Berlin . Geld für lukrative Laboruntersuchungen für Privatpatienten landete über erfundene Institute offenbar in privaten Kassen von Ärzten.

In der Berliner Universitätsklinik Charité hat es offenbar über Jahre hinweg Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung von Leistungen für ambulant behandelte Privatpatienten gegeben. Darauf deuten Hinweise von Patienten ebenso hin wie der Morgenpost vorliegende Rechnungen und interne Vermerke.

Zudem haben sich Charité und die für die Aufsicht zuständige Senatsverwaltung für Wissenschaft in Antworten auf zahlreiche parlamentarische sowie Presseanfragen zu dem Komplex mehrfach eklatant selbst widersprochen. Es steht der Verdacht im Raum, dass Millionen von Euro, die Privatpatienten für Laborbefunde bezahlten, auf privaten Konten von Charité-Professoren gelandet sind. Gegebenenfalls muss die Charité das Geld für bezahlte Rechnungen an Krankenkassen und Patienten zurückzahlen.

Charité: Zunächst wurden Rechnungen erfundener Institute bestritten

Wichtiges Element im komplizierten Geflecht der Zahlungswege sind „erfundene Institute”, über die Morgenpost 2019 exklusiv berichtet hatte. Wechselnde Namen auf Rechnungen, Laboraufträgen und Befunden sollten es offenbar erschweren, die Abrechnungen nachzuvollziehen. Zunächst hatten Charité und Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach bestritten, dass überhaupt Rechnungen unter falschen Institutsnamen gestellt worden waren. Später mussten sie einräumen, dass allein ein Professor in 788 Fällen mit einem nicht existenten Institut für Immunologie, Tumorzentrum, Transfusionsmedizin Leistungen abgerechnet hat.

Warum überhaupt falsche Namen genutzt wurden, konnten Charité und Senat nie schlüssig erklären. Einmal hieß es in der Antwort des Wissenschaftsstaatssekretärs Steffen Krach (SPD) auf eine der vielen Anfragen des Abgeordneten Marcel Luthe vom März 2019, eine Mitarbeiterin habe den falschen Namen dem Rechnungsdienstleister PVS freigegeben. Ein halbes Jahr später lieferte die Charité eine andere Erklärung. Demnach erfolgten „immer wieder Namensanpassungen“ der Institute. Der Namensabweichung bei der Rechnungserstellung habe ein „Versehen“ der PVS zugrunde gelegen, der Dienstleister habe die durch die Satzungsänderung erfolgte Namensänderung nicht in seine Datensätze übernommen.“ Auf spätere Nachfrage bestätigte die Charité die erste Version.

Offen blieb, wer den falschen Institutsnamen erfunden hat. Der Morgenpost liegt ein Beleg von 2011 vor, der diese Frage beantwortet. Es war offenbar ein Professor selbst. Zumindest hat er diesen Institutsnamen verwendet und Rechnungen selbst damit erstellt. Ein elektronischer Eintrag zeigt: Er war im System unter seinem Kürzel eingeloggt, als er eine Rechnung an die PVS weiterleitete. Darauf findet sich der Hinweis der PVS, er habe die Rechnung im Auftrag des (nicht existenten) Instituts für Immunologie, Tumorzentrum, Transfusionsmedizin des Professors erstellt.

Mehrere Labore werden nach einem Arztbesuch beauftragt

An dieser Stelle beginnt eine Puzzle-Arbeit. Das Bild, was sich daraus ergibt, zeigt wie ein Arzt Laboraufträge aus einem Privatpatientenbesuch auf verschiedenen Wegen beauftragt und wie diese von verschiedenen Hochschulprofessoren unter verschiedenen Institutsnamen in Rechnung gestellt werden, obwohl die Leistungen nicht dort und nicht von diesen Personen erbracht wurden. Die Daten der Patienten, die laut der Charité, statt in dem „erfundenen Institut“ in der Charité, Körperschaft öffentlichen Rechts, gewesen sein sollen, sind offenbar auf dem Server eines als GmbH organisierten Ambulanten Gesundheitszentrum (AGZ) gelandet.

