S 15 KR 1684/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 KR 1684/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Behandlungsleitung beim OPS 8-980
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.132,66 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten pro Jahr seit dem 08.09.2017 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 9.132,66 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist die Vergütung für stationäre Krankenhausbehandlungen.

Die Beklagte ist eine gesetzliche Krankenversicherung. Die Klägerin Trägerin des Krankenhauses A. (nunmehr: Krankenhaus) in H-Stadt.

Der bei der Beklagten versicherte Patient C. (nunmehr: P) befand sich vom 16.01.2015 bis zum 07.02.2015 und dann wieder vom 24.02.2015 bis zum 13.03.2015 in der Klinik der Klägerin in intensivmedizinischer stationärer Behandlung. Die beiden Aufenthalte wurden für die Abrechnung in einer Fallzusammenführung als ein Aufenthalt vom 16.01.2015 bis zum 13.03.2015 behandelt. Abgerechnet wurde die DRG A13C und ein Gesamtbetrag von 34.727,62 EUR.

Nach zunächst erfolgter Begleichung der Rechnung leitete die Beklagte eine Prüfung ein, wobei der MDK mit Gutachten vom 03.11.2015 die Durchführung der Krankenhausbehandlung und die korrekte Abrechnung bestätigte. Entsprechend wurde auch die geltend gemachte Aufwandspauschale in Höhe von 300 EUR beglichen.

Mit Schreiben vom 11.08.2017 berief sich die Beklagte sodann darauf, dass im Hinblick auf die durchgeführte intensivmedizinische Komplexbehandlung (OPS 8-980 und 8-98f) eine Rechnungskürzung erfolgen würde. Zunächst wurde der gesamte auf den strittigen Behandlungsfall bezahlte Betrag in Höhe von 34.727,62 EUR in Abzug gebracht und dann ein gekürzter Betrag in Höhe von 25.594,96 EUR bezahlt. Diese Zahlung aus der Sammelüberweisung vom 07.09.2017 ging am 08.09.2017 bei der Klägerin ein.

Die Klägerin erhob am 19.10.2018 Leistungsklage zum Sozialgericht München.

P sei aus dem städtischen Klinikum C-Stadt am 16.01.2015 zur neurologischen Frührehabilitation und zum "Weaning" (Entwöhnung der Beatmung) in die Klinik der Klägerin verlegt worden. Er sei durchgehend auf der neurologischen Intensivstation 2J behandelt worden. Zur weiteren Behandlung und zur Gefäßdarstellung sei P am 07.02.2015 in das Klinikum E. verlegt worden, dort bis zum 24.02.2015 behandelt und dann in die Klinik der Klägerin zurückverlegt worden. Am 13.03.2015 habe P bei gutem Allgemeinzustand zur weiteren stationären Rehabilitation nach F-Stadt verlegt werden können.

Der MDK habe die korrekte Abrechnung des betreffenden OPS 8-980.30 bereits bestätigt. Die Beklagte stelle sich auf den Standpunkt, dass die Kodierung der intensivmedizinischen Komplexziffer nicht zulässig sei, weil formale Strukturvoraussetzungen nicht erfüllt gewesen seien. Welche Strukturvoraussetzungen gemeint seien, gehe aus dem entsprechenden Schreiben vom 11.08.2017 nicht hervor, vermutet werde aber die Beanstandung der Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin. Diese Auffassung habe sich wohl aufgrund einer Strukturprüfung vom MDK Nord in Hamburg für 2015/2016 ergeben. Eine solche allgemeine Strukturprüfung sei gesetzlich nicht vorgesehen. Gleichwohl sei eine solche Strukturprüfung mit Begehung des MDK vor Ort am 08.11.2016 durchgeführt worden.

Das Krankenhaus verfüge über eine interdisziplinäre Intensivstation (7A) und eine neurologische Intensivstation mit der Stationen 2J und 2K. Letztere würden unmittelbar nebeneinanderliegen und seien zwei Untereinheiten einer einheitlichen neurologischen Intensivstation. Als Prüfzeiträume habe der MDK die Zeiträume vom 01.10.2015 bis 31.12.2015 und vom 01.06.2016 bis 31.08.2016 festgelegt. Das Ergebnis der Bewertung sei in einer Strukturanalyse vom 20.01.2017 bekannt gegeben worden. Nach Einwendungen des Krankenhauses sei das Ergebnis der Nachprüfung am 24.03.2017 übermittelt worden.

