Die neusten Entwicklungen

Affäre um das USZ: Die Entlassung des Whistleblowers im Fall Maisano war rechtens

Francesco Maisano, der frühere Leiter der Herzchirurgie des Unispitals Zürich, steht seit Monaten in der Kritik. Der Fall hat weite Kreise gezogen. Das sind die Hintergründe.

Claudia Rey, Jan Hudec, Adi Kälin, Daniel Fritzsche, Michael von Ledebur
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Die neusten Entwicklungen

  • Das Zürcher Verwaltungsgericht taxiert die Kündigung eines Whistleblowers in der Affäre um das Universitätsspital Zürich (USZ) als rechtens und weist dessen Beschwerde ab. Dies ist am Montag (22. 11.) bekanntgeworden. Der Whistleblower hatte in der Affäre eine zentrale Rolle gespielt. Er war leitender Arzt an der Klinik für Herzchirurgie. Zwischen ihm und dem Klinikdirektor Maisano war es zu einem Konflikt gekommen. Der Mann meldete der Spitaldirektion ein angebliches Fehlverhalten des Klinikdirektors. Es folgte eine Untersuchung, welche die Vorwürfe teilweise bestätigte. Der Mann machte weitere Meldungen, die auch andere Mitarbeitende betrafen. Schliesslich verweigerte er die Teilnahme an Gesprächen mit dem Klinikdirektor. Es stellten sich Mitarbeitende gegen die Weiterbeschäftigung des Mannes; zudem verlangte ein zuweisendes Spital, dass der Beschwerdeführer die Patientinnen und Patienten des Spitals nicht mehr operiere. Wegen dieser Umstände sei die Kündigung zulässig gewesen, heisst es im Urteil des Verwaltungsgerichts. Der Konflikt sei derart verhärtet gewesen, dass er nur noch durch die Auflösung einzelner Anstellungsverhältnisse habe beruhigt werden können. Zwar sei an der Verhärtung auch die Direktion nicht schuldlos gewesen, doch der Mann sei ein massgeblicher Akteur im Konflikt gewesen.
  • Der Zürcher Regierungsrat hat drei neue Mitglieder für den Spitalrat des USZ bestimmt. Dies teilte der Regierungsrat am Donnerstag (25. 3.) in einer Medienmitteilung mit. Als Präsident wurde André Zemp gewählt, derzeit Direktor der Spitäler Waid und Triemli. Zemp wird seine gegenwärtige Tätigkeit per Ende September aufgeben und könnte ab Oktober das Amt des Präsidenten übernehmen. Als weitere Mitglieder des Spitalrats bestimmte der Regierungsrat Serge Gaillard, den ehemaligen Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, und Jürgen Holm, Professor für Medizininformatik an der Berner Fachhochschule in Biel und Mitglied des Verwaltungsrats des Berner Bildungszentrums für Pflegeberufe. Die Wahl der Spitalratsmitglieder steht unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch den Kantonsrat. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (KSSG) wird die Kandidaten an ihrer Sitzung vom 20. April anhören. Die Genehmigung der Wahl im Kantonsrat ist für den 14. Juni vorgesehen. 
  • Francesco Maisano hat eine neue Stelle: Seit Montag (15. 3.) ist er Chefarzt der Herzchirurgie des Mailänder Spitals San Raffaele. Das berichtete das Medienportal Medinside. Maisano war bereits von 1997 bis 2013 für das Mailänder Spital tätig.
  • Francesco Maisano muss seine Professur an der Universität Zürich abgeben, das erklärte die Universität in einer Mitteilung (12. 3.). Als Gründe werden die bereits erfolgte Trennung vom Universitätsspital sowie die Resultate eines Untersuchungsberichts genannt. Maisano seien mehrfache Pflichtverletzungen als Arbeitnehmer vorzuwerfen. Der Herzchirurg wehrt sich in einer Stellungnahme.
  • Die Wurzel des USZ-Konflikts liege in einer Eskalation zwischen der Herzchirurgie und der Kardiologie. Das schreibt die Aufsichtskommission für Bildung und Gesundheit in einem 76-seitigen Bericht, den sie am Donnerstag (4. 3.) veröffentlicht hat. Informanten bezeichneten die Kliniken gegenüber der kantonsrätlichen Kommission als eigene «Königreiche», wo die Direktoren walteten, wie sie wollten.
  • Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat Anfang 2021 ein Strafverfahren gegen Francesco Maisano eingestellt. Ihm waren Urkundenfälschung und Datenbeschädigung vorgeworfen worden. Es sei kein strafrechtlich relevantes Verhalten festgestellt worden, schreibt die Medienstelle der Oberstaatsanwaltschaft und bestätigt eine Meldung des «Blicks». Das Universitätsspital hatte Maisano verdächtigt, trotz Beurlaubung auf das interne Computersystem zugegriffen und Daten verändert zu haben. Es hatte deshalb im Sommer 2020 eine Anzeige eingereicht. 

Worum geht es?