Der Verdacht steht im Raum, dass an der Charité so eine problematische Abrechnungspraxis von Labor-Spezialdiagnostik verschleiert wurde. Zwischen 2007 und 2015, also exakt in dem Zeitraum, in dem „versehentlich” der falsche Institutsname auf den Rechnungen verwendet wurde, ließ der Professor Patienten einen Behandlungsvertrag mit dem AGZ und nicht mit der Charité selbst unterschreiben. „Der betroffene Arzt hat von 2007 bis 2015 nicht das zentrale Formular der Charité, sondern das Formular des Ambulanten Gesundheitszentrums (AGZ) genutzt”, bestätigte die Charité selbst in einer Senatsantwort vom März 2019. Schreiben des Professors, die der Morgenpost vorliegen, tragen die Bankverbindung des AGZ, nicht der Charité selbst.

Als die Morgenpost im Dezember 2020 bei der Charité fragte, ob der Arzt auch Ressourcen des AGZ genutzt habe, lautete die Antwort: „Ja, das AGZ stellte Raum, Personal, Formulare und Dokumentationsdienstleistungen zur Verfügung.” Dass diese verwirrende Praxis andauert, zeigt ein aktueller Aufklärungsbogen des Professors für seine Patienten. Der Briefkopf zeigt die Charité- Universitätsmedizin Berlin. Die Kontonummer gehört zum Ambulanten Gesundheitszentrum der Charité GmbH.

Ob Leistungen erbracht wurden, hat niemand geprüft

Trotz dieser eindeutigen Hinweise gibt die Charité auf offizielle Anfragen weiter an, die Patienten seien nicht in dem Institut mit dem erfundenen Namen oder in einem AGZ gewesen, sondern in der Charité selbst. Um die Verwirrungs-Strategie komplett zu machen, agierte der Arzt noch unter einem weiteren Namen einer Spezialambulanz. Der Morgenpost liegt ein Rezept aus dem Februar 2011 vor, auf dem der Mediziner unter „Spezialambulanz klinische Hämostaseologie, Rheumatologie und klinische Immunologie” firmiert. Die Charité und Staatssekretär Krach erklärten 2019, der Professor betreibe unter diesem Titel für Kassenpatienten eine „Ermächtigungsambulanz“ und für Privatpatienten eine „Privatambulanz“. Diese Bezeichnungen bedeuten, dass Patienten in beiden Fällen nur mit dem Mediziner selbst einen Behandlungsvertrag abschließen, nicht mit der Charité. So hat es der Bundesgerichtshof für vergleichbare Fälle entschieden.

Besonders merkwürdig: Die drei beschriebenen Varianten, also das Ambulante Gesundheitszentrum als GmbH, die Charité als Körperschaft öffentlichen Rechts sowie die „Privatambulanz/Ermächtigungsambulanz/Spezialambulanz“ finden sich auf verschiedenen Dokumenten, die sich aus einem einzigen Arzttermin ergeben haben.

Auf der Rechnung des Instituts mit dem erfundenen Namen heißt es, der Arzt erstatte dem Krankenhaus „seine Auslagen”. Das wäre nicht nötig, wenn das Krankenhaus für den Arzt liquidieren, also das Geld einziehen würde. Zumal die Charité im Dezember 2020 der Morgenpost bestätigt hatte, das Ambulante Gesundheitszentrum (und nicht die Charité selbst) würde dem Arzt „Raum, Personal, Formulare und Dokumentationsdienstleistungen” zur Verfügung stellen.

Dass in diesem Komplex Vieles erklärungsbedürftig ist, ahnten auch Charité-Vorstand und Wissenschaftssenat. 2019 beauftragten sie die Wirtschaftsprüfungsfirmen KPMG und Deloitte für eine sechsstellige Summe mit Gutachten. Als diese vorlagen, erteilte Charité-Finanz-Vorstand Astrid Lurati sich selbst im August 2020 im vertraulich tagenden Beteiligungsausschuss des Abgeordnetenhauses Absolution. Es seien keine betrügerischen Abrechnungen erfolgt, es gebe keine „Falschabrechnungen”, heißt es im Protokoll der Sitzung.

