Politik

Jan Korte im Interview "Kliniken müssen entprivatisiert werden"

Die Pandemie könnte Krankenhäuser an die Kapazitätsgrenze bringen.

Die Pandemie könnte Krankenhäuser an die Kapazitätsgrenze bringen.

(Foto: imago images/Ralph Lueger)

Knappe Betten und zu wenig Personal. Die Corona-Pandemie bringt Krankenhäuser und ein ganzes System an die Grenzen. Im Interview mit ntv.de spricht der Linken-Politiker Jan Korte von einer Teilschuld der Privatisierung und fordert ein schnelles Umdenken.

ntv.de: Herr Korte, die Corona-Krise ist mehr als nur ein Stresstest für das deutsche Gesundheitssystem. Ist das für Sie ein Anlass, dies als Folge eines teilprivatisierten Systems zu kritisieren?

Jan Korte: Der Engpass ist nicht ausschließlich dem privatisierten Gesundheitssystem geschuldet, aber das System trägt natürlich dazu bei. Denn ein System, das auf Marktlogik und Profit getrimmt ist, ist denkbar ungeeignet, um diese große Herausforderung aktuell zu managen. Das sieht man ganz einfach an den Zahlen. Viele Krankenhausbetten wurden nicht freigehalten, weil sie kein Geld bringen, wenn sie nicht belegt sind. Das ist ein Resultat des Systems. Deshalb sagen wir Linke ganz deutlich: Eine Lehre der Pandemie muss die Entprivatisierung der Krankenhäuser sein.

Um die Pandemie zu bewältigen, fordert Jan Korte unter anderem eine einmalige Vermögensabgabe.

Um die Pandemie zu bewältigen, fordert Jan Korte unter anderem eine einmalige Vermögensabgabe.

(Foto: imago/Ulli Winkler)

Sie forderten bereits zu Beginn der Pandemie eine "radikale Entprivatisierung des Gesundheitssystems". Inwieweit würde das die aktuellen Engpässe beheben?

Es wäre natürlich sehr vermessen, jetzt zu behaupten, es würde sofort alle Engpässe beheben. Aber man muss es jetzt einleiten. Um mal ein Beispiel aus dem Leben zu bringen: Meine Mutter war ihr ganzes Berufsleben Krankenschwester. Sie erzählt, dass es in den 1980er- und 1990er-Jahren vor dem Umsichgreifen des Profitdenkens für ähnlich viele Patienten wie heute doppelt so viel Personal gab und sie gegen Ende ihres Berufslebens die gleiche Arbeit mit nur noch der Hälfte der Belegschaft stemmen musste. Da erkennt man ganz klar, wo das Problem liegt. Dieser Weg ist ein Irrweg. Den wird man zwar nicht von heute auf morgen ändern können, aber politisch verantwortlich wäre es, jetzt den Wechsel einzuleiten.

Woher soll das Geld für diesen Wechsel kommen? Bei einer Verstaatlichung müssten erstmal alle privaten Krankenhäuser zurückgekauft werden, und dann kommen noch die laufenden Kosten der Kliniken dazu. Könnte sich der Staat das überhaupt leisten?

Geld gibt es in diesem Land genug. Die zentrale Frage ist nur, wie es verteilt ist. Die Linke fordert daher eine einmalige Vermögensabgabe. Es gibt in Deutschland 119 Milliardäre, die zusammen fast 550 Milliarden Dollar besitzen. Da kann man schlicht was abholen. Darüber hinaus ist der Staat ja auch nicht arm. Wenn man sich anschaut, in welchem Eiltempo der Bundestag Milliardensummen zur Verfügung stellen konnte, kann man doch keinem erzählen, dass kein Geld da ist.

Aber mal ganz ehrlich, wie realistisch ist Ihre Forderung? Kann man das System überhaupt noch umkrempeln?

Das ist durchaus realistisch, denn es ging ja auch früher anders. Ich bin zwar weit davon entfernt zu sagen, früher war alles besser. Aber in dem Bereich war es wirklich besser. Es gab früher in jeder Kommune ein Krankenhaus. Als ich Zivildienst geleistet habe, hatten wir in einem 35.000-Einwohner-Ort ein eigenes Krankenhaus. 1991 gab es noch rund 2.400 Krankenhäuser, aktuell sind es nur noch 1.925 Kliniken. Wir können in diesem Bereich heute auch mal was von der DDR lernen. Gerade jetzt wäre es sinnvoll, wenn wir flächendeckend Polikliniken hätten.

In staatlichen Systemen können Ärzte aber nicht annähernd das verdienen, was sie aktuell in privaten Kliniken bekommen. Würden gut ausgebildete Kräfte in staatlichen Systemen nicht abwandern und dann in Krisensituationen fehlen?

Das Argument wird öfter gezogen, aber ich glaube das nicht. Das wäre dann Aufgabe der Tarifparteien, für eine ordentliche Bezahlung zu sorgen. Es gibt ja Länder, in denen das alles in kommunaler Hand ist, und dort bleiben die Ärzte ja auch - schauen Sie nach Skandinavien. Der Staat hätte hier schlicht und einfach dafür zu sorgen, dass die Leute ordentlich bezahlt werden.

