Man kann sich Rainer Bobsin als eine Art Spürhund oder Spurensucher vorstellen. Der Fachautor beschäftigt sich mit einem Thema, das sich weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit abspielt. Bobsin, der in Hannover lebt, widmet sich seit mehreren Jahren dem Phänomen, dass immer mehr Finanzinvestoren, vor allem Private-Equity-Gesellschaften, in den Gesundheitssektor einsteigen. Die Investoren kaufen mit Geld, das Anleger ihnen zur Verfügung stellen, zum Beispiel Krankenhäuser. Damit ist es ihnen erlaubt, Medizinische Versorgungszentren zu gründen. Um in diesen Zentren Arbeitsplätze für angestellte Ärzte zu schaffen, werden niedergelassenen Ärzten die Arztsitze abgekauft. Alles ganz legal.
Das Problem liegt woanders. Das Geschäftsmodell von Private-Equity-Gesellschaften ist auf ein zeitlich befristetes Engagement ausgerichtet mit dem Ziel, die Anteile an einem Versorgungszentrum nach einigen Jahren gewinnbringend weiterzuverkaufen. „Wir haben es hier mit einem für Investoren hochattraktiven Markt zu tun“, sagt Bobsin.
Im Gesundheitswesen werden Milliarden von Euro umgesetzt. Christoph Scheuplein vom Institut Arbeit und Technik spricht nach dem vermehrten Einstieg von Private-Equity-Gesellschaften von einem „neuen Akteurstyp“ im Gesundheitswesen. Deutschland ist für die Geldgeber interessant, weil es ein wirtschaftlich stabiles Land ist. Der Gesundheitssektor ist aufgrund des demografischen Wandels ein Wachstumsmarkt und sehr verlässlich: Es ist gesetzlich gut geregelt, wer was und wie viel für welche Leistung zahlt. Inzwischen hat das Thema auch die Politik erreicht.
Am Mittwoch diskutiert der Gesundheitsausschuss des Bundestages einen Antrag der Fraktion Die Linke. Sie fordert: „Kapitalinteressen in der Gesundheitsversorgung offenlegen“. In dem Antrag heißt es unter anderem: „Mangelnde Veröffentlichungspflichten, undurchsichtig verschachtelte Konzernstrukturen und Fonds, häufig mit Sitz in Offshore-Finanzplätzen, sind Teil einer intransparenten Marktsituation.“ Als ersten Schritt fordert die Linke eine Offenlegung der Besitzverhältnisse und eine Sammlung der Informationen in einem sogenannten MVZ-Register.
Informationen über Investoren und ihre Investments
Buchautor Bobsin hat über die Jahre in mühevoller Recherchearbeit sein eigenes Verzeichnis erstellt. Er hat in Handelsregistern und beim Bundeskartellamt recherchiert, Pressemitteilungen gesichtet und das Internet mit Hilfe von Dienstleistern nach Informationen durchforstet über Investoren und ihre Investments. Wie viel Licht er ins Dunkel gebracht hat, weiß er nicht. „Niemand kennt ja die tatsächlichen Zahlen“, sagt er. Nach seinen Zahlen geht Bobsin davon aus, dass etwa zehn Prozent aller Betten in Reha-Kliniken einem einzigen Finanzinvestor gehören. Bei Wohngemeinschaften für Intensivpflegepatienten geht Bobsin von ungefähr 36 Prozent aus, bei Arztpraxen rechnet er mit deutlich mehr als 700 Standorten deutschlandweit.
Im Vergleich zu 150.000 Arzt- und Zahnarztpraxen insgesamt erscheint das als eine verschwindend geringe Größe zu sein. Allerdings hat sich die Zahl der bekannt gewordenen Übernahmen innerhalb von vier Jahren vervierfacht. Und laut Bobsin ist ein Ende nicht in Sicht. „Solange die Nullzins- oder sogar Minuszinspolitik weitergeht, wird immer mehr Geld in Private-Equity-Fonds umgeschichtet“, sagt Bobsin. Das heißt: Das Portemonnaie von Investoren, die überall auf der Welt sitzen, ist prall gefüllt. Kritik am Engagement der Investoren übt nicht nur die Linkspartei, auch die Berufsvertretungen der Ärzte haben sich schon zu Wort gemeldet. Die Bundeszahnärztekammer etwa fordert den Stopp von Fremdkapital in der Zahnmedizin. Sie sieht den Patientenschutz in Gefahr, wenn Medizin vor allem als Investment betrachtet wird. Die Kassenärztliche Vereinigung macht sich für mehr Transparenz stark.
Bobsin hält sich mit einer Bewertung seiner gesammelten Zahlen bewusst zurück. Er sieht sich als denjenigen, der eine Faktenbasis schafft, auf der das Phänomen politisch bewertet werden kann.
Medizinische Versorgungszentren an sich hält Bobsin persönlich für eine ausgezeichnete Sache, „wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie erfinden“. Aber dass nicht klar ist, wer hinter diesen Einrichtungen steckt, das empfindet er als Missstand. Er sagt: „Ich finde, dass ein Patient, der es wissen will, die Möglichkeit haben sollte, sich über Besitzverhältnisse und Strukturen zu informieren.“ Deshalb wird er weiterhin Fakten sammeln und dokumentieren, mindestens solange, bis es ein offizielles Register gibt.
Zur Sache
Sie heißen The Carlyle Group, Cinven, Nordic Capital oder PAI Partners und haben ihre Hauptsitze in Washington, London, Bahrain oder Paris. Bei diesen Unternehmen handelt es sich um Beteiligungsgesellschaften. Sie sind in Deutschland Eigentümer von Krankenhäusern, Pflegeheimen und Medizinischen Versorgungszentren.
Der Fachautor Rainer Bobsin hat für sein Buch „Private Equity im Bereich der Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen“ 268 augenärztliche Praxisstandorte und Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in Deutschland ermittelt, hinter denen ein Finanzinvestor steht. Lukrativ ist neben der Augenmedizin auch die Zahnmedizin, hier weiß Bobsin von 167 Standorten. In der Labormedizin sind es 126, bei der Radiologie 61.
Auch in Bremen und dem Nordwesten ist Bobsin bei seinen Recherchen fündig geworden. Das Unternehmen Ameos, hinter dem The Carlyle Group steht, betreibt mehrere Krankenhäuser und MVZ in Bremen und Bremerhaven. Zu Artemis (Investor Montagu) gehört das Augenzentrum Bauer in Horn. Die Blikk-Holding (Deutsche Beteiligungs AG aus Frankfurt) betreibt das Nierenzentrum Brake. Zur Synlab-Gruppe (Investor Cinven) zählen das MVZ Jade-Weser in Varel sowie Labore in Wilhelmshaven und Varel. Zu Zahneins (PAI Partners) gehört Zahnheimat, das Standorte unter anderem in Esens und Neuharlingersiel hat. Ende 2018 übernahm Castik Capital aus Luxemburg die Mehrheit an der Stenum Ortho GmbH in Ganderkesee, einer Fachklinik für Orthopädie. Im ostfriesischen Leer schließlich sitzt das Zentrum Gesundheit, es betreibt an zwölf Orten 18 augenärztliche Praxen, vier davon in Bremen. Beteiligt am Zentrum Gesundheit ist die NORD Holding aus Hannover. Sie hat 2019 die Mehrheitsbeteiligung von Waterland Private Equity erworben.