Interview

Der Zürcher Herzchirurg Maisano kontert die Vorwürfe, er habe Studien geschönt und Interessenkonflikte unterschlagen: «Mir wurde hier ein Strick gedreht»

Seit Mai steht der Direktor der Klinik für Herzchirurgie des Zürcher Universitätsspitals in der Kritik. Nun nimmt er erstmals öffentlich Stellung zu den Anschuldigungen gegen ihn.

Jan Hudec, Claudia Rey
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Herzchirurg Francesco Maisano kritisiert die Medienberichte.

Herzchirurg Francesco Maisano kritisiert die Medienberichte.

Karin Hofer / NZZ

Monatelang hat er zu allen Vorwürfen geschwiegen. Nun sitzt Francesco Maisano in einem Besprechungszimmer einer Anwaltskanzlei in der Zürcher Innenstadt, flankiert von einem Anwalt und zwei Beratern, und sagt: «Ich habe 25 Jahre lang als Herzchirurg gearbeitet, gut gearbeitet. Und jetzt kommt ein Whistleblower und verbreitet nachweislich faktenwidrige und verleumderische Geschichten. Das ist unethisch und braucht eine Reaktion.»

Maisano, Leiter der Klinik für Herzchirurgie des Universitätsspitals Zürich (USZ), ist seit Ende Mai beurlaubt, er sieht sich mit Vorwürfen an seiner Arbeitsweise konfrontiert – und mit einer Strafanzeige wegen Verdachts auf schwere Körperverletzung und Urkundenfälschung. Was ist vorgefallen in den vergangenen Monaten?

Am 12. Dezember 2019 trifft bei der Spitaldirektion des USZ ein 42-seitiges Dokument ein, es ist betitelt mit «Whistleblowing». Ein leitender Arzt erhebt darin schwere Vorwürfe gegen Maisano, der seit 2014 die Klinik für Herzchirurgie führt. Das USZ gibt der Anwaltskanzlei Walder Wyss den Auftrag, die Anschuldigungen zu untersuchen.

Am 21. Mai werden die Vorwürfe publik. Der «Tages-Anzeiger» titelt: «Wie der Klinikchef die Weltpremiere seines Implantats schönte». Und schreibt weiter: «Eine externe Untersuchung zeigt, dass wissenschaftliche Publikationen aus der Klinik für Herzchirurgie des Zürcher Universitätsspitals ‹teilweise geschönt› wurden. Auch Interessenkonflikte waren nicht immer deklariert.»

Das USZ stellt als Reaktion auf den Zeitungsartikel den Untersuchungsbericht von Walder Wyss online. Noch gleichentags fordern Zürcher Politiker die Entlassung des Klinikchefs. Seither sind 270 Medienberichte erschienen, in denen Maisano vorkommt, wie ein Blick in die Schweizer Mediendatenbank zeigt. Der Herzchirurg hat stets geschwiegen, doch nun nimmt Maisano erstmals Stellung zu den Vorwürfen des Whistleblowers und zum Bericht von Walder Wyss.

Herr Maisano, Sie stehen seit Wochen in der Kritik. Warum haben Sie sich nie zu den Vorwürfen geäussert?

In der bisherigen öffentlichen Diskussion, die durch die Medien losgetreten wurde, ist es nicht um die Wahrheit gegangen, sondern um die Wahrnehmung. Es war mir als Wissenschafter wichtig, zuerst die Fakten zusammenzutragen, bevor ich mich öffentlich äussere.

Maisano hat in den Wochen seit seiner Beurlaubung gemeinsam mit seinem Anwalt eine 132 Seiten dicke Stellungnahme verfasst, die er vor wenigen Tagen der Spitaldirektion übergeben hat. Darin heisst es in der Einleitung: «Die gegen Prof. Maisano vom Hinweisgeber erhobenen Vorwürfe sind ein unfundiertes Konstrukt zur Schädigung von Prof. Maisano.» Diese These versucht die Stellungnahme zu untermauern.

Sie haben eine Stellungnahme geschrieben und gehen damit nun an die Öffentlichkeit. Was erhoffen Sie sich davon?

