L 16 KR 751/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 121/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 751/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 85/18 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB als unzulässig verworfen
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 02.12.2014 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.406,97 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.09.2011 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.406,97 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Im Streit steht die Rückerstattung gezahlter Krankenhausvergütung in Höhe von 4.406,97 Euro.

Die bei der klagenden Krankenkasse versicherte Patientin I T (Versicherte) wurde in der Zeit vom 20.06.2010 bis zum 02.07.2010 stationär in dem von der Beklagten betriebenen, nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus behandelt. Bei der Versicherten wurde am Aufnahmetag unter anderem eine respiratorische Globalinsuffizienz bei Verdacht auf exazerbierte COPD diagnostiziert, vom 20.06.2010 bis 21.06.2010 erfolge auf der Intensivstation eine nicht-invasive Beatmung (NIV) in Intervallen mittels eines BIPAP (Biphasic Positive Airway Pressure) Vision Gerätes. Bei dieser Form der Beatmung handelt es sich um eine druckkontrollierte Beatmung mit der Möglichkeit der Spontanatmung in Inspiration und Expiration (S3-Leitlinie Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz, Stand: 04.12.2017, S. 41). Erstmals wurde die Versicherte am 20.06.2010 um 12:10 Uhr beatmet, letztmals am 21.06.2010 bis 14:00 Uhr. Am 20.06.2010 gab es zwei Spontanatmungsphasen. In den Beatmungsphasen erfolgte eine Beatmung im S/T-Modus (spontan/zeitgesteuert). Am 21.06.2010 ist eine Spontanatmungsphase dokumentiert, bevor die Beatmung um 14:00 Uhr endete.

Am 08.07.2010 stellte die Beklagte der Klägerin für die Behandlung der Versicherten 13.053,62 Euro in Rechnung. Sie rechnete dabei u.a. die DRG E40C ab (Krankheiten und Störungen der Atmungsorgane mit Beatmung ) 24 Stunden, ohne intensivmedizinische Komplexbehandlung im Kindesalter, mehr als 72 Stunden, ohne komplizierende Diagnose, ohne äußerst schwere CC, außer bei Para- / Tetraplegie). Die Klägerin beglich diesen Betrag, bat jedoch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nordrhein (MDK) mit Schreiben vom 22.07.2010 um Prüfung, ob die abgerechneten Beatmungsstunden korrekt kodiert worden seien. In seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 18.09.2011 kam der MDK zu dem Ergebnis, dass nach den vorliegenden Unterlagen 17 Beatmungsstunden medizinischen nachvollziehbar seien. Da die Versicherte zuvor nicht mindestens 24 Stunden am Stück beatmet worden sei, seien die NIV-Intervalle einzeln zu zählen und nicht im Rahmen eines Weanings zu verstehen, so dass die beatmungsfreien Intervalle nicht mitgezählt würden. Daraufhin teilte die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 01.09.2011 mit, dass 9 Beatmungsstunden zu streichen und die DRG E65C (Chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung ohne äußerst schwere CC, ohne starre Bronchoskopie, ohne komplizierende Diagnose, ohne FEV1 ( 35%, Alter ) 0 Jahre) abzurechnen sei und bat um Überweisung des zu viel gezahlten Betrages in Höhe von 4.406,97 Euro bis zum 22.09.2011. Aufgrund des hiergegen erhobenen Widerspruchs der Beklagten bat die Klägerin den MDK mit Schreiben vom 28.09.2011 um Widerspruchsbegutachtung. In seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 20.03.2014 hielt der MDK an seiner Beurteilung fest. Unter Weaning werde die Entwöhnung vom Respirator nach kontinuierlicher längerer Beatmung und Abhängigkeit vom Respirator verstanden. Voraussetzung sei daher, dass im Vorfeld eine kontinuierliche Beatmung über einen zumindest längeren Zeitraum stattgefunden habe. Dies sei im vorliegenden Fall nicht nachzuvollziehen. Die Klägerin forderte die Beklagte daraufhin erneut zur Erstattung des überzahlten Betrages auf. Die Beklagte hielt mit Schreiben vom 05.05.2014 an ihrer Auffassung fest. Auch nach einem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 05.12.2013 (L 1 KR 300/11) seien die Vergütungsregelungen streng nach ihrem Wortlaut auszulegen, daher sei davon auszugehen, dass eine Entwöhnung von der künstlichen Beatmung mit deren Beginn anfange. Nach den Ausführungen eines gerichtlichen Sachverständigen in dem genannten Gerichtsverfahren würden respiratorisch insuffiziente Patienten nicht mehr an Beatmungsmaschinen gewöhnt, um eine Stilllegung der Muskelfunktion zu verhindern.

