L 9 KR 523/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 210 KR 1284/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 523/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. November 2017 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin ist Trägerin der H Klinik B, einer Akutklinik der Grund- und Regelversorgung im thüringischen B.

Die Klinik behandelte in der Zeit vom 2. Dezember bis zum 5. Dezember 2011 den bei der Beklagten Versicherten K (geb. 1943) zur transurethalen Elektroresektion (= Verkleinerung bei Prostatahyperplasie mit Blasenentleerungsstörung). Der Versicherte war seit Oktober 2011 wegen Restharn mit einem Zystofix versorgt (d.h. einem Katheter, der direkt unterhalb des Nabels durch die Bauchdecke führt und den Urin unter Umgehung der Harnröhre direkt aus der Harnblase ableitet). Im Rahmen der Operation wurden neben der Resektion an der Prostata Blasensteine entfernt und der Zystofixkatheter ausgewechselt (OP-Bericht vom 2. Dezember 2011).

Mit Endrechnung vom 12. Dezember 2011 berechnete die Klägerin gegenüber der Beklagten für die Behandlung des Versicherten einen Gesamtbetrag in Höhe von 4.132,31 Euro. Sie kodierte die Hauptdiagnose N40 (benigne Prostatahyperplasie) sowie diverse Nebendiagnosen, so auch T83.5 (Infektion und entzündliche Reaktion durch Prothese, Implantat oder Transplantat im Harntrakt) sowie B95.7! (Sonstige Staphylokokken als Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind) Daraus ermittelte sie die DRG M02A – Transurethale Prostataresektion mit äußerst schweren CC (= Komplikationen oder Komorbiditäten).

Die Beklagte beglich zunächst den Rechnungsbetrag und beauftragte den MDK Thüringen mit der Begutachtung des Behandlungsfalles. Prüfanlass war die Frage, ob die Überschreitung der unteren Grenzverweildauer bzw. das Erreichen der unteren Grenzverweildauer begründet war und die Nebendiagnosen korrekt kodiert wurden.

Unter Berufung auf das Ergebnis von zwei MDK-Begutachtungen forderte die Beklagte die Klägerin auf, statt der DRG M02A die DRG M02B - Transurethrale Prostataresektion ohne äußerst schwere CC – abzurechnen. Die Nebendiagnosen T83.5 sowie B95.7! seien nicht zutreffend kodiert.

Nach vorheriger Ankündigung verrechnete die Beklagte den gesamten Rechnungsbetrag der Klägerin am 11. März 2013 mit unstreitigen Forderungen der Klägerin und zahlte am gleichen Tag einen Betrag in Höhe von 2.878,09 Euro an die Klägerin.

In Höhe des Restbetrags der Endrechnung, nämlich 1.345,22 Euro, erhob die Klägerin am 17. Juli 2013 Klage zum Sozialgericht Berlin. Gemäß D003i der allgemeinen Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) aus dem Jahr 2011 sei eine Nebendiagnose eine solche, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflusse, dass einer der folgenden Faktoren erforderlich sei: -therapeutische Maßnahmen -diagnostische Maßnahmen -erhöhter Betreuungs-, Pflege- oder Überwachungsaufwand.

Am Aufnahmetag sei bei dem Versicherten ein Harnwegsinfekt diagnostiziert worden. Da dieser katheterassoziiert gewesen sei, habe die Kodierung T83.5 erfolgen müssen. Auch habe am Aufnahmetag ein definitiver Keimnachweis mit Staphylokokken vorgelegen, daher sei auch die weitere Nebendiagnose B95.7! zutreffend. Zutreffend sei, dass auf dem mikrobiologischen Anforderungsschreiben der Klägerin an das Labor in Erfurt nicht dokumentiert sei, dass der Entnahmeort der Zystofix, d.h., der Katheter, gewesen sei. Dies lasse sich jedoch dem Anordnungsbogen des Arztes in der Patientenkurve (1. Dezember 2011) entnehmen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten, weil eine Harnwegsinfektion als Krankheit nicht vorgelegen habe. Es hätten lediglich abnorme Befunde bei der mikrobiologischen Urinuntersuchung vorgelegen und es lägen insoweit lediglich Keime und keine Erkrankung vor. Da der gelegte Blasenfistelkatheter kein Implantat, Transplantat und keine Prothese darstelle, sei für eine Harnwegsinfektion ein spezifischer Kode, nämlich N39.0, zu verwenden; diese Infektion liege aber nicht vor.

