S 20 KR 126/15 WA

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Neuruppin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 20 KR 126/15 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klagen werden abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird endgültig auf einen Betrag in Höhe von 3.544,12 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt als Trägerin des A-Klinikums in B. von der Beklagten die Zahlung der Vergütung für eine stationäre Entbindung einer polnischen Staatsbürgerin und für die Behandlung des Neugeborenen.

Neben diesem Klageverfahren waren bei dem Sozialgericht Neuruppin ursprünglich weit über 100 weitere Verfahren anhängig. Gegenstand waren und sind dabei jeweils ein Vergütungsanspruch wegen einer stationären Entbindung, teils mit Bezug auf die Mütter, teils mit Bezug auf die Säuglinge. Die Klagen richteten und richten sich nicht nur gegen die Beklagte dieses Verfahrens, sondern auch gegen andere Krankenkassen.

Nachdem in der Republik Polen Flyer aufgefunden worden waren, mit denen das Klinikum der Klägerin polnische Staatsbürgerinnen auf die Möglichkeiten der Entbindungsbehandlung bei der Klägerin hingewiesen hatte, leitete die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) ua aufgrund von durch die Beklagten erstatteten Strafanzeigen Ermittlungsverfahren gegen die Ärzte wegen Untreue, gegen den Geschäftsführer der Klägerin wegen Anstiftung zur Untreue und gegen die polnischen Staatsbürgerinnen, die sich zur Entbindungsbehandlung in das Klinikum der Klägerin begeben hatten, wegen Beihilfe zur Untreue ein; bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) waren nach telefonischen Auskünften bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) deshalb etwa 360 Ermittlungsverfahren anhängig. Soweit ersichtlich ist es in keinem der Verfahren zu einer strafgerichtlichen Verurteilung gekommen.

In der weit überwiegenden Zahl der Verfahren haben die dortigen Beteiligten – nach teilweise bis zu etwa zehn Jahren andauernden Vergleichsverhandlungen – einen den Prozess beendenden Vergleich geschlossen.

Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin für die vom 02. Juli 2007 bis zum 08. Juli 2007 erfolgte Entbindungsbehandlung der im Juli 1978 geborenen polnischen Staatsbürgerin Frau C. sowie für die Behandlung ihres am 02. Juli 2007 geborenen Sohnes D. Kostenerstattung in Höhe eines Betrages von 2.712,12 Euro (hinsichtlich der Mutter) und in Höhe eines Betrages von 832,00 Euro (hinsichtlich des Neugeborenen).

Ausweislich des medizinischen Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen Berlin-Brandenburg e. V. vom 29. November 2007 lagen bei der Aufnahme von Frau C. am 02. Juli 2007 um 08.15 Uhr im Klinikum der Klägerin eine überregelstarke Blutung und ein Verdacht auf eine Placentaablösung vor.

Nachdem die Klägerin die Kostenerstattung für die Behandlung der Frau C. bei der Beklagten erfolglos außergerichtlich geltend gemacht hatte, hat sie mit Schriftsatz vom 17. April 2008 – bei dem Sozialgericht Neuruppin am 22. April 2008 eingegangen und (zwischenzeitlich) unter dem gerichtlichen Aktenzeichen S 20 KR 126/15 WA registriert – Klage erhoben, mit der sie ihr auf Kostenerstattung gerichtetes Begehren weiter verfolgt. Daneben hat sie – nach ebenfalls erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung – wegen der Kostenerstattung für die Behandlung des Neugeborenen mit Schriftsatz vom 13. Mai 2009 – bei dem Sozialgericht Neuruppin am 14. Mai 2009 eingegangen und (zwischenzeitlich) unter dem gerichtlichen Aktenzeichen S 20 KR 24/15 WA registriert – eine weitere Klage erhoben. Sie meint, Frau C. sei auf Basis ihrer europäischen Krankenversicherungskarte aufgrund einer medizinischen Notfallindikation behandelt worden, weshalb die Beklagte die Kosten hierfür – einschließlich der Kosten der Behandlung des Neugeborenen – zu tragen habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.712,12 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. September 2007 zu zahlen

