf Basis von OPS- und ICD-Codes ist außerdem zu beachten, dass der Zeitaufwand für die Entwicklung einer eigenen Hierarchieordnung und Grouper-Logik für die derzeit circa 32.000 OPS- und circa 14.000 ICD-Codes beachtlich wäre. Gegen eine (ausschließlich) DRG-basierte Definition spricht wiederum, dass die Weiterentwicklung und -verwendung des DRG-Systems und der DRG-Codes ungewiss ist,Footnote 9 OPS- und ICD-Codes demgegenüber jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit langfristig die Grundlage zur Abbildung des medizinischen Leistungsgeschehens bilden werden.

Da die LG-Systematik die Basis einer effektiven Krankenhausplanung ist, ist eine Abwägung der oben diskutierten Vor- und Nachteile äußerst gründlich vorzunehmen und die Entscheidung für eine Grundlage der LG-Systematik konsentiert zu treffen. Im Übrigen ist, unabhängig von der Wahl des zugrundeliegenden Klassifikationssystems, zu entscheiden, ob eine eindeutige Zuordnung eines Falles zu einer LG präferiert wird oder, ob die Möglichkeit bestehen sollte, einen Fall unter Umständen auch in mehr als eine LG einzuordnen. Letzteres würde die Möglichkeit bieten, multimorbide Patienten, die mehrere Behandlungen innerhalb eines Krankenhausaufenthalts erhalten haben, für mehrere LG als Fall zu zählen. Dies ist beispielsweise dann sinnvoll, wenn LG Mindestmengenvorgaben unterliegen. Außerdem ist diese Zählweise hilfreich, um zu überprüfen, ob das behandelnde Krankenhaus gemäß seinem Versorgungsauftrag tätig war oder einen Fall einer LG, für die es eigentlich keinen Versorgungsauftrag erhalten hat, versorgt hat.

Bezüglich der Bewertung der Fachgebietsplanung zur Erreichung der Ziele der Krankenhausplanung muss festgestellt werden, dass die medizinische Planungsebene „Fachgebiet“ nicht die notwendige Detailtiefe besitzt, um die Versorgungssituation auf einer für den Patienten notwendigen, medizinisch sinnvollen Ebene zu analysieren oder den Bedarf ausreichend genau zu prognostizieren (siehe hierzu auch SVR 2018). Eine Analyse zeigt beispielsweise, dass eine bestimmte geographische Region im relativ breit definierten Fachgebiet Chirurgie überversorgt ist. Dieses Analyseergebnis ist jedoch nur bedingt hilfreich, da unklar bleibt, welche Leistungen konkret überversorgt sind, da das Fachgebiet Chirurgie Leistungen von Appendektomie über Pankreaskopfresektion und Lobektomie bis hin zu Spondylodesen abdeckt. Gleichzeitig bleibt ungeklärt, ob einzelne (komplexere) Leistungen eventuell bedarfsgerecht oder unterversorgt sind. Gleiches gilt für Ergebnisse einer Bedarfsprognose.

Diese Problematik ist besonders ausgeprägt für breit definierte, heterogene Fachgebiete, betrifft jedoch in geringerem Maße auch homogenere Fachgebiete. Denn wenn beispielsweise das Fachgebiet Frauenheilkunde in einem bestimmten geographischen Gebiet überversorgt sein sollte, bleibt immer noch unklar, welche Leistung hiervon besonders betroffen ist. Die fehlende Konkretisierung der zu einem Fachgebiet oder Teilgebiet zählenden Leistungen bedingt außerdem, dass Qualitätsvorgaben nicht ohne Weiteres mit einzelnen Leistungen bzw. LG verbunden werden können und deshalb vermeintlich weniger effektiv sind. Eine detaillierte Ausführung siehe hierzu in Abschn. 18.4.

Die oben vorgestellte medizinisch-hierarchische LG-Systematik stellt demgegenüber jedoch eine effektive Grundlage für eine in der Praxis anwendbare leistungs-, bedarfs- und qualitätsorientierte Krankenhausplanung dar, was in den folgenden Kapiteln weiter ausgeführt wird.

3 Bedarfsorientierung

Zur bedarfsorientierten Krankenhausplanung muss in einem ersten Schritt die bestehende Versorgungssituation analysiert und anschließend transparent gemacht werden. Hierauf basierend sollte in einem zweiten Schritt der zukünftig zu erwartende Bedarf in Form von Fallzahlen und Belegtagen unter quantitativer Berücksichtigung relevanter Einflussfaktoren wie der demografischen Entwicklung und dem Ambulantisierungspotenzial prognostiziert werden. Aus den Ergebnissen beider Analysen ist schließlich der planerische Handlungsbedarf je medizinischen Bereich und geografischen Gebiet abzuleiten (siehe Abschn. 18.5.1).

Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass für Analysen zur Bewertung der Versorgungssituation und einer Bedarfsprognose oft nur stationäre Krankenhausabrechnungsdaten herangezogen werden können (vgl. MAGS 2019). Dies stellt jedoch eine Limitation dar, da diese Daten die durchgeführten Ist-Behandlungen abbilden und folglich keine Rückschlüsse auf die Indikationsqualität und tatsächliche Behandlungsnotwendigkeit zulassen. Eine validere Abschätzung der Morbiditätslast der Bevölkerung muss im Zusammenhang mit ambulanten Diagnosedaten und weiteren Informationen (Reha, Medikation, etc.) erfolgen (SVR 2018), die beispielsweise im Rahmen der Datentransparenzverordnung (DaTraV-Daten) zur Verfügung stünden, auf die aber bisher nicht vollumfänglich und für aktuelle Datenjahre zugegriffen werden kann.

