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Reform

Müssen Kliniken künftig 300 Euro Strafe pro Patient zahlen?

Templin / Lesedauer: 5 min

Werden bei der Abrechnung nicht alle stationären Behandlungstage für Patienten anerkannt, ziehen die Kassen nicht nur den adäquaten Kostensatz ab. Zusätzlich zahlen sie seit 2020 eine Aufwandsgebühr an die Kassen, sagt die Krankenhausgesellschaft.
Veröffentlicht:02.03.2020, 08:15

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„Wenn Krankenhäuser Patienten nicht entlassen können, weil die Anschlussversorgung (Häusliche Situation, Kurzzeitpflege, Reha-Platz) nicht gewährleistet ist, müssen sie 300 Euro Strafe zahlen.“ So der Text in einer Anzeigenkampagne, die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), dem deutschen Bundesverband der Krankenhausträger, initiiert wurde. Das Gesetz – gemeint ist das zum Jahresende 2019 beschlossene Reformgesetz des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) – solle schnell geändert werden, wird in der Anzeige gefordert. Es müsse Schluss sein mit der Strafe für soziale Verantwortung.

Patienten können nicht vor die Tür gesetzt werden

Parallel dazu baten DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß sowie Hauptgeschäftsführer Georg Baum in einem Schreiben vom 13. Februar an die Mitglieder des Deutschen Bundestages direkt um deren Unterstützung. Darin heißt es: „Obwohl den Koalitionsfraktionen bekannt ist, dass etwa 50 Prozent der beanstandeten Krankenhausabrechnungen auf ungeklärte beziehungsweise fehlende Anschlussversorgungen für die Patienten zurückzuführen sind, wurde quasi über Nacht eine Strafzahlung von mindestens 300 Euro zusätzlich zu den Rechnungskürzungen mit Wirksamkeit ab Beginn dieses Jahres ins Gesetz aufgenommen.“ Sie führen eine ganze Sammlung von Fällen an, in denen der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) stationäre Behandlungstage nicht anerkannte und so für Kürzungen bei der Erstattung durch die Krankenkassen sorgte. „Die Patienten und ihre Angehörigen erwarten zu Recht, dass sie bei ungeklärter Anschlussversorgung von den Krankenhäusern nicht vor die Tür gesetzt werden“, heißt es in dem Schreiben. Krankenhäuser würden aus sozialer Verantwortung für die Menschen handeln und sollen nun dafür mit einer Strafzahlung belegt werden. Selbst die Bundesländer hätten in einer Entschließung des Bundesrates derartige Zahlungen „als weit über das Ziel hinausgehend“ abgelehnt. Gleichwohl seien keinerlei Initiativen zur Gesetzesänderung in der Koalition zu erkennen. „Bleiben die Strafzahlungen für das Jahr 2020 erhalten, verlieren die Krankenhäuser etwa 380 Millionen Euro“, erklären Dr. Gerald Gaß und Georg Baum.

In der Sitzungswoche Anfang März gäbe es im Gesundheitsausschuss des Bundestages eine Chance, im Gesetzgebungsverfahren das MDK-Reformgesetz zu ändern und so die Strafzahlungen zu stoppen.

Asklepios Kliniken befürchten Schwächung

Neben Klinikverbänden unter anderem in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg, beteiligen sich auch die Asklepios Kliniken mit rund 160 medizinischen Einrichtungen in 14 Bundesländern an der bundesweiten Kampagne der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Sie befürchten unter anderem eine wirtschaftliche Schwächung der Krankenhäuser. Das könnte sich auch auf die Versorgungssicherheit auswirken, meint Patrick Hilbrenner, Regionalgeschäftsführer Asklepios in Sachsen/Sachsen-Anhalt.

Mitte Februar hatte sich auch das Asklepios Klinikum Uckermark in Schwedt mit einem entsprechenden Appell im „Lokalfuchs“, der Anzeigenzeitung der Nordkurier Mediengruppe, solidarisch an der Anzeigenkampagne der DKG beteiligt.

Auch die Sana Kliniken Berlin-Brandenburg, zu denen das Templiner Krankenhaus gehört, lehnen die angekündigte Maßnahme ab. André Puchta, Sana-Pressesprecher für die Region Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, verweist auf viel zu wenige Pflegeangebote für zu viele Pflegebedürftige. In der Folge stünden alle Krankenhäuser täglich vor der Wahl, Patienten unversorgt „vor die Tür zu setzen“ oder Strafzahlungen zu leisten, die sich im Laufe des Jahres zu enormen Summen aufaddieren werden. „Das kann sich auf Dauer kein Krankenhaus leisten und ist darüber hinaus eine unglaubliche soziale Ungerechtigkeit“, sagt André Puchta. „Wir lehnen die im MDK-Reformgesetz vorgesehenen Strafzahlungen daher entschieden ab, fordern dessen sofortige Änderung und unterstützen die Kritik von DKG, Bundesländern und Bundesrat. Denn solche Strafmaßnahmen sind unangemessen, führen zur wirtschaftlichen Schwächung der Krankenhäuser und gefährden zudem die Versorgungssicherheit der Patienten.“

Krankenhäuser bleiben auf den Kosten sitzen

Zugleich betont der Pressesprecher, dass man sich nicht gegen eine faire Überprüfung und Korrektur von Abrechnungsfehlern im hochkomplexen Abrechnungssystem wehre. „Das neue Gesetz besagt aber auch, dass Fehlleistungen nicht nur nicht bezahlt werden, sondern zusätzlich auch Strafen gezahlt werden müssen.“ Das hieße im Fall eines pflegebedürftigen Patienten, dass das Krankenhaus ihn direkt im Anschluss an die Behandlung entlassen müsse „Sonst zahlt es Strafe. Ganz gleich, ob die Weiterversorgung des Patienten in einem Heim oder durch eine ambulante Pflege zu Hause gesichert ist oder nicht. Denn eine Pflegebedürftigkeit allein, egal, ob vorübergehend oder bleibend, ist ganz ausdrücklich keine Indikation für einen Krankenhausaufenthalt. Doch Patienten zu entlassen, die hilfs- und oder pflegebedürftig, aber nicht versorgt sind, entspricht nicht unserem Selbstverständnis.“ Schon vor der Gesetzesänderung sei die fehlende Weiterversorgung häufig ein Grund gewesen, warum Patienten länger im Krankenhaus verblieben. Oft auch auf dringende Bitte der Angehörigen, die mit der Situation überfordert waren. Auch bisher hätten die Krankenhäuser diese Zusatzleistung meist nicht abrechnen können, das aber mit Blick auf das Patientenwohl in Kauf genommen. „Nach dem neuen Gesetz werden sie aber jetzt zusätzlich noch dafür bestraft“, sagt André Pocha. Solange es in Deutschland nicht ausreichend Pflegeplätze und Pflegeangebote gebe, werde sich das Problem weiter verschärfen. „Unsere Gesellschaft wird immer älter, die Anzahl pflegebedürftiger Menschen nimmt stetig zu. Dieses Problem ist ein gesamtgesellschaftliches und muss auch als ein solches betrachtet und gelöst werden. Die Krankenhäuser für soziales Handeln zu bestrafen, kann aber sicher nicht die Lösung sein.“