Kommentar

Die Schlammschlacht um die «Affäre Maisano» schadet dem Zürcher Universitätsspital – jetzt muss endlich Ruhe einkehren

Versagen auf verschiedenen Ebenen hat dazu geführt, dass der Streit um die Zürcher Herzchirurgie eskaliert ist. Es braucht eine schonungslose Untersuchung, die auch jene Probleme analysiert, die bis jetzt weitgehend unter der Oberfläche geblieben sind.

Jan Hudec 6 Kommentare
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In der Medizin wird normalerweise klar zwischen Gut und Schlecht getrennt, wie hier in der Brandverletztenstation des Zürcher Universitätsspitals. In der «Affäre Maisano» hingegen ist noch viel im Unklaren.

In der Medizin wird normalerweise klar zwischen Gut und Schlecht getrennt, wie hier in der Brandverletztenstation des Zürcher Universitätsspitals. In der «Affäre Maisano» hingegen ist noch viel im Unklaren.

Ennio Leanza / Keystone

Es wirkt wie eine Entlassung auf Raten. Am vergangenen Freitag hat das Universitätsspital Zürich bekanntgegeben, dass der Klinikdirektor der Herzchirurgie, Francesco Maisano, in seinem Amt eingestellt wurde. Das bedeutet, dass er bis auf weiteres sämtlicher Funktionen enthoben ist. Zunächst war dem umstrittenen Chirurgen vom Spital noch der Rücken gestärkt worden, plötzlich kam es zur Beurlaubung, die später dann auf unbestimmte Zeit verlängert wurde.

Die Einstellung im Amt ist nun die jüngste Volte in einer Affäre, die längst zur Schlammschlacht geworden ist. Hunderte Artikel über den Herzchirurgen sind in den letzten Monaten erschienen. Und hinter den Kulissen wird von allen Seiten fleissig intrigiert.

Wenn man die Fakten einmal bei Lichte betrachtet, kommt man nicht umhin, sich zu fragen, wie diese Angelegenheit solche Dimensionen annehmen konnte. Angefangen hat alles damit, dass ein Whistleblower bei der Spitaldirektion diverse Vorwürfe gegen Maisano vorbrachte. Das USZ hat daraufhin eine Untersuchung beim Anwaltsbüro Walder Wyss in Auftrag gegeben. Publik wurde die Sache aufgrund eines Artikels des «Tages-Anzeigers», woraufhin das Spital den Bericht von Walder Wyss öffentlich zugänglich machte.

Wie man darin lesen konnte, entlasteten die Autoren Maisano zwar von diversen Vorwürfen, so auch von der Gefährdung von Patienten. Andere Verfehlungen bestätigten sie jedoch. Die beiden schwersten waren, dass Maisano wissenschaftliche Publikationen zu von ihm entwickelten Implantaten geschönt und Interessenkonflikte unterschlagen haben soll. Das sind freilich keine Bagatellen, so hat denn auch die Universität zu Recht eine eigene Untersuchung in der Sache eingeleitet.

Doch zu den bestehenden Vorwürfen ist seither nicht mehr viel Substanzielles hinzugekommen. Und bezüglich des Gewichts dieser Vorwürfe sind ein paar Fragezeichen angebracht. Bei den geschönten Berichten handelt es sich nicht etwa um im grossen Stil gefälschte Studien, sondern um Kurzartikel, die einzelne Aspekte einer Operation betrachten und bei denen Maisano gewisse Komplikationen nicht genannt hat. Und auch die Interessenkonflikte wurden wenigstens zum Teil nur deshalb nicht publiziert, weil der Herausgeber des entsprechenden Magazins selbst darauf verzichtet hatte.

Das alles spricht Francesco Maisano nicht frei von Schuld, und natürlich ist es möglich, dass noch schwerere Verfehlungen ans Licht kommen werden. Aber mindestens im Moment muss man zum Schluss kommen, dass das Ausmass der Berichterstattung und das Ausmass der Missstände in einem schiefen Verhältnis zueinander stehen.

Ein perfekter Skandal

Mehrere Faktoren haben dazu geführt, dass die Sache nun derart aus dem Ruder gelaufen ist.

Zum einen lässt sich die Affäre wunderbar skandalisieren. Man nehme einen mutmasslich geldgierigen Chefarzt, der auf Kosten seiner Patienten unausgereifte Produkte ausprobiert und Komplikationen verschwiegen haben soll. Einen Whistleblower als tragischen Helden. Und platziere die Sache in der prestigeträchtigen Herzmedizin, an der sich die Journalisten seit der ersten Herztransplantation am liebsten abarbeiten.

