Millionen-Klage: Die Unfallklinik Murnau zieht gegen den Freistaat vor Gericht
Die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau zieht gegen den Freistaat Bayern vor Gericht. Die Verantwortlichen sehen das renommierte Traumazentrum für finanzielle Verluste im Zuge der Pandemie nicht angemessen entschädigt.
Murnau – Die Prognose klingt düster: Auf eine Größenordnung von zehn Millionen Euro schätzt Sarah Heinze, Geschäftsführerin der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau, derzeit den Verlust, den ihr Haus, bedingt durch die Corona-Pandemie, in diesem Jahr verkraften muss. Die Politik hatte die Hospitäler in der Hochphase angewiesen, Betten gegen eine Entschädigung freizuhalten, damit die Mediziner schwerst an Covid-19 Erkrankte sofort behandeln können. Planbare, nicht drängende Operationen wurden erst einmal gestrichen. All das riss ein Loch in die Klinikkassen. Dafür sollte es Ausgleichszahlungen geben.
Das UKM, das dem Verbund der BG-Kliniken angehört, bekam die Folgen der Allgemeinverfügung massiv zu spüren, war zum Teil nur zu 40 Prozent belegt. „Durch den Lockdown konnten viele Leistungen nicht erbracht werden“, sagt Heinze. Die finanziellen Verluste, die entstanden seien, ließen sich in diesem Geschäftsjahr nicht mehr kompensieren.
Freistaat hat Freihaltepauschale noch nicht gänzlich beglichen
Was schwer ins Gewicht fällt: Der Freistaat hat, so schildert es Heinze, die beantragte Freihaltepauschale – diese bekommen Krankenhäuser für bereitgestellte Intensivbetten in der Corona-Pandemie – „bisher noch nicht in vollem Umfang beglichen“. Dies bedeute, dass nicht alle in Murnau freigehaltenen Betten – und damit entgangenen Erlöse – durch die Pauschale abgedeckt worden seien. Die Unfallklinik zog Konsequenzen: „Wir sahen uns in diesem Zusammenhang gezwungen, den Freistaat Bayern auf Zahlung zu verklagen“, erklärt Heinze. Das Vorzeige-Unternehmen fordert rund vier Millionen Euro, die offenen Beträge für die reservierten Betten.
Die wirtschaftliche Lage der Unfallklinik ist wie in zahlreichen anderen Hospitälern angespannt. Auch als die Politik die Corona-Einschränkungen lockerte, tat sich finanziell zunächst noch kein Licht am Ende des Tunnels auf. „Viele Patienten hatten Bedenken, sich in Krankenhäusern behandeln zu lassen, daher sind auch nach dem Lockdown weitere Erlöse verloren gegangen“, schildert Heinze das Problem. Aktuell sei die Unfallklinik wieder sehr gut belegt. Trotzdem lasse sich noch nicht sagen, wie sich die Lage bis zum Jahresende entwickeln werde. Derzeit kommt Heinze zur erwähnt düsteren Progose: dem pandemie-bedingten Verlust von geschätzt zehn Millionen Euro.
UKM wohl das einzige Haus, das vor Gericht gezogen ist
Eine Klinik, die im Zuge der Corona-Folgen den Freistaat verklagt: „Das ist natürlich ungewöhnlich“, sagt Siegfried Hasenbein, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG), dem Verband der etwa 360 Hospitäler im Freistaat. „Aber was ist in diesem Jahr schon gewöhnlich? Auch die Situation der Kliniken ist höchst ungewöhnlich: Sie wurden verpflichtet, Betten freizuhalten und Behandlungen abzusagen.“ Dennoch kennt Hasenbein kein anderes Haus, das in dieser Sache vor Gericht gezogen ist. Er kann die Reaktion nachvollziehen: „Wenn eine Klinik so hohe finanzielle Einbußen hat, habe ich vom Grundsatz her Verständnis dafür, dass sie sich alle Wege offenhält.“ Ob der Freistaat der richtige Adressat für die Klage ist, vermag Hasenbein juristisch nicht zu beurteilen. Das Land verteilt in diesem Fall Bundesmittel, eine seiner Behörden entscheidet über die Anträge für Ausgleichszahlungen. Das hat die durchaus kuriose Folge, dass die Murnauer Schwesterkliniken ihren Pauschalen gewährt bekamen – und entsprechend auch nicht klagen.
Die deutsche Kliniklandschaft lässt sich bei den Ausgleichszahlungen generell nicht über einen Kamm scheren. Wirtschaftliche Probleme plagen Hasenbein zufolge tendenziell eher Krankenhäuser, die besonders viele Covid-19-Patienten behandeln und zugleich Erlösausfälle verkraften mussten.
Im Klinikum Garmisch-Partenkirchen keimt derweil Hoffnung auf, dass sich die schlimmsten Befürchtungen nicht bewahrheiten werden. Geschäftsführer Bernward Schröter hatte vor Monaten die Sorge geäußert, dass sich in seinem Haus das Jahres-Minus im Zuge der Pandemie auf fast fünf Millionen Euro summieren könnte. Nun zeigt er sich zuversichtlicher – unter dem Vorbehalt, dass die nächsten Wochen so gut laufen werden wie die vergangenen. Für diesen Fall scheint ein Defizit von vielleicht sogar unter drei Millionen Euro möglich. Schröter kann auch, was die staatlichen Ausgleichszahlungen angeht, nicht klagen – und das im doppelten Sinn: „Nach Anlaufschwierigkeiten“, sagt er, „haben wir eins zu eins das bekommen, was wir beantragt hatten.“