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Den hohen Standard im Gesundheitssystem werden wir nur halten können, wenn wir effizienter werden, sagt Sturm.

© Getty Images

Fresenius-Chef Stephan Sturm: "Im Gesundheitswesen wird in vielen Bereichen verschwenderisch gearbeitet"

Unnötige Mehrfachuntersuchungen aus Sicht von Fresenius-Chef Sturm nur ein Beispiel dafür. Häufig streiche die Politik Anreize für Effizienz. Ein Interview.

Herr Sturm, Sie haben jüngst in einem Beitrag für die FAZ mehr Marktwirtschaft für das Gesundheitswesen in Deutschland gefordert. Wie kann Marktwirtschaft die medizinische Versorgung besser machen?
Wir haben eine alternde Bevölkerung, die zudem immer besser medizinisch versorgt werden möchte. Wenn wir in Zeiten knapper finanzieller Mittel den hohen Standard einer größtmöglichen Anzahl von Patienten angedeihen lassen wollen, müssen wir auf Effizienz achten.

Marktwirtschaft heißt also für Sie vor allem Effizienz?
Für mich bedeutet Marktwirtschaft in ihrer Ausprägung als soziale Marktwirtschaft, Verschwendung zu vermeiden. Und das kann man mit Effizienz übersetzen.

Haben Sie den Eindruck, dass derzeit im deutschen Gesundheitswesen die Ressourcen eher verschwendet werden?
Wir haben eine ganze Reihe von Bereichen, in denen wir ineffizient, verschwenderisch arbeiten.

Zum Beispiel?
Durch unnötige Mehrfachuntersuchungen, durch eine fehlende Vernetzung der Gesundheitsanbieter und vieles mehr. Wir haben darüber hinaus derzeit die Tendenz, dass die Politik Anreize zum effizienteren Arbeiten streicht. Nehmen wir das Beispiel der Pflegebudgets, die seit dem 1. Januar aus den Behandlungspauschalen herausgelöst wurden. Damit wurde uns ein Anreiz, kostensparend zu arbeiten, weggenommen. Dabei haben wir bei Helios immer den Anspruch, Verschwendung zu vermeiden und gleichzeitig möglichst vielen Patienten eine gute medizinische Versorgung zu bieten – und das ohne öffentliche Mittel in Anspruch zu nehmen, sondern im Gegenteil Steuern zu zahlen.

Stephan Sturm (56) leitet seit 2016 den Medizinkonzern Fresenius, zu dem auch Europas größter Klinikbetreiber Helios gehört.
Stephan Sturm (56) leitet seit 2016 den Medizinkonzern Fresenius, zu dem auch Europas größter Klinikbetreiber Helios gehört.

© Thilo Rückeis

Heißt das, die Investitionsförderung durch die Bundesländer findet für die Helios-Kliniken nicht statt?
Die findet nur an ausgewählten Standorten statt, aber im Wesentlichen bestreiten wir unsere Investitionen aus eigenen Mitteln. Es geht bei unserem marktwirtschaftlichen Ansatz nicht darum, unseren Aktionären die Taschen zu füllen. Uns geht es darum, ausreichend hohe Überschüsse zu generieren, um die medizinische Versorgungsqualität weiter voranzubringen. Wir wollen möglichst viel des erwirtschafteten Geldes im Unternehmen belassen, um investieren zu können, weshalb die Ausschüttungsquote auch relativ niedrig ist.

Gilt für Helios-Kliniken nicht die Vorgabe, eine relativ hohe Umsatzrendite von 12 bis 15 Prozent zu erwirtschaften? Da liegen andere Krankenhausunternehmen weit drunter.
Diese Renditeziele gelten schon länger nicht mehr. Wir erreichen bei Helios in Deutschland derzeit eine Rendite von etwa zehn Prozent. Ich könnte mir vorstellen, dass da durchaus noch etwas mehr geht, aber die zwölf bis 15 Prozent sind im aktuellen Rahmen über alle Helios-Kliniken hinweg nicht mehr erreichbar. Dabei gibt es durchaus einzelne unserer Häuser, die eine solche Marke erreichen. Es geht darum, sich an den Besten messen zu lassen. Und deshalb stellen wir dann schon die Frage, warum geht es an diesem Standort, an anderen aber nicht?

Es gibt Stimmen, die sagen, Gewinnstreben und Gesundheitsversorgung vertragen sich nicht. Denn das Geld, das als Gewinn ausgeschüttet wird, gehe der Gesundheitsversorgung verloren. Was entgegnen Sie dieser Kritik?
Das ist Quatsch. Wir bekommen für einen Behandlungsfall ja nicht mehr Geld, als irgendein anderes Krankenhaus, wir nehmen also den Krankenkassen nichts weg. Und wir zahlen unseren Mitarbeitern genauso viel, wie andere auch. Wir setzen das Geld nur effizienter ein und generieren so Überschüsse. Es geht also der Versorgung nicht verloren. Im Gegenteil, wir können belegen, dass in unseren Krankenhäusern eine deutlich überdurchschnittliche Behandlungsqualität geliefert wird.

