AOK-Chef: Corona-Pandemie zeigt, dass wir weniger Kliniken brauchen

Ein leeres Krankenbett steht in einem Behandlungszimmer in einem Klinikum.

Ein leeres Krankenbett steht in einem Behandlungszimmer in einem Klinikum.

Berlin. Bei den bundesweit elf regionalen Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) sind über 26 Millionen Menschen versichert. Der AOK-Bundesverband in Berlin wird seit 2016 von Martin Litsch geführt. Ein Gespräch über Finanzlöcher durch Corona, hohe Testkosten und Klinikschließungen.

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Herr Litsch, anders als vermutet hat die Pandemie die Krankenkassen bisher nicht be- sondern sogar entlastet. Waren also alle Warnungen überzogen?

Nein. Richtig ist, dass wir einen starken Rückgang bei der Zahl der Behandlungen hatten, weil Operationen verschoben wurden, um Betten für Covid-19-Erkrankte frei zu halten. Außerdem sind viele Versicherte aus Angst vor einer Ansteckung nicht zum Arzt gegangen. Das hat vor allem im April und Mai zu starken Fallzahlenrückgängen im Krankenhaus, in den Arztpraxen und anderswo geführt. Inzwischen ist die Auslastung aber schon fast wieder normal. Das bedeutet dann allerdings wiederum starke Ausgabedynamiken und perspektivisch rote Zahlen. Große Sorgen macht uns aber vor allem das kommende Jahr.

Martin Litsch, der Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes.

Martin Litsch, der Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes.

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Warum?

In den vergangenen Boomjahren wurden die jährlichen Kostensteigerungen von mehr als fünf Prozent durch kräftig steigende Einnahmen überdeckt . Das ist wegen des Konjunktureinbruchs nun vorbei. Gesundheitsminister Spahn hat es leider versäumt, die guten Jahre für Strukturreformen zu nutzen, um den Kostenanstieg zu bremsen. Stattdessen wurden fast alle Akteure im Gesundheitswesen mit mehr Geld beglückt: Kliniken, Ärzte, Therapeuten oder Apotheker. Das hat den Anstieg der Kosten beschleunigt. Dazu kommen nun noch zusätzliche Ausgaben durch Corona.

Sie meinen unter anderem die Tests.

Das Testen ist wichtig, keine Frage. Aber es ist einfach unangemessen, dass wir für jeden Test knapp 40 Euro bezahlen müssen. Die Labore machen damit inzwischen dicke Gewinne.

Sie lassen nicht locker, oder? Im Sommer hatten Sie von einem fairen Preis von 15 Euro gesprochen und mussten deshalb erhebliche Kritik der Labore einstecken.

Ich habe danach viele Gespräche geführt, auch mit Unternehmen, die nicht im Labor-Verband ALM organisiert sind. Sie haben mir gesagt, dass sie mit der Hälfte gut leben könnten. 20 Euro wären also durchaus angemessen.

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Das klingt ja so, als sei ein Kartell am Werk.

Das haben Sie gesagt.

Warum verhandeln Sie nicht über neue Preise?

Uns sind hier die Hände gebunden. Ich appelliere an Gesundheitsminister Spahn, den Weg dafür zu ebnen, dass die Kassen mit Laboren die Preise für Corona-Tests selbst verhandeln können. Dann könnten wir für unsere Versicherten und die Arbeitgeber viel Geld sparen. Wir brauchen wieder mehr Markt und weniger Staat.

Ab 2021 dürften neben den Testkosten auch noch die Ausgaben für die Corona-Impfung hinzukommen. Das könnte teuer werden.

Das macht mir in der Tat große Sorgen. Denn wir sind nicht in der Position, mit Impfstoffherstellern über die Preise verhandeln zu können. Wir müssen das zahlen, was gefordert wird. Das kann in die Milliarden gehen.

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Uni Lüttich will bei Corona-Tests neue Wege gehen

Ab September sollen sich Tausende Studenten und akademische Mitarbeiter testen lassen.

Die Kosten klettern, die Einnahmen sinken. Wie stark müssen die Beiträge im nächsten Jahr steigen?