Staatssekretär Steffen Krach beteuerte, es sei das „gesamte Abrechnungssystem der Charité” überprüft worden. Aber das stimmt so nicht. Prüfungen, die einen möglichen Abrechnungsbetrug belegen könnten, wurden vom ärztlichen Direktor Ulrich Frei eben nicht beauftragt. In der von der Morgenpost eingesehenen Deloitte-Stellungnahme vom März 2019 heißt es: „Der Ärztliche Direktor hat die Konzernrevision am 07.03.2019 beauftragt, eine Sachverhaltsdarstellung der Rechnungsstellung mit einer nichtsatzungskonformen Institutsbezeichnung am Beispiel des „Instituts für Immunologie, Tumorzentrum, Transfusionsmedizin“ mit Risiken und Handlungsempfehlungen zu erstellen... Ob in Rechnung gestellte Leistungen erbracht wurden, war nicht Gegenstand der Prüfung.“

Es wurde also auch nicht untersucht, ob die Leistungen von der richtigen Person erbracht wurden und ob überhaupt ein Vertragsverhältnis mit den Patienten entstanden sein kann. Das ist aber entscheidend. In vergleichbaren Fällen hatte der Bundesgerichtshof geurteilt, dass Geld für so erbrachte Leistungen an die Patienten beziehungsweise die Krankenkasse zurückgezahlt werden müsste. Es sind auch schon Ärzte wegen Abrechnungsbetrugs zu Gefängnisstrafen verurteilt worden.

Deshalb ist die wesentliche Frage, welche Leistungen Mediziner wie der Professor selbst erbracht haben und ob sie diese auch selbst privat abrechnen durften. Und ob unkorrektes Vorgehen der Mediziner mit Wissen und Billigung des Vorstandes erfolgte. Das legen Patientendaten nahe, die der Morgenpost vorliegen. In der Folge eines Arztbesuchs bei dem Professor gab es verschiedene Aufträge für Laboranalysen. Zwei davon übernahm das Labor Berlin, eine Tochtergesellschaft der Charité und des städtischen Klinikkonzerns Vivantes. Eine davon stellte unter dem Briefkopf des Charité-Centrums für innere Medizin und Dermatologie ein Klinikdirektor im März 2011 in Rechnung. Er bat um die Überweisung eines hohen 3-stelligen Betrages auf sein Konto bei der Deutschen Apotheker- und Ärztebank.

Weitere Analysen für verschiedene Blutuntersuchungen wurde vom Labor Berlin an diesen Professor im Ambulanten Gesundheitszentrum übermittelt. Abgerechnet hat aber nicht das Labor und auch nicht das Ambulante Gesundheitszentrum, sondern ein weiterer Professor im Namen eines „Zentralinstituts für Laboratoriumsmedizin und Pathochemie ”, das aber laut Auskunft der Charité seit Beginn des Jahres 2011 keine Leistungen mehr erbringt. „Auf Veranlassung von Prof." seien die Untersuchungen erfolgt, heißt es auf der Rechnung. Eine dritte Rechnung stellte er noch selbst.

Eine solche Praxis widerspricht jedoch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wonach die Labore selbst ihre Leistungen der teuren Spezialdiagnostik mit dem Patienten abrechnen müssen. Damit soll verhindert werden, dass Ärzte finanziell profitieren, wenn sie besonders viele Laborproben in Auftrag geben. Zudem dürfen Ärzte Spezialdiagnostik nur abrechnen, wenn sie die Analysen persönlich gemacht haben. Das war bei dem Arzt nicht der Fall. Der Morgenpost liegt ein internes Schreiben vor, in dem sich die Laborärzte und Assistenten sogar für die Übersendung des zu prüfenden Materials bei dem Professor bedanken.