3.1 Bewertung der Versorgungssituation

Bei der Bewertung der Versorgungssituation wird für einen medizinischen Bereich und ein geografisches Gebiet analysiert, ob Über-, Unter- oder Fehlversorgung bzw. eine bedarfsgerechte Versorgung vorliegt. Dabei sind Über-, Unter- und Fehlversorgung wie folgt definiert (MAGS 2019): Überversorgung liegt vor, wenn in einem geografischen Gebiet gemessen an der Bevölkerung und den Fallzahlen eine Vielzahl an Krankenhäusern für Behandlungen in einem bestimmten medizinischen Bereich erreichbar ist. Anzeichen für Überversorgung im Sinne einer Fehlversorgung sind eine relativ hohe (angebotsinduzierte) Krankenhaushäufigkeit und eine hohe Anzahl an fallzahlschwachen Krankenhäusern. Unterversorgung kann vorliegen, wenn Erreichbarkeitsziele für größere Anteile der Bevölkerung nicht eingehalten werden können und gleichzeitig die Krankenhaushäufigkeit relativ niedrig und die Abwanderung in andere Gebiete relativ hoch ist. Die Bewertung der Versorgungssituation erfolgt oft über einen (inter-)nationalen Vergleich von Krankenhaushäufigkeiten, Krankenhausbetten je Einwohner oder Krankenhausdichte (Geissler et al. 2010; Wissenschaftlicher Beirat beim BMF 2018). Ungeachtet der methodischen Schwierigkeiten solcher Vergleiche beispielsweise aufgrund verschiedener Abrechnungssysteme (Busse et al. 2013) kann ein Vergleich der Krankenhaushäufigkeiten nur ein Baustein einer Bewertung der Versorgungssituation bilden.

Um sich den kontrovers diskutierten und quantitativ schwer näherbaren Begriffen der Über-, Unter- und Fehlversorgung zu nähern, eignen sich folgende drei Einzelanalysen je LG und Geoebene (vgl. Kapitel 7 und 8 in MAGS 2019):

  1. 1.

    Versorgung des Einzugsgebiets und Leistungsverteilung: Zur Abschätzung der Versorgungsintensität des Einzugsgebiets, d. h. des zu analysierenden geografischen Gebiets, und der Verteilung der Leistungen zwischen den jeweiligen Gebieten dienen zwei Kennzahlen: (a) die altersstandardisierte Krankenhaushäufigkeiten inkl. einem Vergleich zum Durchschnittswert einer repräsentativen Region sowie (b) eine „Wanderungskennzahl“, die die durch Krankenhäuser in einem Gebiet versorgten Patienten mit den im selben Gebiet wohnhaften Patienten ins Verhältnis setzt. Durch die erste Kennzahl wird deutlich, ob in diesem Gebiet wohnhafte Patienten in dieser LG relativ häufig bzw. relativ selten versorgt werden. Durch die zweite Kennzahl wird deutlich, ob ein Gebiet Patienten auch aus anderen Gebieten anzieht bzw. ob Patienten aus einem Gebiet abwandern, was vor allem bei weniger komplexen LG bei signifikanten Abwanderungen auf Unterversorgung hindeuten kann. Signifikante Zuwanderung kann entweder auf die Strahlkraft eines Zentrums oder in Kombination mit relativ hohen Krankenhaushäufigkeiten auf Überversorgung aufgrund angebotsinduzierter Mengenausweitung hindeuten. Für eine beispielhafte Darstellung für die LG Pankreas- und Lebereingriffe siehe Abb. 18.1.

    Abb. 18.1
    figure 1

    Versorgung des Einzugsgebiets und Leistungsverteilung am NRW-Beispiel LG Pankreas- und Lebereingriffe (Quelle: MAGS 2019) (Anmerkung: Darstellung dient lediglich der Veranschaulichung. KH = Krankenhaus, VG = Versorgungsgebiet, RB = Regierungsbezirk)

  2. 2.

    Versorgungsdichte: Die zweite Analyse je LG sollte eine kartografische Analyse der Erreichbarkeiten relevanter VersorgerFootnote 10 für das gesamte Bundesland und ausgehend von Postleitzahlgebieten sein. In dieser Karte sollten sowohl eine Nicht-Einhaltung von Erreichbarkeitszielen (Anzeichen für Unterversorgung) als auch eine hohe Dichte an (fallzahlschwachen) Versorgern (Anzeichen für Überversorgung) eingefärbt sein. Bei der Interpretation der Einfärbungen ist die betroffene Bevölkerungszahl und im Falle von Grenzregionen die an das Bundesland angrenzenden Versorger zu berücksichtigen. Für eine beispielhafte Darstellung für die LG Endoprothetik Knie und die LG Pankreas- und Lebereingriffe siehe Abb. 18.2Footnote 11.

    Abb. 18.2
    figure 2

    Versorgungsdichte am NRW-Beispiel LG Endoprothetik Hüfte und LG Pankreas- und Lebereingriffe (Quelle: Darstellung adaptiert von MAGS 2019) (Anmerkung: Darstellung dient lediglich der Veranschaulichung. Je stärker der Versorgungsdichte-Index ausgeprägt ist, desto mehr (fallzahlschwache) Versorger befinden sich auf engem Raum (dunkelgrau = stärkste Ausprägung))

  3. 3.

    Marktkonzentration: Die dritte Analyse sollte eine vergleichende Darstellung der Fallzahlen je Versorger als Streudiagramm je geografisches Gebiet sein. Zusätzlich dazu sollten Versorger, für die innerhalb eines überschaubaren Umkreises, z. B. innerhalb von 20 min Fahrtzeit, ein fallzahlstärkerer Versorger dieselbe LG anbietet, farblich hervorgehoben werden.Footnote 12 Durch diese Analyse wird deutlich, wie konzentriert (wenige fallzahlstarke Versorger) bzw. wie fragmentiert (viele fallzahlschwache Versorger) die Leistungserbringung ist. Eine fragmentierte Leistungserbringung wäre als Anzeichen für Überversorgung zu interpretieren, vor allem, wenn viele farblich hervorgehobene Versorger vorliegen. Eine konzentrierte Leistungserbringung kann entweder als eine bereits stattgefundene Zentralisierung bewertet werden oder, falls es nur einen oder sogar gar keinen Versorger in einem geografischen Gebiet und ggf. daran angrenzenden Gebieten gibt, auf Unterversorgung hindeuten. Für eine beispielhafte Darstellung der LG Endoprothetik Knie und der LG Pankreas- und Lebereingriffe siehe Abb. 18.3.

