Streit um eine Entlassung, rote Zahlen und eine akut gefährdete Fusion: Wie das Spital Uster in die Krise gerutscht ist

Lange Zeit hat sich die Spitalführung in Uster nur halbherzig um die finanziellen Probleme gekümmert. Nun versucht sie zwar das Ruder herumzureissen. Doch die Zeit ist knapp.

Jan Hudec, Reto Flury, Stefan Hotz
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Das Spital Uster will mit dem Spital Wetzikon fusionieren. Doch die Abstimmung darüber musste kurzfristig verschoben werden, weil Uster in finanzielle Schieflage geraten ist.

Das Spital Uster will mit dem Spital Wetzikon fusionieren. Doch die Abstimmung darüber musste kurzfristig verschoben werden, weil Uster in finanzielle Schieflage geraten ist.

Adrian Baer / NZZ

Was sich in den letzten Tagen im Spital Uster abgespielt hat, ist wahrscheinlich nur ein Symptom einer grösseren Krise. Am Spital herrscht seit der Entlassung von Esther Bächli, der Leiterin des Departements für innere Medizin, Unruhe. Dass das Arbeitsverhältnis mit der weitherum geschätzten Ärztin beendet wurde, kam für viele Angestellte aus heiterem Himmel.

Auf allen möglichen Kanälen verschaffen sie ihrem Frust nun Luft. Einige, wie Bächlis Stellvertreter, tun dies auch öffentlich. In einem Leserbrief im «Zürcher Oberländer» mit dem Titel «. . . denn sie wissen nicht, was sie tun» warf er dem Verwaltungsratspräsidenten recht unverhohlen Inkompetenz vor. Während Bächli einen Leistungsausweis habe, «kann der Präsident des Verwaltungsrates bisher keinen solchen vorweisen». Trotzdem übernimmt der Stellvertreter nun interimistisch Bächlis Aufgabe.

Er ist nicht der Einzige, der sich entrüstet hat. In einem offenen Brief, der von 42 Ärztinnen und Ärzten diverser Spitäler und Privatpraxen unterschrieben wurde, ist von fehlender Weitsicht und einer «grotesken Unterschätzung» der Leistung von Esther Bächli die Rede. Der Entscheid schwäche die medizinische Klinik und gefährde die medizinische Grundversorgung der Region, heisst es darin.

Das Spital und Bächli haben Stillschweigen vereinbart. Das Wording lautet, dass sich Bächlis Vorstellungen nicht «mit den strategischen Zielen des Spitals Uster in Einklang bringen» liessen. Ungeachtet der hohen Fachkompetenz von Esther Bächli, die für den Verwaltungsrat ausser Zweifel stehe, sei eine Zusammenarbeit unter diesen Umständen nicht mehr möglich.

Worin genau die Meinungsverschiedenheiten bestanden haben, ist unklar. Ärzte beschreiben Bächli als starke und temperamentvolle Frau, die sich nicht scheue, Probleme offen zu benennen. Damit sei sie wohl bei der Spitalführung angeeckt. Von anderen wird sie dagegen als kompromisslos, bisweilen gar rücksichtslos bezeichnet. Sie habe sich bei nötigen Sparmassnahmen völlig quergestellt. Obwohl es fachlich nun ein grosser Verlust sei, habe die Spitaldirektion handeln müssen.

Plötzlich 7 Millionen Franken im Minus

Wo die Wahrheit liegt, lässt sich kaum sagen, vielleicht irgendwo in der Mitte. Fakt ist aber, dass das Spital – mit seinen 1300 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 150 Millionen Franken einer der wichtigsten Arbeitgeber der Region – tatsächlich sparen muss, denn es ist in arge Schieflage geraten.

Dabei hatte vor kurzer Zeit eigentlich alles noch gut ausgesehen. Vor vier Jahren hatten die Stimmberechtigten Ja gesagt zu einem grossen Um- und Neubau, bei den Fallkosten konnte Uster in den letzten Jahren gut mit anderen Spitälern mithalten. Und zuletzt strebte man eine Fusion mit dem Nachbarspital in Wetzikon an, die reihum als sinnvoll betrachtet und von keiner einzigen Partei bekämpft wurde. Das Spital schien also auf dem Weg in eine rosige Zukunft zu sein, als sich in der Corona-Krise plötzlich Risse in der Fassade zeigten.

Ende März, während die Schweiz im Lockdown steckte, gab das Spital Uster sein Jahresergebnis für 2019 bekannt, und das sah schlecht aus. Statt des angepeilten Gewinns von 4 Millionen Franken resultierte ein Minus von 7 Millionen. Begründet wurde dies damals mit gesunkenen Patientenzahlen, höheren Personalkosten und hohen Ausgaben bei der Einrichtung eines neuen Klinikinformationssystems.

