Capital Group: Blick bis 2030: Innovationen im Gesundheitswesen beschleunigen sich

Star Trek, die klassische Science-Fiction-Fernsehserie, entwarf das Bild einer weit entfernten Zukunft, in der Weltraumentdecker durch die Galaxien reisten, ausgestattet mit modernster Technologie wie einem Kommunikator, einem Replikator und dem unentbehrlichen Tricorder, einem handlichen Medizingerät, das in Minutenschnelle die Vitalparameter eines Menschen scannen, eine Diagnose stellen und eine Behandlung verordnen konnte.

06.10.2020 | 10:45 Uhr

Der Aktienportfolioverwalter Rich Wolf geht davon aus, dass solche Geräte innerhalb der kommenden zehn Jahre Realität sein werden. „Jahrelang habe ich immer wieder mit Bioingenieuren gesprochen, die darüber Witze machten, wie es wäre, einen Tricorder zu haben“, erzählt Wolf, der auch als Investment-Analyst für US-Medizintechnologie-Unternehmen zuständig ist. „Auch wenn ich nicht glaube, dass es einen einzelnen Tricorder geben wird, mit dem sich alles erledigen lässt, so gehe ich doch davon aus, dass bis 2030 viele von uns so ähnliche Geräte haben werden, die das Blut analysieren, das Herz überwachen und sogar remote unsere Atmung überprüfen, während wir schlafen.“

Wir befinden uns inmitten einer massiven Welle von Innovation und Disruption im gesamten Gesundheitssektor, die das Potenzial besitzt, neue Chancen für Unternehmen zu bieten, die medizinischen Gesamtkosten zu verringern und, was am wichtigsten ist, die Ergebnisse für die Patienten zu verbessern. „Nie gab es spannendere Zeiten im Gesundheitsbereich“, so Wolf. „Das letzte Mal, dass wir nahe dran waren, war vor etwa 20 Jahren, als das menschliche Genom erstmals sequenziert wurde. Das war ein wichtiger erster Schritt. Heute sehen wir große Fortschritte, die aus diesem ersten Schritt resultieren.“

Die COVID-19-Pandemie und das Rennen um die Entwicklung eines Impfstoffs werfen ein Schlaglicht auf die wichtige Rolle, die Medikamente bei der Verbesserung der Gesundheit und Langlebigkeit der Menschen spielen können, doch die Welle der Innovationen reicht weit über die Pharma- und die Biotechnologie-Branche hinaus. Nicht nur, dass wir scheinbar täglich Nachrichten zu neuen medikamentösen Therapien hören – auch die raschen Fortschritte bei Forschungswerkzeugen, Diagnose und der Fernüberwachung von Patienten verschmelzen zunehmend und werden das Aussehen der Gesundheitsversorgung verändern.

Die Genkartierung bietet riesige Chancen

Als das menschliche Genom vor etwa zwei Jahrzehnten zum ersten Mal sequenziert wurde, brauchte ein Team von Forschern dazu fast acht Jahre und die Kosten beliefen sich auf mehr als 100 Millionen US-Dollar. Heute kann ein menschliches Genom innerhalb von Tagen für etwa 1.000 US-Dollar sequenziert werden. Nachfolgende Durchbrüche bei der DNA-Analyse führten zu einer neuen Ära in der Medizin. „Heute können wir eine Karte des menschlichen Genoms mit Mutationen vergleichen, die Krebs auslösen“, erklärt Wolf. „Wir können spezifische Mutationen im Hinblick auf die Krebserkrankung identifizieren und die Therapien darauf abstimmen. So können wir Patienten viel besser behandeln, weil wir diesen Code verstehen.“

Tatsächlich können die Genforschung und aus Gentests abgeleitete Therapien das Leben verlängern und Einnahmen in Milliardenhöhe für die Unternehmen generieren, die diese entwickeln. Der US-amerikanische Arzneimittelhersteller Merck, von dem die „Blockbuster“-Immuntherapie Keytruda stammt, Biopharma-Unternehmen wie Gilead Sciences und andere haben Millionen von Dollar in die Entwicklung genbasierter Behandlungen verschiedener Krebsarten, einschließlich Blasenkrebs und Melanome, investiert.