Charité-Tochter Labor Berlin darf nicht selber abrechnen

Die Labor Berlin soll anders als vom Gesetzgeber vorgeschrieben nicht selbst Geld für Analysen einziehen. Laut dem geheimen Kooperationsvertrag zwischen der Charité und dem Labor Berlin soll die Labor GmbH kein Liquidationsrecht besitzen. Paragraf 17 legt die fragwürdige Praxis fest: „Im Verhältnis der Parteien untereinander steht das Recht zur Berechnung von Wahlleistungen....sowie von Leistungen der ambulanten Versorgung („Liquidationsrecht“) für alle Charité-Patienten der Charité und für alle Vivantes-Patienten Vivantes zu.”

Dabei geht es um erhebliche Summen. Allein unter einem Institutsnamen hat die Charité bis heute Millionen Euro für Laborleistungen abgerechnet, obwohl seit 2011 offiziell das Labor Berlin diese Aufgaben übernommen hatte. Zwischen 2,3 und 3,8 Millionen Euro wurden pro Jahr zwischen 2011 und 2018 allein mit ambulanten Privatpatienten umgesetzt, insgesamt rund 25 Millionen Euro.

Welchen Anteil daran die wegen der speziellen Vorgaben besonders sensible Spezialdiagnostik hatte, können Charité und Senat in einer Antwort auf eine Luthe-Anfrage vom November 2019 nicht sagen. „Dazu liegen der Charité die Rechnungen mit Einzelleistungen bei Altvertraglerinnen und Altvertraglern nicht vor; es werden nur Umsatzzahlen gemeldet.” Unter „Altvertraglern“ versteht die Charité solche Chefärzte, die das Recht haben, private Leistungen auf ihre privaten Konten abzurechnen.

Diese Antwort widerspricht aber dem Kooperationsvertrag mit dem Labor Berlin. Demnach soll die Charité das alleinige Liquidationsrecht haben und das Geld einnehmen. Zudem kann ein Behandlungsvertrag zwischen ambulanten Privatpatienten und Laborarzt als Abrechnungsgrundlage nur im Labor zustande gekommen sein, das die Leistungen in Rechnung stellen müsste.

Dass nur Umsätze ausgewiesen werden und keine Rechnungen über Spezialdiagnostik vorliegen, ist auffällig. Zudem steht im Raum, dass aus neueren Verträgen Summen nicht ans Labor und nicht an die Charité, sondern an das Ambulante Gesundheitszentrum gegangen sein könnten, dessen „Ressourcen“ genutzt wurden.

Die Frage ist nun, wo das Geld für Tausende von Laboruntersuchungen geblieben ist. Als der Abgeordnete Luthe im September 2020 den Senat fragte, wo sich denn die Millionensummen in den Bilanzen der Charité wiederfinden, bekam er zur Antwort: Diese Leistungen würden von dem Tochterunternehmen Labor Berlin erbracht. „Erlöse aus Labordiagnostik fallen somit direkt bei dem Beteiligungsunternehmen an”, so Wissenschaftsstaatssekretär Krach. Also beim Labor Berlin. So sollte es sein.

Aber im Kooperationsvertrag zum Labor Berlin steht es anders. Demnach steht den beiden Krankenhauskonzernen dieses Liquidationsrecht zu. Das Labor macht zwar die Arbeit, darf aber anders als für Labor-Spezialdiagnostik bei Privatpatienten gesetzlich vorgeschrieben nicht selbst das Geld eintreiben.

Aus diesem komplexen Sachverhalt ergibt sich der Verdacht, dass Charité-Professoren hohe Summen für Labor-Spezialdiagnostik in die eigene Tasche gewirtschaftet haben und auch Geld aus neueren Verträgen womöglich falsche Wege nahm. Das widerspräche nicht nur berufsständischen Regeln. Ärzteschaft und Krankenhäuser bundesweit sind schon länger bestrebt, Chefärzten die Nebeneinnahmen mit Privatpatienten vor allem aus Labordiagnostik zu beschneiden. Womöglich ist aber auch strafbar, was seit Jahren an und um Berlins Universitätsklinik Praxis ist. Aufklären ließe sich der Sachverhalt, wenn die Charité alle Abrechnungsdaten, Labor-Befunde, Auskünfte zu Datenübermittlungen und Zugriffsprotokolle an die ambulanten Privatpatienten herausgeben würde. Aber diese Unterlagen möchte die Charité bisher nicht offenlegen.