Überschreitung des Gutachtenauftrags – Befangenheit des medizinischen Sachverständigen

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Die Zusammenarbeit zwischen Gericht und medizinischen Sachverständigen ist oft problematisch, weil die Gerichte die Ermittlung des Sachverhaltes allzu häufig allein dem medizinischen Sachverständigen überlassen, der dann selbst aus den Prozessakten heraussuchen muss, welchen Sachverhalt er seiner Begutachtung zugrunde legt. Dies ist für den medizinischen Sachverständigen durchaus gefährlich, weil er sich damit als zu leicht der Besorgnis der Befangenheit durch eine der Prozessparteien aussetzt.

Ein aktueller sehr weitreichender Beschluss des OLG Dresden vom 2.11.2020 (- 4 W 641/20 -) versucht den medizinischen Sachverständigen von solchen Angriffen zu schützen, wobei die rechtliche Argumentation des Gerichts nicht überzeugt.

In dem zum Beschwerdeverfahren gehörenden Arzthaftungsverfahren hatte der medizinische Sachverständige in seinem Gutachten auf Unterlagen aus den Gerichtsakten Bezug genommen, die von keiner Partei im schriftsätzlichen Vorbringen erwähnt worden waren. Der gerichtliche Sachverständige hatte darauf hingewiesen, dass die Inhalte der außergerichtlichen Korrespondenz für die Beweisfrage durchaus relevant sein können, er aber nicht beurteilen könne, ob die dort aufgestellten Behauptungen korrekt seien. Die davon betroffene Prozesspartei lehnte den medizinischen Sachverständigen daraufhin als befangen ab.

Das OLG Dresden sah in dem Vorgehen des gerichtlichen Sachverständigen keinen Grund für eine Befangenheit.

Die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen aus Sicht einer Partei könne zwar als gerechtfertigt erscheinen, wenn dieser in seinem die Grenzen seines Auftrages überschreitenden Gutachten den Prozessbeteiligten den von ihm für richtig gehaltenen Weg zur Entscheidung des Rechtsstreits aufgezeigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 11.04.2013 – VII ZB 32/12 –). Ein Befangenheitsgesuch kann als begründet angesehen werden, wenn der Sachverständige seinen Gutachterauftrag dadurch überschritten hat, dass er eine dem Gericht vorbehaltene Beweiswürdigung vorgenommen und seiner Beurteilung nicht die vorgegebenen Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt hat oder das Vorbringen der Parteien auf Schlüssigkeit und Erheblichkeit untersucht hat, statt die ihm abstrakt gestellte Beweisfrage zu beantworten. Ob die Überschreitung eines Gutachterauftrages geeignet ist, bei einer Partei bei vernünftiger Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen hervorzurufen, ist einer schematischen Betrachtungsweise nicht zugänglich, sondern kann nur aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden.

Nach dem OLG Dresden hatte der Sachverständige in seinem Gutachten zwar zu erkennen gegeben, dass für ihn die von keiner Partei in Bezug genommenen Unterlagen eine Bedeutung haben. Er habe daher einer Anlage im Prozess eine Bedeutung zugemessen, die ihr nur von dem zur Entscheidung berufenen Gericht beigemessen werden darf. Gleichwohl habe der Sachverständige keine Beweiswürdigung vorgenommen, sondern klargestellt, dass die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung noch geprüft werden müsse. Er habe sich bei seiner Beurteilung nicht über vom Gericht vorgegebene Anknüpfungstatsachen hinweggesetzt und auch das Vorbringen der Parteien nicht auf Schlüssigkeit und Erheblichkeit überprüft, sondern es lediglich als seine Aufgabe angesehen, auf Umstände hinzuweisen, die nach seiner Auffassung wichtig seien könnten. Es ist zwar Aufgabe des Gerichts, zu beurteilen, ob die Sachverhaltsdarstellung aus der Anlage für den Rechtsstreit erheblich ist. Gleichwohl kann sein Verständnis von seinen Aufgaben als Sachverständigen noch nicht als voreingenommen angesehen werden, denn er habe seine Rolle nur als Hinweisgeber verstanden, die Beurteilung jedoch dem Gericht überlassen.

Diese Auslegung des OLG Dresden ist ersichtlich davongetragen, den gerichtlichen Sachverständigen im Verfahren zuhalten, überzeugt aber im Ergebnis nicht, denn es gehört schlicht nicht zu den Aufgaben des gerichtlichen Sachverständigen als „Hinweisgeber“ für das Gericht zu fungieren. Denn der „Hinweis“ wirkt sich zwangsmäßig zu Lasten einer der Prozessparteien aus und löst damit die Besorgnis der Befangenheit aus. Es ist allein Aufgabe des Gerichts den zu beurteilenden Sachverhalt festzustellen. Bei Zweifelsfragen sind diese allein das Gericht aufzuklären. Die mangelnden Vorgaben der Gerichte an den Sachverständigen machen die Rolle der medizinischen Sachverständigen teilweise schwierig und führen dazu, dass diese aufgrund ihrer besonderen Sachkenntnis die eigentlich relevanten Punkte aus den übersandten Unterlagen selbst ermitteln. Damit überschreitet der gerichtliche Sachverständige aber seine Kompetenz. Sinnvoller ist es dann, wenn der gerichtliche Sachverständige das Gericht auffordert, ihm den zu beurteilenden Sachverhalt mitzuteilen und Zweifelsfragen selbst zu klären. Denn nur dies entspricht der auch in § 404a ZPO vorgesehenen Aufgabenverteilung zwischen Gericht und Sachverständigen.

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