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SG Aachen, Beschluss vom 18.11.2020 – S 13 KR 378/20 ER

Sachverhalt:

Das Krankenhaus begann im Dezember 2017 mit der Erbringung komplexer Eingriffe am Organsystem Ösophagus. Von Beginn an stellten die Landesverbände der Krankenkassen die Erbringung und Abrechnung dieser Leistungen streitig und sahen begründete erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Prognosen des Krankenhauses, aufgrund derer sie die Prognosen jeweils widerlegten. Die Widerlegungsentscheidungen wurden jeweils vom Krankenhaus beklagt. Bislang liegen noch keine Entscheidungen in den Hauptsachen vor. Anders als in den Vorjahren ordneten die Landesverbände der Krankenkassen die sofortige Vollziehung ihrer Widerlegungsentscheidung bezüglich der Prognose für 2021 an, sodass die aufschiebende Wirkung der Klage des Krankenhauses gegen diese Entscheidung entfiel (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG). Das Krankenhaus beantragte daher im einstweiligen Rechtsschutz die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.

Entscheidung:

Das SG Aachen gab dem Antrag am 18.11.2020 statt und ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Widerlegungsentscheidung an. Die vorzunehmende Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen fiel schon deshalb zugunsten des Krankenhauses aus, weil das SG Aachen die Widerlegungsentscheidung für offensichtlich rechtswidrig erachtete. Das Krankenhaus könne sich auf den Ausnahmetatbestand "Aufbau neuer Leistungsbereiche" gemäß Anlage 2 Nr. 3 der Mm-R (a. F.) berufen. Dieser setze weder eine vorherige Mitteilung des Krankenhauses noch eine vorherige Zustimmung der Landesverbände voraus und blieb durch die Neuregelung der Mm-R zum 01.01.2018 unberührt (§ 10 Abs. 3 Mm-R). Das SG Aachen ließ offen, ob die Widerlegungsentscheidung schon formal rechtswidrig war, weil mangels AOK Nordwest als zweiter AOK-Landesverband nicht alle Landesverbände an der Entscheidung mitwirkten (§ 136b Abs. 4 Satz 6 SGB V: "Die Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen"). Auch unabhängig von den Erfolgsaussuchten in der Hauptsache überwiegen nach Ansicht des SG Aachen die berechtigten Interessen des antragstellenden Krankenhauses und seiner Ärzte das Interesse an der Vollziehung der Widerlegungsentscheidung. Das SG Aachen sah keine anzuerkennenden Gründe für die mit der Sofortvollziehungsanordnung verbundene erhebliche Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen des antragstellenden Krankenhauses und der Berufsausübungsfreiheit der operierenden Ärzte.

Anmerkung:

In diesem Jahr haben die Landesverbände der Krankenkassen in NRW regelmäßig die sofortige Vollziehung ihrer Widerlegungsentscheidungen angeordnet. Infolgedessen genügte es nicht mehr, die Widerlegungsentscheidung zu beklagen (Die Frage der richtigen Klageart ist Gegenstand des Revisionsverfahrens B 1 KR 16/20 R). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung setzt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG ein besonderes Interesse voraus, das über das reine Interesse an der Vollziehung der Widerlegungsentscheidung hinausgehen muss. Ohne eine konkrete Patientengefährdung zu behaupten oder gar zu belegen, begründeten die Landesverbände die Anordnung der sofortigen Vollziehung damit, dass das Interesse des Patientenschutzes dem Erwerbsinteresse des Krankenhauses vorgehe. Dem ist das SG Aachen klar entgegengetreten. In der Sache widersprach das SG Aachen der Auffassung der Kostenträger, dass die Ausnahmetatbestände nach der Anlage zu den Mm-R (a.F.) eine vorherige Anzeige und eine Genehmigung der Kostenträger voraussetzen.


sg aachen s 13 kr 378 20 18112020 mm einstw rschutz (PDF, 1.12 MB)