Digitalisierung der Pflege steht auch in Japan noch am Anfang

Studie untersucht Einsatz von Robotik in der Pflege und gibt Handlungsempfehlungen

Japan gilt gemeinhin als Technologie-Vorzeigeland. Der Bereich roboterunterstützte Pflege ist in dem asiatischen Land allerdings weit weniger entwickelt als erwartet. Der Technikeinsatz im Pflegealltag in Japan ist ähnlich wie in Deutschland eher noch Wunsch als Realität. Ursachen sind in beiden Ländern organisatorische Hemmnisse, Akzeptanz- und Finanzierungsprobleme sowie mangelndes Wissen über praxistaugliche technische Lösungen. Was in Deutschland bisher fehlt, ist vor allem eine klare Vision über die künftige Rolle moderner Assistenzsysteme in der Pflege. Zudem müssen entsprechende Innovationen konsequenter die Nutzerperspektive berücksichtigen.

Berlin, 06. Februar 2020 (IGES Institut) - Das geht aus einer Studie des IGES Instituts für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hervor, die in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Gerhard Naegele von der Universität Dortmund sowie mit Prof. Dr. Franz Waldenberger vom Deutschen Institut für Japanstudien Tokyo entstand. Darin vergleichen IGES-Wissenschaftler den Einsatz von Technik in der Pflege in Japan und Deutschland und leiten daraus Handlungsempfehlungen ab, um hierzulande die digitale Transformation der Pflege voranzubringen. Beide Länder weisen die weltweit am schnellsten alternden Gesellschaften auf und haben mit Fachkräftemangel in der Pflege zu kämpfen.

Bisher nur wenige robotische Produkte für Pflegekräfte in Japan auf dem Markt

Überraschenderweise zeigte sich, dass robotische Systeme in der Pflege in Japan bisher nur sporadisch zum Einsatz kommen. Auch gibt es nur wenige Produkte, die Pflegekräfte bei ihrer täglichen Arbeit wirksam unterstützen. Das Angebot beschränkt sich auf Mobilitäts- und Transferhilfen, Telepräsenzrobotik und Emotionsroboter. Im pflegerischen Alltag sind derartige Anwendungen – wie auch in Deutschland – dennoch aus unterschiedlichen Gründen kaum angekommen. Und dies, obwohl die japanische Regierung eine klare IT-Strategie verfolgt und zahlreiche Förderprogramme für die Entwicklung digitaler Assistenzsysteme gestartet hat. Auch sind bereits eine Reihe von technischen Produkten durch die japanische Pflegeversicherung erstattungsfähig.

Mangelndes Wissen über Pflegeroboter hemmt Verbreitung

Wie Interviews mit japanischen Pflegeexperten für die Studie zeigten, hindern vor allem Informations- und Kommunikationsbarrieren eine Verbreitung innovativer Produkte zur Unterstützung in der Pflege. So scheitert es oft, Erkenntnisse der Grundlagenforschung in den Versorgungsalltag zu implementieren. Zudem hemmen mangelnde Kenntnis über aktuelle Produkte, fehlende Nutzerfreundlichkeit, zu hohe Preise sowie ausbleibende Schulungen von Pflegekräften die Verbreitung. Dies gilt in Japan, ähnlich aber auch in Deutschland.

Pflegekräfte fürchten Entwertung der eigenen pflegerischen Tätigkeit

Widerstand kommt auch aus der Pflegefachszene selbst, wie die Studie zeigt. Einige Pflegefachkräfte fürchten, dass ein verstärkter Einsatz von Technik in der Pflege die eigene pflegerische Arbeit entwertet. Zudem bestehen vielfach ethische Bedenken gegenüber Robotern in der Pflege - selbst in Japan, wo ansonsten in vielen anderen Lebensbereichen innovative Technologien selbstverständlich sind.

Die IGES-Experten folgern aus den Erkenntnissen der Studie, dass es hierzulande zunächst dringend einer grundlegenden Auseinandersetzung darüber bedarf, welche Folgen die voranschreitende Digitalisierung für die Arbeit in der Pflege und die Bewältigung des Pflegefachkräftemangels haben kann. Darüber hinaus gilt es, Qualifikationsanforderungen für künftige Pflegetätigkeiten zu entwickeln, wenn die Technisierung und Digitalisierung weiter voranschreitet.

Praxistauglichkeit von Pflegerobotern besser erforschen

Mit Blick auf die konkrete Produktentwicklung raten die IGES-Experten, künftiger stärker die Praxistauglichkeit und den Bedarf im Pflegealltag zu erforschen und zu berücksichtigen. Oft sei zu wenig bekannt, wie sich Neuentwicklungen in der Praxis auf die Pflege, die Akzeptanz bei Pflegekräften und pflegebedürftigen Personen und letztlich auf die Versorgungsqualität auswirken. Pflegekräfte müssten zudem verstärkt im Bereich Kommunikationstechnologie und Software geschult werden. Auch pflegebedürftige Menschen sollten so früh wie möglich an den Gebrauch mobiler Endgeräte oder smarter Anwendungen herangeführt werden.

Anschubfinanzierung für Pflegeroboter in Pflegeheimen nötig

Nicht zuletzt gilt es den IGES-Experten zufolge, mittels finanzieller Anreize die Verbreitung neuer Technologien zu stimulieren. Die Situation in Japan hat gezeigt, dass es nicht ausreicht, die Anschaffung technischer Hilfen individuell für pflegebedürftige Personen zu bezuschussen. Auch Pflegeheime sollten für die Anschaffung robotischer Systeme finanzielle Hilfen erhalten – zumindest in der Einführungsphase, solange noch wenig Praxiserfahrung mit den Produkten vorliegt und die Preise noch hoch sind.

In Deutschland beteiligt sich seit Januar 2019 erstmals die Pflegeversicherung an der Förderung der Anschaffung digitaler und technischer Ausrüstung in Pflegeeinrichtungen zur Entlastung der Pflegekräfte mit bis zu 12.000 Euro pro Maßnahme. Allerdings werden die Mittel jedoch bisher noch sehr zögerlich abgerufen, wie die für die Studie befragten Experten berichten.