    Abb. 18.3
    figure 3

    Marktkonzentration am NRW-Beispiel LG Endoprothetik Hüfte und LG Pankreas- und Lebereingriffe (Quelle: MAGS 2019) (Anmerkung: Darstellung dient lediglich der Veranschaulichung. VG = Versorgungsgebiet, RB = Regierungsbezirk)

Die Abbildungen sind dem Gutachten „Krankenhauslandschaft NRW“ entnommen. Die Abbildungen dienen nur der Veranschaulichung der oben beschriebenen Methodik. Für eine detaillierte Analyse und Interpretation der Ergebnisse sei an dieser Stelle auf das Gutachten „Krankenhausplanung NRW“ verwiesen.

Die endgültige Bewertung der Versorgungssituation erfolgt dann unter gesamtheitlicher Betrachtung der Ergebnisse aller Einzelanalysen, wobei die Größe der zu analysierenden Geoebene von der Komplexität und der Behandlungsdringlichkeit (elektiv vs. Notfall) der jeweiligen LG abhängen sollte.Footnote 13 Für eine LG sind dann im Ergebnis für jedes geografische Gebiet (starke) Anzeichen für Überversorgung, bedarfsgerechte Versorgung oder (starke) Anzeichen für Unterversorgung zu beobachten. Ggf. sind weitere Analysen zur Bewertung der Versorgungssituation hinzuzuziehen, wobei eine korrekte Berücksichtigung der Bevölkerungsanzahl, -struktur und -dichte essentiell ist.

Eine derartige Bewertung der Versorgungssituation konnte bei bisherigen Planungsansätzen nicht gefunden werden (DKG 2018). Diese Analyse ist jedoch unbedingt nötig, da sie zusammen mit einer Bedarfsprognose je LG und Geoebene zur Ableitung des planerischen Handlungsbedarfs dient.

3.2 Bedarfsprognose

Nach der Bewertung der Versorgungssituation sollte folglich eine Bedarfsprognose durchgeführt werden. Diese sollte sich jedoch nicht auf die Errechnung einer Planbettenzahl je Fachgebiet mittels einer undifferenzierten Anwendung der Hill-Burton-Formel beschränken, wie dies bislang noch in allen Bundesländern üblich ist (DKG 2018). Vielmehr sollten die wesentlichen Faktoren, die Einfluss auf die Fallzahl und die Belegtage haben, auf Fallbasis berücksichtigt werden.

Quantitativ sinnvoll berücksichtigt werden können hierbei die demografische Entwicklung, das Ambulantisierungspotenzial und die Verweildauerentwicklung. Bei der Interpretation der Ergebnisse sollten Einflussfaktoren wie der medizinisch-technische Fortschritt und neue Behandlungsmethoden oder Änderungen im regulativen Rahmen qualitativ mit eingebracht werden, wobei diese Einflussfaktoren gleichzeitig auf das Ambulantisierungspotenzial und die Verweildauerentwicklung einwirken. Hierbei gilt zu beachten, dass jeder Faktor die Bezugsgrößen Fallzahlvolumen und Belegtage unterschiedlich beeinflussen kann. Faktoren wie Prävalenz und Inzidenz sind äußerst schwierig zu quantifizieren und sollten deswegen nur qualitativ diskutiert werden.Footnote 14 Abschließend ist anzumerken, dass jedoch jede Prognose trotz der quantitativen und qualitativen Berücksichtigung relevanter Faktoren mit Unsicherheiten belegt bleibt.

Abb. 18.4 liefert einen schematischen Überblick über die Wirkungsmechanismen der verschiedenen Faktoren.

Abb. 18.4
figure 4

Wirkungsmechanismus der Einflussfaktoren der Bedarfsprognose (schematisch) (Quelle: Eigene Darstellung) (Anmerkung: Die Verweildauer (VwD) pro Fall ist zur Berücksichtigung eines Optimierungspotenzials ggf. auf den Bundesdurchschnitt anzupassen.)

Auf die Gesamtfallzahl im Basisjahr wirkt die auf Jahresbasis zu berechnende Fallzahlentwicklung ein. Die Fallzahlentwicklung wird positiv und/oder negativ durch sowohl die demografische Entwicklung als auch das Ambulantisierungspotenzial beeinflusst.Footnote 15 Die Berücksichtigung der demografischen Entwicklung geht jedoch über einen reinen Bevölkerungsrückgang bzw. ein Bevölkerungswachstum hinaus. Für die korrekte Berücksichtigung des Einflusses auf jede LG sollte vielmehr die Entwicklung der Bevölkerungszahl je geografisches Gebiet, Geschlecht und Alterskategorie isoliert und einzeln verrechnet werden.

Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Insgesamt schrumpft zwar die Bevölkerung Deutschlands, die Bevölkerungszahl in den höheren Alterskategorien steigt jedoch. Da die Wahrscheinlichkeit eines stationären Krankenhausaufenthaltes mit zunehmendem Alter steigt, hat diese demografische Entwicklung wesentlichen Einfluss auf die Gesamtfallzahl. Der Einfluss auf die Gesamtfallzahl ist wiederum unterschiedlich stark, wenn geschlechterspezifisch betrachtet, da die Wahrscheinlichkeit eines stationären Krankenhausaufenthaltes für Frauen anders ist als für Männer. Außerdem ist der demografische Einfluss für unterschiedliche LB und LG unterschiedlich stark: So wäre beispielsweise die LB Geburt und die LB Neugeborene vom oben beschriebenen Einfluss nicht direkt betroffen, aber zum Beispiel die LB Herz und insbesondere die LG interventionelle Kardiologie und die LG Kardiale Devices dafür umso stärker. Eine Einzelbetrachtung von urbanen gegenüber ländlichen Gebieten hat darüber hinaus auch Auswirkung auf die Einflussstärke.

Welche stationären Fälle zu welchem Zeitpunkt in der Zukunft eher ambulant erbracht werden, hängt einerseits vom medizinisch-technischen Fortschritt und neuen Behandlungsmethoden und andererseits vom regulativen Rahmen ab.Footnote 16 Wenn angenommen wird, dass der regulative Rahmen mit dem medizinisch-technischen Fortschritt Schritt halten kann, sollte sich einer quantitativen Abschätzung des Ambulantisierungspotenzials auf Fallbasis genähert werden.