Die Hamburgische Krankenhausgesellschaft habe mit den Krankenkassen "Rahmenbedingungen für Prüfungen von Strukturmerkmalen in Hamburg" vereinbart. Unter Ziffer 5 sei aufgenommen worden, dass bis zum Abschlussgespräch von den Krankenkassen keine Umsetzungsmaßnahmen eingeleitet werden würden. Daher könnten Beanstandungen erst ab dem Zeitpunkt der Beendigung der Strukturprüfung und dem Termin des Abschlussgesprächs erfolgen. Rückforderungen für Behandlungsfälle aus dem Jahr 2015 seien daher ausgeschlossen.

Ungeachtet dessen sei das Merkmal der Behandlungsleitung erfüllt. Eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation sei gewährleistet gewesen und auch vom MDK bestätigt worden. Eine ständige Anwesenheit des Behandlungsleiters sei nach dem Wortlaut des OPS nicht vorausgesetzt. Ungeachtet dessen sei auf der neurologischen Intensivstation aufgrund der hohen Qualifikation der oberärztlichen Mitarbeiter sichergestellt gewesen, dass jederzeit eine Behandlungsleitung vor Ort mit der geforderten Zusatzqualifikation anwesend war. Eine Behandlungsleitung ausschließlich über eine Delegation an einen Rufdienst habe nicht stattgefunden. An den Wochenenden und Feiertagen sei die Behandlungsleitung vor Ort durch einen entsprechend qualifizierten Facharzt ausgeübt worden. Der entsprechende Dienst beginne regulär um 9:00 Uhr und dauere bis 14:30 Uhr. Im Rahmen dieses Regeldienstes sei die Visite als Kernbereich der Behandlungsleitung erfolgt. Erst nach dem Regeldienst sei der Dienst in einen Rufdienst übergegangen. Der betreffende Oberarzt habe damit innerhalb von 25 Minuten herbeigerufen werden können. Rechtlich sei eine abstrakte Überprüfung von Strukturmerkmalen nicht vorgesehen. Diese sei nur in Zusammenhang mit der nach § 275 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) üblichen Prüfung der OPS-Mindestmerkmale zulässig (Verweis auf Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 24.01.2018, Aktenzeichen S 40 KR 591/13). Auch das SG Osnabrück (Urteil vom 14.02.2018, S 34 KR 576/16, juris) habe eine entsprechende Klarstellung zum Strukturmerkmal der Behandlungsleitung verfasst.

Die Klägerin beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.132,66 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten pro Jahr seit dem 08.09.2017 zu zahlen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der MDK habe im Gutachten vom 02.11.2015 (Bl. 12-16) das Vorliegen der strukturellen Voraussetzungen des OPS 8-980 nicht geprüft. Im Rahmen einer Strukturprüfung habe der MDK hingegen festgestellt, dass die Klägerin die strukturellen Voraussetzungen der Prozedur nicht erfüllt habe. Damit habe sich für den Behandlungsfall die DRG A13F ergeben. Die Strukturvoraussetzungen sei nicht erfüllt, da an Wochenenden lediglich ein Rufdienst eingerichtet worden sei, so dass eine ständige ärztliche Anwesenheit nicht gewährleistet worden sei. Ferner hätten die eingesetzten Ärzte an mehreren Tagen des Prüfzeitraums nicht über die Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" verfügt. Die Ansicht der Klägerin, dass eine Strukturprüfung unzulässig sei, gehe an der Sache vorbei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 22.11.2012, Az. B 3 KR 20/12 R) würden sich Erwägungen zu diesem Aspekt erübrigen, wenn das klagende Krankenhaus die Mitwirkung an der Begutachtung durch den MDK nicht unter Berufung auf eine fehlende Zulässigkeit verweigern würde. Da die Klägerin die Prüfung ermöglicht habe, könne sie sich nicht auf eine Nichtverwertbarkeit des Ergebnisses berufen.