Stark verringerte Kosten und wissenschaftliche Entwicklungen haben zu einem phänomenalen Wachstum im Bereich der medizinischen Forschung und Entwicklung (F&E) geführt. „Die F&E erlebt derzeit eine Renaissance, und die Unternehmen investieren in aggressiver Weise, einzigartige Wege zur Bekämpfung von Krebs und anderen Krankheiten zu finden“, so Aktienportfoliomanagerin Cheryl Frank. „Es sind nie da gewesene Raten im Hinblick auf das progressionsfreie Überleben bei zahlreichen Krebsarten zu beobachten.“

Ein weltweites Verschmelzen technologischer Fortschritte

Arzneimittelhersteller sind nicht die einzigen Unternehmen, die potenziell von diesen Fortschritten profitieren können. Eine breite Palette von Unternehmen, wie Illumina, ein Hersteller von Geräten für die Durchführung von Gentests, oder das Forschungs- und Fertigungsunternehmen Thermo Fisher Scientific, bieten Dienstleistungen für zahlreiche Arzneimittelentwickler an.

Breitere Fortschritte im Technologiebereich, wie stärkere Vernetzung und künstliche Intelligenz, agieren als Turbo für die Entwicklung von Therapien“, betont Frank. „Ich denke, viele Arten von Krebs lassen sich bis 2030 wirksam heilen“, fügt sie hinzu. „Bereits jetzt nutzen wir ausgeklügelte Tools, mit denen sich das Verhalten von Molekülen vorhersagen und die Notwendigkeit zur Herstellung größerer Mengen an Molekülen verringern lässt. Und ich denke, wir werden Daten in der Zukunft effektiver nutzen, um festzustellen, welche Patienten von entwickelten Therapien am meisten profitieren werden.“

Die USA sind weiterhin aus verschiedenen Gründen weltweit führend bei Innovationen, aber Amerika wird laut Frank, die die Gesundheitsbranche seit 18 Jahren beobachtet, in Zukunft eindeutig nicht die einzige Quelle pharmazeutischer Innovationen sein.

„Ich erwarte, dass bis 2030 viele globale „Blockbuster“-Präparate aus China kommen werden. Ich gehe davon aus, dass sie in fünf bis zehn Jahren beginnen werden, neuartige Medikamente gegen Krebs herzustellen und diese zu einem Zehntel der Kosten in den USA verkaufen werden“, prognostiziert sie.

Rasche Fortschritte bei der Diagnose fördern die Früherkennung

Durchbrüche bei der Diagnose fördern die Früherkennung von Krankheiten, was dazu beitragen kann, die Wirkung von Medikamenten zu verbessern – oder in manchen Fällen den eigentlichen Ausbruch der Krankheit zu verhindern. „Eines der interessantesten Dinge im heutigen Gesundheitsbereich ist die sogenannte Liquid Biopsy oder Flüssigbiopsie, bei der eine Blutprobe dazu genutzt werden kann, einen Tumor im frühesten Stadium zu erkennen“, merkt Wolf an.

Ein Patient könnte so bei einem Check-up bei seinem Arzt sein Blut untersuchen lassen, um festzustellen, ob er Krebs hat. „Früherkennung ist der Schlüssel zur Heilung von Krebs“, fügt er hinzu.

Doch die anhaltende Innovation bei der Diagnose beschränkt sich nicht auf Krankenhäuser oder Arztpraxen. Heimdiagnostik – einschließlich Geräten zur permanenten Blutzuckerüberwachung, Insulinpumpen, implantierbaren EKG-Loop-Recordern und vernetzten Schlafapnoe-Geräten – wird es Ärzten in zunehmendem Maße ermöglichen, Patienten aus der Ferne zu überwachen.

Ein breites Spektrum klassischer Technologie- und Medizintechnik-Unternehmen ist schon seit einiger Zeit mit der Entwicklung der Heimdiagnostik beschäftigt. „In den letzten fünf Jahren konnten wir eine starke Bewegung bei führenden Köpfen des Technologiebereichs beobachten, die nun ihr Fachwissen mit führenden Köpfen des Gesundheitsbereichs teilen, und das ist von großer Bedeutung“, so Wolf. „Wir befinden uns immer noch im Frühstadium der Entwicklung kostengünstiger Geräte, die alle Arten von gesundheitsbezogenen Kennzahlen erfassen können, die uns nicht nur dazu anleiten können, mehr auf unsere eigene Gesundheit zu achten, sondern auch unmittelbar an den eigenen Arzt gesendet werden können.“

COVID wirft ein Schlaglicht auf die Telemedizin

Die Telemedizin, bei der die Arztsprechstunde online statt vor Ort in der Praxis stattfindet, steht schon seit einiger Zeit zur Verfügung, doch bis Anfang dieses Jahres wurde sie kaum genutzt. Dies änderte sich jedoch mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie. Zudem lockerten die Aufsichtsbehörden und die Gesundheitsdienstleister ihre Regeln, um eine stärkere Digitalisierung zu ermöglichen.