So sollte in einem ersten Schritt überprüft werden, ob ein Fall hauptsächlich auf einen OPS-Code, der Teil der Liste potenziell ambulanter OPS-Codes (GKV-Spitzenverband 2019), zurückzuführen ist oder äquivalent zu einem CHOPS-Code der ambulant durchzuführenden Leistungen in der Schweiz (Gesundheitsdirektion Kanton Zürich 2018) ist. Soweit patientenspezifische Parameter wie Schweregrad oder Alter nicht gegen eine Ambulantisierung sprechen,Footnote 17 kann angenommen werden, dass Fälle mit obigen OPS-Codes mit einer hohen Wahrscheinlichkeit (z. B. zu 90 %Footnote 18) zu einem Zeitpunkt in der Zukunft (z. B. in 15 Jahren) ambulant behandelt werden.

Des Weiteren sollten Fälle mit kurzer Verweildauer von einem, zwei und drei Tagen zu absteigenden Wahrscheinlichkeiten (z. B. zu 75, 25 und 10 %Footnote 19) ambulant berücksichtigt werden, sofern patientenspezifische Parameter wie Schweregrad und Alter nicht gegen eine Ambulantisierung sprechen.Footnote 20 Als letzter Schritt muss das Ambulantisierungspotenzial noch um Fälle mit DRG-Codes, die in keinem Fall ambulant erbracht werden können (z. B. der LG Herzchirurgie o. ä.), aber aufgrund von Verlegungen oder anderen ungewollten Gründen vom Algorithmus erfasst wurden, korrigiert werden. Der quantitative Effekt des Ambulantisierungspotenzials wird schließlich durch eine lineare Ambulantisierung der betroffenen Fälle bis zu einem ZielzeitpunktFootnote 21 in der Zukunft gebildet. Die betroffenen Fälle werden also jedes Jahr zu einem geringeren Anteil stationär berücksichtigt.

Bezüglich der Berechnung der Verweildauerentwicklung sollten neben Prozessverbesserungen und noch nicht gehobenem Optimierungspotenzial, die über historische Daten abgeschätzt werden können, vor allem die durch die Fallzahlentwicklung bedingten Einflüsse berücksichtigt werden. So hat einerseits die durch die demografische Entwicklung und das Ambulantisierungspotenzial bedingte Verschiebung der Leistungsnachfrage wesentlichen Einfluss auf die durchschnittliche Verweildauer einer LG. Anderseits ist die individuelle Verweildauer innerhalb einer LG auch abhängig vom Alter des Patienten, was durch die Verschiebung innerhalb und über Alterskategorien hinweg ebenfalls bewertet werden kann.

Eine detailliertere Ausführung des algorithmischen Vorgehens zur Bedarfsprognose kann an dieser Stelle nicht ausgeführt werden, das Vorgehen ist aber in den Kapiteln 10 und 11 des Gutachtens „Krankenhauslandschaft NRW“ ausführlich beschrieben (MAGS 2019). Insgesamt sollte jedoch deutlich geworden sein, dass eine Fortschreibung des Bedarfs mittels der undifferenzierten Anwendung der Hill-Burton-Formel zu grob ist und folglich einer bedarfsorientierten Krankenhausplanung und dem Ziel der Bedarfsgerechtigkeit nicht gerecht werden kann (siehe hierzu auch SVR 2018).

4 Qualitätsorientierung

Für die Entwicklung einer qualitätsorientierten Krankenhausplanung muss in einem ersten Schritt anhand relevanter Kriterien bewertet werden, welche Qualitätsdimensionen generell zur Krankenhausplanung geeignet sind. In einem zweiten Schritt sind dann konkrete Indikatoren und Vorgaben für die geeigneten Qualitätsdimensionen zu entwickeln.

4.1 Bewertung und Auswahl geeigneter Qualitätsdimensionen

Qualitätsdimensionen wie Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität, aber auch Mindestmengen und Servicequalität eignen sich nur dann für Vorgaben zur Krankenhausplanung, wenn die definierten Indikatoren dieser Dimensionen eine Reihe an Kriterien einhalten können. Neben der Möglichkeit zur standardisierten Erhebung der Indikatoren und der Überprüfung der Vorgaben, der methodisch sicheren Messbarkeit der Indikatoren, der Möglichkeit zur direkten Einflussnahme durch das Krankenhaus und die Vermeidung von Fehlanreizen durch die Setzung von Vorgaben müssen Qualitätsvorgaben vor allem sinnvoll mit den medizinischen Bereichen verknüpfbar sein, für die sie Qualitätsstandards sichern sollen. Für eine detaillierte Beschreibung der Kriterien und eine ausführliche Begründung der Bewertung wird auf Kapitel 12.1 des Gutachtens „Krankenhauslandschaft NRW“ (MAGS 2019) verwiesen. Abb. 18.5 liefert eine Übersicht über die Bewertungsergebnisse, auf die im Folgenden nur selektiv eingegangen werden kann.

Abb. 18.5
figure 5

Übersicht der Bewertungsergebnisse je Qualitätsdimension (Quelle: MAGS 2019; adaptierte Darstellung)

Vorgaben zur Strukturqualität sind vollumfänglich für die Krankenhausplanung geeignet. Vorgaben zu Prozessqualität und Mindestmengen sind wiederum nur dann sinnvoll, wenn der medizinische Bereich, für den eine Vorgabe gemacht wird, in sich homogen ist. Das bedeutet, der medizinische Bereich sollte möglichst dieselbe Eingriffsart (z. B. Implantation einer Endoprothese) an demselben Organ oder derselben Extremität bzw. Gelenk (z. B. Hüfte) umfassen. Denn nur dann kann beispielsweise eine Time-to-Treatment-Vorgabe oder die standardisierte Durchführung von Tumorboards (Prozessqualität) sinnvoll mit der medizinischen Leistung verknüpft werden. Dies gilt noch stärker für Mindestmengenvorgaben. So wäre eine Mindestmengenvorgabe für die relativ heterogene LG Erweiterte Kardiologie oder auch die LG Pneumologie wenig sinnvoll, da diese LG eine Reihe an unterschiedlichen Leistungen umfassen, die verschiedene Kompetenzen benötigen. Zudem wäre unklar, welche Leistung denn von der Vorgabe betroffen ist bzw. wenn eine Mindestmenge einer bestimmten Leistung der LG vorgegeben wird, kann nur dieser Teil der LG mit einer sinnvollen Vorgabe belegt werden.