Auf Nachfrage des Gerichts (richterlicher Hinweis vom 24.05.2019 sowie telefonische Anfrage vom 13.07.2020) legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 15.07.2019 und 20.07.2020 Belegungspläne mitsamt einer Übersichtstabelle vor. Hieraus ergibt sich, dass im gesamten Zeitraum vom 15.01.2015 bis zum 15.03.2015 wochentags eine Behandlungsleitung in Frühschicht mittels eines Facharztes mit der Zusatzausbildung Intensivmedizin (namentlich die Oberärzte G., H. und I.) stattgefunden hat und an den Wochenenden eine Rufbereitschaft durch dieselben leitenden Mediziner eingerichtet worden ist. Mit Schriftsatz vom 20.07.2020 im ebenfalls anhängigen Kammerverfahren S 15 KR 2143/18 wurde zusätzlich eine Tabelle mitsamt Belegungsplänen vorgelegt, wonach dieser Tatbestand auch für den Zeitraum bis zum 15.05.2015 zutrifft. Auch wurden die Weiterbildungsurkunden der genannten Mediziner vorgelegt. Die Dokumente wurden teilweise anonymisiert zum hiesigen Verfahren zur Akte genommen.

Mit Schriftsatz vom 19.12.2019 führte die Beklagte sodann aus, dass das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 10.03.2015 (Az. B 1 KR 4/15 R) zur Anwesenheit eines Geriaters als fachärztlicher Behandlungsleiter (im Sinne des OPS 8-550) ausgeführt habe, dass schon aus dem Wortlaut Behandlungsleitung (und nicht bloß Leitung oder Teamleitung) folgen würde, dass es hierbei um eine gesteigerte Verantwortung für die unmittelbare Behandlung der Patienten und nicht nur um die Verantwortung für die Organisation und das Funktionieren der Behandlungseinheit gehen würde. Eine derartige Verantwortung könne aber nur bei persönlicher Anwesenheit eines über die in OPS 8-550 genannten Qualifikation verfügenden, seine Behandlungsleitung für die Dauer der Behandlung tatsächlich ausübenden Facharztes wahrgenommen werden. Damit hinge die Abrechenbarkeit des OPS 8-550 auch davon ab, ob der Geriater zum Zeitpunkt der Leistungserbringung vor Ort sei. Auch der strittige OPS 8-980 setze eine Behandlungsleitung durch einen Facharzt als Mindestmerkmal voraus. Diese setze eine persönliche Anwesenheit voraus, welche nach eigenem Vortrag am Wochenende nicht gewährleistet gewesen sei. Damit seien die Mindestmerkmale nicht erfüllt gewesen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Chefarzt Dr. G. der neurologischen Intensivstation noch einmal dargelegt, dass der Terminus "Rufbereitschaft" in der neurologischen Station nicht bedeuten würde, dass ein leitender Arzt mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin an Wochenenden und Feiertagen nicht anwesend sei. Vielmehr sei gewährleistet gewesen, dass ein Oberarzt mit dieser formalen Befähigung auch an diesen Tagen Visiten durchführt und von 8:30 Uhr/ 9:00 Uhr bis mindestens 14:30 Uhr physisch anwesend ist. Erst danach sei die physische Anwesenheit in die Rufbereitschaft im Wortsinne übergegangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakte des hiesigen Verfahrens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von 9.132,66 EUR nebst Zinsen.

Zwischen den Beteiligten ist unstrittig, dass die Klageforderung in Umfang und Höhe nur dann gerechtfertigt ist, wenn aufgrund Vorliegens der Strukturvoraussetzungen des Codes OPS 8-980 (2015) dieser zu verschlüsseln war und der Klägerin entsprechend ein (höheres) Behandlungsentgelt nach DRG A13C zustehen würde.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

Die Klägerin hat die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung erfüllt, indem sie P stationär behandelt hat. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (st.Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 1/07 KR R -, SozR 4-2500 § 109 Nr 13 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind unstreitig erfüllt.

Die Höhe der Vergütung bemisst sich nach der DRG A13C unter Einbeziehung des Codes OPS 8-980.