Das Sozialgericht hat ein medizinisches Sachverständigengutachten bei dem Facharzt für Urologie und Andrologie MH eingeholt. Auf das am 24. April 2015 erstattete Gutachten und die am 13. Juli 2015 erstattete ergänzende Stellungnahme des Gutachters wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Mit Gerichtsbescheid vom 10. November 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die von der Klägerin abgerechneten Kodes B95.7! und T83.5 seien nicht zutreffend. Auch die kodierte Nebendiagnose N39.0 (Harnwegsinfektion, Lokalisation nicht näher bezeichnet) sei unrichtig. Weder habe der Patient über entsprechende Beschwerden geklagt noch habe eine darauf gerichtete Behandlung im Krankenhaus der Klägerin stattgefunden. In der Urinkultur vom 2. Dezember 2011, die einen Nachweis von 1.000 KbE (pathogene Keime) in Gestalt von koagulase-negativen Staphylokokken (= KNS) erbracht habe, sei keine Prüfung auf Hemmstoffe erfolgt. In den Krankenhausunterlagen habe sich zudem kein Urinbefund wie Urinstix (Nitritnachweis) und Urinsediment (Leucocyterie) gefunden. Wie der Gutachter ausgeführt habe, sei das kulturelle Wachstum von 1.000 KbE/ml eines KNS im Spontanurin eines mit einer suprabubischen Harnableitung versorgten Patienten nicht als Harnwegsinfekt zu werten. KNS seien als normale Keimflora der Haut nur fakultativ als Krankheitserreger anzusehen. Weiter führe der Gutachter aus, dass ein Harnwegsinfekt nur diagnostiziert werden könne, wenn zusätzliche Infektsymptome (wie z.B. suprabubischer Schmerz, Fieber) und eine Pyurie (= Ausscheidung von eitrigem Harn) oder ein Nitritnachweis im Urin vorlägen, wie es die CDC Definitionen (des Robert-Koch-Instiuts) erforderten. Diese Symptome seien beim Versicherten aber nicht gegeben. Auch setze sich der Gutachter mit der Argumentation der Klägerin auseinander, wonach die erniedrigte Keimzahl mit der durchgeführten Antibiose mit dem Wirkstoff Ciprofloxacin, also einer vor dem streitigen Aufenthalt durchgeführten Antibiotika-Therapie im Rahmen der Prostatapunktion am 24. November 2011 zu begründen sei. Überzeugend begründe der Gutachter, dass die o.g. Behandlung am 24. November 2011 erfolgt sei, die Urinkultur mit dem entsprechenden Nachweis jedoch erst am 2. Dezember 2011 erstellt worden sei, mithin 8 Tage später. 5 Tage nach Beendigung der antibiotischen Medikation habe aber kein Wirkstoffspiegel mehr vorgelegen. Außerdem sei der nachgewiesene Staphylokokkus gegen den Wirkstoff der Medikation resistent und könne eine Infektion deshalb nicht beeinflusst haben. Nicht nachvollziehbar sei, dass es sich nicht um Spontanurin gehandelt haben könne, sondern um Katheterurin, der an sich aus der Harnblase kommen müsse und daher ohne Infekt steril sei. Dem Aufnahmetag könne insoweit keine Urinuntersuchung eindeutig zugeordnet werden. Außerdem sei nicht zwingend, dass die Harnentnahme aus dem Katheter erfolgt sei. Auch Patienten mit Katheter ließen spontan Urin und würden den Restharn über ein Katheterventil entleeren. Hinsichtlich des Urinbefundes seien keine Angaben enthalten, ob es sich um Katheter-Urin handele. Es könne von Spontanurin ausgegangen werden, denn eine sorgfältige Anforderung einer Urinkultur setze andernfalls weitere Angaben voraus, um dem Laborarzt Angaben zum Validieren des Befundes zu geben. Insbesondere die lückenhafte Dokumentation auf Seiten der Klägerin und das Fehlen typischer Krankheitssymptome und die zeitliche Distanz zwischen der Antibiotikaeinnahme und dem Urinbefund sprächen dafür, dass es sich nicht um einen Harnwegsinfekt gehandelt habe. Es könne daher dahinstehen, ob es sich bei dem verwendeten Blasenkatheter um eine Prothese, ein Implantat oder ein Transplantat handle.

