L 1 KR 97/19

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 8 KR 1239/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 97/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts vom 25.06.2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Zahlung der Restkosten einer stationären Krankenhausbehandlung in Höhe von 2.642,52 EUR.

Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus. Die Beklagte ist der Krankenversicherer der Versicherten, Frau M., geboren am xxxxx.1942. Die genannte Versicherte befand sich vom 03.08 bis 07.08.2015 in stationärer Behandlung bei der Klägerin. Bei der Versicherten wurde eine Revisionsoperation ihres Dialyse-Shunts am rechten Oberarm vorgenommen. Sie hatte dort ein faustgroßes, gekammertes Serom sowie zwei Verengungen des Shuntgefäßes aufzuweisen, die entfernt werden mussten. Dafür verschlüsselte die Klägerin den OPS-Code 5.397.x:R.

Mit Rechnung vom 11.08.2015 verlangte die Klägerin den Betrag von 6.406,84 EUR für den stationären Aufenthalt der Versicherten für den Zeitraum vom 03.08. bis 07.08.2015. Nachdem die Beklagte zunächst den Aufenthalt voll bezahlt hatte, schaltete sie später den MDK ein und gelangte aufgrund dessen Beratung zu der Überzeugung, hier hätte der OPS-Code 5.397.a1:R verschlüsselt werden müssen. Entsprechend ändere sich auch die abzurechnende DRG in F59D anstelle der von der Klägerin vorgenommenen DRG F59B.

Die Beklagte verrechnete am 02.03.2016 den gezahlten Betrag komplett und zahlte – entsprechend der niedrigeren DRG F59D – 3.764,32 EUR an die Klägerin.

Am 16.06.2016 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass es sich bei dem "Shuntvene" genannten Blutgefäß aufgrund des hohen Blutflusses und des erhöhten Druckes nicht mehr um eine klassische Vene im eigentlichen Sinne handele. Vielmehr habe sich das Shuntgefäß nach der Erstanlage des Shunts aus der ursprünglichen, nativen körpereigenen Vene entwickelt. Dabei habe sich das Lumen entsprechend dem Durchfluss geweitet und die Dicke und Beschaffenheit der Gefäßwand habe sich erheblich verändert. Das Gefäß sei demnach operationstechnisch nicht wie eine native Vene, sondern wie eine arterialisierte Vene zu behandeln.

Das Sozialgericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes den Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Sozialmedizin Dr. K. beauftragt, ein Gutachten nach Aktenlage zu erstellen. Am 20.03.2017 hat der medizinische Sachverständige sein Gutachten vorgelegt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die von der Klägerin vorgenommene Kodierung des OPS 5-379.x:R nicht korrekt gewesen sei. Nach den Deutschen Kodierrichtlinien müsse stets die speziellste Kodierung vorgenommen werden. Der OPS-Code 5.397.x:R sei zu allgemein gehalten, da eine Vene, die als Shuntvene genutzt werde, zwar ihre Beschaffenheit ändere, sie werde arterialisiert. Aber anatomisch bleibe auch eine Shuntvene eine Vene, weshalb hier der OPS-Code 5-397.a1:R den vorgenommenen Eingriff am ehesten abbilde.

Dazu hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin in einer Stellungnahme vom 20.12.2017 ausgeführt, dass eine Shuntvene funktional gesehen keine Vene mehr sei. Ergänzend hat sie zwei Gutachten in gleich gelagerten Fällen aus den Kammern 42 (S 42 KR 1117/16) und 46 (S 46 KR 1714716) von Prof. Dr. M1 und Dr. H. vorgelegt, die beide die Ansicht der Klägerin gestützt haben. In beiden Verfahren hatte die Beklagte jeweils ein Anerkenntnis abgegeben. Mit Schriftsatz vom 07.05.2018 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ein Schreiben des DIMDI vom 12.04.2018 vorgelegt, in dem das Klassifizierungsteam mitgeteilt hatte, das bei ausgereiften Shuntgefäßen für den Code 5-397 die Lokalisationsangabe.x (sonstige Blutgefäße) zu verwenden sei.

Daraufhin hat das Gericht den medizinischen Sachverständigen Dr. K. über diesen neuen Sachverhalt informiert. Der Sachverständige hat daraufhin mit einer ergänzenden Stellungnahme vom 18.05.2018 darauf hingewiesen, dass es sich bei der Bewertung durch das DIMDI um eine juristische Frage handele.

Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 25.06.2019 stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 2.642,52 Euro nebst Zinsen verurteilt und sich dabei den Argumenten der Klägerin angeschlossen. Eine ausgereifte Shuntvene sei in ihrer Beschaffenheit aufgrund des hohen Blutflusses verändert, weil sich dadurch auch die Dicke und Beschaffenheit des Blutgefäßes ändere. Die Vene werde dadurch im Laufe der Zeit arterialisiert. Die Gefäßwände der Arterien seien dicker und muskelreicher und hätten eine deutlich ausgeprägtere Schichtung und seien dabei dehnbarer als Venen. Aufgrund der Arterialisierung spüre man im unteren Anteil eine entsprechende Pulsation. Für den Operateur bedeute dies, dass er es nicht mit einer Vene zu tun habe, sondern mit einer arterialisierten Vene. Es gälten also die Gesetze der Arterienchirurgie mit einem erhöhten Druck in der arterialisierten Vene. Der Operateur müsse sich daher bei einer arterialisierten Vene von der Operationstechnik und Nahttechnik her auf einen arteriellen Eingriff einstellen. Die von der Beklagten und dem MDK vorgebrachten Argumente für eine Verschlüsselung des Codes 5.397.a1:R hätten nicht zu überzeugen vermocht. Auch die Pflicht zur möglichst spezifischen Kodierung in den Deutschen Kodierrichtlinien führe hier zu keiner anderen Beurteilung. Die von der Beklagten in Ansatz gebrachte Prozedur 5-397.a1:R sei für "Andere plastische Rekonstruktion von Blutgefäßen: Oberflächliche Venen: Schulter und Oberarm" vorgesehen. Hier werde von der Beklagten zur Begründung lediglich formal darauf abgestellt, dass auch eine arterialisierte Vene anatomisch eine Vene bleibe. Der Umstand, dass sich daraus ein erheblich höherer Operationsaufwand ergebe, und das Blutgefäß die typischen Eigenschaften einer Vene gar nicht mehr aufweisen würden, werde hier nicht gewürdigt.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 16.07.2019 zugestellte Urteil am 16.08.2020 Berufung eingelegt. Sie wiederholt mit der Berufung im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie weist dabei nochmals darauf hin, dass der Sachverständige Dr. K. bis zum Schluss bei seiner Einschätzung geblieben sei, dass eine Shuntvene eine Vene sei und bleibe. Wie die Äußerung des DIMDI zu werten sei, sei eine juristische Frage. Es stehe außer Frage, dass sich eine Shuntvene gegenüber einer "normalen" Vene anatomisch verändere. Dies ändere aber nichts daran, dass es sich schon allein aufgrund ihrer Flussrichtung weiterhin im medizinischen Sinn um eine Vene handele. Die E-Mail des DIMDI, in der bei einer ausgereiften Shuntvene von einem "sonstigen Blutgefäß" ausgegangen werde, habe keinerlei Bindungswirkung. Das Argument, dass eine Operation an einer Shuntvene einen erhöhten Aufwand erzeuge, sei zum einen tatsächlich unzutreffend und zudem rechtlich irrelevant, da die Frage des Aufwands für die Subsumption unter einen Kode nicht erheblich sei. Zur Stützung seines Vortrags hat der Bevollmächtigte der Beklagten 2 Gutachten aus anderen Verfahren vorgelegt (Gutachten Dr. Bartkowski vom 13. Januar 2018 zum Az S 38 KR 571/16 und Auszüge aus den Gutachten Dr. Reusch zu dem Az S 48/ 6 KR 1786/15).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 25.06.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und verweist ergänzend auf Gutachten aus anderen Verfahren, in denen von dem Vorliegen eines "sonstigen Gefäßes" ausgegangen worden sei (Gutachten von Frau Dr. Huber zu dem Az S 2 KR 878/13 und S 46 KR 1714/16 und von Herrn Dr. Schroeder zu dem Az S 46 KR 1838/16).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und daher zulässig.

Sie ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abrechnung der streitigen stationären Behandlung unter Berücksichtigung des OPS-Code 5.397.x:R. Die Beklagte hat daher die Behandlung zutreffend mit der DRG F59D vergütet. Weitere Zahlungsansprüche stehen der Klägerin daher nicht zu.

Für den Senat sind dabei folgende Argumente maßgeblich:

1) Dr. K. hat darauf hingewiesen, dass nach medizinischer Sicht eine Vene dadurch gekennzeichnet sei, dass in ihr das Blut zum Herzen hinfließe, während es in einer Arterie vom Herzen wegfließe. Das ist der Kern der Abgrenzung. Der Umstand, dass in der Arterie ein höherer Druck herrscht und daher auch die Gefäßwand anders strukturiert ist als bei einer Vene, ist eine Konsequenz daraus. Aus dieser Sicht ist es nur konsequent, wenn Dr. K. der Meinung ist, eine Vene bleibe eine Vene, auch wenn sie als Shunt genutzt werde. Dr. K. ist auch bis zum Schluss bei dieser Ansicht geblieben. Er hat nur deutlich gemacht, dass er die Ausführungen des DIMDI als bedeutend ansehe und es der rechtlichen Bewertung überlasse, wie man diese Aussage bewerte.