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 7 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen - Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG). Nach § 109 Abs. 4 SGB V wird mit einem Versorgungsvertrag nach Absatz 1 das Krankenhaus für die Dauer des Vertrages zur Krankenhausbehandlung der Versicherten zugelassen. Das zugelassene Krankenhaus ist im Rahmen seines Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) der Versicherten verpflichtet.

Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge, Fallpauschalenvereinbarung (FPV)) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als "Vertragsparteien auf Bundesebene" mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den FPV auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG.

Die vertraglichen Fallpauschalen ergeben sich daraus, dass die nach den aufgezeigten gesetzlichen Regelungen hierzu berufenen Vertragspartner eine Fallpauschalenvereinbarung (FPV) mit einem Fallpauschalen-Katalog als Teil derselben und Allgemeine und Spezielle Kodierrichtlinien für die Verschlüsselung von Krankheiten und Prozeduren (Deutsche Kodierrichtlinien (DKR)) vereinbart haben. DKR und FPV bilden den konkreten vertragsrechtlichen Rahmen, aus dem die für eine Behandlung maßgebliche DRG-Position folgt (BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R -, SozR 4-5560 § 17b Nr 2). Im vorliegenden Fall sind maßgebend - jeweils normativ wirkend - die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2015 (FPV 2015) und die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2015 (DKR 2015). Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich nicht aus einem schriftlich festgelegten abstrakten Tatbestand, sondern aus der Eingabe von im Einzelnen von einem Programm vorgegebenen, abzufragenden Daten in ein automatisches Datenverarbeitungssystem und dessen Anwendung (zur rechtlichen Einordnung des Groupierungsvorgangs vgl. BSG a.a.O.). "Die Anwendung der DKR und der FPV einschließlich des ICD-10-GM und des OPS ist nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs. 2 Satz 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen" (BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R -, SozR 4-5560 § 17b Nr 2 m.w.N.; auch z.B. Urteile vom 21.04.2015 - B 1 KR 9/15 R -, und vom 01.07.2014 - B 1 KR 29/13 R - beide juris m.w.N.). Medizinischen Begriffen kommt dabei der Sinngehalt zu, der ihnen im medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch beigemessen wird (BSG, Beschluss vom 19.07.2012 - B 1 KR 65/11 B -, SozR 4-1500 § 160a Nr 32, SozR 4-5560 § 17b Nr 3).

Die von der Klägerin abgerechnete DRG A13C wird nach FPV 2015 unstrittig nur dann im Groupierungsvorgang angesteuert, wenn der OPS für die intensivmedizinische Komplexbehandlung 8-980 zur Anwendung gelangt.

Zwischen den Beteiligten ist alleine das Vorliegen der allgemeinen Mindestvoraussetzungen streitig. Die individuellen Kodiervoraussetzungen sind hingegen unstrittig; eine nähere Prüfung der erkennenden Kammer erübrigt sich insoweit (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 7 Rn. 10).

Die Kammer ist aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Beweismittel der Überzeugung, dass die allgemeinen Mindestvoraussetzungen im Zeitraum der Behandlung auf der Intensivstation im Zeitraum vom 16.01.2015 bis zum 07.02.2015 und 24.02.2015 bis 13.03.2015 vorgelegen haben. Die Klägerin ist ihrer Obliegenheit (objektiven Beweislast) zur Darlegung der Mindestvoraussetzungen (vgl. Kammerurteil vom 05.10.2017, Az. S 15 KR 1733/16, S. 8) nachgekommen.

Der streitige OPS bestimmt in der im Jahre 2015 gültigen Version als Mindestmerkmale:

* Kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten, die in der Intensivmedizin erfahren sind und die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen

* Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin"

* Eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation muss gewährleistet sein

Die Klägerin hat mit der Aufstellung gem. Schriftsatz vom 15.07.2019 sowie vom 20.07.2020 überzeugend dargelegt, dass im streiterheblichen Zeitraum die genannten Mindestmerkmale erfüllt waren. Unstreitig war durchgehend 24 Stunden pro Tag ein Ärzteteam auf der Intensivstation 2 (J/K) anwesend. Unstreitig ist auch die grundsätzliche Behandlungsleitung durch Ärzte mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin (namentlich I., G. und H., vgl. insoweit die entsprechenden Nachweise der Zusatzausbildung gem. Schriftsatz der Beklagten vom 20.07.2020 im Verfahren S 15 KR 2143/18, welche anonymisiert zur Akte beigezogen wurden). Eine nähere Prüfung der erkennenden Kammer erübrigt sich insoweit (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 7 Rn. 10).