Heute haben viele Verbraucher bereits ihre ersten Erfahrungen mit Telemedizin gemacht. Frank geht davon aus, dass es sich dabei um einen Trend von Dauer handelt. „Ich glaube, dass durch die Kombination von Telemedizin, Heimdiagnostik und Medikamentenlieferung fast alles von zu Hause aus behandelbar sein wird“, so Frank. „Persönliche Geräte werden diese Daten nutzen, um unsere Gesundheit zu verbessern.“

Als Beispiel führt Frank eine Kollegin an, die während der Pandemie schwanger wurde, einen Fetaldoppler, ein Maßband und ein Blutdruckmessgerät im Internet bestellte und mehrere Vorsorgetermine während der Schwangerschaft online wahrnahm.

Die Patienten übernehmen das Ruder

Die vielleicht größte Veränderung werde sein – angestoßen durch die Lage in den USA – dass die Patienten dank der Kombination von Technologien mehr Kontrolle über ihre Gesundheitsversorgung übernehmen, so Wolf. Die Kosten für die Gesundheitsversorgung steigen in den USA seit Jahren stark an, und es wird erwartet, dass sie weiterer steigen werden. Doch die Zunahme der Telemedizin und große Verbesserungen bei der Qualität der für Patienten verfügbaren Informationen könnten einen Wandel in der Art der Pflege bewirken.

„In den USA nähern wir uns einem Wendepunkt bei den Gesundheitsausgaben im Verhältnis zum BIP, doch ich glaube, dass sich nicht nur bei der Bereitstellung der Pflege, sondern auch beim Verlauf der Kostenkurve etwas grundlegend geändert hat“, bekräftigt Wolf.

Das Preisbewusstsein im Bereich der US-amerikanischen Gesundheitsversorgung war unzulänglich. „Wenn Sie den durchschnittlichen Amerikaner fragen, was er für seinen Fernseher oder sein Auto gezahlt hat, kann er Ihnen das auf ein paar Dollar genau sagen. In Bezug auf seine letzten medizinischen Behandlungen ist das nicht der Fall“, erklärt Wolf. Heute kann ein Unternehmen wie GoodRx einen Patienten benachrichtigen, wenn ein Medikament irgendwo in der Stadt billiger als in der nächsten Apotheke ist. „Die Tatsache, dass sich Patienten mehr um die Gesundheitsversorgung kümmern, führt zu einem unglaublichen Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie Gesundheitsversorgung in Anspruch genommen und zur Verfügung gestellt wird.“

Nicht alle Innovatoren sind attraktive Investments

Natürlich erweisen sich nicht alle Innovatoren als großartige Investments. Die gute und zugleich schlechte Nachricht ist, dass das Feld der Innovatoren bunt gemischt ist. Sowohl kleine, geschickte Unternehmen als auch Riesen aus dem Gesundheitsbereich haben das Potenzial, die Gewinner der nächsten Generation der Gesundheitsversorgung zu sein. Doch wird es auch spektakuläre Misserfolge geben – bei kleinen wie bei großen Unternehmen. Denn auch wenn die Innovation ein zentrales Element für den Erfolg von Unternehmen in so einem dynamischen Feld ist, so sind auch ein starkes Management und eine solide Kapitalallokation wichtig.

Um herauszufinden, wer die Gewinner des nächsten Jahrzehnts sein werden, bedarf es tiefgehender Analysen und der Fähigkeit, über die unmittelbare Zukunft hinaus zu blicken. „Bei Capital Group erlauben wir uns den Luxus, uns auf langfristige Entwicklungen zu konzentrieren“, betont Wolf. „Viele konzentrieren sich derzeit auf die Pandemie und die Entwicklung einer Impfung. Das sind sehr wichtige Punkte, aber wir blicken auch über den Tellerrand hinaus und versuchen herauszufinden, wie sich die Gesundheitsversorgung im Laufe des nächsten Jahrzehnts wandeln wird und wie wir in diesen Wandel investieren können.“

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