Am 03.06.2014Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Aachen erhoben, zu deren Begründung sie vorgetragen hat, dass die Beklagte die DKR 1001 falsch interpretiere, indem sie meine, dass die gesamte Dauer - also auch beatmungsfreie Intervalle - der Gesamtbeatmungsdauer hinzuzuzählen seien. Beatmungsfreie Intervalle seien gemäß Wortlaut DKR 1001 ausschließlich im Rahmen der Entwöhnung hinzuzuzählen. Eine Entwöhnung habe nicht vorgelegen, denn diese setze eine vorherige Gewöhnung voraus. Die Patientin habe eine insuffiziente Atmung gehabt und phasenweise der maschinellen Unterstützung bedurft. Es ergäben sich durch Addition der Beatmungsstunden 16,50 h, welche auf 17 h aufzurunden seien. Dies führe zu einer Änderung der DRG und zu dem von ihr geltend gemachten Rückerstattungsanspruch.

Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass bei einer streng am Wortlaut der DKR 1001 orientierten Auslegung im vorliegenden Fall von einer Beatmungsdauer von 25 h 50 min (=26 h) auszugehen sei.

Das Sozialgericht hat die Klage schließlich mit Urteil vom 02.12.2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe die beatmungsfreien Intervalle zu Recht bei der Berechnung der Beatmungsdauer der Versicherten hinzugezählt; sie gehörten im konkreten Beatmungsfall zur Entwöhnung. Die von dem im Verfahren des Hessischen Landessozialgerichts (L 1 KR 300/11) beauftragten Sachverständigen vertretene Auffassung, dass die Entwöhnung von der (maschinellen) Beatmung mit dem Beginn der (maschinellen) Beatmung anfange, sei jedenfalls für den Fall einer Kurzzeitbeatmung zur Behebung einer respiratorischen Insuffizienz nachvollziehbar und überzeugend. Bei der Beatmung der Versicherten auf der Intensivstation wechselten sich Phasen der (maschinellen) Beatmung mit beatmungsfreien Intervallen ab. Auch diese seien deshalb nach den DKR 1001 bei der Berechnung der Beatmungsdauer hinzuzählen. Die gegenteilige Auffassung des MDK (und ihm folgend der Klägerin) finde in den DKR keine Stütze.

Gegen das ihr am 12.12.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16.12.2014 Berufung eingelegt. Sie trägt erneut vor, beatmungsfreie Intervalle zählten regelmäßig nicht zur Gesamtbeatmungszeit. Lediglich für den Fall der Entwöhnung sehe die Kodierrichtlinie vor, dass die Dauer der Entwöhnung insgesamt bei der Berechnung der Beatmungsdauer eines Patienten hinzugezählt werde. Vorliegend habe keine Entwöhnung stattgefunden, denn es habe zu keinem Zeitpunkt eine Abhängigkeit vom Respirator aufgrund kontinuierlicher längerer Beatmung vorgelegen. Es führe zu aberwitzigen Ergebnissen, wenn man davon ausgehe, dass mit dem Beginn der allerersten Beatmung zugleich auch eine Entwöhnung einsetze.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 02.12.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.406,97 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.09.2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend und trägt vor, eine Entwöhnung liege im Falle der Kurzzeitbeatmung bereits mit Beginn der Beatmung vor; eine Gewöhnung solle erst gar nicht erfolgen. Eine Gewöhnung habe bei der Versicherten in der Kraftabnahme der Atemhilfsmuskulatur gelegen, die dazu geführt habe, dass die Patientin zunächst nicht mehr spontan habe atmen können. Eine Entwöhnung sei daher nach erfolgter Gewöhnung erforderlich gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Klägerin sowie der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Erstattung überzahlter Vergütung in Höhe von 4.406,97 Euro nebst beantragten Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.09.2011 zu.