Strittig ist alleine, ob die - unstrittig an Wochenenden und Feiertagen gegebene - Rufbereitschaft eines leitenden Arztes ausreicht, um das Merkmal der Behandlungsleitung zu erfüllen.

Es ist in diesem Kontext nach dem klaren Wortlaut des OPS 8-980 unerheblich, ob die behandlungsleitenden Ärzte am Wochenende/ feiertags Dienst hatten, denn für die Leitung bedarf es bereits nach dem Wortlaut des OPS keinesfalls eine tägliche sowie ständige (24-stündige) Anwesenheit (ähnlich Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24. März 2015 - L 11 KR 5212/13 -, Rn. 48, juris" zum OPS 8-981: "Fachliche Behandlungsleitung" im Sinne des OPS-Kodes 8-981 verlangt keine durchgehende persönliche Anwesenheit eines Facharztes für Neurologie bzw. seines Vertreters."). Es reicht, wenn ein leitender Arzt mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" die Geschicke der Intensivabteilung lenkt; andernfalls wäre im OPS die Notwendigkeit einer fortwährenden Behandlungsleitung - auch nachts und am Wochenende - anzugeben (im Ergebnis ebenso SG Osnabrück, Urteil vom 14. Februar 2018 - S 34 KR 576/16 -, Rn. 27 ff., juris). Insofern ist die Einrichtung einer Rufbereitschaft eine überobligatorische Anstrengung der Beklagten, die für die Codierung des strittigen OPS nicht erforderlich gewesen wäre. Die Klägerin hat in diesem Kontext auch weder vorgetragen noch substantiiert oder bewiesen, dass die Ärzte mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" die Geschicke der Intensivmedizin nicht gelenkt hätten, also eine medizinisch-fachliche Leitung nicht stattgefunden hat. Sie hat vielmehr alleine apodiktisch behauptet, dass eine solche Leitungsfunktion dann nicht möglich wäre, wenn die Ärzte mit der Zusatzausbildung Intensivmedizin feiertags oder an Wochenenden zum Teil nicht anwesend sind. Dem widerspricht aber bereits die übliche medizinische Leitung in Krankenhäusern, wonach eine ständige Präsenz des Chefarztes gerade nicht erforderlich ist. Leitung beinhaltet nach der Überzeugung des Gerichts immer auch die Möglichkeit der temporären Delegation von Aufgaben und beinhaltet nicht die ständige Anwesenheit des leitenden Organs.

Ein solches Erfordernis kann auch nicht aus dem Wortlaut der "Behandlungsleitung" abgeleitet werden. Im Wikipedia-Eintrag zur Führungskraft (Wirtschaft) wird ausgeführt:

"Der leitenden Tätigkeit steht die Befugnis zu, im Rahmen des Direktionsrechts mittels Weisung Aufgabenträgern ausführender Tätigkeiten vorzuschreiben, welche Handlungen sie vorzunehmen und welche sie zu unterlassen haben. Führungskräfte können mündlich (Auftrag, Befehl) oder schriftlich (Arbeitsanweisungen, Dienstanweisungen) von ihrem Weisungsrecht Gebrauch machen. Durch ihre Führungskompetenz übernehmen sie Fremdverantwortung und delegieren Durchführungskompetenzen. Zu den Führungsaufgaben einer Führungskraft gehören Organisation, Planung, Zielsetzung, Entscheidung, Koordination, Information, Mitarbeiterbewertung und Kontrolle. Für Konrad Mellerowicz darf nur eine Person eine Führungsaufgabe übernehmen (unipersonale Führung), denn der Unternehmer "hat die letzte Verantwortung für das Gesamtunternehmen zu tragen". Er meint damit jedoch, dass nur substanzielle unternehmerische Entscheidungen dem Unternehmer vorbehalten sind, denn er überträgt im Wege der Delegation auch Führungsaufgaben und Führungsverantwortung auf nachgeordnete Organisationseinheiten." [Hervorhebung durch das Gericht]