2) Prof. Dr. M1 führt auf S. 15 seines von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Gutachtens vom 31. Juli 2016 (Bl. 57ff der Gerichtsakte) sehr deutlich und nachvollziehbar aus, dass sich die Shuntvene nur direkt am Shunt arterialisiere. Im weitere Verlauf werde sie wieder eine ganz normale Vene.

Wollte man nun mit der Klägerin annehmen, dass eine Shuntvene ein "sonstiges" Gefäß iSd OPS sei, dann würde das bedeuten, dass ein Gefäß in seinem Verlauf von einem "sonstigen" Gefäß in eine "normale" Vene mutiert. Das erscheint nicht nur nicht überzeugend, es führt auch zu schwerwiegenden Problemen bei der Kodierung. Denn es stellt sich dann die Frage, an welcher Stelle im Verlauf des Gefäßes genau diese Mutation stattfindet. Prof. Dr. M1 äußert selbst, dass dies mit verschiedenen Übergangsstadien erfolge. Die Grenze zwischen beiden Gefäßarten wird schwierig zu bestimmen sein. Dies führt zu Abgrenzungsproblemen, wenn eine Gefäßraffung über eine größere Strecke erfolgt und dabei verschiedene Bereiche dieses Gefäßes erfasst werden. Diese Betrachtung zeigt vielmehr, dass sie weder zutreffend noch funktional ist. Ein Gefäß hat einen bestimmten Charakter und behält diesen in seinem Verlauf.

3) Prof. Dr. M1 ist der Ansicht, dass sich die Kodierung als "sonstiges" Gefäß als spezifisch darstelle, da diese Kodierung zu einer DRG mit dem Zusatz "mit aufwändigem Eingriff" führe.

Diese ist eine im Bereich der Kodierung stationärer Behandlungen unzulässige ergebnisorientierte Betrachtung. Objektiv und systematisch betrachtet ist die Gruppe "5-397.x Sonstige" eine Sammelgruppe. Sie ist vom Kodegeber für Fälle gedacht, die man in der Aufzählung nicht bedacht hat. Es mutet zwar in der Tat merkwürdig an, dass das Grouping-Ergebnis einen höheren Wert ausweist, wenn man den Sammelkode berücksichtigt, als wenn man einen spezifischen Kode annimmt. Dies kann aber nicht maßgebend sein, sondern vielmehr ist dann – wie so oft – die Verknüpfung im Grouping-Programm zu modifizieren.

Es ist überdies für den Senat nicht nachvollziehbar, dass ein Sammelkode spezifischer sein soll gegenüber einem Kode, der das Gefäß in seiner Ursprungsform "Vene" genau benennt. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass das zentrale Argument für die Kodierung unter dem Sammelkode ist, die Shuntvene stelle sich bei der OP wie eine Arterie dar. Es ist für den Senat nicht erkennbar, dass der Sammelcode gerade die Besonderheiten einer OP an einer Arterie spezifisch erfasst. Dies tun vielmehr die arteriellen Kodes. Es wäre daher aus Sicht der Klägerin eigentlich konsequent, einen arteriellen Kode anzuwenden.

4) Bei den Veränderungen der Shuntvene im Vergleich zu der ursprünglichen Vene handelt es sich um Abweichungen vom Normalzustand einer Vene. Bei anderen Organen nimmt man solche Abweichung vom Normzustand nicht zum Anlass, von einem anderen oder sonstigen Organ zu sprechen. Wenn sich z.B. die Zellen in Teilen der Speiseröhre aufgrund eines Refluxes zu Magenschleimhaut-Zellen umwandeln, spricht man immer noch von einer Speiseröhre und nicht von einem sonstigen Organ. Wenn sich eine Leber durch einen Tumor stark vergrößert und geweblich verändert, bleibt es ebenfalls eine (kranke) Leber und kein sonstiges Organ. Der Unterschied, dass bei der Shuntvene die Veränderungen teilweise erwünscht sind, vermag nichts daran zu ändern, dass es sich um eine veränderte, aber immer noch um eine Vene handelt.

5) Nach der Überzeugung des Senats stellt es daher die konsequenteste, systematischste und am einfachsten zu handhabende Kodierung dar, die Shuntvene – wie ihr Name auch schon sagt – als Vene zu kodieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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