Die vorliegende Klage der Krankenkasse auf Rückzahlung zu Unrecht erbrachter Vergütung gegen den beklagten Krankenhausträger ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig (vgl. etwa BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R, BSGE 109, 236, 238 f. m.w.N.) und begründet.

Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Zahlungsanspruchs ist der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, der bei der hier gegebenen öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehung zwischen Krankenkasse und Krankenhausträger (vgl. BSG SozR 4-5565 § 14 Nr. 10) an die Stelle des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs nach § 812 BGB tritt (vgl. BSGE 109, 236 m.w.N.).

Der im öffentlichen Recht auch ohne ausdrückliche Normierung seit langem anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind (vgl. BSGE 109, 236 m.w.N.) Seine Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen entsprechen zwar, soweit sie nicht spezialgesetzlich geregelt sind, denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs. Ein Rückgriff auf die zivilrechtlichen Normen scheidet aber aus, soweit der vom öffentlichen Recht selbstständig entwickelte Erstattungsanspruch reicht (vgl. BSGE 38, 46, 47). Dies gilt namentlich für die Nichtanwendbarkeit der bereicherungsrechtlichen Vorschriften, denen öffentlich-rechtliche Wertungszusammenhänge entgegenstehen (vgl. BSGE 38, 46; BSGE 109, 236, 239; BVerwGE 71, 85, 88; BVerwGE 112, 351, 353 f.).

Da die Klägerin der Beklagten vorliegend einen Betrag in Höhe von 4.406,97 Euro ohne Rechtsgrund gezahlt hat, hat sie gegen die Beklagte einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch in dieser Höhe. Die Beklagte hätte die zugunsten der Versicherten erbrachten Leistungen nicht in Höhe von 13.053,62 Euro abrechnen dürfen. Der Vergütungsanspruch der Beklagten für die Krankenhausbehandlung der Versicherten ergibt sich nämlich nicht aus der von der Beklagten angesetzten DRG E40C, sondern aus der um den geltend gemachten Erstattungsbetrag niedriger vergüteten DRG E65C.

Rechtsgrundlage der von der Beklagten geltend gemachten Vergütung sind § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 KHEntgG und § 17b KHG, die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2011 und die von den Vertragsparteien auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2011. Die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet sich im Wesentlichen nach der mithilfe einer zertifizierten Software (Grouper) ermittelten DRG. Für die Zuordnung eines Behandlungsfalles zu einer DRG sind maßgebliche Kriterien die Hauptdiagnose, die Nebendiagnosen, eventuell den Behandlungsverlauf wesentlich beeinflussende Komplikationen, die im Krankenhaus durchgeführten Prozeduren sowie weitere Faktoren (Alter, Geschlecht etc.). Die Diagnosen werden mit einem Code gemäß dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen ICD-10 verschlüsselt. Die Prozeduren werden nach dem ebenfalls vom DIMDI herausgegebenen OPS kodiert. Aus diesen Codes wird dann zusammen mit den weiteren für den Behandlungsfall maßgeblichen Faktoren unter Verwendung eines Groupers die entsprechende DRG ermittelt (sogenannte Groupierung), anhand derer die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird (ausführlich dazu BSGE 109, 236).