Gegen den ihr am 21. November 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 19. Dezember 2017 Berufung eingelegt. Bereits aus der S-3-Leitlinie "Harnwegsinfektion bei Erwachsenen, unkompliziert bakteriell ambulant erworben: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie und Management" ergebe sich, dass jede Erregerzahl mit Uropathogenen für Urinkulturen aus suprabubischen Harnblasenpunktaten als klinisch signifikant gelte. Insoweit seien die Ausführungen des Sachverständigen H, dass ein Harnwegsinfekt nur dann diagnostiziert werden könne, wenn zusätzlich Infektsymptome und eine Pyurie oder ein Nitritnachweis im Urin vorliege, für die Kodierung der Nebendiagnose nicht relevant. Es reiche nach dem Wortlaut aus, dass eine Infektion im Harntrakt vorliege und diese durch eine Prothese, ein Implantat oder Transplantat mitverursacht worden sei. In dem Urteil des BSG vom 9. April 2019 (B 1 KR 27/18 R) habe das BSG ausgeführt, dass das vom DIMDI zum ICD-10-GM herausgegebene alphabethische Verzeichnis unter den Begriffen "Harnwegskatheder-Entzündung" in die Diagnose T83.5 führe und das systematische Verzeichnis dieser Kodierung nicht entgegenstehe.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. November 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die stationäre Behandlung ihres Versicherten Kin der Zeit vom 2. Dezember 2011 bis zum 5. Dezember 2011 einen Betrag in Höhe von 1.345,22 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12. März 2012 zu zahlen,

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es komme letztlich nicht darauf an, ob ein Blasenfistelkatheter ein Implantat, Transplantat oder ein Prothese i.S. des ICD-Kodes sei, da der Sachverständige H eindeutig festgestellt habe, dass ein Harnwegsinfekt nicht vorgelegen habe. Bereits deshalb sei die Kodierung von T83.5 nicht korrekt.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch die Berichterstatterin und den ehrenamtlichen Richter sowie der Richterin entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 30. Januar 2020 die Berufung der Berichterstatterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern/Richterinnen übertragen hat.

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG).

Unter erneuter Prüfung und Würdigung des Vorbringens in der Berufung weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:

Es ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund stationärer Behandlung anderer Versicherter der Beklagten Anspruch auf die Vergütung von 1.345,22 Euro hatte. Der Klägerin steht der Vergütungsanspruch nebst Zinsen aber nicht zu, wenn die Beklagte für ihre - im Übrigen wirksame - Aufrechnung (§ 387 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch in der Höhe von 1.345,22 Euro als Gegenforderung aus der Abrechnung der Behandlung für den Versicherten K hatte. Dies ist zur Überzeugung des Senates der Fall. Der Vergütungsanspruch der Klägerin für die stationäre Behandlung des Versicherten K ist zwar dem Grunde nach mit der stationären Behandlung entstanden; Die beiden Beteiligten sind sich darüber einig, dass die von der Klägerin abgerechnete DRG M02A aber nur angesteuert wird, wenn die Nebendiagnose T83.5 nach dem ICD-10-GM zu kodieren war und die Klägerin in der Folge auch die Schlüsselnummer B95.7! kodieren durfte, um den Infektionserreger anzugeben (vgl. zu dem vergleichbaren Fall des BSG, Urteil vom 9. April 2019 - B 1 KR 27/18 R - Rn. 15).