Behandlungsleitung meint in diesem Sinne daher nur, dass ein Facharzt mit der Weiterbildung Intensivmedizin die medizinische Verantwortlichkeit trägt, diese aber durchaus zeitlich temporär abdelegieren kann. Er kann diese Leitung im Rahmen von Visiten, Besprechungen, Fallerörterungen und ähnlichem, bezogen auf den medizinischen Einzelfall, ausfüllen. Hierdurch wird nicht lediglich Verantwortung für die Organisation und das Funktionieren der Organisationseinheit (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.2015, B 1 KR 4/ 15 R, juris Rn. 14), sondern für die medizinische Behandlung als solche übernommen. Inwieweit eine Delegation geschieht, bestimmt inwieweit eine "straffe" oder "lose" Leitung besteht, ändert aber nichts am Tatbestand der Leitung. Eine temporäre Komponente dergestalt, dass die ständige Anwesenheit der Leitung erforderlich ist, enthält der Wortlaut des OPS und auch die Argumentation des BSG ("seine Behandlungsleitung für die Dauer der Behandlung tatsächlich ausübender Facharzt", vgl. BSG, Urteil vom 10.03.2015, a.a.O, Rn. 14) mithin entgegen der Ansicht der Klägerin nicht. Wie dargelegt, kann eine Behandlungsleitung auch tatsächlich bei temporärer (kurzzeitiger) Abwesenheit ausgeübt werden. Vielmehr ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob aufgrund einer zu langen zeitlichen Abwesenheit eine verantwortliche Führung nicht mehr möglich ist. Dies ist nach Überzeugung der Kammer bei der hier vorliegenden maximalen Abwesenheit von 18 Stunden (bei gleichzeitig durchgehend gewährleisteter Rufbereitschaft, siehe hierzu gleich unten) hingegen nicht der Fall.

Die von der Beklagten beigebrachten Unterlagen sowie die Ausführungen von Dr. G. in der mündlichen Verhandlung haben gezeigt, dass auf der neurologischen Station 2 J/K die Grundannahmen der Klägerin falsch sind und an jedem Tag, d.h. auch an Sonn- und Feiertagen, ein leitender (Ober-) Arzt mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" anwesend war, und zwar regelhaft im Zeitraum von 8:30 Uhr/ 9:00 Uhr bis 14:30 Uhr, teilweise sogar länger. Eine wortlautgemäße oder auch systematische (dazu gleich unten) Auslegung dergestalt, dass der Terminus "Behandlungsleitung" eine ständige 24/7-Anwesenheit eines leitenden Arztes (d.h. sieben Mal die Woche für 24 Stunden) oder alternativ eine "Vollzeit"-Anwesenheit bedeutet, ist fernliegend. Bereits die unterschiedlichen Strukturforderungen der Krankenkassenseite, mal "Vollzeit", mal "24/7", zeigen, dass eine entsprechende Auslegung des schlichten Wortlauts "Behandlungsleitung" nicht möglich ist.

Eine andere Bewertung ergibt sich zur Überzeugung der Kammer auch nicht aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 14.10.2014 (B 1 KR 25/13 R). Dort war die leitende Ärztin vom 04.-12.10.2007, also über eine Woche, abwesend und leitete insbesondere nicht die Teamkonferenz, obwohl die Mindestmerkmale des dort streitigen OPS 8-550 eine wöchentliche Teambesprechung unter Beteiligung aller Berufsgruppen vorsahen. Gleiches gilt für den vom BSG verhandelten Fall B 1 KR 4/ 15 R (a.a.O.): Auch dort war der leitende Arzt fünf Tage (04.-08.10.2007) nicht anwesend und hat überdies nicht an der auch in diesem Fall notwendigen Teambesprechung (im Rahmen des OPS 8-550) nicht teilgenommen. Die Kammer stimmt dem BSG zwar zu, dass der temporäre Bezug einer medizinischen Behandlungsleitung bei einer (fast) einwöchigen Abwesenheit zu lose wird, um das Mindestmerkmal noch zu erfüllen. Ein solcher Fall ist im vorliegenden Fall mit täglicher Anwesenheit bei vollständig, und damit strukturell, gegebener Rufbereitschaft aber nicht annähernd gegeben (im Zeitraum vom 12.01.2015 bis zum 15.05.2015 war in der Station 2 (J/K) an allen Wochenend- und Feiertagen eine Rufbereitschaft mit einem Intensivmediziner eingerichtet worden).