Vorgaben zur Ergebnisqualität sind aufgrund – derzeit noch – bestehender Limitationen in der Messbarkeit nicht zur Krankenhausplanung geeignet (MAGS 2019). Limitationen umfassen die Adjustierung von Patientenrisiken wie Alter und Komorbiditäten (Gutacker et al. 2015; Hagn 2014; WIdO 2018), die statistisch belastbare Berechnung der Ergebnisqualität fallzahlschwacher Krankenhäuser, die Auswahl des geeigneten Beobachtungszeitraums (stationärer Aufenthalt vs. 30 bis 365 Tage nach Entlassung), die Auswahl einer ausreichenden Anzahl aussagekräftiger Qualitätsindikatoren, die Nutzung unvollständiger Datensätze (z. B. nur Patienten, die bei einer bestimmten Krankenkasse versichert sind) und die Qualität des Datenerhebungsprozesses, v. a. bei Selbstangaben (Schreyögg et al. 2014). Sobald diese Limitationen jedoch zufriedenstellend behoben sind, was angesichts der Entwicklungen der Methodik zur Datenanalyse wie Big Data und Künstlicher Intelligenz nicht unwahrscheinlich ist, ist die Eignung der Dimension Ergebnisqualität neu zu bewerten.

Vorgaben zu Struktur- und Prozessqualität sind für einige Fach- bzw. Teilgebiete oder Subdisziplinen bereits weit verbreitet (DKG 2018), v. a. für die Schlaganfallversorgung, die Herzinfarktversorgung, für onkologische Zentren allgemein und Brustzentren insbesondere, Intensivstationen, Neurologische Frührehabilitation, Traumazentren, Geriatrie, Perinatalmedizin und Palliativmedizin. Hierbei unterscheiden sich die Vorgaben in Anzahl, Art, Umfang und Ausprägung jedoch stark zwischen den Bundesländern. Festzustellen ist außerdem, dass Vorgaben nur für solche Fach- bzw. Teilgebiete gemacht werden, die eher komplexe Leistungen und spezialisierte Versorgung umfassen und daher ein relativ homogenes Leistungsspektrum abbilden. Das Gros der Versorgung bleibt demgegenüber ohne Sicherung von Qualitätsstandards. Außerdem fehlen weiterhin für komplexe Leistungen wie Eingriffe am Ösophagus, am Pankreas, am Thorax, an der Wirbelsäule etc. Qualitätsvorgaben für den Großteil der Bundesländer.Footnote 22

4.2 Entwicklung von Qualitätsvorgaben

Eine qualitätsorientierte Krankenhausplanung muss also auf Basis von nachvollziehbaren und stringent für alle LG ausgewählten Vorgaben zur Strukturqualität, für ausgewählte LG auch zur Prozessqualität und – wo angezeigt – darüber hinaus zu Mindestmengen machen. Tab. 18.2 im Anhang zeigt beispielhaft auf, wie und welche Qualitätsvorgaben für LG gemacht werden könnten. So zielen die ersten beiden Vorgaben zur Strukturqualität auf die interdisziplinäre Leistungserbringung und die medizinisch-hierarchische LG-Systematik ab. Um nämlich beispielsweise die LG Pankreas- und Lebereingriffe erbringen zu dürfen, muss sowohl der gesamte LB Grundversorgung als auch die LG Allgemein- und Viszeralchirurgie und somit die LG Gastroenterologie erbracht werden. In Ausnahmefällen können Spezialversorger auch lediglich Auszüge aus der Grundversorgung, beispielsweise für die Untergruppe Orthopädie/Unfallchirurgie, vorhalten (siehe Abb. 18.6 für eine schematische Übersicht).

Abb. 18.6
figure 6

Schematische Übersicht der medizinisch-hierarchischen Leistungsgruppensystematik (Quelle: Gesundheitsdirektion Kanton Zürich 2019; MAGS 2019; adaptierte Darstellung)

Darüber hinaus werden Vorgaben zur Facharztqualifikation und zur Verfügbarkeit gemacht. Außerdem bestehen Vorgaben zum standardisierten Prozessablauf und zur apparativen, infrastrukturellen und personellen Ausstattung der Intensiv- und Notfallstation. Sowohl die Facharztverfügbarkeit als auch die Vorgaben zur Intensiv- und Notfallstation werden mit höherer Komplexität bzw. Dringlichkeit der Behandlung fordernder, was in Stufen ausgedrückt werden kann. Die Stufe 1 beinhaltet also die Vorgaben für Leistungen der Grundversorgung, die Stufe 2 die Leistungen einer erweiterten Versorgung und die Stufe 3 und weitere die Anforderungen an eine (hoch-)spezialisierte Versorgung. Vorgaben zur Prozessqualität können einerseits in den Vorgaben zur Intensiv- und Notfallstation oder in den „Weitergehenden Anforderungen“ enthalten sein. Andererseits sind generelle Vorgaben zur Prozessqualität wie die standardisierte Durchführung und Dokumentation von Tumorboards für onkologische LG sowie von Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen für chirurgisch-interventionell geprägte LG sinnvoll. Für eine ausführliche Beschreibung der Qualitätsvorgaben wird auf Kapitel 12.2 des Gutachtens „Krankenhauslandschaft NRW“ verwiesen (MAGS 2019).

Die Kontrolle zur Einhaltung der Qualitätsvorgaben muss regelhaft und konsequent erfolgen. Möglichkeiten zur Qualitätskontrolle umfassen beispielsweise die Auswertung von Sekundär- und Abrechnungsdaten sowie die Durchführung von Audits durch die Planungsbehörde, ggf. in Kooperation mit den Kostenträgern und/oder einem unabhängigen Institut.

Die Erarbeitung der genauen Ausprägungen der jeweiligen Vorgaben, vor allem im Bereich Mindestmengen, muss immer im Konsens und zusammen mit Fachexperten aus der praktischen Medizin und aus der medizinischen Forschung, aus der Gesundheitsökonomie und aus der Politik erfolgen. Nur so kann eine zügige Umsetzung gewährleistet sowie sichergestellt werden, dass die Vorgaben und das System in der Praxis auch „gelebt“ werden.

