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Politik

Das Chaos um die Zahl der Intensivbetten

Redakteurin Innenpolitik
40 Prozent mehr Plätze vermeldete die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Doch noch immer weiß niemand, wie viele es wirklich gibt

Vergangene Woche verkündete die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) gute Nachrichten: Die Zahl der Intensivbetten in Deutschland habe sich von etwa 28.000 auf 40.000 gesteigert. Ein Anstieg um knapp 40 Prozent, der ein erster Schritt in Richtung des von Bund und Ländern erklärten Ziels sein soll, Intensivbetten zu verdoppeln. Von diesen 40.000 seien etwa 15.000 bis 20.000 frei, sagte der Präsident Gerald Gaß. Auf den ersten Blick eine erfreuliche Entwicklung also, die offenbar zeigt, dass die Maßnahmen der Krankenhäuser, planbare Operationen zu verschieben und provisorische Kapazitäten zu schaffen, gut geglückt ist.

Doch es gibt Widerspruch. Das sogenannte Intensivregister der Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) des Robert-Koch-Instituts und der Deutschen Krankenhausgesellschaft meldete am Freitag bundesweit lediglich 19.477 Intensivbetten (Stand 13.59 Uhr). Von diesen Betten sind laut Register 8064 frei – also etwa halb so viele, wie die DKG verkündet hatte. „Wir können die Zahlen der Deutschen Krankenhausgesellschaft nicht bestätigen“, sagte ein Sprecher der DIVI.

Die exakte Zahl verfügbarer Intensivbetten ist eine wichtige Grundlage für künftige politische Entscheidungen während der Corona-Krise. Die Strategie, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, zielte immer darauf, die Kapazitäten des Gesundheitssystems nicht zu überlasten. Zudem wurde das Register dazu geschaffen, im Notfall einen effektiven Verteilungsmechanismus zwischen den Kliniken zu etablieren. Falls in einem Krankenhaus alle Betten belegt sind, kann kurzfristig im Register nachgeschaut werden, welche Klinik in der Nähe noch Plätze frei hat. Woher kommen also die unterschiedlichen Angaben zu einer so entscheidenden Zahl?

Die Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft fußen auf einer Umfrage von Landesgesundheitsministerien, Landeskrankenhausgesellschaften und Krankenhäusern. Als Ausgangslage wurde hierfür die Zahl der 28.000 Intensivbetten von vor der Krise verwendet und die Zahl der aufgestockten Betten addiert. Als Endergebnis kam man so auf 40.000 Intensivbetten. „Dies ist keine genaue Erhebung, sondern eine Umfrage mit einzelnen Schätzungen und Hochrechnungen“, sagte ein DIVI-Sprecher. „40.000 aufgestockte Betten sind derzeit zu hoch gegriffen. Unser Register wird in Zukunft zeigen, ob sich diese Zahl tatsächlich bestätigt.“

Das Intensivregister ist ein in Deutschland bisher einmaliges Projekt, in dem Krankenhäuser mit Intensivbetten ihre Kapazitäten eintragen sollen. 1059 von circa 1160 Kliniken haben sich dort bereits registriert, 101 Kliniken fehlen also noch. Die Kapazitäten sollen jeden Tag gemeldet werden. Das Problem: Viele Kliniken schicken diese bisher nur alle paar Tage raus.„Im stressigen Klinikalltag geht das Eintragen der Daten manchmal unter“, sagt der Lungenarzt Christian Karagiannidis, der als Sprecher der DIVI-Sektion „Lunge – Respiratorisches Versagen“ das Register federführend mitentwickelt hat. Dies führe dazu, dass die Zahl der 8064 freien Betten am Freitag gar nicht allen registrierten Kliniken entsprach – sondern nur denen, die sich auch tatsächlich am Freitag meldeten. Dies waren nicht 1059, sondern 804 Krankenhausstandorte. Von den belegten Intensivbetten dienten 2339 der Behandlung von Covid-19-Patienten. 1772 von ihnen wurden aktuell beatmet. Wenn eine Klinik sich an dem Tag aber nicht meldet, wird sie gar nicht erst gezählt.

Die Unvollständigkeit sei aber nicht der einzige Grund, warum das Register die Hälfte der 40.000 Intensivbetten anzeige, heißt es aus der DKG. Das Register orientiere sich schwerpunktmäßig an den Krankenhäusern, die bereits vor der Corona-Krise über Intensivstationen verfügten hätten, und enthalte neu aufgebaute Betten nur unvollständig. „Die registrierten Daten erfassen eine Vielzahl an aufgebauten ‚Reservekapazitäten‘ nicht, da diese von den verantwortlich meldenden Intensivmedizinern nicht als vollwertige Intensivbetten betrachtet werden“, sagte ein Sprecher.

„Selbstverständlich werden uns die provisorischen Reservebetten gemeldet. Wir fragen bei jeder Klinik: Wie viele freie Betten können in den kommenden 24 Stunden geschaffen werden? Dazu gehören etwa Betten von anderen Stationen oder von Patienten, die bald verlegt, entlassen (werden) oder versterben könnten“, weist Karagiannidis die Kritik zurück. Problematisch sei derzeit lediglich, dass einige Kliniken über mehrere Intensivstationen verfügten, aber mitunter nur ein oder zwei meldeten. Dies werde sich jedoch bis kommende Woche ändern, da Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Eintragung in das Intensivregister am Mittwoch verpflichtend gemacht hat. Die Krankenhäuser haben nun bis kommende Woche Donnerstag Zeit, sich zu registrieren und die Angaben täglich bis neun Uhr zu übermitteln.

Wenn das Register vollständig bespielt ist, werde man künftig auch Schnittstellen bei den Gesundheitsministerien installieren, sagt Karagiannidis. Derzeit wichen deren Angaben wegen der zeitlichen Verzögerung noch häufig von dem Register ab. „Die ganze Republik möchte diese Zahlen haben, und wir sorgen dafür, dass wir diese künftig einheitlich kommunizieren“, sagt Karagiannidis. „Ich warne davor, im Vorfeld mit zu vielen hypothetischen Zahlen zu jonglieren.“

Jens Spahn sprach zu Beginn der Krise fast täglich von den 28.000 Intensivbetten, die Deutschland zur Verfügung stünden und die auch jetzt die Grundlage für die Gesamtzahl 40.000 bilden. Doch auch hier zeigt sich das Chaos: Dieser Wert ist gar nicht aktuell – sondern eine Erhebung des Statistischen Bundesamts aus 2017. Auf Anfrage erklärt die Behörde, dass eine Änderung der Krankenhausstatistikverordnung eine aktuellere Veröffentlichung behindert habe. Mit dieser sollen geltende Erhebungskriterien angepasst werden, was Zeit brauche. Es sei allerdings geplant, Ende April erste vorläufige Zahlen zu veröffentlichen – darunter auch die Zahl der Intensivbetten. Diese gelten dann allerdings für das Jahr 2018 – und werden wohl kaum zur Auflösung des derzeitigen Wirrwarrs beitragen.

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