Von knapp 2000 Krankenhäusern sind mehr als 700 in privater Hand. Eine Verstaatlichung wäre ein enormer Aufwand. Könnte man daher in einem ersten Schritt nicht erstmal die Regulierungen ändern, bevor man die privaten Kliniken verstaatlicht?

Klar, vor allem jetzt in der Krise bräuchten wir erstmal eine Aussetzung der Fallpauschale, da sind sich auch Experten einig. Es muss der Grundsatz gelten, die bestmögliche medizinische Versorgung zu gewährleisten, egal wie lange sie dauert. Und das muss der Staat in einem ersten Schritt flächendeckend übernehmen.

Der Staat hat aber in den letzten Jahren seinen Anteil von Investitionen bei Krankenhäusern nicht immer erbracht. Muss der Staat sich aufgrund des hohen Investitionsstaus nicht auch an die eigene Nase fassen?

Das stimmt. Der immense Kostendruck im Krankenhausbereich hat zur aktuellen Situation geführt, daher muss dieser Druck weggenommen werden. Dennoch muss der Staat die Kosten für die Behandlung eines Patienten übernehmen, bis dieser wieder komplett gesund ist. Nur dann bekommt man eine Systemänderung hin. Das ist aber sehr theoretisch - man muss auch mal schauen, was das für den Patienten bedeutet. Zum Beispiel, wenn ein älterer Patient nach einer Operation frühzeitig entlassen wird, obwohl der Patient unsicher ist, ob er alleine klarkommt. Das sind Zustände, die bei der ganzen Debatte zu kurz kommen. Zu solchen frühzeitigen Entlassungen führt der Kostendruck in Krankenhäusern - Hauptsache schnell-schnell und möglichst viel Geld verdienen. Davon müssen wir weg.

Wenn ein Krankenhaus dann für die Dauer der Behandlung Geld bekommt, wird ein Patient damit nicht auch zum Kapital?

Nein, das war doch früher auch nicht so. Da hat man Patienten ja auch nicht wochenlang liegen lassen. Höchstens mal ein paar Tage mehr, bis der Arzt den Patienten mit bestem Gewissen entlassen konnte. Hinzu kommt, dass wir heute nicht nur weniger Kliniken, sondern auch ein Viertel weniger Betten haben als noch 1991 - bei steigender Anzahl von Patienten. Daran wird sich nichts ändern, also kann man auch keine Patienten unnötig lange auf Station lassen.

Nicht nur Krankenhäuser haben unter dem Investitionsstau der Länder gelitten. Auch die kommunale Verwaltung wurde extrem ausgedünnt. Mit dem Resultat, dass zum Beispiel Gesundheitsämter in der Corona-Krise stark unterbesetzt sind. Muss der Staat da nochmal ran?

Definitiv. Man hat die staatliche Infrastruktur über Jahre kurz und klein gespart, privatisiert und in weiten Teilen auch zerstört. Das rächt sich jetzt. Das waren Jahrzehnte des neoliberalen Irrwegs. Jetzt brauchen wir radikale Änderungen. Die Kommunen müssten jetzt Investitionen tätigen, die sie nicht aufbringen können. Daher muss man ihnen jetzt Förderprogramme ohne Eigenanteil ermöglichen, damit sie investieren können. Das gilt für alle Bereiche der Daseinsvorsorge - nicht nur für Krankenhäuser und Gesundheitsämter, sondern auch für den öffentlichen Dienst. Die Ämter und Behörden sind so ausgedünnt, da wartet man wochenlang auf einen freien Termin. Das sind doch keine Zustände für eines der reichsten Länder der Welt. Die Einstellung "weniger Staat, jeder kümmert sich um sich selber", könnte jetzt ans Ende kommen. Das wäre eine große Chance, die wir aus der Pandemie ziehen könnten. Wir könnten einen neuen Anlauf eines Miteinanders zwischen Bürger und Staat starten, daraus könnte dann eine neue Ära der Solidarität und des Gemeinsamen erwachsen. Das wäre vielleicht ein schönes Ergebnis in diesen schlimmen Zeiten.

Allerdings würde ein aufgestockter Verwaltungsapparat hohe Kosten verursachen. Die Pandemie kostet jetzt schon Milliarden. Deshalb nochmal, wo soll das Geld für Ihre Ideen herkommen?

Wie gesagt, Geld ist in diesem Land ohne Ende da. Wir brauchen die Vermögensabgabe, um jetzt die Milliardenkosten für die Pandemie zu bewältigen. Dann brauchen wir auch langfristig und dauerhaft eine Vermögenssteuer. Konkret gesagt, brauchen wir einen Spitzensteuersatz von mehr als 50 Prozent. Das gab es ja auch schon einmal unter Helmut Kohl - und der war sicher kein Sozialist. Es ist also möglich und da müssen wir wieder hin. Aktuell steckt der Staat sein Geld eher in Aufrüstung, statt in Schulen, Kitas und Krankenhäuser - das halte ich in diesen Zeiten für abartig!

Mit Jan Korte sprach Daniel Heyd

Quelle: ntv.de

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