L 1 KR 62/18

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 2 KR 1285/15
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 62/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte auf den Betrag von 654,83 Euro 5% Zinsen seit dem 25. August 2014 zu zahlen hat. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der Vergütung einer Krankenhausbehandlung.

Die in der 37. Schwangerschaftswoche schwangere, 1975 geborene, bei der Beklagten Versicherte, wurde am 26. November 2012 zur Vornahme einer äußeren Wendung bei Beckenendlage des Fötus im Krankenhaus der Klägerin aufgenommen. Um 15.47 Uhr erfolgte die Aufnahme in den Kreißsaal, wo ein Anschluss ans CTG vorgenommen wurde und eine Tokolyse (Gabe wehenhemmender Medikation) erfolgte. Nach dem Start der Tokolyse um 16:55 Uhr wurde ein Wendungsversuch beim ungeborenen Kind der Versicherten vorgenommen, der erfolgreich war. Nach einer erneuten Kontrolle der fetalen Herzfrequenz wurde die Versicherte sodann bei Wohlbefinden um 21:55 Uhr in ihre Häuslichkeit entlassen.

Am 30. November 2012 stellte die Klägerin der Beklagten für eine vollstationäre Behandlung insgesamt 654,85 EUR in Rechnung. Die Beklagte zahlte diese Rechnung zunächst, teilte der Klägerin aber mit, dass sie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung des Falls beauftragt habe.

In seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 27. September 2013 kam der MDK zu dem Ergebnis, dass zu keinem Zeitpunkt ein stationärer Behandlungsbedarf bestanden habe. Es habe sich nicht um einen Notfall gehandelt, die Entlassung am gleichen Tage sei geplant gewesen, es sei auch kein stationärer Krankenhausaufenthalt mit Überwachung der Versicherten bis zum Folgetag geplant gewesen. Die Leistung "äußere Wendung" könne ambulant im Krankenhaus erbracht werden.

Am 25. August 2014 hat die Beklagte den vollen Betrag mit einer anderen unstreitigen Forderung der Beklagten verrechnet.

Die Klägerin hat daraufhin am 25. August 2015 Klage erhoben, welcher das Sozialgericht nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens mit Urteil vom 24. Mai 2018 stattgegeben hat, wobei es indes Zinsen laut Tenor erst ab dem 25. August 2018 zugesprochen hat.

Zur Begründung der Zahlungsverpflichtung der Beklagten hat das Sozialgericht ausgeführt, nach Würdigung der MDK-Gutachten wie auch des Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen sei die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Krankenhausbehandlung im Sinne von §§ 27 Abs. 1, 39 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erforderlich gewesen und trotz einer Verweildauer von lediglich sechs Stunden auch als stationäre Behandlung abzurechnen gewesen sei.

So habe der medizinische Sachverständige ausgeführt, dass bei der Versicherten die medizinischen Voraussetzungen für eine äußere Wendung vorgelegen hätten. Im Übrigen werde der Eingriff grundsätzlich als ambulanter Eingriff in einer stationären Einrichtung geplant. Ein venöser Zugang solle gelegt sein, gegebenenfalls eine wehenhemmende Infusion erfolgen. Weiter solle eine Lagerung im Kreisbett mit der Möglichkeit der Kopftieflagerung erfolgen sowie eine CTG Überwachung. Den dem Gutachten beigefügten Unterlagen ist zu entnehmen, dass eine Operationsbereitschaft innerhalb von 20 Minuten sichergestellt sein müsse. Für die Durchführung der Maßnahme sei die stationäre Ausstattung eines Krankenhauses, hier speziell eines Kreissaales und eines OP-Raumes zur Durchführung eines Kaiserschnittes, notwendig. Es obliege im Übrigen der fachärztlichen Einschätzung, ob nach durchgeführter Maßnahme und erfolgter Kontrolle, eine weitere stationäre Behandlung erforderlich sei. Im vorliegenden Fall sei die Patientin entlassen und eine CTG-Kontrolle für den Folgetag empfohlen worden.

