«Müssten die Spitäler stets Kapazitäten für jede erdenkliche Art von Pandemie bereithalten, wäre das Gesundheitswesen sehr teuer»

Trotz der Spitalschliessung in Richterswil drohe kein Versorgungsengpass, sagt Jörg Gruber, Abteilungsleiter bei der Zürcher Gesundheitsdirektion. Dass gleich mehrere Spitäler in Turbulenzen steckten, habe zudem nur bedingt mit der Pandemie zu tun.

Jan Hudec 11 Kommentare
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Jörg Gruber, Abteilungsleiter bei der Zürcher Gesundheitsdirektion.

Jörg Gruber, Abteilungsleiter bei der Zürcher Gesundheitsdirektion.

Ennio Leanza / Keystone

In Richterswil wurde seit Jahrzehnten zum ersten Mal im Kanton Zürich wieder ein Spital geschlossen – und das mitten in der Corona-Pandemie. Beunruhigt Sie das?

Es ist natürlich nie schön, wenn ein Spital schliessen muss, sowohl für das Personal als auch für die Trägerschaft ist das eine grosse Belastung. Aus übergeordneter Perspektive kann ich aber sagen, dass keine Gefahr eines Versorgungsengpasses besteht. Es gibt in dieser Region ja weitere Spitäler, die nun zum Teil auch Leistungen des Paracelsus-Spitals übernehmen. Auch in Bezug auf die Versorgung von Covid-19-Patienten wird die Schliessung nicht zum Problem. Insbesondere was die knappen Plätze auf den Intensivstationen betrifft, sind es die grossen und mittelgrossen Spitäler, welche hier die Hauptlast tragen müssen und dies auch können.

Neben dem Paracelsus-Spital herrschen auch in anderen Spitälern gerade turbulente Zustände. In Bülach wurde der Spitaldirektor aus dem Amt gedrängt, die geplante Fusion zwischen Uster und Wetzikon droht zu scheitern, weil Uster in Finanzproblemen steckt, und kleine Spitäler wie jenes in Affoltern müssen ohnehin hart am Wind segeln. Was ist da los?

Diese Turbulenzen haben zum Teil unterschiedliche Gründe. Die Ursache ist aber nicht in der Corona-Pandemie zu suchen. Diese mag zwar finanzielle Einbussen hinterlassen, Finanzprobleme, wie sie die Spitäler in Richterswil oder Uster erleben, hatten sich jedoch schon vorher abgezeichnet. Corona hat hier eine Entwicklung höchstens noch akzentuiert. Die Spitäler stehen schon seit einigen Jahren in einem grösseren Wettbewerbsdruck und befinden sich deshalb in einem Strukturwandel, der nie ganz ruhig vonstattengeht.

Gerade jetzt in der Pandemie zeigt sich, wie wichtig es ist, dass die Spitäler genug Kapazitäten haben. Hat man es mit dem finanziellen Druck auf die Spitäler zu weit getrieben?

Die Politik will, dass das Kostenwachstum im Gesundheitswesen gedämpft wird. Und das entspricht auch einem Bedürfnis der Bevölkerung, die über die steigenden Krankenkassenprämien besorgt ist. Es war deshalb das Ziel der Revision des Krankenversicherungsgesetzes im Jahr 2012, einen gewissen Wettbewerb zwischen den Spitälern zu schaffen und mehr Gewicht auf Effizienz zu legen. Trotzdem haben wir immer noch eine hohe Spitaldichte im Kanton und hatten bis jetzt auch in der zweiten Welle neben der Betreuung von Covid-19-Patienten immer noch genug Kapazitäten für den Normalbedarf.

Die Pandemie hat nun aber die Wahrnehmung in vielen Bereichen verändert. Welche Lehren ziehen Sie daraus für die Spitalplanung?

Wenn die Pandemie oder zumindest die zweite Welle einmal zur Ruhe gekommen ist, dann werden wir sicher eingehend analysieren, wo es allenfalls Anpassungen braucht. Das muss aber in einer separaten Pandemieplanung erfolgen, wir können dies nicht mit der Spitalplanung mischen.

Wieso?

Die Spitalplanung machen wir alle zehn Jahre und versuchen darin, Bedarfsprognosen für die kommenden zehn Jahre zu machen. Dabei stützen wir uns auf die bisherige Nachfrage ab, beziehen aber auch demografische Daten mit ein wie beispielsweise die Alterung der Gesellschaft. Daraus leiten wir ab, welche Leistungen die Spitäler in Zukunft erbringen müssen. Hier noch eine mögliche Pandemie hineinzurechnen, würde die Sache extrem kompliziert machen. Zudem muss man sich auch vor Augen halten, dass eine neue Pandemie ganz anders verlaufen könnte und im Spital andere Bereiche gefragt wären als jetzt. Müssten die Spitäler stets Kapazitäten für jede erdenkliche Art von Pandemie bereithalten, wäre das Gesundheitswesen schlicht nicht mehr effizient und damit auch sehr teuer.

Wie soll die Spitalstruktur der Zukunft aussehen, wenn es nach der Gesundheitsdirektion geht? Und haben auch die kleinen Spitäler darin noch einen Platz?

Es ist sicher nicht unser Ziel, dass es in Zukunft im Kanton Zürich nur noch wenige Spitäler gibt. Auch kleinere Spitäler spielen also noch eine Rolle. Komplexe und seltene Operationen sollen in den grossen Zentrumsspitälern konzentriert werden, aber die erweiterte Grundversorgung sowie ambulante Leistungen können und sollen auch in den Regionen erbracht werden. Die Spitäler sollen dabei miteinander kooperieren, auch mit Hausärzten und ambulanten Zentren. Nicht jeder muss das ganze Spektrum abdecken. Und natürlich kann es auch sinnvoll sein, wenn ein kleineres Spital die eine oder andere Spezialität hat und damit eine Nische abdeckt.

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Patrick Brennecke

Natürlich können Spitäler sich nicht auf alle Eventualitäten vorbereiten, das ist selbstverständlich, Unklar jedoch scheint mir die Tatsache, dass Deutschland 34 Intensivbetten/100'000 Einwohner, die Schweiz 12 Intensivbetten/100'000 Einwohner und Italien 8 Intensivbetten/100'000 Einwohner in den Spitälern bereit halten. Woher kommen diese unterschiedlichen EInschätzungen und weshalb leistet sich die Schweiz einen Bruchteil dessen, was Deutschland tut?

Werner Moser

Nein. Spitäler müssen m.E. nicht Kapazitäten, für jede erdenkliche Art von Pandemie, bereithalten. Sehr wohl aber über Logistik-Konzepte verfügen, welche es den Spitälern erlaubt, innerhalb von nützlicher Frist - zusammen mit anderen Kreisspitälern - eventuell Notwendiges sofort auf die Beine stellen zu können. Das müsste möglich sein, um auch für besagte Versorgungsengpässe bereit zu sein, wenn es der "Teufel" denn so will. Ein Gesundheitswesen, ohne landesweit geknüpftes Netzwerk, sollte sich nicht wundern, wenn's beim Ernstfall versagt. Das bedingt, dass es keinen Platz für anderweitige Trubuelenzen hat, soll das Gesundheitswesen für alle möglichen Gegebenheiten "fitt" sein. Mit Einplanung modernster Arbeitsmittel und Logistik sollte es möglich sein, in der Schweiz auch in dieser Beziehung = top zu sein. Voraussicht und Vorplanung ist alles! Hoffe, dass dies heute in der Schweiz der Fall ist! Und zwar zu Preisen, die nicht teuer-, aber preiswert sind!