Pflegemissstände mit System

Big Business auf Kosten der Kranken

29:15 Minuten
Eine Frau im Rollstuhl sitzt allein im Gemeinschaftsraum eines Altenheims.
Viele Kliniken und Heime sind in einer finanziellen Schieflage und damit zum lukrativen Sanierungsfall für Private-Equity-Firmen geworden. © Picture Alliance / dpa / Monika Skolimowska
Von Horst Gross · 13.02.2020
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Immer mehr Investoren drängen ins Gesundheitswesen. Kliniken und Pflegeheime werden aufgekauft, auf Gewinn getrimmt und dann veräußert. Um die Patientinnen und Patienten gehe es kaum noch, klagen Ärzteschaft und Pflegepersonal.
Finanzheuschrecken, diesen Begriff hat der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering für einen neuen Typ von Finanzinvestoren geprägt.
"Es ist ganz viel Geld unterwegs. Das soll schnell, vielmehr neues Geld bringen. Und die Methoden, mit denen man das versucht, sind ziemlich rabiat. Zulasten der Arbeitnehmer."
Gemeint ist ein Private Equity Unternehmen. Das sind Investmentfonds, die es schaffen aus wirtschaftlich angeschlagenen Betrieben jährliche Renditen von 15-20 Prozent herauszuholen . Oft sitzen die Fonds in Steueroasen wie z.B. den Cayman Islands. Aggressive Personaleinsparungen, Betriebsumschichtungen, Fusionen und Outsourcing sind ihr typisches Repertoire. Es sind keine klassischen Investoren. Bei ihnen zählt allein der kurzfristige Gewinn. Erzielt dadurch, dass der rigoros durchsanierte Betrieb nach wenigen Jahren teuer weiterverkauft wird.
Viele Kliniken und Heime sind in einer finanziellen Schieflage und damit zum lukrativen Sanierungsfall für Private-Equity-Firmen geworden. "Put a little healthcare in your Portfolio" raten immer mehr Finanzberater ihren internationalen Kunden. Doch was bedeutet das für unsere medizinische und pflegerische Versorgungsqualität. Erste Erfahrungen lassen Schlimmes ahnen.

Privatisierung, Sparmaßnahmen, Streik

2007 hat das Land Niedersachsen die Landeskliniken für Psychiatrie in Osnabrück und Hildesheim verkauft. An AMEOS, eine Tochterfirma des Private-Equity-Anlegers Quadriga Capital. Die anschließenden Sparmaßnahmen provozierten monatelange Streiks.
"Und ab 2008 wurde dann Leiharbeit eingeführt. Dann hat unser Arbeitgeber nur noch über eine eigene, eine neue Gesellschaft Leiharbeiter eingestellt, zu einem abgesenkten Tarif auch."
Berichtet Michael Krömker, ehemaliger Betriebsrat an der AMEOS-Klinik Osnabrück.
"Eine GmbH, die gegründet wurde. Und über diese GmbH wurden dann diese Beschäftigten verliehen. Das haben wir uns so krass nicht vorgestellt."
Das Vertrauensverhältnis zwischen Personal und Patientin oder Patient ist in der Psychiatrie Teil der Therapie. Häufiger Personalwechsel zerstört diese persönliche Bindung und ist für Menschen, die unter schweren Depressionen, Psychosen oder anderen Verhaltensstörungen leiden, besonders schwer. Trotzdem stieg die Rate der Leiharbeiter in einigen Klinikbereichen bis auf 60 Prozent an.
"Was wir aber gemerkt haben, dass die Fluktuation größer wurde. Wir waren immer relativ stabil hier in Osnabrück, wie auch in Hildesheim, was auch das Personal anging. Meist langjährig Beschäftigte. Und das ist so langsam, aber sicher, hat sich das in eine andere Richtung bewegt."
In der Psychiatrie sind die Rahmenbedingungen für Investoren lukrativ: Die Fallpauschalen gelten hier nicht. Gesetzliche Vorgaben zur Personalbesetzung beschränken sich auf ein Minimum und Behandlungserfolge lassen sich nicht wirklich objektiv messen. Die Auswirkungen von Sparmaßnahmen bleiben so im Dunkeln. Und fachliche Widerstände in der Klinik, die kann man vom Tisch wischen.
"Weil, gegen diese unternehmerischen Entscheidungen von oben, da ist das ganz schwer… Ich glaube, da braucht sich kein Chefarzt oder ärztlicher Direktor mehr einbilden, dass er das Heft des Handelns in der Hand hält. Das ist vorbei. Sobald man in diese Privatisierungsschiene reinkommt, hat man da kaum noch Möglichkeiten, was zu bewegen. Weil diese Unternehmen alle ganz bestimmte Ziele verfolgen. Und diese Ziele sind in diesem Land völlig legal. Das muss ich auch mal sagen. Die machen nichts Verbotenes. Die verdienen Geld und die verdienen richtig Geld damit."

