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Coronakrise Wie die Mafia italienische Krankenhäuser kontrolliert und Gewinne an Finanzmärkten wäscht

In italienischen Krankenhäusern verdient die Mafia mit (Symbolfoto)
In italienischen Krankenhäusern verdient die Mafia mit (Symbolfoto)
© Gianni Schicchi / DPA
Italien leidet unter der Coronakrise, die Mafia verdient daran. Im Süden des Landes beherrscht sie das Gesundheitswesen. Nun wurde aufgedeckt, dass die Mafia-Gewinne an den internationalen Finanzmärkten als Anlage gehandelt werden.

Italiens Wirtschaft ist von der Corona-Krise schwer getroffen, nur ein Sektor profitiert von der Krise: die Mafia. Die "Financial Times" deckte die kriminellen Machenschaften auf, die längst ganz normale Wirtschaftszweige erreicht haben. Drogenhandel und Prostitution sind immer noch Einnahmequellen, aber heute verdient die Mafia längst auch an gepanschtem Olivenöl und selbst an Tierheimen.

Mit dem Markteintritt der Mafiosi verändern sich ganze Branchen, denn sie sind nicht einfach Agrarier oder Bauunternehmer, sie bringen ihre alten Methoden mit. Während im TV gern die Militär-Lkws gezeigt wurden, die die Toten in Bergamo abtransportiert haben, erzählt die "FT" die Geschichte, wie die Mafia sich die Leichen sicherte. Denn Tote bringen Tausende von Euros.

Die Mafiosis der Bestattungsfirmen wussten schneller als die Angehörigen, welche Patienten verstorben waren. Sie hatten Zugang zu den Daten der Krankenakten. Wenn die Verwandten eintrafen, war die Bestattung schon vorbereitet. Und kaum jemand wagt es, den Mafia-Firmen zu widersprechen. "Sie prügeln sich fast gegenseitig um die kranken Patienten", sagte ein verängstigter medizinischer Mitarbeiter einem Kollegen in einem Gespräch, das von italienischen Anti-Mafia-Ermittlern aufgezeichnet wurde. Das medizinische Personal war machtlos. "Sie handeln mit einer unaussprechlichen Schamlosigkeit", so der Mitarbeiter. "Als die Angehörigen eintrafen, stellten sie fest, dass die Bestatter bereits da waren.

Gesundheitswesen im Griff der Mafia

Das Krankenhaus "gehört" der 'Ndrangheta. Diese Gruppierung aus Kalabrien kontrolliert den Kokainhandel mit Südamerika, daneben hat sie mit parasitären Strukturen den Staat und das Gesundheitswesen unterwandert. Sie besitzt Monopole für medizinische Dienstleistungen - vom Krankentransport bis zur Bestattung. Diese Gelder werden von einer Behörde in Rom verteilt, es fällt der 'Ndrangheta leicht, es in den eigenen Regionen mithilfe korrupter Beamter umzuleiten.

Kalabrien wäre auf dem Stand eines Drittweltstaates, wenn die Region nicht von Rom finanziert würde. Die Ermittler tun sich schwer gegenüber der 'Ndrangheta. In ihr konnten sich nie wirklich mächtige zentrale Instanzen durchsetzen. Es ist eine Graswurzel-Mafia, die aus einem undurchschaubaren Netz kleiner Gruppen besteht. Die Mitglieder dieser Gruppen sind alle miteinander verwandt, es ist unmöglich, Personen von außen einzuschleusen. Nur für größere Aktionen schließen sie sich zusammen.

Im Vergleich zu anderen Gruppierungen ist die 'Ndrangheta noch archaisch. Ihre Stärke ist die Verwurzelung in den Bergregionen Kalabriens, dort herrscht ein urtümlicher Ehrenkodex. Im Jahr 2011 musste die Tochter einer Familie Salzsäure trinken. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass Vater, Mutter und Bruder sie auf diese Weise umgebracht hätten, weil sie mit der Polizei gesprochen hatte. Der qualvolle Tod von Hand der eigenen Familie stellte die Ehre wieder her. Bewiesen werden konnte das nie.

Finanz-Know-How

Und doch gehören zu den archaischen Kriminellen ausgewiesene Finanzexperten dazu. "Einige der jüngeren Generation, mit denen ich zur gleichen Zeit aufgewachsen bin, haben Abschlüsse von der London School of Economics oder sogar von Harvard. Einige haben MBAs", sagte Anna Sergi, eine in Kalabrien geborene Kriminologin an der Universität von Essex, zur "FT". Sie leben außerhalb Kalabriens und erscheinen wie respektable Geschäftsleute, aber sind mit ihrem Fachwissen da, wenn es gebraucht wird.

Die "Financial Times" konnte nun aufdecken, wie dieses Geld in den internationalen Finanzzentren von London und Mailand gewaschen wurde. Rechnungen an das staatliche Gesundheitswesen wurden gesammelt, mit anderen Forderungen verschnitten und als Paket von Schuldverschreibungen weiterverkauft. Solche Finanzprodukte sind nicht neu. Schon die Finanzkrise 2008 in den USA wurde von Paketen mit Immobilienhypotheken verursacht. Diese Produkte implodierten, als der US-Immobilienmarkt zusammenbrach.

Produkte des Graumarktes

Die Idee der 'Ndrangheta ist eine andere: Die Rechnungen und Forderungen werden von den Mafia-Firmen getrennt. Die 'Ndrangheta bekommt dafür sofort sauberes Geld an den Finanzmärkten. Die Pakete werden dann beliebig gehandelt. Die Regierung in Rom begleicht die Schulden später nicht bei einer Mafia-Firma, sie überweist das Geld über Vermittler an ein unverdächtiges Finanzinstitut.

Das Ganze findet in einem Graumarkt statt. Keine Anleihe wurde von einer Rating-Agentur eingestuft und bewertet oder auf offiziellen Finanzmärkten gehandelt. Die Pakete werden quasi privat platziert. Käufer finden sich, weil die Anleihen einen sicheren Gewinn garantieren. Für die Käufer ist der Zusammenhang mit der Mafia nicht ersichtlich. Eine Anleihe umfasste unbezahlte Gesundheitsrechnungen in Höhe von 50 Millionen Euro. Schuldner war letztlich der Staat.

Das ganze Verfahren ist nicht ungewöhnlich. In vielen Ländern - auch Deutschland - lässt sich der Staat sehr viel Zeit, seine Rechnungen zu begleichen. Als Folge davon bieten die Handwerker und Dienstleister diese Rechnungen an. Sie nehmen einen Abschlag in Kauf, um liquide zu bleiben. Die "FT" untersuchte eine weitere Anleihe, die Rechnungen einer angeblichen Wohltätigkeitsgruppe enthielt, die sich um afrikanische Migranten kümmerte. Auch hier lenkte die Mafia das Geld aus Rom auf eigene Konten um.

Problem der Mentalität

In Kalabrien ist das Gesundheitssystem sehr teuer, die Krankenhäuser vollkommen überschuldet und die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sehr viel schlechter als in Norditalien. Fahnder sagten der "FT", das Problem läge auch an der Mentalität. Die 'Ndrangheta sei tief verwurzelt. Anti-Mafia-Ermittler waren schockiert, als sie in einem Krankenhaus die Gespräche der ganz normalen Mitarbeiter abhörten. Die witzelten darüber, ein Baby in einen kaputten Brutkasten zu legen. "Dieser Inkubator mit den geschmolzenen Drähten ist ekelhaft. Gott segne uns alle heute Abend. Ich werde zu Hause für den Säugling einen Rosenkranz beten."

Quelle: FT

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