Wie können Sie das belegen?
Vor allem mit den Vergleichsdaten im Netzwerk Initiative Qualitätsmedizin (IQM), in dem inzwischen rund 500 Krankenhäuser zusammengeschlossen sind. Die teilnehmenden Kliniken messen die Behandlungsqualität nach einheitlichen Maßstäben und veröffentlichen die Daten, etwa für Sterblichkeit und Komplikationen. Und nach diesen Daten liefern die Helios-Kliniken eine überdurchschnittliche Behandlungsqualität. Trotzdem sind wir nicht darauf angewiesen, dass Verluste mit öffentlichem Geld ausgeglichen werden, so wie bei anderen Krankenhäusern. Im Gegenteil, wir zahlen brav unsere Steuern.

Sie haben die Auslagerung der Pflegekosten aus den Behandlungspauschalen deutlich kritisiert. Aber warum ist das so ein großes Problem? Der Hintergrund dieser Neuregelung ist ja, dass die Kliniken nicht mehr an der Pflege sparen können, um die Behandlungskosten zu senken und damit ihren Überschuss zu erhöhen. Das erscheint durchaus nachvollziehbar.
Wenn eine Klinik nur melden muss, welchen Pflegeaufwand sie hatte, und der wird ihr dann eins zu eins erstattet, dann gibt es keinen Anreiz zum effizienten Arbeiten mehr. Wir haben im vergangenen Jahr eine regelrechte Hatz auf Pflegekräfte gesehen, alle Kliniken haben wie wild Pflegekräfte eingestellt im Vorfeld auf die Neuregelung …

Auch Helios hat im vergangenen Jahr viele Pflegekräfte neu eingestellt …
Ja, und wir waren in der Personalgewinnung auch sehr erfolgreich. Aber der Anreiz, in bessere Kliniken zu investieren, der ist nun weg. Und damit habe ich ein Problem. Wir haben in den vergangenen Jahren erhebliche Millionenbeträge in bessere, effizientere Gebäude mit kurzen Wegen, in moderne IT und in schlankere innerbetriebliche Prozesse gesteckt. Und natürlich möchten wir das investierte Geld über die Zeit auch wieder zurückbekommen. Doch mit der Neuregelung des Pflegebudgets werden diese Vorleistungen, in die wir gegangen sind, quasi wertlos gemacht.

Wieso das?
Weil wir mittels dieser Investitionen mit einem deutlich geringeren Pflegeaufwand ausgekommen sind – ohne dass dadurch die medizinische oder Betreuungsqualität gelitten hat.

Viele Kliniken haben in den vergangenen Jahren Einsparungen dadurch erreicht, dass sie massenhaft Pflegepersonal abgebaut und dem verbliebenen Personal immer mehr Arbeit aufgebürdet haben, was dazu führte, dass die Patienten schlechter betreut wurden. Ist es da nicht richtig, politisch gegenzusteuern?
Glauben Sie, dass es in Deutschland zu wenige Krankenhäuser gibt und die Patienten deshalb keine Chance haben, ein Krankenhaus auszuwählen, in dem sie besser betreut werden? Die Krankenhäuser können es sich gar nicht leisten, ihre Patienten schlecht zu behandeln. Dann gehen die nämlich in ein anderes.

Sie befürworten die Schließung von Klinikstandorten. Würde auch Helios einige seiner Krankenhäuser schließen?
In der Tat haben wir in Deutschland zu viele zu kleine Krankenhäuser. Wir sind grundsätzlich zu Schließungen bereit – und haben das auch schon getan. Wenn wir sehen, dass wir an einzelnen zu wenig spezialisierten Häusern zu wenige Patienten haben und sich deshalb eine nicht ausreichende medizinische Qualität ergibt, und wenn es in der Nähe andere Kliniken zur Sicherstellung der Grundversorgung gibt, dann werden wir solche Standorte notfalls schließen. So haben wir im Jahr 2018 das Krankenhaus im hessischen Bad Schwalbach vom Markt genommen. Fakt ist aber auch, dass bei noch immer viel zu vielen Kliniken anderer Anbieter die Verluste mit öffentlichem Geld ausgeglichen werden. Ist das sozial, wenn wir knappe Mittel, die für eine neue Kita dringend gebraucht werden, für den Neubau einer Straße oder für das Aufrechterhalten des örtlichen Schwimmbades, dafür verwenden, ein verlustträchtiges Krankenhaus künstlich am Leben zu halten? Ich denke, nein.

Sind Sie umgekehrt daran interessiert, Kliniken zu kaufen?
Grundsätzlich ja. Aber es muss sich dann um ein Haus oder um Häuser handeln, die auf Dauer eine Daseinsberechtigung haben. Wir interessieren uns nur für Krankenhäuser, die uns durch die Eingliederung ins Helios-Netzwerk helfen, die Effizienz und die Qualität zu steigern. Es sieht derzeit aber so aus, dass vor allem kleine, nicht ausreichend spezialisierte Krankenhäuser in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Und dafür gibt es in der Regel einen guten Grund. Deshalb engagieren wir uns in solchen Fällen nicht.

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