Wie die Wirtschaftselite hinter den Kulissen spricht – Seite 1

Vor wenigen Wochen deckte Kai Diekmann einen Skandal auf. Auf Twitter schlug der ehemalige Bild-Chefredakteur Alarm: Unbekannte hätten sich als ein erfundenes "Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe" ausgegeben. Ihre ausgeklügelte Website war kaum von einer echten Behördenseite zu unterscheiden. Peter Altmaier warb dort angeblich für das Amt, es sei "wichtiger Pfeiler in der Stabilisierung der deutschen Wirtschaft".

Vertreter der Fake-Behörde hatten sich in den Chefetagen deutscher Konzerne gemeldet und um Telefontermine gebeten, es sollte um die Lage der Wirtschaft und Corona-Zuschüsse gehen. Das Bundesinnenministerium warnte schließlich vor den Betrügern, die Seite wurde gesperrt. Auch Rolf Schmitz, Vorstandsvorsitzender von RWE, war auf das Amt hereingefallen. "So professionell wie die Aktion aufgezogen war, scheint kriminelle Energie dahinterzustecken", klagte er in der Zeitung Die Welt.

Doch der Manager war keiner Betrügerbande auf den Leim gegangen, sondern dem Kunstkollektiv Peng!. Getarnt als Beamte einer falschen Bundesbehörde haben die Künstler deutschen Unternehmen Telefonstreiche gespielt und verarbeiten den Stoff nun in einer Theaterperformance. In Hamburg wird im Kulturzentrum Kampnagel eine Installation zu sehen sein, online gibt es ein Video dazu. Schauspieler sprechen nach, was in einem Gedächtnisprotokoll der Telefonate festgehalten wurde. Neben RWE hatten sich auch andere Firmen auf Gespräche mit dem angeblichen "Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe" eingelassen – unter anderem der Fleischproduzent Westfleisch, BMW, Vonovia, die Gesundheitsunternehmen Asklepios und Helios und der Hamburger Flughafen.

Anfang Juli, in einer WG in Berlin-Neukölln haben die Künstler ein behelfsmäßiges Filmstudio aufgebaut. Von hier aus will das Peng!-Kollektiv die Vorzimmer der Macht stürmen. Die Aktivistin, die als Anja de Vries mit den Managern sprechen wird, trägt eine Perücke, Farbe: Grau wie der Alltag im Bundeswirtschaftsministerium. Hinter ihr im Regal stehen Wirtschaftsfachbücher – hier könnte tatsächlich das Homeoffice einer Staatssekretärin sein. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass in dieser Bibliothek Werke stehen, die deutsche Beamte wohl eher nicht lesen. Auf einem lila Einband steht in freundlichen weißen Lettern: Anarchism. 

"Wie wäre es zum Beispiel mit Vergesellschaftung?"

Anja de Vries, die ihren richtigen Namen nicht öffentlich machen will, kommt nicht aus der Kunst. Sie war früher Menschenrechtsanwältin, hat lange für einen Verein gearbeitet, der Opfer von internationalen Konzernen vor Gericht vertritt, etwa bei Chemieunfällen oder wenn Arbeitsrechtsstandards verletzt wurden. Mit der Künstlergruppe kann sie jetzt eine ganz andere Strategie verfolgen. Radikale Veränderungen, sagt sie, seien dringend: "Wir haben keine Zeit für jahrzehntelange Gerichtsverhandlungen, die Klimaveränderung steht vor der Tür! Das spüren wir in Deutschland vielleicht noch nicht so stark, aber Bauern in Ländern wie Indien schon." Mit den Telefonaten sei ein radikaler Ansatz möglich. "Hier konnten wir sagen: Wie wäre es zum Beispiel mit Vergesellschaftung? Im Menschenrechtsdiskurs redet man nie mit den Unternehmen über den Aufbau einer neuen Wirtschaft."

Man wolle mit der neuen Aktion zeigen, dass Großunternehmen überhaupt nicht bereit seien, ihr Handeln zu verändern, um die Klimakrise aufzuhalten und soziale Gerechtigkeit herzustellen, erklärt ein Aktivist, der sich Thomas von Wulfen nennt. Der aufgedrehte Mann Mitte dreißig, der eine pinke Corona-Maske zur orangefarbenen Hose kombiniert, ist bei Peng! dabei, seit sich das Kollektiv 2013 formierte. Die Gründer kannten sich aus der NGO-Szene. Heute setzt sich für jede Aktion spontan eine Gruppe zusammen, oft aus Aktivistinnen, Theaterleuten und Künstlerinnen. Das Ziel ist politischer Aktivismus, Kunst nur die Form. Bekannt wurde Peng!, als sie falsche Forscher in einen Wissenschaftswettbewerb des Energieunternehmens Shell einschleusten. Ihre angebliche Wundermaschine zur Herstellung sauberer Energie versagte während der Präsentation – und übergoss das Publikum mit Erdöl.

Die Gruppe sieht sich in der Tradition von Adbusters, sie betreibt culture jamming: Sie kopiert die Ästhetik der Werbewelt, um satirisch gegen Konsumismus und Kapitalismus vorzugehen. Vergangenes Jahr forderte sie etwa Werber auf, Pläne für Kampagnen zu leaken, um sie sabotieren zu können. Ein andermal veranstaltete Peng! als PR-Abteilung von Vattenfall eine Pressekonferenz, in der man verkündete, der Energiekonzern übernehme Verantwortung für den Klimawandel. "Die Wirtschaft handelt am Rande der Legalität", so erklärt von Wulfen den Reiz von Sabotageaktionen und Streichen. "Die lassen sich das dann von Anwälten zurechtkitten. Warum können wir das nicht tun?"