Es ist zwar das Verdienst der Tamedia-Redaktoren, dass die Probleme bekanntwurden. Und man kann den involvierten Journalisten auch nicht vorwerfen, dass sie nicht sauber recherchieren würden. Aber dient es wirklich noch der Sache, wenn in heiligem Furor jedes noch so kleine Detail ausgeleuchtet wird und zugleich entlastende Indizien eher stiefmütterlich behandelt werden? Oder geht es längst mehr um Profilierung?

Journalisten befinden sich in solchen Fällen häufig auf einer Gratwanderung. Einerseits haben sie als vielbeschworene vierte Gewalt die wichtige Funktion, Missstände öffentlich zu machen. Andererseits ist das Ausschlachten, Zuspitzen, Skandalisieren immer nur einen Schritt entfernt. Die Verlockung, etwas mehr Lärm als nötig zu machen, ist gerade heute, wo jeder Klick gemessen wird und das alte Businessmodell erodiert, noch grösser geworden. Und das gilt für alle Medien.

Die mediale Berichterstattung ist aber nur die eine Seite. Wie meist in solchen Fällen mischen auch andere Kommunikationsprofis kräftig mit. Um seinen beschädigten Ruf zu reparieren, hat Maisano längst zum Gegenangriff geblasen. Dabei lässt er sich mit Farner von einer der bedeutendsten PR-Firmen im Land unterstützen. Diese streut fleissig Informationen, um die öffentliche Meinung zugunsten ihres Klienten zu wenden, und hält die Sache damit selbst auch am Kochen. Es sei der Transparenz halber hier erwähnt, dass Farner auch mit der NZZ in Kontakt getreten ist.

Dieser kleine Informationskrieg kann aber nur am Laufen gehalten werden, weil er gefüttert wird durch Indiskretionen aus dem Inneren des Spitals und dessen Umfeld. Über verschlungene Pfade werden allerlei vertrauliche Informationen in die Redaktionsstuben geleakt. Da gibt es jene, die den Whistleblower als unfähigen Arzt brandmarken wollen und in Maisano ein Opfer einer unfairen Kampagne sehen. Andere behaupten, man habe schon immer gewusst, dass Maisano unsauber arbeite, aber dies habe man unter dem Deckel behalten wollen. Die Faktenbasis ist meist schmal. Und wo die legitime Unterstützung endet und die Lüge beginnt, kann man als neutraler Beobachter kaum mehr ausmachen.

Die Versäumnisse der Spitalführung

Die Grabenkämpfe zwischen den verschiedenen Lagern vergiften aber in jedem Fall das Klima im Spital. Und es wäre eine dringende Aufgabe sowohl der operativen als auch der strategischen Spitalführung, Ruhe ins Haus zu bringen.

Doch die Führung hat in dieser ganzen Affäre auch keine gute Figur gemacht. Da wäre zum Beispiel der Umgang mit dem Whistleblower. Zuerst hat man ihm gekündigt und ihn freigestellt, nur um ihn dann gut zwei Monate später mit einer eigenartigen Erklärung – die bestehenden Missverständnisse hätten aus dem Weg geräumt werden können – wieder einzustellen. Von welcher Warte man die Sache auch betrachtet, die Spitalleitung sieht dabei schlecht aus. Entweder sie hat dem Whistleblower ein Unrecht angetan und ihn als Überbringer der schlechten Nachricht entfernt. Oder aber sie hat die Kündigung aus legitimen fachlichen Gründen ausgesprochen und ihn schliesslich aufgrund des medialen Drucks ans Spital zurückgeholt.

Man mag der Spitalführung ja noch zugestehen, dass die Situation mittlerweile derart schwierig ist, dass Fehler fast unvermeidlich sind. Doch eigentlich bestehen die Probleme am Herzzentrum schon lange. Die Streitigkeiten zwischen der Klinik für Kardiologie und der Klinik für Herzchirurgie sind ein offenes Geheimnis. Fachlich sind die beiden Bereiche in den letzten Jahren zwar näher zusammengerückt, doch gerade dies führt auch in anderen Spitälern zu Abgrenzungsproblemen. Hinzu kommt, dass die beiden Klinikchefs Frank Ruschitzka (Kardiologie) und Francesco Maisano (Chirurgie) zerstritten sein sollen. Man zankt sich angeblich um Patienten und Zuständigkeiten. Die Querelen haben auch Eingang in den Walder-Wyss-Bericht gefunden. Darin ist zu lesen, dass verschiedene Auskunftspersonen wiederholt von «gegenseitigen Beleidigungen und Drohungen berichtet» hätten. «Offenbar ist eine konstruktive Zusammenarbeit derzeit teilweise nur noch im Geheimen möglich», heisst es weiter. Ein vernichtendes Urteil.