Missstände haben System

Rund 11.000 der 500.000 deutschen Klinikbetten sind bereits im Besitz von Private-Equity-Anlegern, vornehmlich kleinere Häuser im Osten. Der große Klinikmarkt gilt für solche Investoren als schwierig. Zu oft stellen sich die Gewerkschaften quer. Ganz anders dagegen sieht es im Heim- und Pflegebereich aus. Hier gibt es kaum Tarifverträge. Und so können Investoren hier in die Vollen gehen: Zurzeit sind schon 48.000 Heimplätze unter der Kontrolle solcher Private Equity Firmen. Hier bestimmen internationale Anleger die Pflege- und Arbeitssituation. Besonders eine Heimkette fällt immer wieder durch negative Schlagzeilen auf.
"Guten Abend bei Frontal 21. Über Missstände in der Pflege haben wir schon oft berichtet. Wie kann es denn aber sein, dass immer mehr Finanzinvestoren, trotz Mangel, Kostendruck und Not satte Renditen in der Pflege wittern… Das ehemalige Alloheim in Ludwigsburg. Es verlor die Betriebserlaubnis."
Als das ZDF-Magazin Frontal 21 im Jahr 2018 über skandalöse Praktiken bei "Alloheim" berichtete, da sah es noch nach Einzelfällen aus. Doch mittlerweile ist klar: Die Sache hat System. Immer häufiger sorgt diese Private-Equity-Heimkette auch in der Regionalpresse für verstörende Meldungen. Meist sind es rebellierende Angehörige, die sich die Sparmaßnahmen nicht mehr gefallen lassen.
"Das war so: Meine Mutter lebte als sehr Selbstständige mitten in Lingen. Alles schön. Dann fiel sie. Die klassische Geschichte. Kam dann ins Krankenhaus. Baute dann sehr stark ab. Und dann haben wir eine Unterkunft versucht zu besorgen. Und kamen dann auf das Alloheim in dem schön benannten Emsauen-Park. Und so gelangte sie da hinein."
Als der Lingener Theaterpädagoge Bernd Ruping kurzfristig für seine Mutter einen Heimplatz in einem "Alloheim" fand, war er heilfroh. Doch, das sollte sich schnell ändern. Die Missstände häuften sich und schließlich wurde daraus ein handfester Pflegeskandal.
"Ich muss ganz, ganz deutlich sagen: In der Zeit, wo meine Mutter da war, also von 2016 bis 18, hatten wir, wenn ich recht erinnere, zwei Fachkräfte für über 40 Bewohner, die sich dann auch noch schichtweise abwechselten. Viele und ständig wechselnde Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter mit einer nicht sorgfältig organisierten Übergabe. Und wenn ich dann fragte: Wie hat meine Mutter heute Morgen gefrühstückt, dann kam immer die Antwort: Wer ist denn ihre Mutter?
Ja, sie wohnt jetzt hier schon anderthalb Jahre. Das ist Frau Ruping. Ja, da muss ich mal nachschauen. Bei dieser Art und Weise der Kommunikation fiel mir dann auch auf, dass diese Menschen, die sich dann als Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter herausstellten, dass die auch gar keine anständigen Übergabeprotokolle hatten. Zum Beispiel wussten die nicht, dass man bei meiner Mutter die Flüssigkeitsausgabe kontrollieren muss, weil meine Mutter hatte nicht mehr das Bedürfnis zu trinken. Das wussten diese Leute aber nicht."