Nach der D003i der Allgemeinen Kodierrichtlinien in der Fassung 2011 (DKR 2011) ist eine Nebendiagnose definiert als "Eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt.” Die Kodierung der Nebendiagnose T83.5 erfordert, dass deren Voraussetzungen zur Überzeugung des Senats beim Versicherten K erfüllt waren. Es muss eine Infektion oder entzündliche Reaktion durch Prothese, Implantat oder Transplantat im Harntrakt i.S. von ICD-10-GM Version 2011 bestanden haben (im Folgenden: ICD-10-GM i.d.F. der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) gemäß §§ 295 und 301 SGB V zur Anwendung des Diagnosenschlüssels vom 21.10.2010, BAnz Nr 169 vom 9.11.2010, S 3751, in Kraft getreten am 1.1.2011).

Der bei dem Versicherten K bei Aufnahme vorhandene und aus Anlass der OP am 2. Dezember 2011 gewechselte Harnblasenkatheter (Zystofix) fällt grundsätzlich unter die o.g. Diagnose, obwohl der Harnwegskatheter selbst zwar im Systematischen Verzeichnis der ICD-10-GM in T83.0, aber nicht in T83.5 explizit erwähnt ist. Seine Einbeziehung entsprechend der Prothese, dem Implantat oder Transplantat folgt für den Senat unter Berücksichtigung der Hinweise des Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 9. April 2019 (B 1 KR 27/18 R) zu dem Verhältnis zwischen Alphabetischem und Systematischem Verzeichnis der ICD-10-GM sowie der Bedeutung des übergeordneten Abschnitts T83.-. Unter diesem ist der Harnwegskatheter in T83.0 als Unterfall erwähnt. Allein aus der Tatsache, dass der ICD-Kode T83.5 den Katheter nicht erwähnt, kann nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass dieser Kode den Harnwegskatheter gerade nicht erfasst (BSG, aaO, Rn.15 – 17). Der Senat schließt sich dieser Interpretation an.

Der Senat ist allerdings nicht davon überzeugt, dass bei dem Versicherten K am Aufnahmetag oder während des stationären Aufenthaltes eine Infektion/entzündliche Reaktion im Harntrakt i.S. des Kodes vorlag, so dass es nicht mehr darauf ankommt, ob die weitere Voraussetzung erfüllt ist, wonach diese durch einen Harnwegskatheter hervorgerufen wurde (vgl. dazu T85.3: "durch"). Das Vorliegen einer Infektion/entzündlichen Reaktion muss zweifelsfrei feststehen, allein die Möglichkeit oder ein Verdacht reichen nicht. Zwar umfasst T83.5 alle Arten der Infektion/entzündlicher Veränderung im Harntrakt, im Fall der Klägerin kommt jedoch allein eine Harnwegsinfektion (HWI) in Betracht. Allein diese wird von ihr in ihrem Bericht an den behandelnden Facharzt für Urologie Dr. G vom 5. Dezember 2011 zur Begründung der Diagnose T83.5 angegeben, allein diese Infektion wurde von der Klägerin diagnostiziert (vgl. z.B. auch die Stellungnahme des Chefarztes Dr. K vom 23. Juli 2012). Unter einer Harnwegsinfektion (HWI) wird definitionsgemäß die zumeist durch Bakterien ausgelöste, symptomatische Entzündung der Harnwege bzw. des Harntrakts verstanden. Mit anderen Worten: es müsste eine entzündliche Reaktion des Urotheliums auf eine bakterielle Invasion vorliegen (www.urologielehrbuch.de/harnwegsinfektion.html). Dabei ist zwischen den Beteiligten insbesondere streitig, ob eine für den HWI konstituierende bakterielle Besiedelung des Urins als äußeres Anzeichen in ausreichendem Umfang bei dem Patienten nachgewiesen ist. Die Keimzahl ist deshalb bedeutsam, weil sich aus der Dokumentation des stationären Aufenthalts keine für einen floriden Harnwegsinfekt typischen Begleitsymptome oder Beschwerden ergeben. So sind weder Fieber noch eine Pyurie (= Ausscheidung von eitrigem Harn) oder weitere Symptome wie z.B. Schmerzen beim Wasserlassen bei dem Patienten dokumentiert. Darauf hat der erstinstanzliche Gutachter H u.a. unter Berufung auf den Anamnesebogen und die Pflegedokumentation hingewiesen. Dies wurde von der Klägerin auch nicht in Abrede gestellt. Die Klägerin beruft sich stattdessen allein auf eine aus ihrer Sicht ausreichende Anzahl von Keimen/Bakterien im Urin des Patienten, damit auf eine sog. asymptomatische Bakteriurie. Darunter wird eine HWI verstanden, wenn ein Nachweis von Bakterien im Urin vorliegt, ohne dass diese irgendwelche Beschwerden verursachen. Diese findet sich oft bei Patienten, welche z.B. dauerhaft mit Kathetern versorgt sind (vgl. dazu www.urologenportal.de). Insoweit kommt der Fall des Patienten durchaus in Betracht, der bei Aufnahme mit einem Zystofix, einem Blasenkatheter, versorgt war.