Zumindest, dass ich gehört werde. Ich brauche Gerechtigkeit. Die derzeitige Wahrnehmung basiert auf der Veröffentlichung eines lückenhaften Zwischenberichtes, der veröffentlicht wurde, bevor ich Stellung nehmen konnte. Bestimmte Medien haben einzelne Feststellungen böswillig und selektiv herausgegriffen und verschwiegen, dass mich der Bericht von Walder Wyss grundsätzlich entlastet.
Wenn jemand zum Schluss kommt, dass ich etwas falsch gemacht habe, dann muss er es im Lichte der Fakten belegen, die ich nun vorlege. Leider ist es einfacher, Behauptungen aufzustellen, als mit Fakten zu argumentieren.

Sie machen es sich etwas leicht, wenn Sie nun alles als Behauptungen abtun. Der Bericht von Walder Wyss hat problematische Punkte offengelegt. Zum Beispiel, dass Sie Ihre Interessenbindungen nicht immer vollständig deklariert haben.

Der Walder-Wyss-Bericht entlastet mich in allen wesentlichen Punkten. Die Interessenbindungen sind bei der Universität und beim Spital vollständig deklariert.

Die Anwaltskanzlei schreibt im Bericht, es gebe keine Hinweise auf Mängel in Bezug auf die medizinische Leistung. Die Juristen kommen aber auch zum Schluss, Maisano habe «bei vielen Publikationen Interessenkonflikte nicht oder nur unvollständig offengelegt».

Sie räumen ja sogar in Ihrer eigenen Stellungnahme ein, dass Sie in fünf Prozent Ihrer Publikationen die Interessenbindungen nicht angegeben haben. Warum haben Sie das unterlassen?

Ja, das stimmt, das war ein Fehler. Aber das muss man im Kontext sehen. Ganz wichtig ist mir zu sagen: Ich habe nie etwas verheimlichen wollen. Dort, wo die Angaben fehlen, handelt es sich zudem nicht um wissenschaftliche Studien, sondern zum Beispiel um Editoriale. Wir sprechen hier von 15 solcher Beiträge, bei denen die Angaben fehlen. Denen stehen 250 Publikationen gegenüber, in denen alles vollständig deklariert ist. Meine Interessenbindungen sind also überall sehr wohl bekannt.

Problematisch ist die Sache aber dort, wo Sie über Implantate schreiben, die Sie selbst mitentwickelt haben und an deren Erfolg Sie auch finanziell beteiligt sind. Dies kritisiert ja auch der Walder-Wyss-Bericht.

Mir wurde hier ein Strick gedreht aufgrund von vier Artikeln, bei denen es sich allesamt nicht um wissenschaftliche Publikationen handelt. Zudem habe ich dem Herausgeber meine Interessenbindung kommuniziert, er hat diese aber nicht gedruckt.

Der Herausgeber des «European Heart Journals», Thomas F. Lüscher, Professor für Kardiologie am Imperial College London, hat in einem Brief (welcher der NZZ vorliegt) an den USZ-Direktor Gregor Zünd festgehalten, die Interessenbindungen seien deklariert, jedoch nicht gedruckt worden. Bei den zur Debatte stehenden Artikeln handle es sich nicht um wissenschaftliche Artikel. Den Autoren stehen jeweils nur 250 Worte zur Verfügung, die ein Bild beschreiben. Dabei gehe es um die Illustration eines einzelnen Problems, die Beiträge seien eher als Seitenfüller innerhalb des Journals gedacht.

Wie Lüscher auf Anfrage sagt, sei es deshalb nur schon aus Platzgründen schwierig, die Interessenbindungen auch zu drucken. Da es sich jeweils nur um Momentaufnahmen von einzelnen Fälle handle, enthielten die Texte auch keinerlei klinische Empfehlungen. Er selbst sei recht schockiert darüber, wie destruktiv nun über den Fall Maisano berichtet werde. «Ich weiss zwar nicht, ob er alles richtig gemacht hat, aber man sollte doch die Verhältnismässigkeit wahren», sagt Lüscher, der früher selbst am USZ tätig war.

In diversen Medienberichten wird Maisano insbesondere auch unterstellt, dass er seine Interessenbindungen deshalb nicht nannte, weil er finanziell vom Erfolg seiner Entwicklungen profitierte.

Herr Maisano, Sie wollen nun also sagen, dass Sie Ihre finanziellen Interessen nicht verschleiern wollten?

Es ist völlig an den Haaren herbeigezogen, dass ich meine Interessenbindung nicht deklariert habe, weil ich finanziell profitieren wollte. Dass man mir dies unterstellt, schmerzt mich noch viel mehr als meine Beurlaubung. Nie in meinem Leben haben mich finanzielle Interessen angetrieben. Ich wollte etwas Neues entwickeln, um Patienten damit zu helfen.