5 Planungsansatz in der Praxis

Im Folgenden soll zuerst ein ordentlicher Planungsprozess skizziert werden, der die drei Teile einer effektiven Krankenhausplanung, also Leistungs-, Bedarfs- und Qualitätsorientierung, zusammenführt. In diesem Rahmen wird außerdem auf die Adressierung von Versorgungsrisiken innerhalb des Planungsprozesses und die Festlegung von Planungszyklen eingegangen. In einem zweiten Schritt wird ausgeführt, wie unvorhersehbare Versorgungsrisiken adressiert werden können.

5.1 Ordentlicher Planungsprozess

Zur Umsetzung des oben beschriebenen Planungsansatzes gilt als Voraussetzung, dass

  1. 1.

    die LG-Systematik und die Qualitätsvorgaben entwickelt und konsentiert wurden,

  2. 2.

    die Ergebnisse der Bewertung der Versorgungssituation und der Bedarfsanalyse transparent gemacht wurden und

  3. 3.

    den Krankenhäusern und ihren Trägern ausreichend Zeit eingeräumt wurde, um unter Berücksichtigung der neuen Rahmenvorgaben eine passende Medizinstrategie zu entwickeln.

Für (1) sind geeignete Experten aus der Praxis (z. B. in Krankenhäusern tätige Ärzte) und aus der Wissenschaft (z. B. Gesundheitsökonomen) sowie aus den jeweiligen medizinischen Bereichen (z. B. Autoren der medizinischen Leitlinien) einzubinden. Des Weiteren sollten Experten der Kodier-/Abrechnungssysteme (z. B. aus Krankenkassen) und Patientenvertreter an der Erarbeitung beteiligt werden. Schließlich ist der Entwicklungsprozess durch die Planungsbehörde zu moderieren.

Die Zusammenführung der Ergebnisse aus (2) liefert schließlich den planerischen Handlungsbedarf je LG und geografisches Gebiet (z. B. auf Ebene von Regierungsbezirken, Landkreisverbünden oder Landkreisen). Wenn eine LG in einem Gebiet beispielsweise Anzeichen für Überversorgung aufweist und für die Zukunft zu erwarten ist, dass der Bedarf moderat sinkt, so wird klar, dass eine Neuzuteilung der Versorgungsaufträge zur Linderung der weiter bestehenden bzw. sich noch verschärfenden Überversorgung mit Nachdruck umgesetzt werden sollte (siehe Tab. 18.3 im Anhang). Bei der Verwendung der Ergebnisse der Bedarfsprognose ist darauf zu achten, welche Kennzahl als Bezugsgröße der Bedarfsermittlung verwendet wird (z. B. Fallzahl, Casemix-Punkte oder Belegtage), welcher Prognosezeitraum gewählt wird (vgl. Fußnote 28) und wie die Kategorien von „stark steigender Bedarf“ bis „stark sinkender Bedarf“ voneinander abgegrenzt werden (vgl. Kapitel 13.1 in MAGS 2019).

Sobald den Krankenhäusern alle Informationen zu (1) und (2) vorliegen, sollten die Träger diese Informationen nutzen, um einen Strategieprozess für ihre Standorte einzuleiten. Ziel dieser Strategiefindung ist zu klären, welche LG in Zukunft von einem Krankenhaus vor dem Hintergrund der Wettbewerbssituation noch angeboten werden sollten und welche LG gemessen an den Qualitätsvorgaben noch angeboten werden können. Jedes Krankenhaus sollte nach Abschluss seiner Strategiefindung gegenüber der Planungsbehörde und den Kostenträgern erklären, für welche LG Versorgungsabsichten bestehen. Darüber hinaus, muss jedes Krankenhaus Angaben zur Einhaltung der Qualitätsvorgaben für alle LG liefern, die es in Zukunft zu versorgen beabsichtigt.

In einem nächsten Schritt sollte eine Konsensfindung zur Versorgung zwischen den Krankenhausträgern und den Kostenträgern für jeden LB und jedes geografische Gebiet erarbeitet werden. Diese Konsensfindung sollte von den Krankenhausträgern kooperativ vorbereitet werden. Außerdem sollte eine klare Frist zur Konsensfindung gesetzt werden, die den Verhandlungspartnern jedoch ausreichend Zeit zur Verhandlung einräumt. Auf Grundlage des erzielten Konsenses bzw. natürlich auch bei fehlendem Konsens wird die finale Entscheidung über die Zuteilung der Versorgungsaufträge von der zuständigen Planungsbehörde unter Berücksichtigung der Bedarfsdeckung und der Sicherung von Qualitätsstandards getroffen. Die Zuteilung der Versorgungsaufträge ist schließlich durch die Versendung von Feststellungsbescheiden zu fixieren und in einer Krankenhausliste (vgl. Tab. 18.1 im Anhang) zu veröffentlichen. Abb. 18.7 liefert eine Übersicht über den oben beschriebenen Planungsprozess und zeigt auf, wie Risiken in Form von Unter- und Überversorgung zu begegnen ist.

Abb. 18.7
figure 7

Übersicht über den ordentlichen Planungsprozess (Quelle: MAGS 2019; adaptierte Darstellung)

So ist nach Erhalt der Absichtserklärungen zur Versorgung einer LG für jedes geografische Gebiet zu klären, ob der im Vorfeld festgestellte Bedarf gedeckt werden kann. Sollte dies der Fall sein, wird als nächstes überprüft, ob darüber hinaus die Anzahl an Krankenhäusern, die die Qualitätsvorgaben einhält, ebenfalls ausreicht, um den Bedarf zu decken. Sollte dies ebenfalls der Fall sein, sollte eine Konsensfindung mit den Kostenträgern zeitnah erreicht werden können und die Zuteilung der Versorgungsaufträge durch die Planungsbehörde kann erfolgen.

Sollte jedoch bereits nach Erhalt der Absichtserklärungen ersichtlich werden, dass diese nicht zur Deckung des Bedarfs ausreichen, entsteht ein Risiko zur Unterversorgung. Um Krankenhäuser, die generell zur Versorgung der LG infrage kämen, jedoch keine Absicht erklärt haben, zur Versorgung zu motivieren, können folgende Maßnahmen ergriffen werden: (1) Es sollte in Erfahrung gebracht werden, wieso das betreffende Krankenhaus keine Versorgungsabsicht erklärt hat und das Krankenhaus sollte in diesem Zuge zur Versorgung aufgefordert werden. Gleichzeitig (2) kann Unterstützung bei der Einhaltung von Qualitätsvorgaben angeboten werden, z. B. in Form von finanzieller Förderung oder bei der Schaffung von sektorenübergreifender Kooperation (z. B. zur Einhaltung von Facharztvorgaben). Gleiches gilt es zu unternehmen, wenn zu wenige Krankenhäuser in einem geografischen Gebiet die definierten Qualitätsvorgaben nicht einhalten können.