Aber so ganz genau hörte wohl niemand hin, denn die Bevölkerung wurde damals von der Angst beherrscht, dass die Spitäler nicht mit den Covid-19-Patienten fertigwerden könnten. Wenig später tauchten dann aber weitere Fragezeichen zum Zustand des Spitals auf. Mitte Juli publizierte die Gesundheitsdirektion einen Vergleich zu den Fallkosten der Spitäler. Uster figurierte am Schluss der Rangliste und war mit einem Schlag also das teuerste Spital im Kanton – noch deutlich hinter den einstigen Stadtzürcher Problemspitälern Triemli und Waid.

«Fusion auf Messers Schneide»

Doch das Ausmass der Schwierigkeiten, in denen das Spital Uster steckte, wurde erst eine Woche später deutlich. An einer kurzfristig einberufenen Medienkonferenz gaben die Spitalverantwortlichen bekannt, dass die Fusionsabstimmung, die eigentlich im September hätte stattfinden sollen, verschoben werden müsse. Der Grund: Das Spital hat so viel an Wert verloren bzw. die Ertragsaussichten haben sich derart verschlechtert, dass der mit Wetzikon ausgehandelte Vertrag nicht mehr eingehalten werden könnte. Wetzikon und Uster hatten sich darin auf ein Beteiligungsverhältnis von 50 zu 50 geeinigt. Vor der Unterzeichnung des Fusionsvertrags fand jedoch eine Neubewertung statt auf der Basis der Kennzahlen von 2018, 2019 und 2020. Und diese, so gaben die Spitalverantwortlichen bekannt, rechtfertige das ausgeglichene Verhältnis nicht mehr.

Zwar habe das Spital Massnahmen ergriffen, um die finanzielle Situation zu verbessern. Und der Verwaltungsrat sei davon ausgegangen, dass diese bereits 2019, sicher aber 2020 greifen würden, wird der Verwaltungsratspräsident Reinhard Giger im «Zürcher Oberländer» zitiert. «Das war, wie wir im Rückblick sehen, eine Fehleinschätzung.» An der Fusion wolle man trotzdem festhalten. Sie stehe nun aber auf Messers Schneide.

Dass die Probleme im Spital derart akut sind, darüber hatte die Führung lange geschwiegen. Auch dann noch, als sich die Delegierten des Zweckverbands am Abend des 17. Juni im Landberghaus in Greifensee zu ihrer Versammlung trafen. Zwar war das schlechte Ergebnis der Rechnung 2019 ein Thema. Der Spitaldirektor und der Verwaltungsratspräsident versprachen Massnahmen. Es war von Dingen wie Lean Management, einer Task-Force und einem Guest-Relation-Konzept die Rede, wie dem Sitzungsprotokoll zu entnehmen ist. Beim Thema Fusion machte die Spitalführung jedoch gute Miene. Die Vorbereitungen liefen, der Vertrag sei «fortgeschritten», und Giger ermunterte die Delegierten, die gefassten Ja-Parolen erneut zu publizieren. «Für die Bevölkerung sind diese Empfehlungen wichtig.»

Als nur einen Monat später bekanntwird, wie gefährdet die Fusion eigentlich ist, fühlt es sich für die Politiker wie ein Schlag in die Magengrube an. Eine Delegierte, die hier nicht genannt werden möchte, sagt, sie habe die Sache erst einmal sacken lassen müssen. Heftige politische Reaktionen blieben jedoch weitgehend aus. Vielleicht auch deshalb, weil dem Verwaltungsrat gleich drei Vertreter grosser Parteien angehören: SVP, SP, FDP.

Nur von den Ustermer Grünen gab es eine geharnischte Reaktion. In einer Medienmitteilung schreiben sie von einem «Debakel, das sich angekündigt hatte». Zu lange sei die schwierige finanzielle Situation des Spitals Uster ignoriert, negiert und totgeschwiegen worden. «Der Spitalstandort Uster scheint gefährdet. Personalentlassungen können nicht mehr ausgeschlossen werden», heisst es weiter.

Finanzielle Probleme schon seit 2017

Tatsächlich treffen die Grünen hier wunde Punkte. Wie immer, wenn ein Betrieb in finanzielle Schieflage gerät, passiert dies nicht von heute auf morgen. Ein Blick in die Zahlen des Spitals zeigt, dass die Aussichten schon seit geraumer Zeit nicht rosig waren. Bereits 2017 war das Betriebsergebnis negativ (–1,4 Millionen Franken), nur dank Sondereffekten konnte es ins Plus gedreht werden. Auch ein Jahr später war das Betriebsergebnis nur knapp positiv (0,8 Millionen), doch auch hier halfen Sondereffekte – Auflösung von Fondskonten –, das Gesamtergebnis deutlich besser erscheinen zu lassen, als es eigentlich war. 2019 war dann aber Schluss mit Sondereffekten, und so schlugen die negativen Zahlen voll durch.