"Ich glaub, Sie kriegen Ärger"

Bei den Telefonstreichen gehe es auch darum, zu beweisen, dass man aus jeder WG die wichtigsten CEOs anrufen kann, um mit ihnen über Politik und Wirtschaft zu diskutieren. "Wir wollen den Zentren der Macht zeigen, dass wir an sie rankommen." Für einen kurzen Moment wird diese Macht tatsächlich sichtbar. Inhaltlich ist das nicht so überraschend, wie Peng! es gerne hätte. Aber es erstaunt doch, wie selbstverständlich Manager Subventionen einfordern und sich Mitsprache zugleich verbitten. Was Peng! mit der Aktion erreicht hat: Wir alle stehen jetzt mit im Sitzungszimmer. Jeder kann in der Kunstinstallation zuhören, wie die Wirtschaftselite hinter den Kulissen spricht – oder die von Peng! angefertigten Gedächtnisprotokolle im Internet nachlesen, aus denen auch die folgenden Zitate entnommen sind.

Die Gespräche laufen oft ähnlich ab: Reife Männerstimmen liefern kurze Analysen zur Wirtschaftslage, drängen zur Produktivität – und wehren Vorschläge dazu ab, wie sie sich auf den Klimawandel vorbereiten oder sich strikt am Gemeinwohl orientieren könnten. Besonders ungläubig reagieren sie auf die Idee, mehr staatliche Lenkung zuzulassen. Als de Vries etwa vorschlägt, den Krankenhausbetreiber Helios in kommunale Hand zu überführen, wird der Vorstandsvorsitzende unruhig. Das Bundeswirtschaftsministerium erwägt Verstaatlichungen? "Wir halten davon nichts." Er verteidigt das Profitinteresse und die Gewinnausschüttung an Aktionäre – auch öffentliche Krankenhäuser würden Gewinne an den Staat abführen, das sei "im Endeffekt nichts anderes". Manchmal geben sich die Manager aber erstaunlich verständnisvoll: Der Vertreter von BMW etwa findet, Eingriffe in Schlüsselindustrien könnten verständlich sein – aber nicht bei seinem Konzern.

Der Anruf bei Rolf Schmitz, dem Vorstandsvorsitzenden von RWE, verläuft weniger gemütlich. Schmitz ist angespannt, man merkt, das Unternehmen steht in der Kritik. Er unterbricht Anja de Vries häufig. De Vries will wissen, ob sich angesichts des Klimawandels die Wirtschaft nicht von der Wachstumslogik verabschieden müsse. "Nein, auf keinen Fall. Ich halte das für ziemlichen Unsinn, was Sie da suggerieren", wehrt sich Schmitz. "Dass wir uns alle gegenseitig die Haare schneiden und ähnliches", erklärt er, "wird überhaupt nicht funktionieren."

Der CEO von RWE legt auf

Schmitz nennt die Idee, das Wirtschaftswachstum zu beschränken, einen "historischen Fehler". Er würde sich "vehement mit allem, was ich kann, dagegen aussprechen". Gegen de Vries' Einwand, der Klimawandel erzwinge einen radikalen Umbau der Wirtschaft, führt er technische Innovation ins Feld. Als Beispiel nennt er die neue virtuelle Meetingkultur, die weniger Reisen erforderlich mache. Blöd nur: Das Argument wird live untergraben von technischen Problemen, das Telefongespräch ist abgehackt, der CEO legt auf.

Wenige Stunden später ruft Schmitz überraschend wieder an und will wissen, wer die Behörde leitet. Er hat gemerkt, dass ihm ein Streich gespielt wurde. "Ich weiß ja nicht, für welches Satiremagazin Sie arbeiten, aber dieses Amt gibt es nicht, wo Sie sind." Bevor er auflegt, droht er noch: "Ich glaub, Sie kriegen Ärger." Einige Tage später warnt Kai Diekmann auf Twitter vor der Fake-Seite. Doch wie hat er davon erfahren?

Die Aktionsformen mögen radikal erscheinen, aber der moralische Anspruch, den Peng! an die Konzerne heranträgt, wirkt reichlich naiv: "Leute in Machtpositionen sollten doch im Sinne des Gemeinwohls handeln, nicht nur nach Profitinteressen. Sonst können wir noch zehn Jahre SUV fahren, dann fahren wir aber auch die ganze Gesellschaft gegen die Wand", sagt Anja de Vries. Aber wer glaubt wirklich, dass Konzerne freiwillig das Gemeinwohl über den Shareholder-Value stellen? Vielleicht nimmt das Künstlerkollektiv hier nur eine Vorstellung auf, die in der Mitte der Gesellschaft weit verbreitet ist: Wenn doch nur einzelne Machtträger die moralisch richtigen Entscheidungen fällen würden, müssten wir unser Leben kaum ändern, um den Klimawandel zu verhindern und sozial gerechter zu wirtschaften. Doch das Handeln Einzelner wird die Welt nicht retten können, selbst wenn die Einzelnen sie retten wollten.

Und die Aktion von Peng! zeigt: Sie wollen es wohl gar nicht.

Korrekturhinweis: In einer ersten Fassung hatten wir das Energieunternehmen RWE in einer Aufzählung der an den Gesprächen beteiligten Firmen zweimal genannt. Diesen Fehler haben wir korrigiert. Die Redaktion