"Es ist der reine Wahnsinn"

Personalfluktuation im Heim drängt die Heimbewohner in die Vereinsamung. Altersbedingt können sie sich nur schlecht auf wechselnde Bezugspersonen einstellen. Das sollte den Verantwortlichen eigentlich klar sein.
"Die Tatsache, dass sie dann am Ende nicht mehr Vertrauenspersonen hatte oder höchstens einer, wenn er denn da war, führte dazu, dass sie nicht mehr lesen wollte. Einige Zeit später wollte sie nicht mehr reden und dann wollte sie auch nicht mehr hören. Das Hörgerät hat sie nicht mehr eingesetzt und abgelehnt, dass man es ihr einsetzt."
Akribisch dokumentierte der Sohn, wie sich die schweren Pflegefehler bei seiner Mutter häuften.
"Wir konnten zeigen, dass meine Mutter in ihren eigenen Exkrementen lag. Dass niemand die Kernpflege bei ihr durchführte. Und ich hab auch einmal erlebt, warum nicht. Das sieht so aus: Meine Mutter sitzt in ihrem Sessel. Sie saß dort. Dann kam der… dieser Aushilfsarbeitende rein und sagte: Frau Ruping alles in Ordnung? Und dann sagt meine Mutter immer: ja. Und dann ist er wieder gegangen. Die Zahncreme, die bei ihr auf der Anrichte lag, war hart wie ein Stein. Das heißt, Zahnpflege fand nur über mich und über meine Frau statt."
Bernd Ruping ging mit diesen skandalösen Zuständen an die Öffentlichkeit .
"Wir sind dann auch in eine Bürgerversammlung der Stadt Lingen rein, wo das "Alloheim" zur Debatte stand. Es war eine sehr turbulente Sitzung und sie führte langfristig dazu, dass 2018 die Stadt Lingen tatsächlich ein Bußgeldverfahren gegen die zwei Geschäftsführer der "Alloheim"-Gruppe angestrengt hat."
Doch die kamen mit einer Bagatellstrafe davon, die später aufgehoben wurde. Die Mängel wurden vom Gericht bestätigt, aber es war kein wirklich Verantwortlicher zu identifizieren. Bernd Ruping hatte in der Zwischenzeit für seine Mutter ein neues Heim gefunden. In Ruhe hat sie dort ihre letzten Tage verbracht. Natürlich hat sich der Lingener Theaterpädagoge auch Gedanken gemacht, wie das alles möglich war. Am festangestellten Pflegepersonal lag es nicht. Bis zur physischen Erschöpfung hätten die Stammkräfte versucht, die Situation zu retten. Das Problem ist für ihn grundsätzlicher: Pflege im Alter darf kein renditeoptimiertes Geschäft, kein Business sein.
"Es ist der reine Wahnsinn, was da geschieht. Und ich glaub, die einzige Art der Abhilfe kommt jetzt nicht über moralische Appelle, sondern über eine Änderung der Politik, die das ermöglicht."