Aber Sie sind nun einmal an verschiedenen Firmen beteiligt und verdienen auch Geld damit.

Ich bin in erster Linie ein Arzt mit ethischen Prinzipien, der den Patienten verpflichtet ist. Zudem agiere ich ja nicht allein. Ich bin Teil eines Teams, wir besprechen das Vorgehen auch mit den zuweisenden Ärzten und mit den Patienten. Bei sogenannten «Compassionate Use»-Fällen, bei denen noch nicht zugelassene Methoden angewandt werden, muss die Heilmittelbehörde Swissmedic eine Bewilligung erteilen. Es passiert nichts im Dunkeln. Diese Eingriffe bei schwerkranken Patienten, von denen die Rede ist, sind streng reglementiert. Solche Eingriffe haben keinerlei Einfluss auf die Zulassung neuer Implantate. Dafür sind nur umfassende Studien relevant.

Wie Maisano in seiner Stellungnahme darlegt, hat die Klinik für Herzchirurgie unter seiner Leitung seit 2014 über 3000 Patienten behandelt. Nur bei 45 Fällen seien dabei Implantate von Firmen eingesetzt worden, mit denen Maisano verbunden ist. Die erwähnten experimentellen Eingriffe («Compassionate Use») fanden gar nur 14 Mal statt, wobei Maisano in der Hälfte der Fälle Implantate einsetzte, bei denen keine Interessenbindung bestand. Auch der Walder-Wyss-Bericht attestierte ihm deshalb keinen übermässigen Einsatz solcher Implantate.

Kritisiert wird im Bericht aber, dass er in Publikationen zu den von ihm entwickelten Devices negative Aspekte «unterschlagen und Ergebnisse beschönigt wiedergegeben» habe. Es bestehe dabei der Verdacht, dass dies nicht aus Nachlässigkeit geschah, sondern eine «bewusst beschönigende» Darstellung erfolgte.

Die Juristen von Walder Wyss kommen zum Schluss, dass Sie die wissenschaftliche Integrität verletzt haben könnten. Was sagen Sie dazu?

Es gibt vier Fälle, bei denen mir Ungenauigkeiten vorgeworfen werden. Dabei handelt es sich nicht um Forschungsartikel oder vollständige Fallberichte, sondern um Bildbeschreibungen. Zum Beispiel in der Publikation «Cardiovascular Flashlight». Es ist völlig verquer, mir nun vorzuwerfen, dass ich die wissenschaftliche Integrität verletzt hätte, weil ich und meine Kollegen in dieser Kurzpublikation, in der wir uns auf 250 bzw. 400 Wörter beschränken müssen, nicht alle Details des Eingriffs genannt haben.

Gemäss Untersuchungsbericht haben Sie in einer Publikation die Reanimation einer Patientin nicht erwähnt. Das ist doch keine Bagatelle.

Bei diesem Fall hat nie eine Reanimation stattgefunden.

Gegenüber Walder Wyss haben Sie das Versäumnis doch selbst eingeräumt.

Walder Wyss hat mir bei der Befragung die Akten zu diesem Fall, der schon ein paar Jahre zurückliegt, nicht vollständig vorgelegt. Im Nachhinein habe ich sie selbst vervollständigt. Sowohl die Anästhesisten als auch der zuständige Kardiologe bestätigen, dass keine Reanimation stattgefunden hat. Dies belegt auch das Video des Eingriffs.

Das Video des Eingriffs und die Stellungnahmen der Anästhesisten und des Kardiologen liegen der NZZ vor. Die zuständigen Anästhesisten schreiben: «Eine Reanimation mit Herzdruckmassage, Defibrillation oder Adrenalin-Gabe fand zu keinem Zeitpunkt des Eingriffs statt.» Und auch der Kardiologe, der ursprünglich eine Reanimation festgehalten hatte, bestätigte, nachdem er sich das Video des Eingriffs nochmals angesehen hatte, dass «nie eine mechanische Reanimation durchgeführt worden war».

Das Herz der Patientin ist aber tatsächlich kurz stillgestanden. Ist das aus Ihrer Sicht keine relevante Komplikation, die man erwähnen müsste?

Es war keine Komplikation. Ich habe das Herz nur während einiger Sekunden stimuliert. Das ist bei einem solchen Eingriff nichts Ungewöhnliches und für die Patientin ohne Folgen. Bei einer grossen Operation gibt es zahllose Kleinigkeiten, die man unmöglich alle im Operationsbericht vermerken kann.