Der Italiener Francesco Maisano leitete ab 2014 die Klinik für Herzchirurgie des Zürcher Universitätsspitals. Im Dezember 2019 hat ein Whistleblower, der mit Maisano zusammenarbeitete, schwerwiegende Vorwürfe gegen ihn erhoben. Das Spital hat die Anschuldigungen von der Anwaltskanzlei Walder Wyss untersuchen lassen. Die Anwälte kamen zum Schluss, Maisano habe wissenschaftliche Berichte geschönt und Interessenkonflikte unterschlagen. Das Patientenwohl sei jedoch nie tangiert gewesen. Im Mai 2020 haben Tamedia-Zeitungen den Fall publik gemacht.

Der Herzchirurg Francesco Maisano wehrt sich: «Es ist völlig an den Haaren herbeigezogen, dass ich meine Interessenbindung nicht deklariert habe, weil ich finanziell profitieren wollte.»

Der Herzchirurg Francesco Maisano wehrt sich: «Es ist völlig an den Haaren herbeigezogen, dass ich meine Interessenbindung nicht deklariert habe, weil ich finanziell profitieren wollte.»

Karin Hofer / NZZ

Wie ist der Konflikt entstanden?

Laut einem im März 2021 veröffentlichten Bericht der Aufsichtskommission für Bildung und Gesundheit steht am Anfang des Konflikts eine Eskalation zwischen Herzchirurgie und Kardiologie des USZ. Als Maisano im Herbst 2014 zum Direktor der Klinik für Herz- und Gefässchirurgie ernannt wurde, habe Aufbruchstimmung geherrscht und habe sich die Zusammenarbeit verbessert. Doch Ende 2017 verliess Thomas Lüscher, der Leiter der Kardiologie, das USZ, und die Situation verschlechterte sich.

Lüschers Nachfolger Frank Ruschitzka brachte an einer Sitzung der Leitung des Herzzentrums Anschuldigungen gegen Maisano vor. Diese betrafen laut Bericht der Aufsichtskommission die angebliche Nichtoffenlegung von Interessenbindungen und die Unterschlagung von Komplikationen in Veröffentlichungen.

Maisano forderte daraufhin die Durchführung eines Audits. Die Resultate des Audits wurden am 29. Oktober 2019 vorgelegt und entlasteten Maisano weitgehend. Bald gab es jedoch Zweifel an der Unabhängigkeit der Auditoren. Mitte Dezember formulierte der Whistleblower dann seine Vorwürfe und überreichte sie der Klinikdirektion.

Was wird Maisano vorgeworfen?

Der Whistleblower beschuldigt Maisano,

  • wissenschaftliche Artikel geschönt zu haben. Maisano soll in Kurzartikeln, etwa für das «European Heart Journal», Komplikationen bei Operationen verschwiegen haben. 
  • Interessenkonflikte verschwiegen zu haben. Maisano soll in wissenschaftlichen Artikeln und gegenüber Patienten nicht transparent gemacht haben, dass er an Firmen beteiligt ist, deren Implantate er einsetzt.
  • das Patientenwohl gefährdet zu haben. Maisano soll die Implantate auch dann eingesetzt haben, wenn dies nicht dem gesundheitlichen Interesse der Patienten entsprochen habe. Er habe die Implantate testen und sich persönlich bereichern wollen.

Die Anwaltskanzlei Walder Wyss stellte in einem im Frühling 2020 veröffentlichten Zwischenbericht fest, es gebe keine Hinweise auf Mängel in Bezug auf die medizinische Leistung Maisanos. Die Juristen kamen aber auch zum Schluss, Maisano habe Interessenkonflikte verschwiegen und Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften geschönt. Der im März 2021 veröffentlichte Schlussbericht bestätigte das damalige Bild.

Wie hat das Unispital auf die Vorwürfe reagiert?

  • Nachdem der Fall im Mai publik gemacht worden war, publizierte das USZ den Untersuchungsbericht von Walder Wyss online. Maisano wurde beurlaubt, der Whistleblower war bereits zuvor entlassen worden.
  • Per 1. Juli hat das USZ Paul Vogt von der Zürcher Hirslanden-Gruppe zunächst als interimistischen Leiter der Klinik für Herzchirurgie eingesetzt.
  • Anfang September hat das USZ Maisano entlassen. Paul Vogt hat die Nachfolge angetreten.
  • Am 16. November 2020 gaben der Spitalratspräsident Martin Waser und zwei weitere Mitglieder des Spitalrats ihren Rücktritt per Sommer 2021 bekannt.

Wie hat die Universität Zürich auf die Anschuldigungen reagiert?

  • Im Mai 2020 hat die Universität Zürich gegen Maisano ein Verfahren wegen des Verdachts auf Unlauterkeit in der Wissenschaft eingeleitet und ihn in seiner Funktion als Professor beurlaubt.
  • Im März 2021 folgt die definitive Trennung. Gestützt auf die Gutachten kommt die Universitätsleitung zum Schluss, Maisano habe sich mehrfache Pflichtverletzungen als Arbeitnehmer vorzuwerfen. Es gehe um mangelnde Offenlegung von Interessenbindungen und wissenschaftliches Fehlverhalten durch die unvollständige Darstellung oder Auslassung relevanter Daten, heisst es in einer Mitteilung.