Ähnliche Zustände auch in anderen Ländern

Bedauerliche Einzelfälle seien das, so lautet meist der übliche Kommentar. Doch im internationalen Maßstab sind solche Beschwichtigungen längst widerlegt. Kanadische Wissenschaftler fanden in kommerziellen Heimen eine um 20 Prozent höhere Sterblichkeit, als in öffentlichen Einrichtungen. Außerdem fiel auf, dass 40 Prozent mehr ungeplante Krankenhauseinweisungen notwendig waren. Für die Forschenden ein klarer Hinweis darauf, dass die betriebswirtschaftlichen Ziele der Investoren auch auf die Gesundheit von Heimbewohnern durchschlagen. Daten aus Schweden und den USA deuten in die gleiche Richtung.
In Deutschland dagegen gibt es keine derartigen Untersuchungen. Bei uns werden Kliniken und Heime im Blindflug privatisiert. Als Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung beobachtet Andreas Westerfellhaus das Private-Equity-Engagement in deutschen Heimen deshalb mit Skepsis.
"Wenn die Zielsetzung oder die Vorstellung erfolgt, Rendite zu erwirtschaften, vor allen Dingen über Personalschlüssel, über Personalqualität, über Personalanzahl, über tarifliche Bezahlung, dann ist das natürlich alarmierend. Und eine Rendite darf niemals zulasten der Pflegebedürftigen gehen und deren Belastung und niemals zulasten der Leistung von professionellen Pflegekräften."
Private Investoren pauschal abzulehnen, hält Andreas Westerfellhaus allerdings für realitätsfern.
"Natürlich brauchen wir private Betreiber. Die Alternative sähe ja so aus, dass alles die Kommune, der Staat, die öffentliche Hand dann übernehmen müsste. Und wir haben gar nicht adäquate Antworten darauf. Und es ist auch in Ordnung zu sagen: Wenn ich so etwas betreibe aus privater Hand, eine Rendite zu erwirtschaften. Es geht eigentlich eher um die Höhe der Rendite."

Deutsche Politik rennt Entwicklungen hinterher

Die könnte man per Gesetz begrenzen, das zumindest hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angedacht. Denkbar sind auch verbindliche Personalauflagen, die allzu aggressive Investoren in die Schranken weisen, meint der Pflegebeauftragte der Bundesregierung.
"Wir brauchen qualitätssichernde Instrumente. Wir müssen Standards beschreiben. Wir müssen Möglichkeiten haben, auch durch Aufsichtsgremien den Zugang zu haben. Zu sagen: Also hier lassen wir uns belegen welche Qualifikationen, welche Personalschlüssel liegen vor. Wie gewährleiste ich dann Standards, die letztendlich auch den Notwendigkeiten und der Umsetzung der Kompetenzen auch entsprechen", sagt Andreas Westerfellhaus.
Selbst, wenn sich die Politik zu Qualitätsauflagen für die Heime durchringen sollte, die Private-Equity-Investoren haben längst eine neue Renditeoase entdeckt: die ambulante Intensivpflege. Seit 2010 müssen die Krankenkassen chronischen Beatmungspatienten und -patientinnen eine Pflege im häuslichen Umfeld ermöglichen: Hier geht es um jährliche Fallkosten von bis zu 300.000 Euro bei geschätzt 30.000 Betroffenen. Das entspricht einem Marktvolumen von fünf bis zehn Milliarden Euro. Etwa ein Drittel dessen, was die Krankenkassen insgesamt für die ambulante Pflege ausgeben. Ein Markt, der kaum reguliert ist. Einige wenige Private-Equity-Investoren haben diesen Pflegebereich jetzt schon unter ihre Kontrolle gebracht. Nicht zum Nutzen der Patienten.


