Anzeige

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Korruptionsverdacht: Vorgehen des Oberstaatsanwalt B. barg für manche Ärzte wohl auch Vorteile

Gesundheitspolitik Autor: Anouschka Wasner

Sicher ist, dass diese Verfahren teilweise hohe Sachkenntnis erfordern. Sicher ist, dass diese Verfahren teilweise hohe Sachkenntnis erfordern. © iStock/StockImages_AT
Anzeige

Ein Oberstaatsanwalt, der in vorderster Front gegen Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen kämpfte, soll Kick-back-Zahlungen kassiert haben. Die Ermittlungen gegen Alexander B. sind in vollem Gange. Was passiert jetzt mit den Verfahren, die er selbst gegen Ärzte, Apotheker und Krankenhäuser angestrengt hat?

Ganz kurz vor der Einstellung seines Verfahrens gegen Geldauflage sei sein Mandant gewesen, erzählt ein hessischer Medizinrechtsanwalt. Dann hörte der Niedergelassene von den schweren Korruptionsvorwürfen gegen genau jenen Oberstaatsanwalt, der gegen ihn ermittelt hatte: Über 15 Jahre hinweg soll dieser an den Gutachten, die er im Rahmen von Ermittlungen erstellen ließ, persönlichen Gewinn rausgeschlagen haben. Die Reaktion des Arztes – spontan und emotional: „Von dem lasse ich mir nichts sagen. Wir rollen alles noch mal auf!“

Doch bei manchen der Ermittlungsverfahren, die Oberstaatsanwalt Alexander B. geführt hat, könnte es für den Beschuldigten möglicherweise gar nicht vorteilhaft sein, wenn sein Verfahren wieder aufgegriffen würden.

Der Fall Alexander B.

Ende Juli nahm die Staatsanwaltschaft Frankfurt den Oberstaatsanwalt Alexander B. in U-Haft. Bis dato war B. ein bundesweit bekannter Experte auf dem Gebiet der Korruption im Gesundheitswesen und Leiter der hessischen Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht. In dieser Funktion hat er etliche Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt ihn, von mind. zwei Unternehmen jahrelang Kick-Back kassiert zu haben für die Vermittlung von Gutachter-Aufträgen.

Wie viele Gutachten bezahlt wurden, weiß noch keiner

Rund 800 Ermittlungsverfahren wurden laut Tätigkeitsbericht der Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht (ZMS) von Oberstaatsanwalt B. angestrengt in jenen letzten fünf Jahren, die von den Ermittlern besonders unter die Lupe genommen werden, da für diese Jahre noch keine Verjährung eingesetzt hat. Kassiert haben soll Oberstaatsanwalt B. dafür nach aktuellem Stand über 300 000 Euro. Insgesamt wurden von der ZMS und deren Vorgängerin, der Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen, denen jeweils Oberstaatsanwalt B. vorstand, in den Jahren 2005 bis 2020 über 3622 Ermittlungsverfahren aufgenommen.

Wie viele dieser Verfahren zu einer Hauptverhandlung oder einem Strafbefehl geführt haben und wie viele gegen Geldauflage eingestellt wurden, ist genauso wenig bekannt wie die Anzahl der in Auftrag gegebenen Gutachten und welche Kosten diese verursacht haben. Auf einer Sondersitzung im Rechtspolitischen Ausschuss des Hessischen Landtages sagte Justizminierin Eva Kühne-Hörmann (CDU), diese Zahlen müssten erst über händische Auswertung der Akten ermittelt werden.

Alexander B. war allerdings dafür bekannt, häufig zum Mittel der Einstellung gegen Auflage nach § 153 a Stpo zu greifen. Über diesen Paragraphen können Ermittlungen aus „verfahrensökonomischen Gründen“ eingestellt werden, meist gegen Zahlung eines Betrages an die Staatskasse, eine gemeinnützige Vereinigung oder den Geschädigten. Warum B. so verfahren hat, lässt sich nur vermuten. Sein mutmaßliches System des Kick-back für Gutachten-Aufträge hätte grundsätzlich auch ohne diese Eigenart funktionieren können. Möglicherweise wäre er aber dabei das Risiko eingegangen, dass in den Hauptverhandlungen Gutachtenaufträge und Kosten vom Gericht oder engagierten Verteidigern näher eingesehen worden wären.

