Wegen Corona droht manchem Spital das Aus

Die Spitäler leben finanziell von Hüft- oder Knieoperationen, dürfen diese nun aber wochenlang nicht durchführen. Jene Krankenhäuser, die sich auf die Corona-Welle vorbereiten, bangen zudem darum, ob ihre Ausgaben dafür je gedeckt werden.

Simon Hehli, Tobias Gafafer
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Zahlreiche Schweizer Operationssäle werden derzeit nicht benutzt.

Zahlreiche Schweizer Operationssäle werden derzeit nicht benutzt.

Laurent Gillieron / Keystone

Eine Million Franken Verlust – pro Tag: Die Situation am Thurgauer Kantonsspital in Frauenfeld ist ernst. «Wir haben ein echtes Problem», beklagt sich der Spital-CEO Marc Kohler in der «Thurgauer Zeitung». Das Problem sind leere Betten und leere Operationssäle. Das Schweizer Gesundheitswesen hat einen Grossteil seiner Ressourcen für die Bewältigung der Corona-Krise mobilisiert. Alle anderen Bereiche laufen auf Sparflamme.

Der Bundesrat verfügte, dass alle Eingriffe, die verschoben werden können, verschoben werden müssen. Und solche Wahleingriffe machen oft zwei Drittel oder mehr der medizinischen Leistungen eines Spitals aus. Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb die Anzahl der Patientinnen und Patienten sowohl in den stationären Bereichen als auch in den Spitalambulatorien stark zurückgegangen ist. Auch viele Leute, die eine Behandlung nötig hätten, bleiben derzeit zu Hause – aus Angst vor einer Ansteckung oder in der irrigen Annahme, dass die Ärzte keine Zeit für sie hätten.

Wenn das Geld für Löhne fehlt

Mit den Patienten bleibt für die Spitäler ein Grossteil ihrer Einnahmen vorübergehend aus. Alle zusammen setzen sie normalerweise pro Woche rund 600 Millionen Franken um. Wenn davon die Hälfte oder mehr fehlt, kommt rasch ein Milliardendefizit zusammen. Manche Spitäler laufen deshalb bereits in Liquiditätsengpässe. Laut der «Sonntagszeitung» werden etwa im Spitalzentrum Oberwallis bereits Ende April die Mittel knapp, um die Löhne bezahlen zu können. Ein weiteres Beispiel ist das Kantonsspital Graubünden, das in den kommenden Tagen zusätzliche 20 Millionen Franken braucht. Beobachter gehen deshalb davon aus, dass manche Spitäler Konkurs gehen könnten – wenn ihnen der Staat nicht unter die Arme greift.

Dies geschieht bereits, indem manche Spitäler ihr Personal auf Kurzarbeit gesetzt haben und dafür Geld von der Arbeitslosenkasse beziehen. Darüber hinaus dürften auch die Spitäler geltend machen, dass sie wie andere Sektoren der Wirtschaft eine finanzielle Spritze erhalten sollen. Michael Jordi, Generalsekretär der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK), sagt: «Wir sind daran, hier das Ausmass der Ertragsausfälle abzuschätzen sowie die Abgeltung abzuklären und zu regeln. Infrage kommen der Bund und die Kantone, aber auch die Krankenversicherer, die derzeit in den Nicht-Corona-Bereichen substanzielle Minderkosten haben.» Der Kanton Bern hat in einer Notverordnung bereits die Möglichkeit geschaffen, die Ertragsausfälle der Spitäler auszugleichen.

Nicht für alle Leistungserbringer präsentiert sich die Lage gleich. Existenzängste müssen vor allem die kleineren Spitäler haben, die schon in normalen Zeiten finanziell kaum über die Runden kommen. Die Pandemie könnte deshalb die Flurbereinigung in der Schweizer Spitallandschaft mit ihrem nach wie vor sehr dichten Netz beschleunigen, nach dem Motto «survival of the fittest». Dass jedes Tälchen weiterhin sein eigenes, relativ schlecht ausgerüstetes Spitälchen hat, ist ohnehin nicht die richtige Antwort auf eine Pandemie. Entscheidend ist vielmehr, dass es gelingt, schnell zusätzliche Strukturen aufzubauen, die spezifisch auf die Bewältigung der Seuche ausgerichtet sind. Ein Beispiel dafür ist das aus dem Boden gestampfte Corona-Center in Nottwil mit 200 Notbetten.

Auch die Grossen mit Problemen

Die grossen Zentrums- und Universitätsspitäler kämpfen nicht ums finanzielle Überleben. Doch auch bei ihnen bleibt die «normale» Kundschaft teilweise aus. Das Universitätsspital Zürich (USZ) etwa vermeldet, dass sich die Anzahl der neu eingetretenen Patienten im März halbiert habe, sowohl im stationären wie auch im ambulanten Bereich. Das USZ versuche, einen Teil des damit verbundenen Ertragsrückgangs mit Kosteneinsparungen aufzufangen, zum Beispiel durch weniger Materialverbrauch oder den Abbau von Überzeit, sagt die Sprecherin Barbara Beccaro. «Viele Kosten sind jedoch fix.»