Davon ist man beim Berliner Intensivpflegedienst "Südwind" überzeugt und lässt sich deshalb auch nicht aufkaufen. Dagmar Mülder, die Geschäftsführerin von "Südwind", führt durch die großzügigen Räume dieser ganz besonderen Wohngemeinschaft in Berlin Wilmersdorf, einer sogenannten Beatmungs-WG.
Eine Altenheimbewohnerin im Rollstuhl sitzt allein in einem Stuhlkreis.
Bei den Sanierungen durch Private-Equity-Firmen zählt allein der kurzfristige Gewinn – darunter leidet die Pflege.© Picture Alliance / dpa / Christophe Gateau
Es ist die typische Wohnform für Patientinnen und Patienten, die dauerhaft auf künstliche Beatmung angewiesen sind. Alle haben ihr privates Zimmer. Und ein eigenes mobiles Beatmungsgerät, das über eine Kanüle im Hals die Lunge belüftet. Rund um die Uhr ist der Intensivpflegedienst anwesend, falls es Beatmungsprobleme gibt. Viel Verantwortung für das Team und trotzdem an eine anonyme kommerzielle Pflegekette will man die nicht abgeben.
"Und wir werden dann auch alle zwei Jahre von diesen Firmen angerufen. Und die fragen uns: Sind sie jetzt bereit zu verkaufen? Und ich sage denen jedes Mal: Nein! Wir werden auch niemals verkaufen. Weil, es macht für die Patienten keinen Sinn. Ich würde quasi meine Patienten verkaufen, meine Einrichtung verkaufen. Und ich weiß, dass am Ende des Tages die Einrichtungen so arbeiten: nur gewinnbringend. Das heißt, man wird an Fachpersonal sparen und man wird an allem, was für die Gesundheit dieser Menschen wichtig wäre, wird gespart."
Ein Altenpflegeexamen reicht aus, um Beatmungspatienten zu betreuen. Auch Klinikerfahrung wird nicht vorausgesetzt. Minijobs sind üblich. Pflegekräfte, die von den kommerziellen Pflegeketten zu solchen Einrichtungen wie "Südwind" wechseln, müssen deshalb mühsam angelernt werden, sagt Dagmar Mülder. Und das sei eine Gelegenheit, bei der sie immer wieder auch Erschreckendes lerne – über das Niveau der Pflege bei der Private-Equity-Konkurrenz.
"Da wurde an Sterilität gespart. Es wird nicht steril abgesaugt. Das heißt, man benutzt keine sterilen Handschuhe. Man geht mit einem Katheter in die Lunge. Es wird unfassbar lieblos gearbeitet. Die Menschen liegen teilweise 24 Stunden in ihren Betten. Kommen nicht raus. Haben Dekubitus. Natürlich, das gibt es alles."

