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Mehr Pflege-Azubis, aber nicht genug: Hessen auf bundesweit letztem Platz

Selina Wang
Hessen auf letztem Platz: Im Land kommen auf einen Pflege-Azubi 784 Einwohner. © Klinikum Nürnberg/dpa (Symbolfoto)

Die neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes offenbaren ein ambivalentes Bild: Deutschlandweit gibt es zwar einen neuen Ausbildungsrekord bei den Pflegeberufen, es offenbaren sich aber große Unterschiede beim Ausbildungsengagement in den Bundesländern.

Fulda/München - Zunächst die gute Nachricht: Noch nie gab es ein so großes Interesse an einer Ausbildung in den Pflegeberufen, und noch nie gab es so viele Auszubildende auf dem Weg zur Pflegefachkraft. Ohne Zweifel: Das Schuljahr 2019/2020 war ein Rekordjahr in Sachen Pflegeausbildung in Deutschland.

Nach den neuen Zahlen, die das Statistische Bundesamt turnusgemäß vorlegte, absolvierten im Schuljahr 2019/2020 mehr als 150.000 Schüler eine dreijährige Ausbildung zur examinierten Pflegefachkraft. 74.760 Schüler befanden sich in einer Ausbildung in der Altenpflege, 67.137 in der Gesundheits- und Krankenpflege und schließlich 8295 Azubis in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege.

Im Schuljahr 2018/2019 lag die Zahl der Auszubildenden noch bei 142.446 und im Schuljahr 2017/2018 bei insgesamt knapp über 140.000. In den vergangenen drei Schuljahren hat sich damit die Ausbildungszahl in den drei Pflegeberufen um absolut 10.000 Personen, die eine Pflegeausbildung absolvierten, gesteigert.

Hessen auf letztem Platz: Mehr ältere Menschen als Pflege-Azubis nachkommen

Die große öffentliche Freude über diese Ausbildungszahlen in der Pflege ist richtig und angebracht. Denn in unserer Gesellschaft des langen Lebens, in der immer mehr Menschen ein „gesegnetes Alter“ erreichen dürfen, sind gut ausgebildete Pflegekräfte für die Begleitung und Betreuung von hochbetagten Menschen wichtig. Und unser auch international angesehenes Gesundheitswesen braucht in den Kliniken und Krankenhäusern ebenso exzellentes Pflegepersonal.

Die schlechte Nachricht: Diese absoluten Zahlen sind zwar sehr erfreulich, haben aber nur eine begrenzte Aussagekraft. Sie verraten nur wenig darüber, wie wirksam die deutsche Pflegeausbildung ist und ob sie mit gesellschaftlichen Entwicklungen und Herausforderungen Schritt halten kann. So offenbart ein differenzierter Blick ein Bild mit großen regionalen Unterschieden in den Bundesländern, Rückschritten in den vergangenen Jahren und einer zumindest zweifelhaften Demografiefestigkeit.

Der Autor

Dr. Stefan Arend (57), Sozialmanager und Publizist in München, begleitet und berät Unternehmen und Institutionen in Fragen des demografischen Wandels und einer Gesellschaft des langen Lebens. Er hat mit dem „PIX – Pflegeausbildungsindex“ erstmals ein Analysetool zur Pflegeausbildung in Deutschland entwickelt.

Zunächst ist nicht weiter verwunderlich, dass bei den absoluten Ausbildungszahlen die Werte in den Bundesländern – allein schon aufgrund der stark differierenden Größe und den Einwohnerzahlen der Länder – sehr unterschiedlich ausfallen. Die großen Flächenstaaten Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bildeten im Schuljahr 2019/2020 zusammen allein 92.291 angehende Pflegefachkräfte aus (61,4 Prozent). Bei der Altenpflege waren es 46.160 (61,7 Prozent), in der Gesundheits- und Krankenpflege 40.715 (60,6 Prozent) und in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 5416 (65,3 Prozent).