Danach habe die Versicherte einer stationären Behandlung bedurft und eine solche auch erhalten. Entscheidende Bedeutung komme dabei dem Umstand zu, dass vor Behandlungsbeginn eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit vorgelegen habe. Insoweit werde auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) verwiesen, nach der die Abgrenzung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung grundsätzlich nach dem Behandlungsplan und nicht nach der tatsächlichen Aufenthaltsdauer erfolge. Vorliegend sei zwar vor Behandlungsbeginn die Behandlungsdauer noch unklar gewesen, da nicht vorhersehbar gewesen sei, ob tatsächlich eine Komplikation eintreten werde. Es sei aber nach Aussage des medizinischen Sachverständigen unbestritten die Ausstattung eines Krankenhauses zur Durchführung der Maßnahme notwendig, um für einen gegebenenfalls erforderlichen Kaiserschnitt hinreichend ausgerüstet zu sein. Damit sei die Klägerin aber auch berechtigt, eine stationäre Behandlung abzurechnen, obwohl die Behandlung tatsächlich nur ca. sechs Stunden und nicht wie sonst üblich mindestens einen Tag und eine Nacht gedauert habe. Sofern die Ausstattung eines Krankenhauses für die Durchführung der Maßnahme aus Sicherheitsgründen bereitzuhalten sei, könne nicht nach Durchführung der Maßnahme eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit allein wegen des Nichteintritts einer Komplikation und der kurzen Aufenthaltsdauer verneint werden. Im Übrigen sei es auch nachvollziehbar, dass die äußere Wendung nur dann durchgeführt werden könne, wenn die Ausstattung eines Krankenhauses zu Verfügung stehe. Die insoweit geforderte Operationsbereitschaft innerhalb von 20 Minuten nach Eintritt des Notfalles zur Durchführung eines Kaiserschnittes sei ausschließlich im Krankenhaus sicherzustellen. Aus diesem Grund habe der Versicherten auch keine ambulante Behandlungsalternative zur Verfügung gestanden, denn die äußere Wendung werde nach Aussage des medizinischen Sachverständigen in Vertragsarztpraxen grundsätzlich nicht durchgeführt. Damit sei es auch gerechtfertigt, der Klägerin eine stationäre Behandlung zu vergüten, da eine kostengünstigere Behandlungsalternative nicht bestanden habe und die Klägerin die notwendigen stationären Ressourcen für die Versicherte bereitgehalten habe.

Die Beklagte hat gegen das am 26. Juni 2018 zugestellte Urteil am 28. Juni 2018 Berufung eingelegt, mit welcher sie vorträgt, maßgeblich sei nicht, ob die Behandlung nur mit den Mitteln eines Krankenhauses durchgeführt werden könne, sondern vielmehr zum einen die Dauer der Behandlung und zum anderen, in welchem Umfang die Infrastruktur des Krankenhauses in Anspruch genommen worden sei. Ausgehend vom konkreten Behandlungsplan sei vorliegend lediglich ein ambulanter Eingriff vorgenommen worden. Dieser als ambulante Maßnahme geplante Eingriff habe lediglich beim Eintritt von Komplikationen in eine stationäre Behandlung umschlagen können. Eine intensivmedizinische Behandlung sei nicht geplant gewesen. Sie habe vielmehr gerade vermieden werden sollen und sei auch vorliegend – wie beabsichtigt – nicht in Anspruch genommen worden.

