Manchmal denkt Axel Fischer jetzt, dass auch er früh und lauthals hätte protestieren sollen. Stattdessen stellte der Vorsitzende der Geschäftsführung der München Klinik gGmbH seine fünf kommunalen Krankenhäuser und das Personal ab Ende Februar auf Notfallbetrieb um: die Behandlung der erwarteten schwer kranken Corona-Patientinnen und Patienten. In dem Stress der ersten Pandemie-Wochen achtete er kaum auf die Kritik mancher privater Klinikbetreiber. Die klagten gleich über eine "Vollkatastrophe", nachdem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Höhe der Ausgleichszahlungen bezifferte für das Freihalten von Betten. Sie warnten vor zahlreichen Insolvenzen. "Covid-19-Gesetz läutet die Totenglocke für Kliniken", überschrieb gar der Bundesverband der Privatkliniken eine Pressemitteilung.

"Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass gerade diejenigen, die das meiste geleistet haben, jetzt finanziell die Deppen sind," sagt Fischer fünf Monate später. Denn das Coronavirus hat wie unter einem Brennglas verdeutlicht, dass das Gesundheitssystem viele Krankenhäuser in Deutschland selbst krank macht. Wo etwa normalerweise vor allem teure Hüftgelenksoperationen stattfinden und damit hohe Fallpauschalen abgerechnet werden können, fließen nun auch die höchsten Gelder, um Betten für Erkrankte freizuhalten. 760 Euro pro Bett und Tag. Egal, wie viele Corona-Patienten und Patientinnen tatsächlich behandelt werden.

Sogenannte Maximalversorger – das sind Kliniken, die umfassende Leistungen anbieten wie Geburtshilfe, die Versorgung kranker Kinder und älterer Menschen – erhalten dagegen im Schnitt 200 Euro weniger Pauschale. Die München Klinik, wo Ende Januar der erste deutsche Covid-19-Patient eingeliefert wurde und seither mehr als 800, ist ein solcher Maximalversorger. Geschäftsführer Fischer rechnet bis Jahresende mit einem Defizit zwischen zehn und 20 Millionen Euro, auch weil sehr hohe Kosten für Schutzausrüstung, Corona-Tests für Personal und Patientinnen und Patienten, den Sicherheitsdienst sowie ein Triage-Zelt angefallen sind. Laut Fischer würden diese Kosten aber nicht ersetzt.

Dass Kliniken Verluste schreiben, ist nicht erst seit Corona so. Aber die ungleiche finanzielle Ausstattung wird durch die Pandemie noch viel sichtbarer. Dabei hatte Gesundheitsminister Spahn im April betont, dass keine Klinik finanzielle Nachteile durch Corona haben solle. Laut dem aktuellen Krankenhaus-Rating-Report, den das RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung seit Jahren zusammen mit dem Institut für Health Care Business verfasst, gerieten 2018 in Deutschland 29 Prozent der Krankenhäuser in die roten Zahlen. Wenn alle Geschäftsberichte für 2019 vorliegen, erwarten die Studienverfassenden sogar einen Anstieg auf 48 Prozent. Und spätestens 2025 würden mehr als 50 Prozent ein Minus machen.

Hat Deutschland zu viele Kliniken?

Dass fast jede zweite Klinik wirtschaftlich gefährdet ist, liegt auch an der Vielzahl der Krankenhäuser in Deutschland. Mehr als 1.900 sind es. Der durchschnittliche Belegungsgrad beträgt aber nur 77 Prozent, zeigt der Rating-Report. Wenn die Deutsche Krankenhausgesellschaft dieser Tage optimistisch vermeldet, die Häuser seien gut auf eine mögliche zweite Welle der Pandemie vorbereitet, dann gilt das längst nicht für jedes. Mindestens genauso wie für die Behandlung von Schlaganfall- oder Herzinfarktpatienten gibt es auch hier Spezialkliniken. Nicht jedes Krankenhaus ist auch automatisch für die Behandlung schwerer Corona-Fälle geeignet.

Corona-Maßnahmen - Die zweite Welle Auch frühere Pandemien flammten überraschend wieder auf. Warum eine zweite Infektionswelle oft die gefährlichere war, erklärt der Medizinhistoriker Philipp Osten.

Gesundheitsökonominnen, aber auch der Marburger Bund als Gewerkschaft der Klinikärztinnen und Klinikärzte, fordern seit Langem eine Reform des Gesundheitssystems. Nicht die schiere Zahl der Kliniken, die alle möglichen Leistungen anbieten, sei ausschlaggebend für eine gute Gesundheitsversorgung, sondern Spezialistentum und technische Ausstattung. Manche Häuser könnten ohne Schaden für die Gesellschaft schließen oder mit anderen zusammengelegt werden. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem vergangenen Jahr kommt sogar zu dem Schluss, dass Deutschland mit weniger als 600 Kliniken gut gerüstet sei.

Allerdings ist das politisch oft nur schwer umzusetzen. Viele Menschen und damit Wählerinnen und Wähler fühlen sich sicherer, wenn ein Krankenhaus in unmittelbarer Nähe steht.

Für CSU-Landrat Alexander Anetsberger etwa wäre es undenkbar, auch nur eine der beiden Altmühltal-Kliniken in der oberbayerischen Kreisstadt Eichstätt und dem 28 Kilometer entfernten Kösching aufzugeben.

Die zwei Häuser mit 152 respektive 181 Betten sind klein im Vergleich zur kommunalen Klinik in Ingolstadt, die über mehr als tausend Betten verfügt. Voriges Jahr machten die kleinen Krankenhäuser sieben Millionen Euro Verlust. Für 2020 wurde noch vor Corona mit einem ähnlichen Fehlbetrag gerechnet. Trotzdem: "Der Landkreis Eichstätt ist ein Flächenlandkreis, für den die Grundversorgung und die Erfüllung des Sicherstellungsauftrags an beiden Standorten von großer Bedeutung ist," betont Anetsberger. "Der Landkreis als alleiniger Träger steht für seine Kliniken ein." In diesem Jahr tut das auch der Bund: Zunächst mit 560, seit Juli mit 460 Euro für jedes freigehaltene Bett. In beiden Häusern wurden Abteilungen für potenzielle Corona-Patientinnen geräumt. Kösching sollte jedoch die normale Akutversorgung garantieren und Corona-Patienten nur aufnehmen, falls die Plätze in Eichstätt knapp würden.