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Still ruht die Spree in diesen Tagen im Berliner Regierungsviertel.

© imago images/Carsten Thesing

Update

Regeln lockerer als bei Industrie: Krankenhaus-Abwässer fließen ungefiltert in Berliner Kanalisation

Krankenhäuser filtern ihre Abwässer nicht. Bei Starkregen könnten sie sogar ungeklärt in die Spree gelangen – samt Keimen, Chemikalien und Medikamentenresten.

Berlins Krankenhäuser leiten ihre Abwasser ungefiltert in die Berliner Kanalisation - und bei Starkregen gelangen Viren, Medikamente und Chemikalien sogar an Klärwerken vorbei in Spree und Havel.

Dies geht aus einer Antwort der Senatsverwaltung für Umwelt auf Anfrage des CDU-Abgeordneten Danny Freymark hervor.

Als „Schlag ins Gesicht“ bewertet Freymark die „Rückständigkeit“ Berlins im Umgang mit Schmutzwasser. „Dass nicht geklärtes, nicht gefiltertes Abwasser voller Keime und Medikamente in die Umwelt gelangt, ist gerade in Zeiten von Epidemien wie Corona nicht mehr hinzunehmen“, sagt Freymark. Berlin brauche dringend eine „vierte Reinigungsstufe“, wie sie in Bayern üblich sei. Es sei ein „Desaster“, dass alle Grenzwerte für die Verschmutzung der Gewässer regelmäßig überschritten würden.

In den Niederlanden war das Coronavirus bereits im Abwasser nachgewiesen worden. Das hatten Untersuchungen des Rijksinstituut voor Volksgezondheiden ergeben, so die Nachrichtenagentur AFP. Das Virus sei über die Ausscheidungen von Infizierten im Abwasser gelandet.

Wasserbetriebe: Ansteckung „höchst unwahrscheinlich“

Dass sich jemand mit dem Coronavirus ansteckt durch das ungefilterte Abwasser "ist höchst unwahrscheinlich", sagt der Sprecher der Wasserbetriebe Stephan Natz. Die Viren im Abwasser seien "inaktiv", könnten aber, weil sie nicht lebten, auch nicht sterben - und deshalb eben von Wissenschaftlern nachgewiesen werden. Natz sagt aber auch: „Es ist schräg, dass Viren-Neutralisierung bei Krankenhaus-Abflüssen nicht vorgeschrieben ist.“ Industrieunternehmen müssen alle nicht haushaltsgleichen Stoffe zurückhalten. Für Krankenhäuser gelte das nicht.

Ziel des Forschungsprojektes in den Niederlanden seien übrigens genauere Erkenntnisse über die Ausbreitung des Coronavirus, da ja in den Abflüssen alle Ausscheidungen aller Bewohner enthalten sind. Natz zufolge seien noch keine Viren-Infektionen durch Abwasser bei Berlinern nachgewiesen worden.

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Angaben zur Belastung mit Medikamenten und Viren macht die Senatsverwaltung nicht. Problematisch könnte diese bei „Starkregenereignissen“ sein. Damit die Abwasserkanäle nicht überlaufen, fließt das überschüssige Wasser unbehandelt in die Umwelt. „Der Abwasseranteil von Krankenhausabwässern bei Überlaufereignissen ist nicht bekannt“, teilte die Umweltverwaltung mit.

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Völlig unbekannt ist, wie viele Viren im Wasser sind und wie lange sie sich halten. Dazu gibt es schlicht keine Untersuchungen: „Es gibt kein Monitoring für Viren in Oberflächengewässern“, teilt die Gesundheitsverwaltung mit.

Bei Bakterien Grenzwerte teils deutlich überschritten

Das große Thema seien „fäkale Bakterien“ aus Toiletten in Berliner Haushalten, sagt Wasserbetriebe-Sprecher Natz. Aus der Anfrage geht nämlich weiter hervor, dass sogar an der „Kleinen Badewiese“ der Unterhavel die Grenzwerte für „Gesamtcoliforme Bakterien“, „Escherichia coli“ sowie „Intestinale Enterokokken“ teils um das 3,6-Fache überschritten wurden, im Jahr 2019. Dabei liegt die Badestelle „hinter“ der Stadt, wo die Einleitungen reichlich Zeit hatten, sich mit Spree- und Havelwasser zu vermischen.

Um das bis zu Einhundertzehnfache werden die Grenzwerte in Sophienwerder (Spree) und der Unterhavel (Pichelssee) überschritten. Die gemessenen „Indikatorenbakterien“ stammen aus dem Darm. Deren Menge lässt auf die Wasserverschmutzung mit Fäkalien und Krankheitserregern schließen.

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„Über drei Millionen Kubikmeter nicht gefilterte und nicht geklärte Abwässer mit Fäkalien aus Haushalten, von den Straßen, mit Mikroplastik, Antibiotika und Krankheitserregern fließen jedes Jahr in Spree, Landwehrkanal und Havel“, sagt der Ingenieur Ralf Steeg. Es sei ein Zufall, dass es noch nicht zu Massenerkrankungen kam. „Dabei wäre mit überschaubarem Einsatz wenigstens die ungeklärte Einleitung von Abwässern in die Oberflächengewässer zu verhindern.“

Wasserbetriebe:´„Keimreduktion im Wasser“

Die Wasserbetriebe versprechen Besserung - aber nur in ihren eigenen Klärwerken. Bis 2024 soll eine „neue UV-Anlage“ im Klärwerk Ruhleben „zur weitergehenden Keimentfernung“ zum Einsatz kommen. Bis 2027 sollen alle Klärwerke mit einer „Flockungsfiltrationsstufe“ ausgerüstet sein, um „die Keime im gereinigten Abwasser nochmals deutlich zu reduzieren“.

Dass die Werte bisher „im Klärwerksablauf über den Grenzwerten der Badewasserrichtlinien“ liegen, sieht man entspannt. „Im Gewässer erfolgt eine weitere Keimreduktion“ bis das Abwasser die Badestrände erreicht, hieß es. Dass auch Abwasser und Schmutzwasser von den Straßen ganz ungeklärt in Spree und Havel bei Starkregen fließen, findet Natz nicht befriedigend. Aber: „Wir kämpfen mit unserem Stauraumprogramm dagegen an“

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes ist durch die Überschrift der Eindruck entstanden, Coronaviren in offenen Gewässern könnten eine Gefahr darstellen. Dafür gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten dafür um Entschuldigung.

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