und ferner

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 832,01 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. September 2007 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Sie steht auf dem Standpunkt, die Kostenerstattungsansprüche stehen der Klägerin jedenfalls deshalb nicht zu, weil sich Frau C. gezielt zum Zwecke der Entbindung in die Bundesrepublik begeben habe und daher ein Missbrauch supra-nationalen Rechts gegeben sei.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Gericht die Verfahren mit Beschluss vom 01. Juli 2019 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden gerichtlichen Aktenzeichen S 20 KR 124/15 WA miteinander verbunden.

Das Gericht hat die Beteiligten zudem mit Verfügung vom 02. Juli 2019 zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Prozessakte, die Patientenakten der Klägerin sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Klagen, über die die Kammer gemäß § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden konnte, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist, die Beteiligten zuvor mit gerichtlicher Verfügung vom 02. Juli 2019 zu dieser beabsichtigten Entscheidungsform ordnungsgemäß angehört worden sind und zu der deren ausdrückliche Zustimmung nicht erforderlich ist, haben keinen Erfolg.

1. Das auf Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der Behandlungskosten für Frau C. und ihren Sohn D. gerichtete Begehren ist – jeweils – als echte Leistungsklage statthaft (vgl § 54 Abs 5 SGG) und auch im Übrigen zulässig.

2. a) aa) Die zulässigen Klagen sind jedoch unbegründet, weil der Klägerin die geltend gemachten Vergütungsansprüche nicht zustehen. Rechtsgrundlage der geltend gemachten Ansprüche ist im Grundsatz – wie sonst auch – die Regelung des § 109 Abs 4 S 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) iVm § 7 S 1 Nr 1 des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) sowie § 17 b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht dabei – unabhängig von einer Kostenzusage – im Grundsatz unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch einen Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iSv § 39 Abs 1 S 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist.

bb) Die Vergütung für Krankenhausbehandlung der Versicherten bemisst sich bei DRG-Krankenhäusern wie jenem der Klägerin nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge, Fallpauschalenvereinbarungen (FPV)) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung vereinbaren gemeinsam nach § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als "Vertragsparteien auf Bundesebene" mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den FPV auf der Grundlage des § 9 Abs 1 S 1 Nr 3 KHEntgG (vgl zum Ganzen: Bundessozialgericht Urteil, vom 09. April 2019 – B 1 KR 27/18 R, RdNr 11f).

b) Weil Frau C. und ihr Sohn D. indes keine (originär) Versicherten im oben dargestellte Sinne sind, kann sich ein Anspruch der Klägerin hier – so wie es die Beklagte bereits zutreffend dargelegt hat – in Ergänzung zu den oben dargestellten Regelungen nur aus Art 22 Abs 1 a) i) der Verordnung Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu – und abwandern (VO (EWG) Nr 1408/71) ergeben. Deren Voraussetzungen liegen allerdings nicht vor.

aa) Nach Art 22 Abs 1 a) i) VO (EWG) Nr 1408/71 hat ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Artikels 18, erfüllt und bei dessen Zustand sich Sachleistungen während eines Aufenthalts im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats unter Berücksichtigung der Art der Leistungen und der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer als medizinisch notwendig erweisen, Anspruch auf Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts – oder Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre, wobei sich die Dauer der Leistungsgewährung sich nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates richtet. Gemäß des Beschlusses Nr 195 vom 23. März 2004 über die einheitliche Anwendung von Artikel 22 Abs 1 a) i) VO (EWG) Nr 1408/71 werden (auch) Sachleistungen bei Schwangerschaft und Entbindung, die sich während eines vorübergehenden Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat als notwendig erweisen, gemäß Art 22 Abs 1 a) i) VO (EWG) Nr 1408/71 auf Rechnung des zuständigen Trägers erbracht. Nach Art 22 Abs 3 VO (EWG) Nr 1408/71 findet ua Art 22 Abs 1 VO (EWG) Nr 1408/71 entsprechend auf die Familienangehörigen Anwendung.