Sollten in einem geografischen Gebiet mehr Krankenhäuser die Qualitätsvorgaben einhalten als zur Deckung des Bedarfs nötig sind, entsteht ein Risiko der Überversorgung. In diesen Fällen ist zu prüfen, ob eine eher komplexe LGFootnote 23 betroffen ist. Sollte dies der Fall sein, ist eine Abstimmung der Krankenhäuser, die eine Versorgungsabsicht erklärt haben, und deren Träger vor den Verhandlungen zur Konsensfindung anzuregen. In diesen Abstimmungen sollte transparent gemacht werden, dass (1) eine Leistungsfragmentierung in Zukunft ggf. fortbestehen würde und dass (2) die Investitionsmittel je LGFootnote 24 begrenzt sind. Vor allem für geografische Gebiete, in denen Anzeichen für Überversorgung weiterbestehen, können vor diesem Hintergrund nur einzelne Krankenhäuser gefördert werden. Eine Ablehnung von Förderanträgen ist folglich wahrscheinlicher. Dies läuft den Zielen der Krankenhäuser und ihrer Träger entgegen. Entsprechend kann damit gerechnet werden, dass die Vorabstimmungen dazu beitragen können, eine angemessene Leistungsverteilung zu erreichen. Unterstützend für diesen Entscheidungsprozess und den Qualitätswettbewerb können – soweit für die betreffende LG verfügbar – weitere Informationen (z. B. aus dem Programm zur Qualitätssicherung mit Routinedaten) herangezogen werden.

Sollte demgegenüber eine LG von einem Risiko der Überversorgung betroffen sein, die eher der (erweiterten) Grund- und Regelversorgung zuzurechnen ist,Footnote 25 kann erwartet werden, dass die beobachtete Überversorgung durch die stringente Anwendung der Qualitätsvorgaben und eine hieraus folgende Verschiebung der Patientenströme mittelfristig abgemildert bzw. komplett abgebaut werden kann. Eine solche Verschiebung lässt sich anhand dem Beispiel der LG Allgemein- und Viszeralchirurgie verdeutlichen: Für diese LG werden sich sowohl Krankenhäuser mit einem kleinerem als auch mit ausgeprägtem Leistungsspektrum qualifizieren wollen und können. Folglich könnten in einzelnen geografischen Gebieten Anzeichen für Überversorgung bestehen bleiben. Gleichzeitig werden sich in denselben Gebieten Krankenhäuser mit ausgeprägtem Leistungsspektrum für die Versorgung komplexerer LG wie der LG Ösophaguschirurgie, der LG Pankreas- und Lebereingriffe oder der LG Große Rektumeingriffe qualifizieren. Da sich Krankenhäuser mit kleinerem Leistungsspektrum für die Versorgung dieser LG voraussichtlich nicht mehr qualifizieren können, werden die dort versorgten Fälle in Krankenhäuser mit ausgeprägtem Leistungsspektrum abwandern. Aufgrund kurz- bis mittelfristig limitierter personeller und infrastruktureller Kapazitäten und vor dem Hintergrund gewollter Spezialisierung werden Krankenhäuser mit ausgeprägtem Leistungsspektrum weniger Patienten der weniger komplexen LG Allgemein- und Viszeralchirurgie behandeln können und wollen. Diese Patienten werden nun von den Krankenhäusern mit kleinerem Leistungsspektrum versorgt. Aus dieser intentionierten Verschiebung der Patientenströme folgt:

  1. 1.

    Methodisch gesehen besteht zwar weiterhin ein gewisser Grad an Überversorgung für weniger komplexe LG, dafür wird jedoch Überversorgung komplexerer LG abgebaut.

  2. 2.

    Krankenhäuser, die an der Versorgung komplexerer LG eventuell nur aus wirtschaftlichen Gründen (z. B. zur Querfinanzierung anderer LG) teilgenommen haben und von dieser aus Qualitätsgründen ausgeschlossen werden, könnten mittelfristig aufgrund der fehlenden Einnahmen aus einzelnen Bereichen der stationären Versorgung ausscheiden.Footnote 26

Nach Abschluss der oben skizzierten Analyse und etwaiger daraus resultierender Vorbereitungen können die Verhandlungen zur Konsensfindung zwischen den Krankenhäusern, ihren Trägern und den Kostenträgern starten. Wie oben beschrieben erfolgt basierend auf den Ergebnissen der Konsensfindung die Entscheidung über die Zuteilung der Versorgungsaufträge durch die Planungsbehörde und schließlich die Fixierung derselben durch den Versand von Feststellungsbescheiden.

Die oben angerissene Bindung der Investitionsmittel an LG und die beschriebene Verschiebung der Patientenströme soll im Übrigen zu einer wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser beitragen, die über eine reine Aufnahme in den Krankenhausplanung und das damit einhergehende Recht zur Beantragung von Fördermitteln hinausgeht. So ist die Verteilung der Investitionsmittel auf Basis von LG, unter Berücksichtigung der Versorgungssituation und zur Förderung von Qualitätsstandards aus Patientensicht effektiv einerseits in der Sicherung der Versorgung und andererseits in der Garantie von Qualitätsstandards. Außerdem werden durch eine Verschiebung der Patientenströme bei allen Krankenhäusern Skaleneffekte gehoben, insbesondere bei der Behandlung komplexerer LG. Nicht zuletzt profitieren die Krankenhäuser von einem konstanten und transparenten Wettbewerbsumfeld, da aufgrund der klaren Abgrenzung der Versorgungsaufträge (Leistungsorientierung), die gemessen am Bedarf (Bedarfsorientierung) und mittels Qualitätsvorgaben (Qualitätsorientierung) zugeteilt werden, kein Wettbewerber mehr plötzlich – beispielsweise durch das Abwerben ärztlichen Personals – neue Leistungen anbieten kann.

