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Digitalisierung im GesundheitswesenElektronisches Patientendossier droht zum «PDF-Friedhof» zu werden

Hausärztinnen müssen neben dem bisherigen administrativen Aufwand auch noch das elektronische Patientendossier konsultieren und führen.

Die Corona-Krise hat den Rückstand der Schweiz bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens aufgezeigt. Noch immer werden bei der Erfassung statistischer Daten Excel-Listen verwendet. Ein Drittel der Krankengeschichten in Arztpraxen wird noch handschriftlich erfasst. Und selbst Gesundheitsdaten, die Spitäler oder Praxen digital erfassen, können nicht vernetzt werden. Grosse Hoffnung setzt die Politik deshalb ins elektronische Patientendossier (EPD), das dieses Jahr eingeführt wird.

Bisher sind nur die Spitäler verpflichtet, ein EPD zu führen. Ab nächstem Jahr stehen auch die neu zugelassenen Praxisärztinnen und -ärzte sowie Pflegeheime und Geburtshäuser in der Pflicht. Das Parlament beauftragte den Bundesrat im März zudem, die bereits zugelassenen Arztpraxen zum EPD zu verpflichten. Für die Patienten bleibt das EPD freiwillig.

FMH will Aufwand verrechnen

Wer allerdings glaubt, dass die behandelnden Ärztinnen und Ärzte oder Spitäler künftig alle relevanten medizinischen Informationen über Patienten nur noch über das EPD abrufen und untereinander austauschen, hat eine falsche Vorstellung. «Wenn eine Ärztin einen Patienten an einen anderen Arzt überweist, wird sie weiterhin direkt mit dem betreffenden Spezialisten kommunizieren und eine Kopie des Berichtes im elektronischen Patientendossier ablegen», sagt FMH-Präsidentin Yvonne Gilli. Weil zudem die Patienten bestimmen, welche medizinischen Daten und Berichte im Dossier abgelegt werden, können Ärzte nicht davon ausgehen, dass das Gesundheitsdossier vollständig ist. Jede Arztpraxis ist weiterhin verpflichtet, eine eigene Patientengeschichte zu führen. «Die Ärztinnen und Ärzte werden mit dem EPD zu einer doppelten Buchhaltung verpflichtet, deren Nutzen begrenzt ist», sagt Gilli.

Die Neuinvestitionen in die Digitalisierung kosteten eine Praxis rund 50’000 Franken, ins Geld gehe vor allem die Software, sagt Gilli. Für Support und Unterhalt fielen im Schnitt nochmals 1000 Franken pro Monat an. Dazu kämen Lizenzgebühren und Updates. Die FMH fordert deshalb, dass Arztpraxen ihren Aufwand über eine spezielle Tarifposition verrechnen können.

Das EPD nütze vor allem Patienten etwas, die ihre eigenen Gesundheitsinformationen jederzeit einsehen und verwalten wollten, sagt Gilli. Jedoch sei nur eine Minderheit von Patienten daran interessiert, ärztliche Berichte zu lesen, sagt die FMH-Präsidentin aus ihrer Erfahrung als Hausärztin. «Die meisten wollen die Diagnose kennen und erklärt bekommen, was das für sie bedeutet.»

Bereits 2020 hat der Spitalverband H+ eine Abgeltung für das EPD verlangt, bisher vergeblich. Denn der Bundesrat beschied 2017, dass alle Kosten, die für das Führen des elektronischen Patientendossiers anfallen, bereits in den bestehenden Tarifen abgedeckt sind. Dennoch zeigt Nationalrätin und Gesundheitspolitikerin Ruth Humbel (Mitte, AG) ein gewisses Verständnis für die finanzielle Forderung der FMH. Allerdings würde sie den Arztpraxen einen Investitionsbeitrag ausrichten und diese nicht über eine Tarifposition für jeden Eintrag und jeden Blick ins Dossier entschädigen.

Motivation auch für Patienten gering

Für den Krankenversicherungsexperten Felix Schneuwly ist es nachvollziehbar, dass die Ärzteschaft wenig Interesse zeigt am Patientendossier. Dieses bringe in der aktuellen Ausgestaltung einen Mehraufwand, ohne die Behandlungsqualität zu verbessern. Solange die Leistungserbringer nicht direkt behandlungsrelevante Patientendaten und Berichte über das EPD austauschen könnten, sei der Nutzen gering, sagt Schneuwly. Allerdings sei auch die Motivation der Patienten klein. Wichtig wäre es deshalb, wenn die Kassen den Versicherten einen Prämienrabatt gewähren könnten, wenn diese ein elektronisches Patientendossier führten.

FMH-Präsidentin Yvonne Gilli: «Nur eine Minderheit von Patienten ist daran interessiert, ärztliche Berichte zu lesen. Die meisten wollen die Diagnose kennen und erklärt bekommen, was das für sie bedeutet.»

Humbel will im Juni im Parlament einen Vorstoss einreichen, damit das EPD zu einem Kommunikationskanal unter den behandelnden Ärzten sowie Spitälern ausgebaut werden kann. Sonst drohe das elektronische Patientendossier tatsächlich zu einem «PDF-Friedhof» zu werden, wie dies manche Kritiker befürchteten, sagt Humbel.

Die Krankenversicherer lehnen die Forderung der FMH nach einer separaten Tarifposition für das Patientendossier ab. Dies müssten letztlich die Versicherten über ihre Prämien bezahlen. «Bereits heute erhalten Ärztinnen und Ärzte eine Entschädigung für die Dossierführung der Patientenakten», sagt Matthias Müller, Sprecher des Kassenverbandes Santésuisse. Für die Versicherten sei entscheidend, dass das elektronische Patientendossier endlich flächendeckend eingeführt werde. Das wäre ein wichtiger Schritt zugunsten der Digitalisierung des schweizerischen Gesundheitswesens. «Wir zählen darauf, dass die FMH die Anliegen der Patientinnen und Patienten nun rasch in den Vordergrund rückt.»