Die Beklagte beantragt, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt vor, der Eingriff der äußeren Wendung bedürfe aufgrund des speziellen Risikos, welches mit ihm verbunden sei, der besonderen Mittel des Krankenhauses. Insbesondere könne es zu • einem Abfall der Herztöne des Kindes und/ oder der Mutter • zur Atemnot der Mutter bis hin zum Kreislaufstillstand • zu einer Ablösung der Plazenta • zu einem Riss der Plazenta • zum Platzen der Fruchtblase • zu einer Nabelschnurstrangulation des Kindes kommen. In derartigen Fällen sei eine sofortige Intervention mit intensivmedizinischen und/ oder chirurgischen Maßnahmen notwendig, um das Leben von Mutter und Kind zu retten. Daher sei der Eingriff zwingend unter Vorhaltung und Verfügbarkeit intensivmedizinischer Ressourcen des Krankenhauses unter stationären Bedingungen durch speziell ausgebildete Ärzte durchzuführen und bedürfe engmaschiger Überwachung. Aufgrund der erheblichen Risiken werde der Eingriff ausschließlich im Krankenhaus vorgenommen. Der sachverständige habe ausgeführt, ein venöser Zugang müsse gelegt werden, ggfs. eine wehenhemmende Infusion erfolgen, eine Lagerung im Kreißbett mit CTG-Überwachung und die Herstellung einer OP-Bereitschaft innerhalb von 20 Minuten, um im Notfall eine sectio durchführen zu können, sei notwendig. Hierfür sei die stationäre Ausstattung eines Krankenhauses unabdingbar.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2019 Beweis erhoben durch Anhörung des Gynäkologen Dr. T. als Sachverständigen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 19. Dezember 2019 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegt worden. Sie ist indes nicht begründet. Zu Recht und mit der zutreffenden Begründung hat das Sozialgericht die Beklagte zur Zahlung von 654,83 EUR nebst Aufwandspauschale verurteilt; lediglich hinsichtlich des Beginns des Zinsanspruches war ein Schreibfehler im Tenor der Entscheidung richtig zu stellen.

Rechtsgrundlage des zulässig mit der echten Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 S. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), § 17b Abs. 1 S. 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz und § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2012 sowie dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft e.V. und u.a. der Beklagten (Vertrag nach § 112 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich ist (BSG, Urteil vom 18.09.2008 – B 3 KR 15/07 R – Juris).

Das ist hier der Fall, denn es hat eine vollstationäre Krankenhausbehandlung in einem zugelassenen Krankenhaus stattgefunden, die auch erforderlich war.

Welche Leistungen eine Krankenhausbehandlung umfassen muss, ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Aus der in § 107 Abs. 1 SGB V enthaltenen Umschreibung der Krankenhäuser in organisatorischer Hinsicht, wonach die Krankenbehandlung vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung zu erfolgen hat, lässt sich jedoch der Schluss ziehen, dass diese die wesentlichen Leistungen eines Krankenhauses darstellen, wobei die intensive, aktive und fortdauernde ärztliche Betreuung im Vordergrund steht und die Pflege in aller Regel untergeordnet ist (BSG, Urteil vom 28.02.2007 – B 3 KR 17/06 R – Juris). Gemäß § 39 Abs. 1 S. 1 SGB V wird die Krankenhausbehandlung vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht. Wann eine Krankenhausbehandlung vollstationär erfolgt, wird im Gesetz ebenfalls nicht definiert. Die stationäre Krankenhausbehandlung zeichnet sich aber gegenüber der ambulanten Versorgung durch eine besondere Intensität der Betreuung aus, und zwar sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht. In sachlicher Hinsicht erfordert die stationäre Krankenhausbehandlung die physische und organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses mit den Interventionsmöglichkeiten, die bei ambulanter Behandlung nicht gegeben sind. In zeitlicher Hinsicht darf sich die stationäre Betreuung nicht nur auf einen unbedeutenden Teil des Tages beschränken (Wahl in JurisPK-SGB V, 2. Aufl, § 39 Rn. 30). Das BSG hat insoweit zur Abgrenzung ambulant und stationär erbrachter Operationen in einem Krankenhaus darauf abgestellt, dass eine vollstationäre Versorgung augenfällig jedenfalls dann vorliege, wenn sich die physische und organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses zeitlich über mindestens einen Tag und eine Nacht erstrecke. Dabei werde die Entscheidung zum Verbleib des Patienten über Nacht in der Regel zu Beginn der Behandlung vom Krankenhausarzt getroffen, könne aber im Einzelfall, z.B. bei Komplikationen, auch noch später erfolgen (BSG, Urteil vom 04.03.2004 – B 3 KR 4/03 R; BSG, Urteil vom 08.09.2004 – B 6 KA 14/03 R; beide Juris; BSG, Urteil vom 28.02.2007, a.a.O.).