bb) Es kann offen bleiben, ob die im Einzelnen dargelegten Voraussetzungen gegeben sind, weil die Kammer – in Übereinstimmung mit der Auffassung der Beklagten – davon ausgeht, dass solche Ansprüche jedenfalls dann ausgeschlossen sind, wenn sich die Betreffende lediglich zum Zwecke der Entbindung und Behandlung in den anderen Staat begibt, wenn sich die medizinische Behandlungsbedürftigkeit also nicht gelegentlich des vorübergehenden Aufenthalts im Sinne der soeben dargestellten Voraussetzungen ergibt, sondern die Betreffende gezielt zur Entbindung in den anderen Staat einreist. In diesem Fall liegt ein Missbrauch supra-nationalen Rechts vor, der sämtliche Vergütungsansprüche gegen die in Anspruch genommenen Träger von vornherein ausschließt. So liegt es hier.

Das Gericht ist – ebenso wie die Beklagte – davon überzeugt, dass Frau C. ausschließlich zur Entbindung in die Bundesrepublik gereist ist, um sich in dem Klinikum der Klägerin behandeln zu lassen. Insoweit hat die Beklagte unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Sachverständigen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen Berlin-Brandenburg e. V. in ihrem Sachverständigengutachten vom 29. November 2007 überzeugend dargelegt, dass Frau C. – aus medizinischen Gründen – unbedingt damit rechnen musste, am 02. Juli 2007 ein Krankenhaus zur Entbindung aufsuchen zu müssen, weil bei ihrer Aufnahme im Klinikum der Klägerin jedenfalls eine überregelstarke Blutung sowie der Verdacht auf eine Placentaablösung gegeben waren, so dass touristische Gründe für die Einreise am 02. Juli 2007 nicht vorgelegen haben können und damit ein "vorübergehender Aufenthalt" im Sinne der dargestellten Anspruchsvoraussetzungen nicht vorgelegen hat. Gegen einen vorübergehenden Aufenthalt im Sinne der oben dargestellten Anspruchsgrundlagen spricht zudem, dass die von Frau C. unterzeichnete Dokumentation keine Adresse in der Bundesrepublik aufweist, worauf auch die Beklagte zu Recht hingewiesen hat. Mit Blick auf die Entfernung zwischen ihrem Wohnort und der Klinik der Klägerin, die die Beklagte unwidersprochen mit 56 Kilometern angegeben hat, und mit Blick auf die Uhrzeit der Aufnahme um 08.15 Uhr geht auch das Gericht davon aus, dass Frau C. erst kurz vor der Klinikaufnahme nach Deutschland eingereist ist und sich nach dem medizinischen Befund nicht zu einem anderen als dem Behandlungszweck in der Bundesrepublik aufgehalten, sondern sich erst nach dem Auftreten der beschriebenen Symptome gezielt aus der Republik Polen in das Klinikum der Klägerin in die Bundesrepublik begeben hat. Weil im Übrigen bereits aufgrund der dargelegten medizinischen Tatsachen ein Vergütungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte nicht bestehen kann, ist auch eine Beweisaufnahme durch Einvernahme von Frau C. als Zeugin nicht entscheidungserheblich.

c) Wenn danach Vergütungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte hinsichtlich Frau C. nicht bestehen, gilt Gleiches – aus den identischen Gründen – auch für Vergütungsansprüche hinsichtlich der Behandlung ihres Sohnes D. (vgl dazu erneut Art 22 Abs 3 VO (EWG) Nr 1408/71).

3. Mangels eines bestehenden Hauptanspruches besteht auch der begehrte Verzinsungsanspruch von vornherein nicht, weshalb offen bleiben kann, ob Zinsen überhaupt in dem beantragten Umfang erfolgreich begehrt werden könnten.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO.

5. Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und Abs 3 S 1, § 39 Abs 1 sowie § 47 Abs 1 des Gerichtskostengesetzes.

Rechtsmittelbelehrung:
( ...)

E.
Richter am Sozialgericht
Rechtskraft
Aus
Saved