Jahrelang sollen Ärzte am Zürcher Universitätsspital zu hohe Honorare bezogen haben – zurückfordern will das Spital das Geld nicht

Die kantonale Finanzkontrolle hat bei jeder fünften Klinik des Unispitals Auffälligkeiten festgestellt. Das Spital hat bereits Massnahmen ergriffen, doch die Sache ist vertrackt.

Jan Hudec 5 Kommentare
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Es vergeht keine Woche ohne Medienberichte über das Zürcher Universitätsspital (USZ). Da gibt es die breitgetretene Affäre um den Herzchirurgen Francesco Maisano mit seinen mutmasslich geschönten wissenschaftlichen Publikationen. Zudem landeten in den letzten Wochen auch drei Direktoren anderer Kliniken in den Schlagzeilen.

Das Zürcher Universitätsspital steckt seit Monaten in Turbulenzen.

Das Zürcher Universitätsspital steckt seit Monaten in Turbulenzen.

Adrian Baer / NZZ

In all dieser Aufregung fand ein Papier keine Beachtung, das eigentlich Beachtung verdient hätte. Die Finanzkontrolle des Kantons Zürich publiziert jeweils drei Berichte pro Jahr, in denen sie über ihre Arbeit informiert. Und die Arbeit dieser diskreten Truppe besteht darin, die verschiedenen Abteilungen und Betriebe des Kantons zu durchleuchten. Meist entdeckt sie dabei nur kleinere Fehler in der Buchhaltung, immer wieder stösst sie aber auf Brisantes. Und so ist es auch beim Unispital, das sie kürzlich genauer unter die Lupe genommen hat.

Die Berichte der Finanzkontrolle selbst sind nicht öffentlich, doch die wichtigsten Erkenntnisse werden jeweils von der parlamentarischen Finanzkommission zusammengefasst. Und in deren letztem Bericht ist nun Spannendes zu finden, das auf den ersten Blick jedoch reichlich kryptisch daherkommt. Zu lesen ist darin unter anderem, dass am USZ die Deklaration der Zuweisungen zur persönlichen Sprechstunde «in erheblichem Umfang» nicht den Massstäben entspreche und die interne Selbstregulierung versagt habe.

Was ist da vorgefallen? Und was hat es mit der persönlichen Sprechstunde auf sich?

Dazu muss man Folgendes wissen: Das Unispital untersteht dem sogenannten Gesetz über die ärztlichen Zusatzhonorare. Dieses regelt, wann Ärzte Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung haben. Dies ist einerseits der Fall, wenn sie privat versicherte Patienten stationär behandeln. Andererseits gibt es aber auch dann ein Zusatzhonorar, wenn ihnen ein Patient für eine ambulante Behandlung persönlich zugewiesen wird. Die persönliche Zuweisung muss man sich etwa so vorstellen: Hausarzt Müller sagt ausdrücklich, dass sein Patient von Klinikdirektor Meier am Unispital behandelt werden soll. Überweist er seinen Patienten lediglich an die entsprechende Klinik, gibt es kein Zusatzhonorar. Mit anderen Worten: Persönliche Zuweisungen lohnen sich finanziell für die Ärzte.

Und darum geht es nun in dieser Geschichte. 2019 hat das USZ selber bei Routinekontrollen festgestellt, dass seit 2017 in einzelnen Kliniken sukzessive mehr Patienten zur persönlichen Sprechstunde zugewiesen wurden. Die Spitalleitung hat daraufhin eine externe Untersuchung beim Wirtschaftsprüfer PwC in Auftrag gegeben. Und die Prüfer kamen zum Schluss, dass es sich nicht um Einzelfälle handelte.

