Pensionäre gegen Corona – Seite 1

In umgerüsteten Hallen und Hotels sollen Corona-Infizierte behandelt, die Intensivkapazitäten bundesweit aufgerüstet werden. So sieht es der am Dienstag beschlossene Notfallplan für Krankenhäuser vor. Das Problem ist nur: Egal wo Patientinnen und Patienten untergebracht werden, sie müssen auch versorgt werden. Und dafür braucht es Personal.

Dabei gibt es ihn längst, den Personalnotstand an deutschen Kliniken. Allein im vergangenen Jahr fehlten 20.000 qualifizierte Fachkräfte in der Pflege, wie eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger ergab. Vor allem im Bereich Intensivmedizin bleiben viele Stellen unbesetzt, was dann wiederum dazu führt, dass bereitstehende Betten in den Kliniken nicht belegt werden können. In manchen Regionen bieten Krankenhäuser Einstiegsprämien von bis zu 15.000 Euro für spezialisierte Fachkräfte. Auch bei den Ärztinnen und Ärzten ist die Situation schwierig.

Auf diese Ausgangslage trifft nun die Coronakrise. Vertreter von Krankenhäusern, Politik, sowie der betroffenen Berufsgruppen schlagen bereits Alarm, dass künftig das Personal knapp werden könnte. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte deshalb schon vorige Woche appelliert, zusätzliches Personal zu rekrutieren. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, brachte daraufhin den Vorschlag ein, Ärztinnen und Ärzte im Ruhestand zu reaktivieren und Medizinstudierende zur Hilfe zu rufen.

Letztere haben bereits selbst die Initiative ergriffen und organisieren sich online über die facebook-Gruppe "medis vs. COVID-19". Über 10.000 Medizinstudenten haben sich so bereits vernetzt und tauschen Informationen und Aufrufe von Kliniken aus. Die Studenten können zwar keine Ärzte ersetzen, aber sie können in den Krankenhäusern mithelfen und so das Fachpersonal entlasten.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) nimmt die Lage sehr ernst. "Noch brauchen wir kein zusätzliches Personal, aber wir müssen sicherstellen, dass Hilfe in naher Zukunft zur Verfügung steht, wenn es soweit ist", sagt DKG-Sprecher Joachim Odenbach. Oberstes Ziel sei deshalb jetzt, möglichst viele Leute zu erreichen und alles für den Ernstfall vorzubereiten. Nicht nur die DKG, auch die Bundesärztekammer hat deshalb zahlreiche Aufrufe gestartet, entsprechendes Personal zu finden.

Das wird nicht so leicht werden. "Es werden jetzt Leute gesucht, die gar nicht da sind", sagt Tino Schaft von der Pflegekammer Niedersachen. In den letzten Jahren sei viel versäumt worden. Dennoch beobachtet er viel Kooperation von Seiten der Pflegerinnen und Pfleger. "Wir bekommen täglich Anrufe von Menschen, die den Job gewechselt haben und jetzt ihre Hilfe anbieten." 

Teilzeitstellen sollen aufgestockt werden

Eine Idee könnte auch sein, Teilzeitkräfte vorübergehend aufzustocken. Etwa 70 Prozent der Pflegefachkräfte arbeiten in Teilzeit, 85 Prozent von ihnen sind Frauen. "Dann müssen aber mehr Betreuungsplätze für Kinder geschaffen werden. Die Frauen sind ja mit gutem Grund in Teilzeit gegangen und können nur helfen, wenn ihre Kinder versorgt sind", sagt Schaft. Denkbar wäre auch, monetäre oder andere Anreize zu schaffen, zum Beispiel eine Art Gefahrenzulage, wie Soldaten sie bekommen. "Pflegekräfte arbeiten schließlich mit hochinfizierten Patienten zusammen", erklärt Schaft. Auch ein garantierter Freizeitausgleich nach der Krise bei vollem Lohnausgleich sei eine berechtigte Forderung.

Monetäre Anreize werden ärztlichem Personal im Zuge der Krise bereits gezahlt. Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachen (KVN) bietet Ärzten, die in den landesweit eingerichteten Corona-Testzentren auf freiwilliger Basis Abstriche bei Verdachtsfällen nehmen, 200 Euro pro Stunde an. Das geht aus einem offiziellen Schreiben hervor, das die KVN über die Bundesärztekammer verschickt hat. Vor allem Ruheständler und niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sollten so angesprochen werden. "Wir haben allerdings auch Ärzte mit Vorerkrankungen abgelehnt, wenn wir das Gefühl hatten, es ihnen aufgrund der hohen Infektionsgefahr nicht zumuten zu können", betont KVN-Sprecher Detlef Haffke. Der Schutz des medizinischen Personals stehe immer im Vordergrund, damit diese so lange wie möglich ihrem Job nachgehen können.

