Ungenaue Statistik

Ärzte kritisieren Zerrbild der Diabetesversorgung in Kliniken

Die Zahl der Diabetespatienten in Krankenhäusern fällt in Statistiken deutlich zu niedrig aus, beklagen Diabetologen. Ein Grund dafür sei, dass in den Erhebungen nur Patienten mit der Erstdiagnose Diabetes erfasst würden.

Von Thomas Hommel Veröffentlicht:
Fast jeder fünfte Krankenhauspatient leidet laut einer Studie an Diabetes mellitus. (Symbolbild mit Fotomodellen)

Fast jeder fünfte Krankenhauspatient leidet laut einer Studie an Diabetes mellitus. (Symbolbild mit Fotomodellen)

© upixa / stock.adobe.com

Berlin. Nahezu jeder fünfte Krankenhauspatient in Deutschland ist laut einer aktuellen Studie der Universität Ulm an Diabetes mellitus erkrankt. Die Zahl bezieht sich auf alle Krankenhausfälle ab einem Alter von 20 Jahren.

Der Anteil von Männern war den Angaben zufolge mit knapp 20 Prozent deutlich höher als der von Frauen – bei ihnen lag der entsprechende Anteil bei knapp 15 Prozent. Die Ulmer Forscher werteten für ihre Analyse die Klinik-Fallpauschalen der Jahre 2015 bis 2017 aus.

Studienautorin Marie Auzanneau betonte, bisher habe es noch keine umfassenden Daten zu dem Thema gegeben. Untersucht worden sei im Rahmen der Studie auch die Häufigkeit der verschiedenen Diabetestypen. Von den insgesamt 3,1 Millionen Krankenhauspatienten mit Diabetes seien demnach im Jahr 2017 mehr als 2,8 Millionen an einem Diabetes mellitus Typ-2 erkrankt gewesen, erläuterte die Wissenschaftlerin.

Erheblicher Versorgungsbedarf

„Auffällig war, dass die Verweildauer und Sterblichkeit unter den Krankenhausfällen mit Diabetes höher lag als bei denjenigen ohne Diabetes“, sagte Professor Reinhard W. Holl.

Es habe sich zudem gezeigt, dass die Prävalenz des Diabetes doppelt so hoch lag wie bei der Allgemeinbevölkerung. „Das belegt die hohe diabetesassoziierte Sterblichkeit und verdeutlicht den erheblichen stationären Versorgungsbedarf von immer älter werdenden multimorbiden Diabetespatienten.“

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) mahnte, dass aus den vorgelegten Zahlen rasch Konsequenzen zu ziehen seien. „In vielen bisher publizierten Statistiken zum Thema wird lediglich die Hauptdiagnose Diabetes aufgeführt, aber das spiegelt das reale Bild nicht wider“, führte der Sprecher der Kommission Epidemiologie und Versorgungsforschung der DDG, Professor Andreas Fritsche, zur Begründung aus.

Die Gesamtzahl der stationären Diabetespatienten wird erheblich unterschätzt.

Professor Andreas Fritsche, Sprecher der Kommission Epidemiologie und Versorgungsforschung der Deutschen Diabetes Gesellschaft.

Die Ulmer Studie zeige, dass die reale Zahl der stationären Diabetespatienten 15 Mal höher liege als in manchen Publikationen zu hospitalisierten Diabetespatienten in Deutschland, rechnete Fritsche vor. Die Versorgung von Patienten mit einer Nebendiagnose Diabetes sei aber ebenso aufwändig wie bei den Patienten, die mit der Hauptdiagnose Diabetes in einem Krankenhaus behandelt werden müssten. Beide Patientengruppen bräuchten eine „qualifizierte Therapie“, machte Fritsche deutlich.

Am Beispiel der COVID-19-Fallzahlen zeige sich, wie unterschiedlich sowohl bei der Erfassung als auch bei Berichterstattung vorgegangen werde, sagte Fritsche. Jeder per PCR-Test positiv getestete hospitalisierte Patient werde vom Robert Koch-Institut (RKI) als ein COVID-19-Fall erfasst. Dabei sei ein nicht unerheblicher Teil dieser Patienten wegen einer anderen Hauptdiagnose ins Krankenhaus eingeliefert worden, betonte Fritsche.

So verfahren wie bei COVID-19

Es stelle sich daher die Frage, so Fritsche, warum bei Diabetespatienten in Deutschland nicht genauso verfahren werde. „Bisher berichtet das RKI bei den stationären Diabeteszahlen nur von Patienten mit einer Hauptdiagnose – dies ergibt aber ein einseitiges Bild.“ Das Robert Koch-Institut solle die Diabetes-Berichterstattung deshalb künftig nach den gleichen Kriterien vornehmen wie bei COVID-19, forderte Fritsche.

Auf diese Weise ließe sich die tatsächliche Belastung der Krankenhäuser durch stationäre Diabetespatienten genauer erfassen und einschätzen, stellte der Diabetologe fest.

Mehr zum Thema

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Das könnte Sie auch interessieren
Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

© Aleksandr | colourbox.de

Fatal verkannt

Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

© polkadot - stock.adobe.com

Vitamin-B12-Mangel

Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

B12-Mangel durch PPI & Metformin

© Pixel-Shot - stock.adobe.com

Achtung Vitamin-Falle

B12-Mangel durch PPI & Metformin

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Lesetipps
Der Patient wird auf eine C287Y-Mutation im HFE-Gen untersucht. Das Ergebnis, eine homozygote Mutation, bestätigt die Verdachtsdiagnose: Der Patient leidet an einer Hämochromatose.

© hh5800 / Getty Images / iStock

Häufige Erbkrankheit übersehen

Bei dieser „rheumatoiden Arthritis“ mussten DMARD versagen