Das hier gefundene Ergebnis hält auch einer - möglichen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Juni 2018 - B 1 KR 39/17 R) - systematischen Überprüfung stand. Die systematische Auslegung zielt auf das Verhältnis einzelner Normen zueinander ab. Es muss ein Bedeutungszusammenhang zwischen den entsprechenden Normen bestehen. Bei der systematischen Auslegung hilft vor allem ein Blick auf die Überschrift der Norm, die Überschrift des Abschnitts, in dem die Norm steht und auf nahe gelegene Normen.

Als weiteres (und somit nahegelegenes) Mindestmerkmal wird die kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten, die in der Intensivmedizin erfahren sind und die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen, kodiert. Der Normgeber hat hier eine kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und Behandlungsbereitschaft konkret aufgenommen und somit ein zeitliches Element festgeschrieben. Aus systematischen Erwägungen liegt es daher nahe, dass bzgl. des hier strittigen Mindestmerkmals der Behandlungsleitung ein solch strenges temporäres Erfordernis nicht besteht, da es andernfalls wie im vorherigen Mindestmerkmal normiert worden wäre. Zudem hat der Normgeber für den OPS 8-98f ab der Version 2019 weitreichende temporäre Elemente eingefügt, wobei selbst hier die tägliche Visite von einem Facharzt mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin, nicht notwendigerweise aber vom Behandlungsleiter, erbracht werden muss. Auch eine "24/7"-Anwesenheit des Behandlungsleiters wurde nicht normiert. Eine entsprechende Änderung/ Klarstellung fehlt aber für den OPS 8-980 (vgl. Bl. 252-267 der Gerichtsakte mit entsprechendem Versionsvergleich), dessen Wortlaut gleichgeblieben ist.

Es ist nach allem nicht streitentscheidend, ob es eine ausreichende Rechtsgrundlage für die von der Klägerin in Auftrag gegebenen "Strukturgutachten" gegeben hat und ob vorliegend MDK-Feststellungen für einen nachfolgenden Zeitraum (ab Oktober 2015) auf den hier strittigen Vorzeitraum (Januar bis März 2015) tatsächlich angewandt werden können und rechtlich angewandt werden dürfen.

Ebenfalls nicht mehr streiterheblich ist die Frage, ob die individuelle Prüfung des MDK mit Bejahung der Erfüllung der Mindestmerkmale des OPS 8-980 Vorrang vor der abstrakten Strukturvoraussetzung hat. Dies wäre aus Sicht der Kammer hingegen zu bejahen, da der MDK im Rahmen der vorgenommenen Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 275 Abs. 1 SGB V (vgl. SG Osnabrück, Urteil vom 14. Februar 2018 - S 34 KR 576/16 -, Rn. 26, juris) auch eine sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung bzgl. des Vorliegens der "strukturellen" Mindestvoraussetzungen für den jeweils streitgegenständlichen Zeitraum durchgeführt hat und diese Prüfung höheren Beweiswert (vgl. insoweit SG Düsseldorf, Urteil vom 10. November 2014 - S 9 KR 1240/11 -, Rn. 22, juris, welches bei einem "Strukturgutachten" von einem substantiierten Parteivortrag ausgeht, der von der Krankenhausseite zu widerlegen ist, welches wiederum mit einer fallbezogenen MDK-Prüfung erfolgt) hat als die nachfolgende "Strukturprüfung" für einen nachfolgenden Zeitraum.

Nach allem war der Klage stattzugeben. Die Zinsentscheidung folgt aus § 14 des Landesvertrags für Hamburg.

Die Kostenentscheidung entspricht dem Ausgang des Verfahrens und folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG, § 154 Abs. 1 VwGO). Der Streitwert war in Höhe von 9.132,66 EUR festzusetzen, da die Zahlung des oben genannten Betrags streitig war und dieser nach § 52 Abs. 3 GKG zu Grunde zu legen ist.
Rechtskraft
Aus
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