Um Versorgungsrisiken regelmäßig zu adressieren, sollte der oben beschriebene Planungsprozess je LG alle fünf bis zehn Jahre durchgeführt werden. Der genaue Zeitraum des Planungszyklus hängt vor allem von der Komplexität und der zu erwartenden Notwendigkeit zur Überprüfung von Versorgungsrisiken der jeweiligen LG ab (Patientensicht). Darüber hinaus muss auf die Sicherstellung einer ausreichenden Planungs- und Investitionssicherheit geachtet werden (Krankenhaussicht), das heißt, die Planungszyklen dürfen nicht zu kurz sein. Außerdem sollten unvorhersehbare Versorgungsrisiken durch kurzfristige Einflüsse auf der Bedarfs- und/oder der Angebotsseite durch eine flexible, lokal begrenzte Initiierung des Planungsprozesses adressiert werden. Eine detaillierte Ausführung folgt im nächsten Abschn. 18.5.2.

5.2 Unvorhersehbare Versorgungsrisiken

Unvorhersehbare Versorgungsrisiken können entweder durch eine außerordentliche Bedarfsänderung oder durch das Ausscheiden von Krankenhäusern aus der Versorgung entstehen (Abb. 18.8).

Abb. 18.8
figure 8

Adressierung von unvorhersehbaren Versorgungsrisiken (Quelle: MAGS 2019; adaptierte Darstellung)

Außerordentliche Bedarfsänderungen treten beispielsweise bei Migration oder disruptiver medizin-technischer Innovation auf. In solchen Fällen sollte zuerst der neue Bedarf wie in Abschn. 18.3 ermittelt und ggf. neue Handlungsbedarfe identifiziert werden. Sollte die Anzahl der Versorgungsaufträge für die betroffene LG im betroffenen geografischen Gebiet zur Deckung des Bedarfs ausreichen, sind keine weiteren Maßnahmen nötig. Gleiches gilt, wenn ein Krankenhaus beispielsweise aufgrund einer Insolvenz oder aufgrund mehrmaliger Nichteinhaltung der Qualitätsvorgaben aus der Versorgung einer oder mehrerer LG ausscheidet.

Sollte der bestehende Bedarf nicht durch die verbleibenden an der Versorgung beteiligten Krankenhäuser gedeckt werden können, ist zu prüfen, ob eine Förderung der Qualität (vgl. Abschn. 18.5.1), eine finanzielle Unterstützung und/oder eine Fusion dem ausscheidenden Krankenhaus die Weiterversorgung ermöglichen würde.

Sollte dies nicht der Fall sein bzw. sollte ein Risiko der Unterversorgung durch eine außerordentliche Bedarfsänderung bedingt sein, so ist in Kooperation mit den Kostenträgern und den anderen im betroffenen geografischen Gebiet an der Versorgung der betreffenden LG beteiligten Krankenhäuser eine Konsensfindung zur Versorgung einzuleiten. Fokus hierbei sollte sein, ob sich im betroffenen geografischen Gebiet ein anderes Krankenhaus für die Versorgung qualifizieren und an dieser beteiligen könnte (ggf. auch ein nicht im Krankenhausplan aufgenommenes Krankenhaus im Sinne des § 108 Nr. 3 SGB V). Darüber hinaus sollte außerdem geprüft werden, ob die Versorgung durch sektorenübergreifende Kooperation mit niedergelassenen Fachärzten und/oder rehabilitativen Einrichtungen sichergestellt werden kann. Nicht zuletzt ist zu diskutieren, ob die Versorgung (zumindest teilweise) durch Krankenhäuser eines angrenzenden Bundeslands qualitätsgerecht durchgeführt werden kann bzw. bereits durchgeführt wird.

6 Fazit

Der bis heute zumeist angewandte Planungsansatz, der auf Fachgebieten zur Leistungsabgrenzung und auf einer undifferenzierten Anwendung der Hill-Burton-Formel zur Bedarfsabschätzung basiert, kann den Zielen der Krankenhausplanung nur bedingt gerecht werden. Gründe hierfür sind unter anderem, dass (1) die Leistungsabgrenzung vor allem für die Fachgebiete Chirurgie und Innere Medizin zu weit gefasst ist und folglich zu vielen Krankenhäusern ermöglicht, komplexe Leistungen zu erbringen, dass (2) die undifferenzierte Anwendung der Hill-Burton-Formel die bestehende Versorgungssituation und den zu erwartenden Bedarf nicht adäquat abbilden kann und dass (3) nur wenige Teilgebiete bzw. Subdisziplinen mit Qualitätsvorgaben verbunden werden können.

Der neue, in diesem Beitrag vorgestellte Planungsansatz wird demgegenüber den Zielen der Krankenhausplanung gerecht. Mit Nordrhein-Westfalen könnte das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands, das sowohl über stark bevölkerte urbane Räume wie beispielsweise zwischen Bonn, Köln und Düsseldorf und dem Ruhrgebiet als auch über ländliche Gebiete wie den Hochsauerlandkreis und die Eifel verfügt, in Richtung effektive Krankenhausplanung vorangehen. Eine leistungs-, bedarfs- und qualitätsorientierte Krankenhausplanung, die sich der hier und im Gutachten „Krankenhauslandschaft NRW“ vorgestellten Methodik bedient, sollte darüber hinaus in allen Bundesländern Anwendung finden. Im besten Fall kann dies dazu führen, dass äußerst komplexe und seltene Leistungen wie beispielsweise Transplantationen, aber auch LG wie Herz-, Thorax- und Ösophaguschirurgie zur Bildung richtungsweisender, forschungsstarker Fachzentren bundesweit geplant werden. Nur so und durch eine bundesweit einheitliche Methodik kann das Instrument der Krankenhausplanung seine vollumfängliche Wirkung zur Steigerung des Patientennutzens entfalten und zur Sicherstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land beitragen.

7 Anhang

Tab. 18.1 Übersicht aller Leistungsbereiche und -gruppen und beispielhafte Krankenhausliste (Quelle: MAGS 2019; adaptierte Darstellung)
Tab. 18.2 Beispielhafte Übersicht über Qualitätsvorgaben auf LG-Ebene (Quelle: MAGS 2019; adaptierte Darstellung)
Tab. 18.3 Ableitung des planerischen Handlungsbedarfs (Quelle: MAGS 2019; adaptierte Darstellung)