Die Voraussetzungen für die Kodierung der Anzahl der Beatmungsstunden ergeben sich dabei allein aus der DKR 1001h, die auch 2011 galt (BSG, Urteil vom 19.12.2017 - B 1 KR 18/17 R). Danach ist maschinelle Beatmung ("künstliche Beatmung”) ein Vorgang, bei dem Gase mittels einer mechanischen Vorrichtung in die Lunge bewegt werden. Die Atmung wird unterstützt durch das Verstärken oder Ersetzen der eigenen Atemleistung des Patienten. Bei der künstlichen Beatmung ist der Patient in der Regel intubiert oder tracheotomiert und wird fortlaufend beatmet. Bei intensivmedizinisch versorgten Patienten kann eine maschinelle Beatmung auch über Maskensysteme erfolgen, wenn diese an Stelle der bisher üblichen Intubation oder Tracheotomie eingesetzt werden. Die Berechnung der Dauer der Beatmung beginnt im Falle der Maskenbeatmung - wie vorliegend - zu dem Zeitpunkt, in dem die maschinelle Beatmung einsetzt und endet mit der Beendigung der Beatmung nach einer Periode der Entwöhnung. Die Dauer der Entwöhnung wird insgesamt (inklusive beatmungsfreier Intervalle während der jeweiligen Entwöhnung) bei der Berechnung der Beatmungsdauer eines Patienten hinzugezählt. Es kann mehrere Versuche geben, den Patienten vom Beatmungsgerät zu entwöhnen. Das Ende der Entwöhnung kann nur retrospektiv nach Eintreten einer stabilen respiratorischen Situation festgestellt werden. Eine stabile respiratorische Situation liegt vor, wenn ein Patient über einen längeren Zeitraum vollständig und ohne maschinelle Unterstützung spontan atmet. Zur Entwöhnung vom Respirator zählt auch die maschinelle Unterstützung der Atmung durch intermittierende Phasen assistierter nicht invasiver Beatmung bzw. Atemunterstützung wie z.B. durch Masken-CPAP/ASB oder durch Masken-CPAP jeweils im Wechsel mit Spontanatmung ohne maschinelle Unterstützung. Sauerstoffinsufflation bzw. -inhalation über Maskensysteme oder O2-Sonden gehören jedoch nicht dazu. Im speziellen Fall einer Entwöhnung mit intermittierenden Phasen der maschinellen Unterstützung der Atmung durch Masken-CPAP im Wechsel mit Spontanatmung ist eine Anrechnung auf die Beatmungszeit nur möglich, wenn die Spontanatmung des Patienten insgesamt mindestens 6 Stunden pro Kalendertag durch Masken-CPAP unterstützt wurde. Die Berechnung der Beatmungsdauer endet in diesem Fall nach der letzten Masken-CPAP-Phase an dem Kalendertag, an dem der Patient zuletzt insgesamt mindestens 6 Stunden durch Masken-CPAP unterstützt wurde.

Nach Wortlaut und Regelungssystem der DKR 1001h sind Spontanatmungsstunden nur dann als Beatmungsstunden mitzuzählen, wenn der Wechsel von Beatmung und Spontanatmung in einer Phase der Entwöhnung erfolgt. Diese Phase ist durch das Ziel geprägt, den Patienten vom Beatmungsgerät zu entwöhnen. Schon begrifflich setzt eine Entwöhnung eine zuvor erfolgte Gewöhnung an die maschinelle Beatmung voraus (BSG, Urteil vom 19.12.2017, a.a.O.). Darüber hinaus ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Wortlaut der DKR 1001h, dass Entwöhnung etwas anderes ist als Beatmung. Die Ansicht, dass im Falle der Kurzzeitbeatmung eine Entwöhnung bereits mit Beginn der Beatmung anfange, wird daher nicht geteilt.