Der Bericht selbst ist vertraulich, das Spital verweigerte der NZZ einen Einblick – selbst die Finanzkommission des Zürcher Kantonsrats bekam den PwC-Bericht nicht zu Gesicht. Spitalratspräsident Martin Waser sagt jedoch auf Anfrage, dass man bei rund 20 Prozent der 43 Spitalkliniken diesen Trend festgestellt habe, dass also die Zahl der persönlichen Zuweisungen stärker zugenommen habe als das Patientenwachstum. Der Verdacht liegt deshalb nahe, dass Patienten aus finanziellem Interesse als «persönliche Zuweisungen» deklariert wurden, obwohl diese eben nicht ausdrücklich einem bestimmten Arzt zugewiesen worden waren.

Das Ausmass der Auffälligkeiten sei jedoch von Klinik zu Klinik sehr unterschiedlich gewesen, sagt Waser. Letztlich sei es schwierig zu sagen, wo allenfalls Missbrauch beginne, weil das Honorargesetz einen grossen Interpretationsspielraum lasse. «Aber wir gehen davon aus, dass einige Honorarbezüge zu hoch waren.» Und diese belasten die Rechnung des Spitals.

Doch wie hoch der allfällige Schaden genau ist, ist für das USZ schwierig zu beziffern. Die Schätzungen bewegen sich im Bereich eines sechsstelligen Frankenbetrags pro Jahr, sagt Waser. Aber die konkreten Zahlen seien «nicht belastbar genug», um sie öffentlich zu kommunizieren. Auch bei der Schadensabschätzung liege das Problem darin, dass sich nur sehr schwer sagen lasse, in welchen Fällen allenfalls gesetzeswidrig gehandelt worden sei.

Spitalratspräsident Martin Waser: «Eine Rückforderung wäre nicht praktikabel.»

Spitalratspräsident Martin Waser: «Eine Rückforderung wäre nicht praktikabel.»

Annick Ramp / NZZ

Das Spital hat deshalb darauf verzichtet, möglicherweise unrechtmässig bezogene Honorare zurückzufordern. «Wir haben das zwar geprüft, dann aber verworfen. Die Rückforderung wäre schlicht nicht praktikabel», meint Waser. Weil die Honorare nicht direkt dem betreffenden Arzt ausbezahlt werden, sondern in einen Klinik-Pool kommen, aus welchem dann die Honorare an die Kaderärzte der Klinik verteilt werden, wäre es nur schon schwierig zu sagen, wer in welchem Ausmass von den zu hohen Bezügen profitiert hat. Auch wäre es extrem aufwendig, im Einzelfall nachzuweisen, welche Patienten tatsächlich persönlich zugewiesen wurden und welche nicht.

Aus Wasers Sicht wäre die Rückforderung kaum umsetzbar. «Die Folge davon wären zahllose Rechtsstreite und eine enorme Verunsicherung beim Personal.» Er befürchtet zudem, dass der Aufwand für Rechtsstreitigkeiten und Kontrollen am Ende höher sein könnte als der Betrag, den man zurückfordern könne.

Honorargesetz dürfte abgeschafft werden

Die parlamentarische Aufsichtskommission für Bildung und Gesundheit, die sich zurzeit mit diesem Thema befasst, gesteht dem USZ zu, dass die Sache sehr anspruchsvoll ist, wie Kommissionspräsidentin Katrin Cometta-Müller (glp.) sagt. «Man muss sich wirklich fragen, ob sich eine Rückforderung lohnt.» Einen definitiven Entscheid habe die Kommission, welche die Oberaufsicht über das kantonale Spital habe, allerdings noch nicht gefällt. Grundsätzlich ist Cometta-Müller aber der Meinung, dass man vor allem die «systemischen Probleme» anpacken müsse. So hat die Kommission denn auch eine Motion eingereicht, um eine rasche Revision des Zusatzhonorargesetzes anzustossen.

Auch am USZ sieht man das Grundproblem in diesem Gesetz. Nicht nur setze es falsche Anreize, sondern biete auch zu grosse Interpretationsspielräume, schreibt das Spital auf Anfrage.