In Hessen kommen auf einen Pflege-Azubi 784 Einwohner

Hessen belegt mit 8016 Auszubildenden einen „guten, oberen Mittelplatz“ im Ranking der Bundesländer. Hier absolvierten 2981 Schüler eine Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege, 364 in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und 4671 in der Altenpflege. Im Schuljahr 2018/2019 gab es in Hessen insgesamt 7720 Pflegeauszubildende, das macht ein Plus bei den Ausbildungszahlen in einem Schuljahr um absolut 296.

Bildet man allerdings Kennzahlen und setzt zunächst diese absoluten Zahlen in Beziehung zu den Einwohnerzahlen der Länder und ermittelt somit, wie viele Einwohner auf jeweils einen Pflegeauszubildenden kommen, dann ergibt sich ein deutlich anderes Bild. Im Saarland kommen demnach aktuell 331 Einwohner auf einen Pflegeschüler, beim Schlusslicht dieser Auswertung, Hessen, sind es hingegen 784 Einwohner, im vergangenen Schuljahr waren es hier sogar noch 808. Der Wert für Deutschland insgesamt liegt bei 553 Einwohner pro Schüler.

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Kennzahl Einwohner im Alter 80+/Pflegeauszubildende. Auch hier weist das Saarland mit 25 Einwohnern im Alter über 80 Jahren pro Pflegeschüler deutschlandweit die besten Werte auf, und Hessen ist auch hier mit einem Verhältnis 50:1 Schlusslicht, wie auch schon im Jahr zuvor.

Damals kamen allerdings noch 47 Einwohner im Alter von über 80 Jahren auf einen Pflegeschüler. Das heißt, dass die leichte Steigerung der Ausbildungszahlen in Hessen bei Weitem nicht mit der allgemeinen Alterung im Lande Schritt halten kann. Denn die Zahl der über 80-Jährigen in Hessen nahm von 368.029 zum Jahresende 2018 auf 404.039 zum Jahresende 2019 zu, ein Plus von immerhin 36.010 Personen. Diese Entwicklung sieht man in vielen Bundesländern wie Brandenburg, Thüringen, Schleswig-Holstein oder Bayern. Auch diese Länder konnten zwar ihre absoluten Ausbildungszahlen steigern, aber das Verhältnis von Azubis und Menschen im Alter 80+ wurde aber auch dort (zum Teil deutlich) schlechter.

Video: Konzertierte Aktion Pflege soll Notstand beheben

Betrachtet man als eine dritte Kennzahl allein die Altenpflegeausbildung und die Anzahl der Pflegebedürftigen, dann ergibt sich deutschlandweit ein Verhältnis von 46 Pflegebedürftigen auf einen Auszubildenden in der Altenpflege. Auch hier steht das Saarland mit einem Verhältnis 28:1 an der Spitze des Rankings, Mecklenburg-Vorpommern bildet mit 78:1 das Schlusslicht. Für Hessen lässt sich hier ein Verhältnis von 56 Pflegebedürftigen auf einen Pflegeschüler festhalten.

Auch wenn jede Kennzahl nur eine Vereinfachung höchst komplexer Sachverhalte ist, so zeigt die Analyse doch deutlich, wie unterschiedlich das Engagement in den Bundesländern bei der Pflegeausbildung ist. Und die Indizien sind eindeutig, dass einige Länder deutlich besser für die jetzigen und künftigen Pflegeaufgaben gerüstet sind als andere, bei denen sich schon jetzt große Personallücken abzeichnen. Für diese Länder wird es schwierig werden, allein die bisherigen Qualitätsstandards in der pflegerischen Versorgung ihrer Mitbürger zu sichern.

Dabei macht besonders große Sorgen, dass zwar 71.300 Auszubildende im Schuljahr 2019/2020 eine Ausbildung in einem Pflegeberuf begonnen, gleichzeitig aber nur rund 44.900 ihre Ausbildung nach drei Jahren erfolgreich absolviert haben. Dies offenbart eine große „Abbrecherquote“. Auch hier müssen genaue Analysen und eine Ursachenforschung folgen. Es wäre aber ein wichtiges Ziel für die Konzertierte Aktion Pflege (KAP): Reduzierung der Abbrecherquote um 10 Prozent, besser vielleicht gleich um 20 Prozent. (Von Stefan Arend)

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