Entgegen der Auffassung der Beklagten schließt vorliegend die Aufenthaltsdauer der Versicherten in der Klinik der Klägerin von knapp 6 Stunden eine vollstationäre Behandlung nicht von vornherein aus, denn eine 24stündige Mindestaufenthaltsdauer des Patienten im Krankenhaus oder ein Aufenthalt über Nacht ist hierfür nicht Voraussetzung. Auch aus der Rechtsprechung des BSG lässt sich eine derartige starre Mindestaufenthaltsdauer nicht entnehmen. Bei seiner Abgrenzung der stationären von der ambulanten Behandlung hat das BSG vielmehr nur eine besonders "augenfällige" Eingliederung in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses angenommen, sofern der Aufenthalt über Nacht andauert (BSG, Urteil vom 04.03.2004, a.a.O., Rn. 27), ebenso aber eingeräumt, dass es auch weniger augenfällige Sachverhalte einer vollstationären Behandlung geben könne, zumal einige Fallpauschalen exakt für die Behandlung an einem Behandlungstag kalkuliert worden seien (BSG, Urteil vom 28.02.2007, a.a.O., Rn. 17 f.). Des Weiteren hat das BSG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Abstellen auf eine Aufenthaltsdauer von mindestens einem Tag und einer Nacht weniger geeignet sei, wenn es nicht um die Abgrenzung eines stationären Eingriffs vom ambulanten Operieren geht, sondern – wie hier – um die Abgrenzung einer nicht operativen stationären Behandlung von einer ambulanten Behandlung im Krankenhaus, etwa bei einer Notfallversorgung. Zwar sei auch hier die vollständige Eingliederung in den Krankenhausbetrieb und damit das Vorliegen einer stationären Behandlung augenfällig, wenn der Patient mindestens einen Tag und eine Nacht bleibe. Sei dies nicht der Fall, folge daraus aber nicht im Gegenschluss, dass es sich nur um eine ambulante Behandlung handeln könne. Entscheidend komme es hier vielmehr darauf an, ob der Patient die Infrastruktur des Krankenhauses – also insbesondere die typische intensive ärztliche Betreuung sowie die Hilfe von jederzeit verfügbarem Pflegepersonal – in Anspruch genommen habe (BSG, Urteil vom 28.02.2007, a.a.O., Rn. 17 f.).

Dies ist hier nach Auffassung des Senats nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung der Fall.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die äußere Wendung bei Beckenendlage, bei welcher durch äußere Manipulation am Bauch der Schwangeren manuell versucht wird, das Kind in die "richtige" Geburtsposition, also die Schädellage, zu wenden, ein potentiell mit hohen Risiken behafteter Vorgang ist, der in niedergelassenen Arztpraxen aus diesem Grund nicht durchgeführt wird. Die von der Klägerin benannten und auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellten Risiken sind insbesondere • Abfall der Herztöne des Kindes und/ oder der Mutter • Atemnot der Mutter bis hin zum Kreislaufstillstand • Plazentaablösung und/ oder Plazentariss • Platzen der Fruchtblase • Nabelschnurstrangulation des Kindes