Das Honorargesetz hätte – auch auf Wunsch des USZ – bereits 2017 revidiert werden sollen. Der Kantonsrat lehnte damals die Änderungen jedoch ab. Mittlerweile hat die Stimmung allerdings gedreht, neben der Kommission haben auch diverse Parteien eine Überarbeitung des Gesetzes gefordert. Dies wurde auch bei der Gesundheitsdirektion gehört.

Regierungsrätin Natalie Rickli (svp.) hat unlängst ihren Entwurf für das neue Spitalgesetz präsentiert, der das Honorargesetz obsolet machen würde. So wäre für Kaderärzte an kantonalen Spitälern neu eine Lohnobergrenze von einer Million Franken pro Jahr vorgesehen. Die Zusatzhonorare flössen zudem vollumfänglich in die Betriebsrechnung des Spitals. Indem der Grundlohn des ärztlichen Kaders erhöht und der variable Vergütungsbestandteil gesenkt würde, sollten zudem Fehlanreize für nicht oder nur schwach indizierte Behandlungen verhindert werden.

Das Spitalgesetz muss freilich noch vom Parlament behandelt werden. Um das jetzige Problem in den Griff zu bekommen, hat der Spitalrat deshalb Massnahmen getroffen, die bereits Anfang dieses Jahres in Kraft getreten sind. Damit werde unter anderem sichergestellt, erklärt Waser, dass jede persönliche Zuweisung sauber dokumentiert werde und nachvollziehbar sei. Dies bedeute zwar einen gewissen zusätzlichen administrativen Aufwand für die Ärzte, «bis wir ein neues Gesetz haben, führt daran aber kein Weg vorbei».

Interimistischer Chef unter Beschuss

Das Honorargesetz ist freilich nicht das einzige Thema, das Spitalrat und Spitaldirektion derzeit umtreibt. Neben diversen Untersuchungen, die vom Spital selbst, von der Universität und auch der Gesundheitsdirektion eingeleitet wurden, laufen im Fall von drei Klinikdirektoren auch Ermittlungen der Zürcher Staatsanwaltschaft.

Gerade die Affäre Maisano ist in den letzten Wochen zunehmend eskaliert. Mittlerweile ist auch der interimistische Leiter der Herzchirurgie, Paul Vogt, in den Strudel geraten. Am Donnerstag hat die «Weltwoche» einen Artikel publiziert, in dem sie Vogt dafür kritisiert, dass dieser neben seinem Chefposten am USZ weiterhin auch an der Klinik im Park operiere. Das Wochenmagazin schildert im Bericht eine Operation am Unispital, die Vogt zwar begonnen, aber in Absprache mit seinem Team nicht zu Ende geführt habe, um einen Eingriff an der Privatklinik zu übernehmen. Beim Patienten am Unispital kam es später zu Komplikationen, an denen dieser tags darauf verstarb.

Damit ist freilich nicht gesagt, dass Vogts Abwesenheit die Ursache für die tödlichen Komplikationen war. Die «Weltwoche» zitiert jedoch anonyme Quellen, die behaupten, Vogt sei während seines Eingriffs in der Klinik im Park nicht erreichbar gewesen. Vogt selbst bestreitet dies vehement. Er sei ohne Aufforderung ans USZ zurückgekehrt, und er sei grundsätzlich rund um die Uhr erreichbar. Dies bekräftigt auch das USZ. Die Nebentätigkeit war zudem von Anfang an so mit Vogt vereinbart gewesen.

Just am gleichen Tag, an dem die «Weltwoche» diesen Artikel publiziert hat, wird Vogt im «Tages-Anzeiger» in einer anderen Angelegenheit zitiert. Der Herzchirurg habe am vergangenen Samstag in seinem Briefkasten in der Klinik im Park einen Zettel gefunden, auf dem geschrieben gestanden sei: «Weitermachen heisst Tod».