Man könnte das gehäufte Auftreten von Einstellungen gegen Auflage aber auch so einordnen, wie es manche Verteidiger bislang getan haben: Oberstaatsanwalt B. habe zwar keine Entschuldigungen gelten lassen, sei aber oft bereit gewesen, den Beschuldigten Brücken zu bauen. „Wenn es die Aktenlage hergab, hat er das Verfahren einfach eingestellt. Und wenn es auf der Kippe stand, hatte man bei ihm gute Chancen, mit Einstellung gegen Auflage wegzukommen und die Hauptverhandlung zu vermeiden“, so eine Medizinrechtlerin aus dem Rhein-Main-Gebiet. Kooperation und Mitwirkung schienen dabei für ihn eine große Rolle zu spielen.Und ein Medizinstrafrechtler aus dem Frankfurter Raum erzählt, wie er nach einer Auseinandersetzung mit B. mit einem „besonders konsequenten Umgang“ mit seinen Fällen rechnete, dann aber eine Einstellung erreichen konnte. Diese sei der Sachlage nach gerechtfertigt, aber nicht zwingend gewesen – und entsprechend unerwartet.

Es wurden offenbar auch nicht in allen Verfahren Gutachtenaufträge vergeben: Lag bereits eine Aufarbeitung seitens der KV vor, wurde in Fällen darauf verzichtet. Wie zum Beispiel bei dem Niedergelassenen, der gerade spontan der Einstellung seines Verfahrens widersprechen wollte. Ihm hatte die KV seine Abrechnungsfehler über einige Jahre hinweg nachgeweisen können, ein Gutachten durch „System B.“ brauchte es nicht.

Die Anwälte des Niedergelassenen haben dem Arzt von einem Aufrollen des Falles abgeraten. Denn für manche Ärzte war das „System B.“ mit den häufigeren Einstellungen gegen Auflage im Ergebnis sogar ein Glücksfall: Ohne mündliche Hauptverhandlung kein Zulassungsverlust, kein Approbationsentzug, keine Rufschädigung und kein Hinziehen des belastenden Verfahrens. Die Wahrscheinlichkeit dagegen, dass sich über eine Verhandlung ein Freispruch ergibt, müsste man eher klein einschätzen – einen Anlass gibt es in der Regel immer, wenn Kassen oder KV einen Beschuldigten bei der Staatsanwaltschaft melden.

Aktuell gibt es keine Hinweise auf Mängel in den Gutachten

Dass Alexander B. die Gutachten an externe Unternehmen in Auftrag gegeben hat, ist ein grundsätzlich rechtmäßiges und auch übliches Vorgehen. Auch gibt es bislang keine Hinweise auf mangelnde Qualität oder fehlende Notwendigkeit der Gutachten, so die ermittelnde Staatsanwaltschaft – wobei Letzteres sich durchaus im Laufe der Ermittlungen noch anders darstellen könne.

Doch selbst wenn die alten Gutachten anzuzweifeln wären - Ärzte, die mit dem Gedanken spielen, sich damit zu beschäftigen, sollten auch überlegen: Wie sicher ist es, dass ein neu erstelltes Gutachten tatsächlich ein besseres ist?

Jetzt soll es ohne Zentralstelle und Gutachter weitergehen

256 Ermittlungsverfahren des Oberstaatsanwalt B. sind aktuell noch offen. Dass sich die Beschuldigten in diesen Fällen auf eine überdurchschnittliche Länge ihres Verfahrens einstellen müssen, liegt nahe: Sowohl die laufenden Aufträge der Unternehmen, die im Ermittlungsverfahren im Fokus stehen, wurden gestoppt wie auch die weitere Auftragsvergabe an diese. Außerdem soll die Zentralstelle ZMS aufgelöst werden, wie die Justizministerin als Teil eines Fünf-Punkte-Sofortmaßnahmenkatalog ankündigte. Wer die Fälle übernehmen wird, ist noch nicht bekannt. Sicher ist, dass diese Verfahren zum Teil sehr hohe Sachkenntnis erfordern und entsprechende Qualifikationen bzw. Einarbeitungszeiten. Für manche Ärzte könnte das zu einer harten Geduldsprobe werden. Wer etwa den Ausgang eines Verfahrens abwarten wollte und dann seinen Praxisausstieg plante, sollte sich mit seinem Anwalt beraten.

Das System der Strafverfolgung im Gesundheitsbereich gleicht übrigens in keinem Bundesland dem anderen. Das Spezielle in Hessen war offenbar neben der Umtriebigkeit des Oberstaatsanwaltes auch die konsequente Auftragsvergabe an externe Gutachter. In anderen Bundesländern ermitteln das LKA, Polizeidienststellen oder Sonderabteilungen der Polizei und arbeiten der Staatsanwaltschaft zu.

Gleich ist dagegen für alle Länder die Verpflichtung der Krankenkassen und KVen bei Verdacht auf Verstöße die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Spielraum ergibt sich für sie bei der Einschätzung der Relevanz des Verstoßes. In Hessen, sagen Medizinrechtler, wurde alles gemeldet. Egal, um welche Summen es bei einer Plausiprüfung ging oder ob nur die LANR falsch eingetragen wurde.

Medical-Tribune-Recherche

Anzeige