Es steht weiterhin nicht im Streit, dass diese Risiken selten auftreten, bzw. selten in einem Umfang persistieren, der ein schnelles Handeln erfordert. Wenn dieser Umstand allerdings eintritt, ist – und auch das ist unstreitig – die Durchführung eines Kaiserschnitts binnen 20 Minuten erforderlich. Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass es in 5-10 % der Eingriffe zu Komplikationen komme, eine Notsectio sei in weniger als 5% der Eingriffe einzuleiten. Da diese wenigen Fälle aber eine sofortige operative Intervention benötigten und weil vorher nicht absehbar sei, bei welcher Patientin sich dieses Risiko realisiere, sei bei jedem Wendeversuch der an den Kreißsaal angeschlossenen OP-Saal freizuhalten und es habe dort ein komplettes Sectio-OP-Team zur Verfügung zu stehen. Die Klägerin hat hierzu ausgeführt, der neben dem Kreißsaal befindliche OP-Raum werde hierfür geblockt, es könnten also keine geplanten OPs zu dieser Zeit stattfinden, Notoperationen aus der eigenen Geburtsstation, die in dieser Zeit einträten, müssten in einem anderen OP-Raum und von einem anderen Team durchgeführt werden, Anrufe auf Versorgung von außen würde man in dieser Zeit an andere Krankenhäuser verweisen, da der Saal gesperrt sei. Bevor diese Ressourcen zur Verfügung stünden, werde mit der äußeren Wendung nicht begonnen. Aus diesem Grund würden diese Eingriffe auch stets auf den Nachmittag gelegt, da am Vormittag in der Regel geplante Sectiones stattfänden. Auch dies wird von der Beklagten nicht in Abrede gestellt.

Sei das nach dem Wendeversuch bzw. der erfolgreichen Wendung geschriebene CTG in Ordnung, werde die Patientin dann unter Vereinbarung eines weiteren Contoll-CTG am nächsten Morgen noch abends entlassen, sofern sie dies wünsche und eine ausreichende Compliance aufweise, um sich bei Beschwerden sofort wieder im Krankenhaus einzufinden. Grundsätzlich könne es bei dem Eingriff nämlich durchaus noch zu Spätkomplikationen in der Nacht kommen, weshalb viele Patientinnen auch die Nacht im Krankenhaus verbrächten. Der Sachverständige hat insoweit ausgeführt, er wisse wenigstens von einem der zwei Hamburger Krankenhäuser, in denen die äußere Wendung durchgeführt werde, dass ein Verbleib der Patientinnen über Nacht üblich sei.

Bei dieser im Wesentlichen unstreitigen Sachlage erweist sich, dass der Eingriff zur Überzeugung des Senats auch bei einer Entlassung der Patientin am Tag der Behandlung nicht ambulant, sondern vielmehr unter vollstationären Bedingungen ausgeführt wird. Das BSG hat im Fall einer wenn auch nur kurzzeitigen Aufnahme eines Patienten auf eine Intensivstation ausgeführt:

"Der Aufenthalt auf einer Intensivstation stellt deshalb die nachhaltigste Form der Einbindung in einen Krankenhausbetrieb und damit den Prototyp einer stationären Behandlung dar. Eine ambulante intensivmedizinische Behandlung, wie sie der Beklagten vorzuschweben scheint, ist schon begrifflich kaum vorstellbar, denn mit dem Wort "ambulant" (von lat "ambulare" = hin- und hergehen) wird klassisch die ärztliche Krankenbehandlung ohne stationäre Aufnahme bezeichnet, während die Behandlung auf einer Intensivstation gerade auf das Gegenteil gerichtet ist - nämlich die stationäre (von lat "statio" = Stillstehen) Behandlung einer meist lebensbedrohlichen Erkrankung in der besonderen medizinisch-organisatorischen Infrastruktur eines hoch entwickelten Klinikbetriebes." (BSG, Urteil vom 28. Februar 2007 – B 3 KR 17/06 R –, SozR 4-2500 § 39 Nr 8, Rn. 16 - 19)