Die sog. Keimzahl, d.h. die Anzahl der im Urin nachgewiesenen Keime pro ml ist bei der asymptomatischen HWI zwar ein relevantes Anzeichen. Die Keimzahl hängt aber ihrerseits von der "Entnahmestelle" ab. Liegt Harnblasenurin vor (sog. sterile Punktion), Spontanurin oder Katheterurin, so variiert auch die jeweils für die Diagnose der HWI maßgebliche Keimzahl (vgl. dazu www.urologenportal.de unter "Nieren- und Harnwegsinfektionen"). Der Gutachter H führt dazu nachvollziehbar und in Übereinstimmung mit der medizinischen Literatur aus, dass bei Anlage eines Katheters die Harnblase bereits nach wenigen Tagen nicht mehr steril sei, sondern bakteriell besiedelt, dies stelle an sich (noch) keine therapiebedürftige HWI dar. Das kulturelle Wachstum von 1.000 KbE/ml (= Keimzahl) im Spontanurin eines mit einem Zsystofix Versorgten sei nicht als Harnwegsinfekt zu bewerten (S. 3 seines Gutachtens). Diese Einschätzung findet sich auch in der veröffentlichten Literatur (z.B. MVZ Laboratoriumsmedizin Dr. Eberhard & Partner Dortmund, https://www.medizin-zentrum-dortmund.de/de/laboratoriumsmedizin/untersuchungsprogramm/untersuchung/952/).

Soweit die Klägerin u.a. in der Berufungsbegründung auf die S-3-Leitlinie verweist, wonach jede Erregerzahl mit Uropathogenen für Urinkulturen aus suprabubischen Harnblasenpunktaten als klinisch signifikant gelte und bei dem Patienten Kr leitliniengerecht Urin aus dem Katheter entnommen worden sei, ist schlichtweg nicht aufklärbar, wo die Urinentnahme bei dem Patienten tatsächlich erfolgte. Der Gutachter H geht insoweit davon aus, dass es sich um Spontanurin handelt, nicht um Katheter- oder Harnblasenurin. Ausweislich der aktenkundigen Befunde des MVZ für Laboratoriumsdiagnostik und Mikrobiologie E wird hinsichtlich des Untersuchungsmaterials des Patienten vom 1. Dezember 2011 (Urinnährbodenträger) nicht näher umschrieben, um welchen Urin es sich handelt und wo er entnommen wurde. Die Klägerin verweist insoweit auf die ärztlichen Anordnungen in der Patientenkurve vom 1. Dezember 2011. Aus alldem ergibt sich die Möglichkeit, aber kein eindeutiger Hinweis auf die Entnahmestelle. Gleiches gilt, soweit sie in der mündlichen Verhandlung durch die Ausführungen von Dr. H bekräftigte, dass der Patient im konkreten Fall über gar keinen Spontanurin mehr verfügte, da er katheterisiert gewesen sei und der Harn daher aus dem Katheter stammen müsse. Der Gutachter H hält es demgegenüber auch für möglich, dass selbst bei Vorliegen eines hohen Restharns Patienten spontan Urin lassen und den Restharn über ein Katheterventil entleeren (S. 1 seiner Stellungnahme vom 10. Juli 2015).