Die grosse Unbekannte sind derzeit die Corona-Fälle – nicht nur bezüglich der Anzahl Patienten, sondern auch bezüglich der Finanzierung. Der GDK-Zentralsekretär Jordi zeigt sich überzeugt, dass man bei der Abgeltung eine Lösung finden werde, welche die Kosten der Spitäler decke. Ein Kenner der Branche glaubt, dass zumindest die grossen Spitäler ihren Gesamtumsatz halten oder sogar steigern könnten. Dies, weil Covid-19-Patienten, die Tage oder Wochen auf der Intensivstation bleiben müssen und teilweise in ein künstliches Koma gesetzt werden, sehr teuer sind – und damit die wegfallenden Einnahmen aus den anderen Bereichen wettmachen würden.

Doch diese Meinung teilen nicht alle. Hansjörg Lehmann, der Direktor Finanzen am Kantonsspital Winterthur, sagt, die Zusatzkosten wegen Corona beliefen sich auf mehrere Millionen Franken pro Woche. Die derzeit geltenden Abrechnungsregeln liessen leider nicht darauf schliessen, dass die Behandlungskosten für alle Covid-19-Patienten gedeckt seien. «Hinzu kommen noch die hohen Vorhalteleistungen: für den Aufbau und die Bereitstellung der Infrastruktur sowie des notwendigen Personals für die Behandlung der zu erwartenden grossen Anzahl an Covid-19-Patienten.»

Es droht der Behandlungsstau

Entscheidend wird auch sein, wie es mit all den verschobenen Hüft- oder Knieeingriffen weitergeht. Einfach alle im Sommer oder Herbst nachzuholen und damit die entgangenen Einnahmen wieder hereinzuholen, ist für die Spitäler schon rein terminlich schwierig. Stattdessen kommt es voraussichtlich zu einem Behandlungsstau und langen Wartelisten. Viele grosse Spitäler seien bereits im Normalbetrieb meist gut ausgelastet und verfügten nicht über genügend Personal für viele Sonderschichten, sagt der KSW-Finanzdirektor Lehmann.

Je länger die Corona-Krise dauere und je mehr Behandlungen aufgeschoben würden, desto mehr zusätzliches medizinisches Personal müsse eingestellt werden, gibt Lehmann zu bedenken. Sofern dieses knappe Personal überhaupt gefunden werde, habe dies Mehrkosten zur Folge. «Die Ausgaben werden somit für die grossen Spitäler wohl deutlich höher sein als in normalen Jahren, die Erlöse hingegen eher niedriger.»

Um die Situation zu verbessern, weibelt der Spitalverband H+ derzeit bei Gesundheitsminister Alain Berset für eine schnelle Lockerung des Operations- und Behandlungsverbots. «Das ist ein dringliches Anliegen, um die teilweise erheblichen Ertragsausfälle der Spitäler und Kliniken zu minimieren, aber auch um die medizinische Versorgung von chronisch Kranken und anderen Patienten sicherzustellen», betont die Verbandsdirektorin Anne Bütikofer. So liesse sich insbesondere verhindern, dass für die Patienten gravierendere gesundheitliche Folgen entstünden, die das Gesundheitssystem zusätzlich belasteten.

Armee schafft Handlungsfreiheit, keine Konkurrenz

geo. Die Armee hat Stand Dienstag rund 5000 Soldatinnen und Soldaten im Assistenzdienst, rund 3800 davon für sanitätsdienstliche Leistungen zugunsten des zivilen Gesundheitswesens. Ein Teil der Armeeangehörigen muss vorerst auf einen konkreten Einsatz warten. Dies ist vor allem eine Führungsaufgabe für die Milizkader.

Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Zahl der Aufträge stark zunimmt. Der Bund hat über 300 Unterstützungsgesuche bewilligt. Im Gegensatz zu zivilem Spitalpersonal kann der Einsatz von Armeeangehörigen zentral geführt werden. Die wartenden Spital- und Sanitätssoldaten erhöhen als Reserve die Handlungsfreiheit von Bund und Kantonen. Bei Bedarf können so auch regionale Schwergewichte gebildet werden – wie bereits jetzt im Tessin und in der Romandie. Die Armee steht als Puffer und zur Entlastung zur Verfügung, nicht als Konkurrenz des zivilen Gesundheitswesens.

Brigadier Raynald Droz, Stabschef im Kommando Operationen, erklärte am Dienstag vor den Medien, dass zurzeit sowohl eine Verlängerung als auch eine Verkürzung des Assistenzdienstes geplant würden. Mit diesen Varianten will die Armee rasch auf eine Verschlechterung oder eine Verbesserung der epidemiologischen Lage reagieren können. Der Bundesrat hat den Assistenzdienst vorerst bis am 30. Juni beschlossen. Falls also das zivile Gesundheitswesen weit weniger ans Limit kommt als befürchtet, dann könnte auch ein Teil der Soldaten früher nach Hause als geplant.