Vogt habe seinen Rechtsanwalt beauftragt, bei der Zürcher Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Unbekannt einzureichen. In der Zeitung wird er wie folgt zitiert: «Alle meine professionellen Berater sagen mir, ich müsse die Sache ernst nehmen. Deshalb reiche ich Strafanzeige ein.» Der «Tages-Anzeiger» stellt die anonyme Morddrohung in den Kontext der Affäre Maisano. Ob die Sache tatsächlich damit zusammenhängt, ist nicht geklärt, zumal der Absender der Drohung ja nicht bekannt ist.

Subkommission erhält Hinweise

Auch das Kantonsparlament befasst sich derzeit eingehend mit den Querelen am USZ. Der Kantonsrat hat eigens eine Subkommission eingesetzt, welche die publik gewordenen Vorwürfe untersuchen soll. Geleitet wird die Kommission von Arianne Moser (fdp.), die von einer spannenden, aber auch sehr fordernden Arbeit spricht. Mit Ergebnissen sei noch nicht so bald zu rechnen, «wir hoffen, dass wir bis Ende Jahr zumindest zu einem Teilbereich Aussagen machen können». Das hänge aber auch von anderen Untersuchungen ab, die unter anderem bei der Gesundheitsdirektion und der Universität liefen. Momentan sei man noch damit beschäftigt, die Grundlagen zu erarbeiten. Zudem hätten diverse Personen Kontakt zur Kommission aufgenommen, da sie Informationen zur Situation am Spital liefern wollten. «Diese werden wir nun prüfen», sagt Moser.

Vergangenheitsbewältigung hat dabei nicht oberste Priorität. Zwar sei es schon das Ziel der Subkommission, allfälliges Fehlverhalten aufzuarbeiten, aber der Fokus sei auf die Zukunft gerichtet. «Sollte sich zeigen, dass systemische Probleme am USZ oder bei der Aufsicht über das Spital bestehen», werde die Kommission Empfehlungen zu deren Behebung präsentieren.

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Anton F. Keller

„Weitermachen heisst Tod“ ist möglicherweise der Hinweis eines Whistleblowers darauf, dass das Tanzen auf mehreren Hochzeiten den Tod von Patienten zur Folge haben kann.

Rudolf Bolli

Zusatzhonorare fallen nicht vom Himmel, sondern sie werden dem Patienten beziehungsweise seiner Versicherung verrechnet. Aber davon, wer diese bezahlt, ist leider nicht die Rede in dem Bericht über die zu hohen Honorare für Spitalärzte durch die zu häufige persönliche Zuweisung von ambulanten Patienten. Und es bleibt auch unklar, ob diese Zuweisungen allenfalls über den Kopf des Patienten hinweg erfolgen, weil er im Aufnahmeformular für die Klinik angegeben hat, dass er eine Versicherung als Privatpatient hat. Die Behauptung, zu hohe Zusatzhonorarbezüge von ambulanten Privatpatienten belasteten die Rechnung des Spitals, trifft nicht zu. Sie belasten die Patienten und die Versicherungen, und diese müssten Rückforderungen stellen. "Ambulante Privatpatientinnen und Privatpatienten … schulden für die Beanspruchung einer honorarberechtigten Ärztin oder eines honorarberechtigten Arztes ein Zusatzhonorar," heisst es in §16 der Taxordnung des Universitätsspitals. Die Zusatzhonorare beruhen gar nicht auf dem Honorargesetz; dieses regelt nur die Verteilung. Wenn nun die Gesundheitsdirektion durch ein neues Spitalgesetz die Zusatzhonorare einfach in die Betriebsrechnung des Spitals fliessen lassen möchte, so ist nicht die Frage, wie weit Zusatzhonorare überhaupt gerechtfertigt sind, sondern es geht nur darum, wer sie kassieren darf. Und offenbar sind ambulante Privatpatienten willkommen zur Subventionierung des stationären Spitalbetriebes. Gefragt werden sie ja nicht.