Die Animositäten und das Kompetenzgerangel bildeten den idealen Nährboden für das jetzige Schmierentheater. Und sie dürften auch für die Qualität nicht förderlich sein. Zwar hat die Spitalführung am Herzzentrum in den vergangenen Jahren mehrere Audits durchführen lassen, unter anderem auch wegen erhöhter Mortalitätsraten. Doch die Konflikte konnte sie offenbar nicht aus dem Weg räumen. Statt dass die beiden Kliniken gemeinsam die beste Behandlung für die Patienten suchen, führen sie einen Kleinkrieg. Dass es der Spitalführung nicht gelungen ist, dies in den Griff zu bekommen, ist ihr eigentliches Versäumnis.

Die Probleme mussten auch der Gesundheitsdirektion bekannt sein, sowohl unter der alten als auch unter der neuen Führung. Auch sie hätte mit Nachdruck darauf pochen müssen, dass das kantonale Spital seinen Laden in Ordnung bringt, und zwar bevor das ganze Schlamassel öffentlich breitgetreten wird.

Saubere Analyse nötig

Wie soll es nun weitergehen? Die Sache ist gehörig verfahren, einen einfachen Ausweg gibt es nicht mehr. In dieser Situation ist es entscheidend, dass die Vorkommnisse nun trotz der aufgeheizten Stimmung sauber und unabhängig aufgearbeitet werden. Mit Interimschef Paul Vogt konnte das Spital einen sehr erfahrenen Chirurgen gewinnen, der Ruhe in die Herzchirurgie bringen kann.

Zunächst gilt es nun abzuwarten, zu welchen Schlüssen die laufenden Untersuchungen im Fall von Francesco Maisano kommen. Doch selbst wenn dieser weitgehend entlastet würde, ist nur schwer vorstellbar, dass er seinen Posten am Universitätsspital wiederaufnehmen kann. Es wurde wohl zu viel Geschirr zerschlagen, vielleicht wäre ein Neuanfang für beide Seiten der bessere Weg.

Die Untersuchung muss aber ohnehin tiefer gehen als nur bis zur «Affäre Maisano». Und hier ist auch die Politik gefragt. Als unabhängige Instanz und Oberaufsicht über das kantonale Spital muss sie die Situation am Herzzentrum nun durchleuchten. Es ist gut, dass das Kantonsparlament dafür eigens eine Subkommission eingesetzt hat. Es braucht eine schonungslose Aufklärung, und es braucht auch den Mut, die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Das ist man den Patienten schuldig, die von den Turbulenzen verunsichert sind, den Mitarbeitenden, die unter den Negativschlagzeilen leiden – und letztlich auch dem Wissenschaftsstandort Zürich. Das Universitätsspital ist eine der wichtigsten Institutionen des Kantons und eine der wenigen mit internationaler Ausstrahlung. Der Kanton muss alles daransetzen, dass der angerichtete Schaden repariert wird.

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Daniel Baumgartner

Das Schweizer Gesundheitswesen ist wie anderswo durchsetzt von falschen Anreizen.Hinzu kommt der unerschütterliche Glaube an die Götter in Weiss. Unter diesen, von der Politik gestalteten und weiterhin sorgfältig gepflegten Rahmenbedingungen ist vermutlich an eine halbwegs professionelle Unternehmensführung nicht zu denken. Eigentlich ist mir jeder Artikel recht, ungeachtet von  Klicks und Likes, der die Selbstbedienungsmentalität im Gesundheitswesen thematisiert. Die Akteure hatten Zeit und Wissen, das Ruder herum zu reissen, bevor weite Teile der Bevölkerung über Prämienvergünstigungen zu Sozialhilfeempfänger wurden.

Werner Moser

Was auch immer (für die Aussenwelt nicht durchschaubar/verständlich) geschah u/o noch geschieht: es ist nicht einzusehen, weshalb es den Verantwortlichen (Spital/Stadt/Kanton) nicht gelingt, diesen Knaatsch professionell und in aller Ruhe (ohne schmutzige Wäsche waschen in aller Öffentlichkeit) zu erledigen. Muss etwas damit zu tun haben, dass im Anstellungskonzept "Privat-Praxis / Spital - Praxis") ein Widerspruch herrscht, den es grundsätzlich infrage zu stellen gilt. Wenn schon im Grundarbeitsverhältnis = Interessenkonflikte! - aus was für Gründen auch immer - miteingebaut sind, dann reissen alle Stricke, wenn sie einmal zu reissen beginnen. Und das hier leider noch auf grosser Bühne in aller Öffentlichkeit. Will das Uni-Spital keinen weitere (grösseren?) Schaden erleiden, muss das sofort ein Ende haben. Ist jetzt nicht eine Frage der Kompetenz (Inkompetenz?), sondern der Rechtschaffenheit und Disziplin!