Fehlentwicklung, die Tausende schädigt

Doch der eigentliche Skandal liegt auf einer anderen Ebene: Deutschlands Kliniken kümmern sich zu wenig darum, ihren Patientinnen und Patienten das Schicksal einer Heimbeatmung zu ersparen. Das Abtrainieren vom Beatmungsgerät, das sogenannte Weaning, ist vielen Intensivstationen zu zeitaufwendig. Die ambulante Intensivpflege wird hier als Lückenfüller missbraucht, meint der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Professor Uwe Janssens.
"Wir wissen sehr genau, dass wenn man diese Patienten nimmt, dass 70 Prozent dieser Patienten tatsächlich dann doch in einem entsprechenden Weaning-Zentrum, da gibt es ja zertifizierte Zentren in Deutschland, tatsächlich dann doch endlich von der Maschine entwöhnt werden können."
Das setzt eine hoch spezialisierte Fachbetreuung voraus. Solche Entwöhnungszentren sind deshalb rar gesät. Die ambulante Intensivpflege, mit ihren Beatmungs-WGs, sei trotzdem keine Alternative.
"In der Beatmungs-WG haben wir natürlich definitiv nicht die Strukturen zur Verfügung, die für eine Fortführung der entsprechenden Entwöhnung vom Beatmungsgerät notwendig wäre. Physiotherapeuten, Atmungstherapeuten etc. Aber auch eine durchgängige Fachexpertise auf der pflegerischen Seite. Der Fokus liegt ja darauf, die Patienten weiter fortgesetzt zu beatmen."
Eine krasse Fehlentwicklung, die Tausende Patienten schädigt. Ermöglicht durch geschäftstüchtige Private-Equity-Fonds, die massiv in die außerklinische Intensivpflege investieren. Dabei dürfte es Beatmungs-WGs und damit die außerklinische Intensivpflege eigentlich gar nicht geben, meint der Intensivmediziner Uwe Janssens.
"Und blicken wir doch mal auf das Ausland. Blicken wir doch mal zu unseren österreichischen Kollegen, zu unseren holländischen Kollegen. Da gibt es das überhaupt nicht, dieses Phänomen. Und man kann ja nun wirklich nicht sagen, dass die Gesundheitssysteme in Österreich und Holland oder auch in anderen Ländern, die uns umgeben, soviel schlechter wären und die Patienten dort so viel schlechter versorgt werden."
Dafür spitzt sich in Deutschland die Lage weiter zu. Im boomenden Markt der außerklinischen Intensivpflege bestimmen zunehmend die Pflegeketten unter dem Einfluss von Investoren das Niveau. Keine guten Aussichten für die Betroffenen, meint Dagmar Mülder.
"Ich glaube, wir sind ein Auslaufmodell. Da bin ich mir ganz sicher. Weil am Ende wird immer die Frage sein: Was kostet es? Und es wird immer mehr nach Effizienz in dem Sinne geschaut: Wie viel Arbeitskräfte? Wie viel Aufwand? Und es ist also, wenn politisch nichts passiert, ja, dann wird es auslaufen. Dann wird das nur noch in Ketten sein und nur noch in riesigen Versorgungssystemen."
Satte Gewinne versprechen sich Private-Equity-Investoren auch im Facharztbereich. Lukrativ ist zum Beispiel die ambulante Dialyse. Und so werden Einzelpraxen aufgekauft und zu Ketten fusioniert. Das spart Personal und damit Kosten.

Handeln im Sinne der Patienten

Wir sind in der Dialysepraxis von Andreas Seifert in Schleswig. Er ist Nephrologe, Nierenfacharzt. Immer häufiger melden sich auch bei ihm Investoren. Aber verkaufen, das kommt auch für den Schleswiger Dialysearzt nicht in Frage.
"Wir haben Sorgen, weil wir glauben, dass sich die Versorgung unserer Patienten verschlechtern wird."
Und der Spezialist weiß, wovon er spricht. Er ist auch Vorsitzender des schleswig-holsteinischen Verbands der niedergelassenen Dialyseärtze.
"Ich denke, 15 Prozent aller niedergelassenen nephrologischen Praxen sind bereits von Kapitalinvestoren übernommen worden. Der Anteil steigt. Ich fürchte, er wird sehr, sehr schnell, sehr stark steigen. Wir haben das Problem: Die Ärzteschaft ist überaltert. Es besteht kein großes Interesse der nachwachsenden Generation auch die Funktion des Unternehmers, mit allen Unannehmlichkeiten und Risiken, zu übernehmen. Und insofern finden viele Ärzte, die jetzt vor der Rente stehen, keine Nachfolger."