Was sagt Maisano zu den Vorwürfen?

Im Juli 2020 überreichte Maisano der Spitaldirektion eine über 100-seitige Stellungnahme. Darin heisst es in der Einleitung: «Die gegen Prof. Maisano vom Hinweisgeber erhobenen Vorwürfe sind ein unfundiertes Konstrukt zur Schädigung von Prof. Maisano.»

In der NZZ hat Maisano anschliessend erstmals öffentlich zu den Vorwürfen Stellung genommen: «Ich habe 25 Jahre lang als Herzchirurg gearbeitet, gut gearbeitet. Und jetzt kommt ein Whistleblower und verbreitet nachweislich faktenwidrige und verleumderische Geschichten. Das ist unethisch und braucht eine Reaktion.»

Zu den Vorwürfen, er habe Interessenbindungen verschwiegen, weil er finanziell vom Erfolg seiner Entwicklungen profitiert habe, sagte Maisano: «Mir wurde hier ein Strick gedreht aufgrund von vier Artikeln, bei denen es sich allesamt nicht um wissenschaftliche Publikationen handelt. Zudem habe ich dem Herausgeber meine Interessenbindung kommuniziert, er hat diese aber nicht gedruckt.» Der Herausgeber hat in einem Brief (welcher der NZZ vorliegt) an den USZ-Direktor Gregor Zünd bestätigt, die Interessenbindungen seien deklariert, jedoch nicht gedruckt worden.

Zu den Anschuldigungen, wissenschaftliche Artikel geschönt zu haben, sagte Maisano: «Es ist völlig verquer, mir nun vorzuwerfen, dass ich die wissenschaftliche Integrität verletzt hätte, weil ich und meine Kollegen in dieser Kurzpublikation, in der wir uns auf 250 bzw. 400 Wörter beschränken mussten, nicht alle Details des Eingriffs genannt haben.»

Ist der Fall strafrechtlich relevant?

Anfang August hat das USZ gegen Maisano eine Strafanzeige wegen Verdachts auf Urkundenfälschung eingereicht. Das anschliessende Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Anfang 2021 eingestellt. Es war laut Oberstaatsanwaltschaft kein strafrechtlich relevantes Verhalten festgestellt worden. Das Spital hatte Maisano verdächtigt, trotz Beurlaubung auf das interne System zugegriffen und Daten verändert zu haben.

Die Ermittlungen drehten sich um einen Bericht, der von einem Mitoperateur Maisanos verfasst worden war und einen gemeinsamen Patienten betraf. Der Eingriff hatte im Jahr 2016 stattgefunden. Das Dokument wurde jedoch erst im vergangenen Frühsommer ins interne Krankenhausinformationssystem hochgeladen und dabei zurückdatiert.

Wer genau dafür verantwortlich war, konnte die Staatsanwaltschaft nicht eruieren. Eine Klärung drängte sich aus Sicht der Staatsanwaltschaft aber auch nicht auf. Denn es habe festgestellt werden können, dass es sich beim Bericht um kein Falsifikat gehandelt habe.

«Mangels objektiver Tatbestandsmerkmale» wurde das Verfahren wegen Urkundenfälschung daher eingestellt. «Dass eine Berichterstattung einmal vergessen geht, mag zwar unschön sein, kann aber vorkommen», schreibt die Staatsanwaltschaft. Aus ihrer Sicht liegt auch kein Fall von Datenbeschädigung vor. Denn der Bedeutungsgehalt bereits gespeicherter Daten sei nicht verändert worden.

Nicht nur gegen Maisano wurde im vergangenen Jahr Strafanzeige eingereicht, sondern auch gegen den Whistleblower, wobei die Urheberschaft unbekannt ist. Dem Mann wird vorgeworfen, die Patientensicherheit gefährdet zu haben. Eine interne Untersuchung des Unispitals hat den Whistleblower inzwischen entlastet, das teilte das USZ am 9. März mit.

Im Juni 2020 hatte bereits die Patientenstelle gegen Maisano Strafanzeige wegen Körperverletzung eingereicht. In allen Fällen gilt die Unschuldsvermutung.

Wie geht es weiter?

Die wichtigsten Untersuchungen sind inzwischen abgeschlossen. Die Politik hat aber mit dem Untersuchungsbericht klargemacht, dass sie den Druck aufs USZ hoch halten will. «Wir erwarten, dass unsere Empfehlungen umgesetzt werden», sagte Claudia Frei-Wyssen (glp.), Präsidentin der Aufsichtskommission für Bildung und Gesundheit.

Wer im Spitalrat auf die drei abtretenden Waser, Lenzlinger und Lauffer folgen wird, ist derzeit noch unklar. Sie bleiben noch bis Ende Juni 2021 im Amt. Falls der Regierungs- und der Kantonsrat bis dann noch keine Nachfolger gefunden haben, allenfalls auch länger.

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