Gerade hinsichtlich des Urins bei transurethralem oder suprabubischem Dauerkatheter führen demgegenüber z.B. die Hinweise des Instituts für Mikrobiologie des Universitätsklinikums Freiburg aus, dass in Anbetracht der besonderen Bedeutung der Erregerzahl für die Diagnostik die Entnahmetechnik neben dem Zeitpunkt auf einem Anforderungsschein für das Labor zu vermerken sei (www. https://www.uniklinik-freiburg.de/fileadmin/mediapool/08 institute/mikrobiologie-hygiene/pdf/Diagnostik/Urin.pdf). Dies steht in Übereinstimmung mit der Einschätzung H. Für den Patienten K lässt sich aus der Anforderung an das Labor die Entnahmestelle nicht erkennen. Es ist somit zwar möglich, aber nicht nachgewiesen, dass es sich um Katheterurin handelte, bei welchem bereits die Keimzahl von 1.000 KbE/ml den Nachweis eines Harnwegsinfekts erbringt (vgl. allerdings abweichend dazu u.a. MVZ Laboratoriumsmedizin Dr. Eberhard & Partner Dortmund, https://www.medizin-zentrum-dortmund.de/de/laboratoriumsmedizin/untersuchungsprogramm/untersuchung/952/, wonach bei einer Keimzahl im Katheter-Urin bei einer KbE/ml von 104 d.h., (10.000 KbE/ml = ein HWI möglich ist). Dies hat die Klägerin jedoch versäumt, die fehlende Dokumentation geht zu ihren Lasten.

Auch ein Fall, in welchem die für den 1. Dezember 2011 ermittelte für einen Harnwegsinfekt zu niedrige Keimzahl deshalb nicht aussagekräftig sein kann, weil sie bereits Ergebnis einer vor dem Beginn des stationären Aufenthalt begonnenen Therapie und Hemmung des Harnwegsinfekts war, ist nicht nachgewiesen. Zwar wurde vom 22. – 24. November 2011 im Rahmen eines stationären Aufenthalts und einer Prostatapunktion 2x Ciprofloxacin verordnet. Die Urinkultur erfolgte aber, worauf der Gutachter H hingewiesen hat, erst 8 Tage später. Dass der Patient auch nach dem ersten stationären Aufenthalt, damit nach dem 24. November 2011, noch die antibiotische Therapie (ambulant) erhalten hat, worauf Dr. H in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hingewiesen hat, ist zwar möglich, aber im konkreten Fall nicht belegt. Ein Wirkspiegel, der zu einer Reduzierung der Keimbesiedelung führte, war nicht mehr vorhanden. Eine positive Bestätigung der Hemmstoffe ist in der Labordiagnostik des Urinnährbodenträgers durch das MVZ nicht belegt, eine diesbezügliche Prüfung ist gar nicht erfolgt (dazu Gutachten H, S. 2). Es kommt daher nicht darauf an, ob mit dem Gutachter H davon ausgegangen werden muss, dass der nachgewiesene Keim (Staphylokokkus) gegen den verordneten Wirkstoff resistent war. Dafür spricht die Umstellung am 4. November 2011 auf die Gabe von Doxycyclin (so auch die ärztliche Anordnung in der Pflegedokumenation und der Entlassungsbericht, der auf eine Sensibilität des Keimes auf Doxycyclin hinweist). Der Keim wurde durch die vorherige Medikation jedenfalls nicht signifikant beeinflusst, wenngleich die Möglichkeit besteht, dass auch eine reduzierte Sensibilität des Keims auf Ciprofloxacin bestanden hat. Allein die Gabe von Ciprofloxacin zu Beginn des stationären Aufenthaltes ist für den HWI schließlich nicht aussagekräftig. Eine Antibiose kann möglicherweise auch im Hinblick auf den anstehenden operativ-invasiven Eingriff erfolgt sein (dazu der Gutachter H auf S. 5 oben seines Gutachtens vom 20. April 2015).

Im Hinblick auf den fehlenden Vergütungsanspruch besteht auch kein Anspruch auf die Entrichtung von Zinsen. Die Feststellungsklage hat die Klägerin nicht aufrechterhalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG). Der Senat folgt der Entscheidung des BSG vom 9. April 2019 (B 1 KR 27/18 R).
Rechtskraft
Aus
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