Aber ist es nicht egal, wem eine Dialysepraxis eigentlich gehört? Hauptsache die Blutwäsche wird ordnungsgemäß durchgeführt. Doch genau das ist der springende Punkt, meint Andreas Seifert und verweist auf die USA. Dort sind Dialysezentren längst unter der Kontrolle von Private-Equity-Investoren.
"Für die Blutwäsche, für die Hämodialyse, ist ein ganz wesentlicher Faktor die Dauer einer einzelnen Dialysesitzung. Und wenn man schaut, wie es denn um diese Dialysezeit bestellt ist, dann sehen wir, dass in den USA nach wie vor drei Stunden, dreieinhalb Stunden die übliche Dauer einer Dialysebehandlung ist. Jeder weiß, das reicht nicht aus, um die Patienten gesund zu halten. Es ändert sich aber nichts daran."
Deshalb sei auch bei uns damit zu rechnen, dass in den Facharztketten zu knapp dialysiert wird, befürchtet der Nephrologe. Und er sieht noch eine weitere Gefahr: Dialysekonzerne setzen die künstliche Niere zu früh ein.
"Und ganz wichtig ist natürlich, die schwer niereninsuffizienten Patienten besonders intensiv zu betreuen, denn die haben ein großes Risiko im Laufe ihres Lebens die Dialyse noch kennenzulernen. Und wenn man sich da engagiert, dann kann man es in noch vielen, vielen Fällen schaffen, die Krankheit zum Stillstand zu bringen oder wenigstens langsamer voran laufen zu lassen, sodass wir Dialyse verhindern. Prävention von Dialyse wichtiger Punkt."
Tatsächlich belegen Untersuchungen, dass die in US-amerikanischen Kettenbetrieben angestellten Nierenfachärztinnen und -ärzten ihre Patientinnen und Patienten lieber gleich an die Blutwäsche hängen. Wirtschaftlich gesehen macht das Sinn. Nur die Dialyse bringt Umsatz. Eine krasse Fehlentwicklung, von der uns in Deutschland nur die spezielle wirtschaftsethische Konstruktion unserer Arztpraxen schützt, meint der Schleswiger Nierenspezialist.
"Wir sind natürlich Ärzte. Wir fühlen uns der optimalen und besten Versorgung unserer Patienten verpflichtet. Auf der anderen Seite sind wir kleine Unternehmer und müssen natürlich das Wirtschaftliche im Auge behalten. Wir wollen ja nicht pleitegehen. Also wir müssen da immer Kompromisse finden. Wenn ich diese beiden Funktionen in diesem einen Arzt auseinandernehme. Den Unternehmer sozusagen in eine eigene Person packe und den Arzt in eine andere Person, dann werden die gegeneinander arbeiten müssen. Die haben unterschiedliche Interessen. Leider ist der Arzt der Angestellte und der Unternehmer derjenige, der ihn anstellt und letztendlich wesentlich entscheiden darf."
Ein Arzt bedient ein Dialysegerät auf einer Intensivstation in Baden-Württemberg.
Für die Blutwäsche sei die Dauer einer einzelnen Dialysesitzung ein ganz wesentlicher Faktor, sagt Andreas Seifert. Drei Stunden wie in den USA sei zu wenig.© picture alliance/dpa/Marijan Murat