Diese Strategie verfolgen auch die Helios-Kliniken. Deutschlands größter Klinikbetreiber hat bisher keine besonderen Versuche unternommen, zusätzliches Personal anzuwerben oder Ärzte im Ruhestand an die Kliniken zurückzuholen. "Sie gehören aufgrund ihres Alters zudem zur Risikogruppe", sagt eine Sprecherin des Unternehmens. Derzeit konzentriere man sich darauf, den Betrieb auch bei wachsendem Druck am Laufen zu halten. Der Notfallplan an den Kliniken sieht zunächst vor, intern Teilzeitstellen aufzustocken oder Urlaube zu verschieben. Zudem werden geplante Eingriffe bei steigenden Corona-Patientenzahlen zunehmend abgesagt, "nicht nur, um benötigte Betten für Covid-19 Patienten frei zu halten, sondern auch, um dann mehr Personal für diese Patienten einsetzen zu können".

Deutschland ist besser aufgestellt als Italien

Auch die Asklepios-Kliniken mit Hauptsitz in Hamburg wollen den neuen Anforderungen so begegnen. "Schon vor der Krise war klar, dass wir echten Bedarf haben. Jetzt kommen zusätzlich noch zahlreiche beatmungspflichtige Patienten. Darauf stellen wir uns ein, so gut es geht", sagt Unternehmenssprecher Mathias Eberenz. Intern berate man derzeit das weitere Vorgehen, auch in Absprache mit der Politik. "So intensiv wie jetzt wurde in den letzten Jahren noch nie zusammengearbeitet", sagt Eberenz. Alle Beteiligten seien hochmotiviert und engagiert. Auch die Studierenden der hauseigenen Medizinhochschule hätten ihre Dienste bereits angeboten. Er ist davon überzeugt, dass wir in Deutschland besser gerüstet sind als beispielsweise in Italien und unseren zeitlichen Vorsprung ausgenutzt haben.

Allerdings wünscht er sich noch mehr Unterstützung aus der Politik, um die strukturellen Hindernisse der letzten Jahre zu lösen. So hätten die Asklepios Kliniken beispielsweise versucht, insgesamt 600 ausgebildete Fachkräfte von den Philippinen nach Deutschland zu holen. Es dauere aber bis zu zwei Jahre, bis diese tatsächlich alle bürokratischen Hürden übersprungen haben und arbeiten können, weil sich unter anderem die Visaverfahren in die Länge ziehen. In Brandenburg warten seit Monaten zahlreiche Medizinerinnen und Mediziner auf ihre Approbation in Deutschland. Sie haben im polnischen Stettin studiert, können auf der ganzen Welt als Ärzte arbeiten, bekommen aufgrund einer strittigen EU-Richtlinie aber keine Anerkennung in Deutschland. "Die Bürokratie verhindert, dass Fachkräfte hier arbeiten können", beschwert sich Eberenz. Solche Absurditäten könne man sich in der aktuellen Situation aber nicht mehr leisten.

Dem stimmt auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft zu. "Es können eigentlich alle helfen, die ein medizinisches Verständnis haben", sagt Sprecher Joachim Odenbach. Eine Fachausbildung sei dabei natürlich wünschenswert, aber "nicht jeder muss beatmen und intensiv betreuen können". Man könne aber dem entsprechenden Fachpersonal beispielsweise vorbereitende und organisatorische Aufgaben abnehmen. Er denkt dabei an Aufgaben wie Telefondienste, Medikamente vorbereiten und andere kleinere Tätigkeiten, um die Fachkräfte zu entlasten. Derzeit überlege man, über Ehrenamtsdatenbanken der Sozialministerien oder Gesundheitsverbände weitere Aufrufe zu starten. Noch gibt es keine zentrale Sammelstelle für Hilfsangebote, einzelne Verbände und Kliniken haben teils interne, teils öffentliche Aufrufe gestartet.

Detlef Haffke von der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachen betont, dass dabei die Menschen nicht vergessen werden: "Wir können die Bundeswehr um Hilfe bitten, pensionierte Ärzte zurückholen und Medizinstudenten freistellen. Das wichtigste ist aber, dem medizinischen Personal Anerkennung zukommen zu lassen und deren Einsatz nicht als selbstverständlich zu betrachten."