Aber warum haben Sie diese Operation im Nachhinein als Erfolg ausgewiesen, obwohl der zuweisende Arzt den Erfolg des Eingriffs als «mässig» oder gar «enttäuschend» bezeichnete?

Bei dieser Publikation ging es nicht um einen klinischen Bericht. Mit dem Wort Erfolg brachte ich zum Ausdruck, dass ein neues Implantat erfolgreich implantiert wurde. Zu diesem Zeitpunkt war die Machbarkeit des neuen Eingriffs als solche ein Erfolg. Die Entwicklung stand am Anfang. Das schreiben wir auch so in diesem Artikel, der sich an die Fachleute richtet. Wir behaupten darin nicht, dass wir die Lebensqualität des Patienten verbessern konnten. Natürlich ist dies das Endziel. Aber dies erreichen wir erst nach Jahren der Entwicklung, und dazu braucht es auch mehr Fakten. Ein einzelner Fall ist dafür nicht entscheidend und auch nicht aussagekräftig.

Die Zürcher Patientenstelle hat gegen Sie eine Strafanzeige wegen Körperverletzung eingereicht. Was sagen Sie dazu?

Ich finde es inakzeptabel, dass jemand eine Strafanzeige initiiert, ohne die Fakten zu kennen. Es wird behauptet, dass wir am Herzzentrum ein Problem mit der Patientensicherheit hätten. Schon der Walder-Wyss-Bericht belegt ganz klar, dass dies nicht der Fall ist.

Wie geht es jetzt für Sie weiter?

Meine Reputation ist mein grösstes Kapital, und diese steht nun auf dem Spiel. Deshalb will ich, dass nun auch meine Position öffentlich wird. Ich habe nichts zu verbergen. Ich habe meine Interessenbindungen nie verschleiert. Ich bin froh, wenn wir mit offenen Karten spielen. Die Frage ist, ob alle Spieler am Tisch nun mit offenen Karten spielen.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie eine Chance haben, ans Universitätsspital zurückzukehren?

Selbstverständlich. Ich bleibe immer positiv. Die Frage ist, ob sich jemand wirklich mit den Fakten auseinandersetzen will und nicht nur mit den Schlagzeilen des «Tages-Anzeigers».

Der Whistleblower, der den ganzen Fall losgetreten hat, ist Ende April vom USZ entlassen und per sofort freigestellt worden. Am Mittwoch nun kehrte er an den Arbeitsplatz zurück. Das Operationsverbot gegen ihn wurde aufgehoben. Sollte Maisanos Beurlaubung aufgehoben werden, würden die beiden Ärzte am Unispital also wieder miteinander arbeiten.

Können Sie sich wirklich vorstellen, wieder mit dem Whistleblower zusammenzuarbeiten?

Darüber mag ich jetzt nicht sprechen. Ich kann nur sagen, dass ich viele Jahre mit ihm zusammengearbeitet habe. Er hat sich entschieden, als Whistleblower an die Öffentlichkeit zu gehen. Das hat mich irritiert. Wir treffen uns ja jeden Tag zum Rapport. Er hätte also jeden Tag die Möglichkeit gehabt, seine Kritik einzubringen. Dafür hätte ich auch ein offenes Ohr gehabt.

Wie erklären Sie sich, dass Sie kritisiert werden, wenn aus Ihrer Sicht nichts an den Vorwürfen dran ist?

Das weiss ich nicht. Wenn jemand wirklich am Wohl der Patienten interessiert ist, dann würde er sich sofort äussern, wenn er irgendwo Probleme vermutet – und nicht fünf Jahre warten. Dieses Vorgehen zeigt, dass hier wohl nicht das Patienteninteresse im Vordergrund stand.

Wie es für Francesco Maisano weitergeht, dafür ist nun vor allem die Untersuchung der Universität Zürich, wo er als Professor angestellt ist, entscheidend. Die Universität hat gegen ihn ein Verfahren wegen Verdachts auf Unlauterkeit in der Wissenschaft eingeleitet. Dabei überprüfen externe Gutachter, ob er die wissenschaftliche Integrität bei den Publikationen eingehalten hat. Zudem überprüft die Universität die Interessenbindungen und Nebenbeschäftigungen von Maisano. Allfällige Sanktionen können von einem Verweis bis zur fristlosen Entlassung reichen. Bis zum Abschluss der Untersuchung wurde der Klinikchef am Spital beurlaubt.

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