Entfesselter Gesundheitsmarkt in den USA

Im deutschen Gesundheitswesen fasst Private Equity erst langsam Fuß. Die USA dagegen sind das Eldorado für diesen Investorentyp. In einem weitgehend nicht regulierten Gesundheitsmarkt zeigen Finanzfonds, wessen Geistes Kind sie sind. Der US-amerikanische Rundfunksender "NPR" berichtet regelmäßig über besonders absurde Fälle.
"Hallo, hier sind wir wieder mit unserer Reihe ´die überteuerte medizinische Rechnung des Monats`. In diesem Fall geht es um den Einsatz eines Rettungshubschraubers. Unser Patient musste nach einer schweren Armverletzung schnellstmöglich in ein Spezialzentrum verlegt werden. So eine Notverlegung geht nur mit einem Rettungshubschrauber. 56.000 US-Dollar hat dieser kurze Flug gekostet. Das meiste musste der Patient selbst bezahlen. Die Anzahl der Rettungshubschrauber in den USA ist übrigens stark gestiegen, seitdem dieses Business hauptsächlich von Private-Equity-Firmen betrieben wird. Die können in der Situation eben jede Summe nehmen. Das ist die reine Willkür."
Die Praktiken von Private-Equity-Investoren im US-amerikanischen Gesundheitssystem haben mittlerweile auch die Öffentlichkeit erreicht. Endlich, so fordern die Kritiker, soll ein Gesetz her, das solche Auswüchse unterbindet. Los ging es mit einem Hearing vor dem Repräsentantenhaus im November 2019. Die Ökonomin Eileen Appelbaum war als Gutachterin geladen.
"Das war wirklich eine sehr schlechte Entscheidung Private Equity ins Gesundheitswesen zu lassen, das ist erwiesen. Ich habe mich schon immer gewundert, wie diese Firmen ihre hohen Renditeziele mit finanzschwachen Kliniken erwirtschaften wollen. Und jetzt zeigt sich: Das klappt auch gar nicht. Reihenweise schicken sie die Einrichtungen in die Pleite, um anschließend die Immobilie und das Grundstück zu verkaufen. Es betrifft meist ländliche Gegenden, in denen die Kliniken und Heime dann schließen und es gibt dort keinen Ersatz."
Überlebt dann doch mal eins dieser Krankenhäuser, dann wird gespart, wo es nur geht. So wird etwa die Reinigung und Desinfektion von Patientenzimmern an kostengünstigere Fremdfirmen vergeben. Und das hat Konsequenzen.
"Wir haben Studien in den USA, die belegen, dass der Einsatz von Fremdfirmen bei Reinigung und Desinfektion in den Kliniken und Heimen die Anzahl der Infektionserkrankungen erhöht. Das liegt daran, dass das Personal nicht fachgerecht überwacht und trainiert wird. Und das alles nur weil man die Einrichtungen künstlich überschuldet hat und die jetzt sparen müssen, wo es geht."
Doch richtig schlimm, berichtet die Ökonomin Eileen Appelbaum weiter, ist ein Trick, mit dem ahnungslosen Patienten horrende Zusatzrechnungen gestellt werden.

Dreistes Vorgehen gegenüber Erkrankten

"Das große Thema in den US-amerikanischen Zeitungen ist die sogenannte Überraschungsrechnung. Da werden Arztstellen im Krankenhaus einfach an externe Private-Equity-Firmen vermietet. Die Patienten wissen davon nichts und denken: Sie sind ja in einem Vertragskrankenhaus und alle Kosten sind abgedeckt. Scheinbar bezahlt die eigene Versicherung auch alles. Doch dann kommt die Überraschung: Ein paar Wochen später schickt z.B. der Radiologe oder der Anästhesist eine Zusatzrechnung. Und das kostet dann, sagen wir mal 7000 US-Dollar extra."
Doch damit haben die Investoren in den USA offenbar nun den Bogen überspannt. Beide Kammern des Kongresses sind entschlossen, per Gesetz Private Equity-Aktivitäten im Gesundheitswesen zu begrenzen. Für die Ökonomin Eileen Appelbaum geht es dabei auch um eine Grundsatzfrage.
"Gesundheit und Pflege sind doch eigentlich kein Marktgeschehen. Man hat doch gar keine Wahlmöglichkeiten. Wer alt ist, muss manchmal in ein Heim, wenn sich die Angehörigen nicht kümmern können. Und in der Notaufnahme will man doch auch nicht fragen: Hallo, sagen sie mal was kostet es denn, wenn sie mir hier das Leben retten? Mit Markt hat das alles nichts zu tun."
Medizin und Pflege als renditeoptimiertes Big Business? Das droht auch Deutschland, wenn wir über Private-Equity-Investitionen amerikanische Verhältnisse in unser Gesundheitssystem importieren. Bislang hat Private Equity nur einen ersten Fuß in der Tür. Wie weit der Einfluss gehen wird, das entscheidet aber nicht allein die Politik.
Allen von uns steht es frei, sich darüber zu informieren, wer eigentlich hinter dem Betreiber einer medizinischen Einrichtung steckt. Das Internet macht's möglich. Skepsis ist immer dann angebracht, wenn Heime, Kliniken und Pflegedienste von Investoren gesteuert werden, die von exotischen Steueroasen aus arbeiten. Die Zeiten, in denen man blind darauf vertrauen kann, dass die Interessen von Patientinnen und Patienten im Vordergrund stehen, ist sonst bald vorbei.
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