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Fragen über Fragen: Olaf Scholz, Bundesminister der Finanzen, nach einer Sitzung des Bundestags-Finanzausschusses zum Wirecard-Skandal.

© Michael Kappeler / dpa

Im Dschungel der Wirtschaftsprüferunternehmen: Stoppt die Big4!

Das Gesundheitswesen muss vor den großen Wirtschaftsprüferfirmen geschützt werden. Ein Gastbeitrag.

Die Autorin ist SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Gesundheitsausschuss.

In schöner Regelmäßigkeit tauchen im Zusammenhang mit Finanz- und Wirtschaftsskandalen vier Firmennamen auf: Deloitte, KPMG, Ernst&Young (EY) und PriceWaterHouseCoopers (PwC) – die sogenannten Big4 der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Ihr Einfluss auf unser Gesundheitswesen wächst. Diese Big4 wollen neue Märkte, haben aber wenig zu bieten. Jüngstes Beispiel: Wirecard.

EY war jahrelang für die Bilanzprüfung der Firma zuständig, aber die Prüfer übersahen die gefälschten Zahlen und falsch ausgewiesenen Einlagesummen, die zum Zusammenbruch von Wirecard führten. Einen weiteren Brandherd muss die britische EY-Schwester löschen. Dort ermitteln Behörden gegen die Wirtschaftsprüfer aufgrund des Zusammenbruchs des Krankenhaus-Konzerns NMC Health. EY bestätigte dem Konzern jahrelang gute Zahlen, die vier Milliarden US-Dollar Schulden wurden nicht wahrgenommen.

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Und die Liste geht weiter: KPMG prüfte die Bücher der 2009 zwangsverstaatlichten Hypo Real Estate, EY die der Pleite-Bank Lehmann Brothers. PwC war direkt in Luxemburg-Leaks-Skandal verwickelt. Noch mehr wollte die damalige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen haben, als sie eine ganze Berater-Armee der Big4 mitsamt McKinsey engagierte, um ihr Ministerium effizienter zu machen. Die Folge war ein Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag, um Ungereimtheiten und Unregelmäßigkeiten aufzuklären.

Die Berater geben sich die Klinke in die Hand

Diese vier Firmen haben ein weltweites Oligopol der Wirtschaftsprüfung und Beratung geschaffen. Sie prüfen die Bilanzen aller DAX-Konzerne. Da diese Unternehmen verpflichtet sind, regelmäßig neue Prüfungsfirmen zu nehmen, geben sich die Berater der Big4 hier einfach die Klinke in die Hand. Alles bleibt im verschwiegenen Kreis der vier Unternehmen, Fehler werden nicht gesehen und immer erst dann zugegeben, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, siehe Wirecard.

Prüft auch jemand die Prüfer? In der Theorie gibt es eine Aufsicht. Politisch liegt sie beim Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), fachlich bei der Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, also einer dem BMWi unterstehenden Behörde. Und es gibt eine berufsständische Vertretung, die Wirtschaftsprüferkammer (WPK), die als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert ist. Hier sind die Big4 Mitglied.

Die APAS als Prüfungsbehörde wirbt mit dem Slogan „Unabhängig. Präventiv. Proaktiv“. Prävention ist im Wirecard-Skandal offensichtlich nicht gelungen. Erst jetzt sieht sie sich zu rechtlichen Schritten gegenüber EY genötigt. Ob eine Behörde, die von einem Ex- KPMG-Wirtschaftsprüfer geleitet wird, wirklich unabhängig kontrollieren kann, sei dahingestellt.

Rote Teppiche für die Übeltäter

Das System aus Täuschung, Korruption, Absprachen und unzureichender Prüfung könnte gestoppt werden, wenn politische Entscheidungsträger sich dafür stärker einsetzen. Aber statt die Big4 zur Rechenschaft zu ziehen, rollen ihnen Ministerien und Parteivertreter rote Teppiche aus und bemühen sich neue Anlagemärkte zu schaffen.

Das Ziel ist dabei der Gesundheits- und Pflegebereich, der seit Jahren ein Spielplatz für Investoren ist, die sich durch die konstant laufenden Geschäfte hohe Renditen versprechen. Bundesgesundheitsminister Spahn ist dabei gern behilflich. Sein Ministerium steht nun zurecht im Fokus, da das Haus einen der Big4, Ernst&Young ohne Ausschreibung beauftragt hat, die Einkaufspraxis von Schutzausrüstung in der Corona-Pandemie zu unterstützen.

Nachdem offenbar zahllose Fehler beim Einkauf der Masken passierten und sich die Klagen gegen den Deal häufen, soll der Vertrag mit EY nun schnellstmöglich auslaufen. Doch bereits in der vergangenen Wahlperiode sollten die Big4 nicht nur im Ministerium direkt, sondern auch in der gesetzlichen Krankenversicherung „behilflich“ sein.

Gefahr für die gesetzlichen Krankenkassen

Im Entwurf für ein Selbstverwaltungsstärkungsgesetz hieß es 2017, dass die Geschäfts-, Rechnungs- und Betriebsprüfung aller Krankenkassen und anderer Selbstverwaltungsorgane im Gesundheitswesen von externen Wirtschaftsprüfern zu erledigen sei – konkret den Big4. Einen Anlass gab es nicht, denn die Bilanzen wurden bereits vom Bundesversicherungsamt geprüft, ohne dass es zu vergleichbaren Skandalen kam. Nach heftigem Widerstand der SPD gelang es damals, diese Passage ersatzlos zu streichen.

Was in der vergangenen Wahlperiode noch verhindert wurde, kam unter Bundesminister Spahn versteckt im Terminservice- und Versorgungsgesetz erneut ins Parlament. Nun haben die Big4 Zutritt für die Bilanzprüfung der Kassen, „in besonderen Fällen“, wie das Gesetz sagt. Das heißt konkret, dass nun Versichertengelder ausgegeben werden, damit Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mehr erwirtschaften können. Und wir sprechen hier von Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung von 239 Mrd Euro.

Hartnäckig hält sich der Mythos, dass „die Privaten“ es doch besser könnten als die öffentliche Hand. Die Big4 beweisen uns das Gegenteil. Wir müssen die gesetzliche Krankenversicherung vor diesen Firmen schützen. Sie stellen eine Gefahr für eine Daseinsvorsorge dar, die für Millionen von Menschen überlebensnotwendig ist. Diese gehört nicht in die Hände eines undurchsichtigen und unfähigen Kartells. Das Gesundheitswesen gehört vor den Big4 geschützt.

Hilde Mattheis

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