Vergleichbares gilt nach Auffassung des Senats in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem die medizinisch-organisatorische Infrastruktur eines Prototyps stationärer Behandlung – der Durchführung einer Notsectio – hergestellt und für die Dauer der Behandlung aufrechterhalten wird – mag auch die Patientin im Idealfall (der zugleich der Regelfall ist) hiervon überhaupt nichts bemerken. Die besonderen Vorkehrungen, die für eine Sectiobereitschaft zu treffen sind (Blockierung des an den Kreißsaal angeschlossenen OP-Saales nebst Bereitstellung eines kompletten OP-Teams) sind bereits vor bzw. bei Aufnahme der Patientin in der Behandlungsplanung zu berücksichtigen, so dass die Patientin in den Krankenhausbetrieb unter Verbrauch der hierfür spezifischen vollstationären Ressourcen eingegliedert wird und die spezifischen Leistungen, die nur im Krankenhaus erbracht werden können, für die Patientin und nur für diese vorgehalten werden. Der nach außen hin aus Sicht der Patientin eher ambulante Charakter der Maßnahme wird durch die im Hintergrund ausschließlich für sie bereitgestellte Infrastruktur eines hochentwickelten Klinikbetriebes überlagert und begründet auch im Falle der Entlassung der Patientin vor Mitternacht eine stationäre Aufnahme.

Es liegt auch weder ein Fall der teilstationären noch der vorstationären Behandlung vor. Zur teilstationären Behandlung hat das BSG in der grundlegenden Entscheidung von 2004 ausgeführt: "Bei der teilstationären Behandlung ist die Inanspruchnahme des Krankenhauses zwar ebenfalls zeitlich beschränkt. Diese Form der stationären Behandlung erfolgt insbesondere bei Unterbringung der Patienten in Tages- und Nachtkliniken (Grünenwald, WzS 1994, 78, 79; Schmidt in Peters, aaO, § 39 SGB V RdNr 133; Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, § 39 RdNr 49; Vreden, KH 1998, 333, 334; Schomburg, SVFAng 2001, Nr 126, 25, 28). Bedeutsam ist die teilstationäre Versorgung vor allem auf dem Gebiet der Psychiatrie, sie findet aber auch bei somatischen Erkrankungen, bei krankhaften Schlafstörungen (Schlafapnoe) oder im Bereich der Geriatrie statt (Grünenwald, WzS 1994, 78, 80; Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 39 SGB V RdNr 134, Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, § 39 RdNr 50). Kennzeichnend ist hier eine zeitliche Beschränkung auf die Behandlung tagsüber, bei der die Nacht zu Hause verbracht wird (Tageskliniken), oder auf die Behandlung abends und nachts, bei der der Patient sich tagsüber in seinem normalen Umfeld bewegt (Nachtkliniken). Aus der zeitlichen Beschränkung und den praktischen Anwendungsbereichen wird erkennbar, dass die teilstationäre Behandlung zwar keine "Rund-um-die-Uhr-Versorgung" der Patienten darstellt, sich die Behandlung aber auch nicht im Wesentlichen im Rahmen eines Tagesaufenthalts im Krankenhaus erschöpft. Vielmehr erstrecken sich teilstationäre Krankenhausbehandlungen auf Grund der im Vordergrund stehenden Krankheitsbilder regelmäßig über einen längeren Zeitraum, wobei allerdings die medizinisch-organisatorische Infrastruktur eines Krankenhauses benötigt wird, ohne dass eine ununterbrochene Anwesenheit des Patienten im Krankenhaus notwendig ist (ähnlich Schomburg, SVFAng 2001, Nr 126, 25, 28). Einen Sonderfall stellen Behandlungen dar, die in der Regel nicht täglich, wohl aber in mehr oder weniger kurzen Intervallen erfolgen, wie es zB bei vielen Dialysepatienten der Fall ist, die zwar nicht jeden Tag, aber mehrmals in der Woche für einige Stunden im Krankenhaus versorgt werden. Eine derartige Form der Behandlung stellt einen Grenzfall zwischen teilstationärer und ambulanter Krankenhausbehandlung dar (Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, § 39 RdNr 48), der in der Praxis nicht selten als teilstationär eingestuft wird (so auch noch der zum 1. Januar 2004 gestrichene § 14 Abs 2 Satz 4 BPflV), nach vorstehender Definition aber zur ambulanten Behandlung zu zählen sein dürfte (so tendenziell bereits BSGE 47, 285, 286 = SozR 2200 § 185b Nr 6; vgl nunmehr auch § 2 Abs. 2 Satz 3 BPflV in seiner zum 1. Januar 2004 durch das Gesetz vom 23. April 2002, BGBl I 1412 geänderten Fassung)." (BSG, Urteil vom 04. März 2004 – B 3 KR 4/03 R –, juris Rn. 28).