Im Durchschnitt hoffentlich gar nicht. Denn die Bundesregierung hat zugesagt, dass die Sozialabgaben insgesamt bei 40 Prozent stabil bleiben sollen. Um das für die Krankenversicherung zu gewährleisten, muss der für 2021 erwartete Fehlbetrag von knapp 17 Milliarden Euro aus Steuermitteln ausgeglichen werden.

Haben Sie die Zusage von Spahn, dass das Geld fließt?

Auf der fachlichen Ebene haben wir mit dem Gesundheitsministerium Einigkeit über die Finanzperspektive hergestellt . Und der Minister hat uns persönlich zugesichert, dass er sich in den anstehenden Haushaltsgesprächen dafür einsetzen wird, die notwendigen Mittel in den Gesundheitsfonds einzubringen.

Spahn über die Stärkung der Gesundheitsämter
BERLIN, GERMANY - SEPTEMBER 04: Health Minister Jens Spahn speaks to the media following a virtual meeting with other EU health ministers and officials as part of Germany's European Council presidency during the coronavirus pandemic on September 04, 2020 in Berlin, Germany. Spahn said he and the other ministers agreed that once a European vaccine against the virus exists that it will be made available for all countries of the EU simultaneously.  (Photo by Sean Gallup/Getty Images)

Der Bund will vier Milliarden Euro geben, damit Länder, Städte, Gemeinden und Landkreise in Personal, die Digitalisierung und in Strukturen investieren können.

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Lassen Sie uns bei den Ausgaben bleiben. Sie haben vor Corona gesagt, von den knapp 2000 Krankenhäusern in Deutschland sei ein Viertel nicht notwendig. Würden sie den Satz heute noch immer so sagen?

Selbstverständlich. Die Pandemie hat gezeigt, dass er aktueller denn je ist.

Kritiker vertreten die gegenteilige These: Die Pandemie habe deutlich gemacht, wie wichtig die vielen Kliniken sind.

Bisher wurden 70 Prozent der Corona-Patienten in 25 Prozent der Kliniken behandelt. Die Patienten wurden und werden in großen Krankenhäusern versorgt, die Spezialisten haben die notwendige intensivmedizinische Ausstattung und schlicht genug Platz, um Isolierstationen einzurichten. Damit wären kleine Häuser einfach strukturell überfordert. Die Pandemie widerlegt also nicht die Notwendigkeit einer Reform, sondern sie bestätigt sie. Wir brauchen mehr Spezialisierung und mehr Zentralisierung. Für Corona-Patienten war diese zentralisierte Krankenhausbehandlung jedenfalls ein Segen.

In der Bevölkerung besteht aber die Sorge, bei einer Schließung von Krankenhäusern von der Gesundheitsversorgung abgeschnitten zu werden.

Das Überangebot herrscht vor allem in Ballungsgebieten. Und es geht doch gar nicht darum, jedes kleinere Krankenhaus gleich zu schließen. Die Notfall- und Grundversorgung muss selbstverständlich in der Fläche gewährleistet werden. Aber nicht alle Kliniken müssen alles anbieten. Außerdem kommt auch eine Umwandlung zum Beispiel in ambulante Gesundheitszentren in Frage.

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Dennoch: Die Wege für die Patienten werden im Zweifel länger.

Unwesentlich. Dafür werden sie aber auch besser versorgt. Wenn ein Patient einen Schlaganfall hat, ist es sinnvoller, ihn im Rettungswagen 15 Minuten länger in eine Klinik mit einer Stroke Unit zu fahren, als ihn im näher gelegenen Krankenhaus ohne Schlaganfalleinheit abzuliefern. Es ist unbestritten, dass dies für die Behandlungsergebnisse für die Patienten entscheidend ist.

Über eine Reform der Kliniklandschaft wird schon seit Jahrzehnten ergebnislos diskutiert. Warum soll das jetzt anders werden?

Ich bin sicher, dass durch die Pandemie auf allen Ebenen ein Umdenken eingesetzt hat. Zudem werden der ökonomische Druck und der zunehmende Fachkräftemangel eine Reform befördern. Im europäischen Vergleich haben wir zum Beispiel in Deutschland eigentlich genug Pflegekräfte. Aber sie sind derzeit auf zu viele Einrichtungen verteilt. Das können wir uns einfach nicht mehr leisten.

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