Eines der Hauptprobleme ist, wie in vielen anderen Spitälern auch, dass die Zahl der stationären Patienten abnimmt. Zwar steigen parallel die ambulanten Eingriffe, doch die sind für die Spitäler kaum kostendeckend. Für diese Entwicklung können die Verantwortlichen des Spitals Uster an sich wenig. Ihr Versäumnis liegt aber darin, dass sie nicht richtig auf die Entwicklung reagiert haben. Denn während die Einnahmen stagnierten, nahmen die Kosten kontinuierlich zu, zwischen 2016 und 2019 um satte 13 Millionen auf 149 Millionen Franken.

Spätestens 2019 hätte klar sein müssen, was es geschlagen hat. Doch statt zu sparen, wurden die Ausgaben gegenüber dem Vorjahr um 7 Millionen Franken erhöht. Dabei wurden unter anderem 36 zusätzliche Vollzeitstellen geschaffen – sowohl bei Ärzten, in der Pflege als auch in der Verwaltung. Das negative Ergebnis ist bekannt.

Selbst die Spitalführung spricht auf Anfrage nun von einer «finanziell angespannten Situation» und räumt zumindest indirekt Fehler ein. Dass die Ausgaben von 2018 auf 2019 nochmals so deutlich erhöht wurden, sei hauptsächlich auf den strategischen Entscheid zurückzuführen, alle Spitalbetten zu betreiben, schreibt das Spital in einer Stellungnahme. Dies sei jedoch nicht ohne «kostenintensives externes Personal zu schaffen» gewesen. «Die erwartete Steigerung der Bettenauslastung blieb jedoch aus und schuf Überkapazitäten.» Anfang 2020 sei die bisherige Strategie nun aber korrigiert worden, die Ressourcenplanung soll sich nun «stärker an der gegebenen Auslastung orientieren». Im Klartext heisst dies, man hatte zuvor schlicht zu viel Personal für zu wenig Patienten eingestellt.

Die Spitalführung legt aber Wert auf die Feststellung, «dass das Spital Uster seit Februar diesen Jahres unter neuer operativer Verantwortung steht». Der Spitaldirektor Andreas Mühlemann wurde damals von Andreas Greulich abgelöst. Wenn das Spital die Versäumnisse nun dem ehemaligen Chef anzulasten versucht, dann macht es sich die Sache damit etwas gar einfach. Im Fokus stehen vor allem strategische Entscheide, und für die ist der Verwaltungsrat verantwortlich. Diesem gehört neben dem ehemaligen CS-Immobilienchef Giger unter anderem auch die Ustermer Stadtpräsidentin Barbara Thalmann (sp.) an.

Massnahmen eingeleitet

Die Spitalführung scheint den Ernst der Lage mittlerweile erkannt zu haben. Wie die finanziellen Schwierigkeiten gelöst werden sollen, wird zwar nicht im Detail kommuniziert. Konkret wurden aber bereits Betten geschlossen. Zudem sollen Prozesse effizienter gestaltet werden. Da das Personal der grösste Ausgabenposten in einem Spital ist, wird man in Uster wohl auch nicht um Stellenkürzungen herumkommen.

Zudem werden auch die Investitionen «einer eingehenden Prüfung unterzogen», wie es auf Anfrage heisst. Im Fokus steht dabei vor allem der geplante Um- und Erweiterungsbau, für den ursprünglich 350 Millionen Franken veranschlagt worden waren. Auch wegen der Fusion ist schon länger klar, dass die Sache nicht mehr so gross werden soll wie geplant. Der Umfang der Redimensionierung sei aber noch Gegenstand von Diskussionen.

Viel Zeit bleibt den Verantwortlichen nicht, wenn sie das Ruder rechtzeitig herumreissen wollen. Der Termin für die Fusionsabstimmung wurde auf den nächsten Frühling verschoben. Bis Ende Jahr muss feststehen, ob die getroffenen Massnahmen ausreichen, um ein Beteiligungsverhältnis von 50 zu 50 zu rechtfertigen. Reichen sie nicht, dürfte die Fusion vom Tisch sein. Der Vertrag müsste dann neu verhandelt werden und den politischen Instanzenweg gehen. Damit würde es wohl zu knapp mit der Bewerbung für die neue Spitalliste, die bereits im Juli 2021 erfolgen müsste. Ein Zusammenschluss, bei dem Uster gewissermassen von Wetzikon übernommen würde, dürfte es ausserdem auch in der Bevölkerung schwer haben.

Auch wenn eine Fusion ausbliebe, müsste das Spital die finanzielle Situation in den Griff bekommen. Für die kantonalen Leistungsaufträge spielt die wirtschaftliche Situation eine massgebliche Rolle. Und diese Leistungsaufträge sind überlebenswichtig für die Spitäler.

Dem Spital Uster stehen schwierige und entscheidende Monate bevor. Man darf gespannt sein, ob die Verantwortlichen diese anspruchsvolle Aufgabe meistern werden. Wenn Giger von einem «Hosenlupf» spricht, dann muss man dies wohl als Untertreibung verstehen.

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