Hieraus wird deutlich, dass eine teilstationäre Behandlung ein besonderes Behandlungskonzept mit einer vorherigen entsprechenden Planung einer Kurzzeit- bzw. Intervallbehandlung voraussetzt (bestätigt durch BSG, Urteil vom 28. Februar 2007 – B 3 KR 17/06 R, juris Rn. 21), das hier fraglos nicht gegeben war.

Auch eine vorstationäre Behandlung liegt nicht vor. Diese ist gekennzeichnet durch die in § 115a SGB V genannte Zweckbindung "um die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung zu klären". Sie stellt keine selbständige Behandlungsform dar, sondern ist begrifflich wie inhaltlich untrennbar mit einer nachfolgenden vollstationären Krankenhausbehandlung verknüpft. Sie darf nur eingesetzt werden, wenn damit eines der im Gesetz genannten Ziele verfolgt werden soll. Eine vorstationäre Behandlung ist zulässig, wenn entweder die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung geklärt oder wenn eine bevorstehende vollstationäre Krankenhausbehandlung vorbereitet werden soll. Entscheidend ist, dass diese Zweckbindung bei Einleitung der Behandlung vorliegt (Steege in: Hauck/Noftz, SGB, 11/17, § 115a SGB V, Rn. 7). Das ist hier nicht der Fall, es soll nicht geklärt werden, ob eine stationäre Behandlung notwendig wird. Ziel der Aufnahme ist vielmehr ausschließlich der Wendeversuch und die daran bzw. an die Überwachungsphase sich möglichst unverzüglich wieder anschließende Entlassung. Dass die Versicherte in aller Regel später wieder stationär – zur vaginalen Entbindung oder zum Kaiserschnitt – aufgenommen werden muss, ist auch nicht in diesem Rahmen zu klären, sondern ergibt sich aus der Natur der Sache und steht vor der Aufnahme zum Wendeversuch schon fest. Tritt eine Notsituation ein und es wird eine Sectio erforderlich, so ist dies auch kein Fall einer "Klärung" durch die vorherige Aufnahme zum Wendeversuch, schon deshalb, weil ohne diesen Versuch die Notsituation nicht eingetreten wäre und weil eine solche nicht "Zweck" der Aufnahme ist, sondern vielmehr möglichst vermieden werden soll.

Handelt es sich damit um eine stationäre Behandlung, so war die Berufung zurückzuweisen und lediglich hinsichtlich des Zinsbeginns der Entscheidungsausspruch des Sozialgerichts gemäß § 138 SGG durch das Rechtsmittelgericht zu berichtigen (BSG, Urteil vom 14. Februar 1978 – 7/12 Rar 73/76 – juris).

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 12, 14 des Hamburger Vertrages über die Allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002, der Anspruch auf die Aufwandspauschale aus § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V, dessen Voraussetzungen auch vorliegen, wenn sich erst im Laufe des Gerichtsverfahrens ergibt, dass die Abrechnung ordnungsgemäß erfolgte (BSG, Urteil vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 24/14 R, juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da die Einzelheiten der Abgrenzung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung bei Aufenthalt des Patienten deutlich unterhalb von 24 Stunden in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt sind.
Rechtskraft
Aus
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