DKR 1001h geht von dem normativen Regelfall aus, dass ein Patient zunächst mittels Intubation oder Tracheotomie ununterbrochen maschinell beatmet wird und sich schon durch den Wechsel der Art der maschinellen Beatmung, insbesondere beim nachfolgenden Einsatz einer Beatmungsmaske eine zeitliche Zäsur zwischen Gewöhnungs- und Entwöhnungsphase ergeben kann. Ein solcher Anknüpfungspunkt fehlt dann, wenn ein Patient - wie vorliegend die Versicherte - schon von Anbeginn mittels Maske maschinell beatmet wird. Es richtet sich nach den medizinischen Umständen des Einzelfalls, dass eine Gewöhnung durch Maskenbeatmung, orientiert am Leitbild der Folgen einer maschinellen Beatmung mittels Intubation oder Tracheotomie bereits mit solchen Einschränkungen eingetreten ist, dass sie eine Entwöhnung von maschineller Beatmung pulmologisch erforderlich macht (BSG, Urteil vom 19.12.2017, a.a.O.). Nur unter dieser Voraussetzung sind bei einer intermittierenden Entwöhnungsbehandlung auch Stunden der Spontanatmung als Beatmungsstunden zu berücksichtigen, sofern die Beatmungsstunden im Falle der Beatmung durch Masken-CPAP 6 Stunden am Tag nicht unterschreiten.

Bei der auf der Intensivstation phasenweise nicht-invasiv mittels BIPAP beatmeten Versicherten war keine Gewöhnung an den Respirator eingetreten, die eine Berücksichtigung der beatmungsfreien Intervalle bei den Gesamtbeatmungsstunden ermöglichen würde. Die Beklagte verkennt, dass der vorliegende Fall gerade nicht dem normativen Regelfall der ununterbrochenen künstlichen Beatmung mittels Intubation oder Tracheotomie entspricht. Es ist dem Leitbild nämlich nicht gleichzusetzen, wenn Patienten von vornherein mittels Maske maschinell beatmet werden, es sich - wie hier mittels BIPAP um eine Beatmungsform handelt, bei der auch in den Beatmungsphasen für die Patienten die Möglichkeit der Spontanatmung in Inspiration und Expiration besteht, zudem nach nur 26 Stunden wieder komplett selbständig geatmet wird und in diese Zeitspanne mehrere Beatmungspausen fallen. Genau dies war aber bei der Versicherten der Fall. Diese atmete bereits am 20.06.2010 nach etwa dreistündiger maschineller Beatmung erstmals wieder komplett spontan. Am gleichen Tag schloss sich nach einer zweiten Phase der maschinellen Beatmung eine Beatmungspause von immerhin 3 ½ Stunden an. Vor diesem Hintergrund kann zur Überzeugung des Senats nicht von einer Gewöhnung an die maschinelle Beatmung ausgegangen werden. Im Übrigen widerspricht sich die Beklagte selbst, wenn sie einerseits ausführt, dass bei der Kurzzeitbeatmung gerade keine Gewöhnung eintreten solle, andererseits aber meint, bei der Versicherten sei eine Gewöhnung eingetreten.

Das vorliegende Ergebnis entspricht insbesondere - anders als die Beklagte meint - auch dem Wortlaut der DKR 1001h (2011), in der zum einen der Regelfall der künstlichen Beatmung klar benannt, zum anderen von einer Entwöhnung gesprochen wird, die begrifflich eine Gewöhnung voraussetzt. Vergütungsregelungen für die routinemäßige Abwicklung in zahlreichen Behandlungsfällen sind streng nach ihrem Wortlaut und den dazu vereinbarten Anwendungsregeln zu handhaben; dabei gibt es grundsätzlich keinen Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen. Ergeben sich bei der Abrechnung Wertungswidersprüche und sonstige Ungereimtheiten, haben es die zuständigen Stellen durch Änderung des Fallpauschalenkatalogs, der OPS-Codes und der Kodierrichtlinien in der Hand, für die Zukunft Abhilfe zu schaffen. Eine systematische Interpretation der Vorschriften kann lediglich im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden Bestimmungen des Regelungswerks erfolgen, um mit ihrer Hilfe den Wortlaut der Leistungslegende klarzustellen (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG SozR 3-5565 § 14 Nr. 2; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 11 RdNr. 18). Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs. 2 Satz 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSG, Urteil vom 08.11.2011, a.a.O.).

Der Zinsanspruch ergibt sich mit Vertragsbeginn am 23.09.2014 aus § 15 Abs. 1 des Sicherstellungsvertrags NRW in Verbindung mit § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit §§ 63, 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Rechtskraft
Aus
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