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Organisationsfehler und Übernahmeverschulden des Krankenhauses in Corona-Zeiten


von Prof. Dr. Karl Otto Bergmann

Corona-Zeiten, also die Zeiten der Pandemie, in der die Bekämpfung des SARS-CoV-2-Virus an erster Stelle steht, erfordern von allen Beteiligten höchste Sorgfalt und größte Aufmerksamkeit hinsichtlich des Kampfes gegen die Pandemie. Die Organisation der Massenimpfung, soweit Krankenhausärzte eingebunden sind, aber vor allem auch die Organisation der Aufnahme der Corona-Patienten in das Krankenhaus stellen das Krankenhauspersonal vor schwierige Aufgaben. Haftungsprozesse lassen sich dabei nicht immer vermeiden.

Die Medien berichten über erste rechtshängige Haftungsprozesse. In einem Fall sollen zwei Pfleger positiv getestet worden sein, ohne dass die notwendigen Schutzmaßnahmen getroffen worden seien; ein Hygienekonzept sei nicht umgesetzt worden. In einem anderen Fall soll eine frisch operierte Patientin mit einer Corona-Patientin in einem Krankenhauszimmer zusammengelegt worden sein. In einem dritten Fall soll eine Patientin mit schwerem Schlaganfall wieder zurück in ihre Wohnung geschickt worden sein, weil wegen Corona kein Bett freigewesen sein soll (so BamS v. 21.02.2021). Zusammenfassend wird in allen Fällen die Verletzung von Organisationspflichten und Übernahmeverschulden geltend gemacht, der Krankenhausträger soll seinen Organisationspflichten nicht nachgekommen sein. Die rechtshängigen Schadensersatzklagen sind nur Beispiele, sie sollen hier nicht gelöst werden. Vielmehr bieten sie Anlass, auf die umfassenden Organisationspflichten eines Krankenhauses hinzuweisen, wobei zu betonen ist, dass diese Pflichten selbstverständlich auch unabhängig vom Eintritt einer Pandemie im normalen Krankenhausbetrieb zu berücksichtigen sind. Nur: Die Pandemie begründet zusätzliche Organisationspflichten, sodass auf die haftungsrechtliche Bedeutung der Wahrung der Organisationspflichten eines Krankenhausträgers hingewiesen werden soll.

Pflicht zur standardgerechten Organisation des Klinikbetriebes

Eine der wichtigsten Pflichten des Krankenhausträgers bei dem Betrieb eines Krankenhauses ist die standardgerechte Organisation des Klinikbetriebes. Diese Pflicht gehört zum Kernbereich des medizinischen Qualitätsstandards und auch haftungsrechtlich kommt ihr besondere Bedeutung zu. Denn die Rechtsprechung sieht seit jeher die Organisation der Behandlung als vollbeherrschbaren Bereich an, der im Streitfall bei Feststellung von Mängeln zu einer Umkehr der Beweislast nach § 630h BGB zu Lasten des Krankenhauses führt. Wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht, das für den Behandelnden vollbeherrschbar ist und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat, greift zugunsten des Patienten eine Beweiserleichterung. Der Patient hat im Herrschafts- und Organisationsbereich des Krankenhausträgers einen Schaden erlitten, obwohl Arzt und Krankenhaus nach den sie treffenden Vertragspflichten den Patienten vor dem erlittenen Schaden zu schützen und zu bewahren hatten. Folglich trifft den Krankenhausträger die Beweislast für die Beachtung der nötigen und möglichen Vorsichts- und Verhütungsmaßnahmen und damit für Fehlerfreiheit sowie fehlendes Verschulden. Nicht nur jeder leitende Arzt, sondern auch die leitenden Personen der Verwaltung, insbesondere auch der Krankenhausjustitiar, sollten daher für die Einhaltung des vollbeherrschbaren Risikos alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen treffen.

Zu den Organisationspflichten des Krankenhauses gehören Pflichten in verschiedenen Bereichen, so beispielsweise die qualitative und quantitative personelle Ausstattung des Hauses, die standardgerechte Dienstanweisung, die klare Abgrenzung von Zuständigkeiten, die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Aufklärungspraxis, Hygiene, Notfalleinrichtungen, Verkehrssicherungspflichten, aber auch die apparative Ausstattung. Mit den zu diesem Problemkreis ergangenen gerichtlichen Entscheidungen sollten sich Verwaltung, Ärzteschaft und Pflege auseinandersetzen. Insbesondere der Krankenhausjustitiar muss sich mit ihnen beschäftigen, um Ärzteschaft, Pflege und Verwaltung über diesen in der Praxis sehr wichtigen Problemkreis vollständig informieren zu können (eingehend zur Beweislast bei dem vollbeherrschbaren Risiko der Organisationspflichten siehe Glanzmann 2017, dort auch zur Beweislast bei Behandlungsfehlern sowie unzureichender Aufklärung).

Beispiele aus der Rechtsprechung

Aus der nahezu unübersehbaren Rechtsprechung zu Organisationsfehlern seien nur einige grundlegende Entscheidungen erwähnt:

  • Einsatz eines nicht qualifizierten Personals und Pflicht zum Einschreiten des Krankenhauses (BGH, 16.04.1996, Az.: VI ZR 190/95),
  • Einsatz eines Arztes ohne ausreichende Haftpflichtversicherung (BGH, 07.12.2004, Az.: VI ZR 212/03),
  • Einsatz vorhandener Geräte und Pflicht zur Einsetzung eines Dosisleistungsmessgerätes, eines CTs oder eines Hysteroskops (vgl. BGH, 06.05.2003, Az.: VI ZR 259/02),
  • Prüfung ungeklärter Infektionsquellen (BGH, 06.07.1999, Az.: VI ZR 290/98),
  • Kontrolle von Wärmflaschen von Inkubatoren (BGH, 10.01.1984, Az.: VI ZR 158/8),
  • Versäumung der Pflicht des Krankenhausträgers zur Sicherung der Krankenunterlagen oder anderer Dokumente (BGH, 21.11.1995, Az.: VI ZR 341/94),
  • personelle Unterversorgung im Krankenhaus und unzureichende personelle Ausstattung einer vorhandenen Stroke Unit (BGH, 21.01.2014, Az.: VI ZR 78/13 ).

Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Mängel auf der Ebene der Infrastruktur wie generelle Mängel im Hygienemanagement, bei der apparativen Ausstattung sowie die Verletzung der Pflicht zum ausreichenden Vorhalten von Medikamenten sind sämtlich als Organisationsfehler zu bewerten. Ein struktureller Fehler kann auch in einer Behandlung dadurch angelegt sein, dass der Behandelnde die Behandlung des Patienten übernimmt, obwohl er für die in Rede stehende Behandlung nicht über ausreichende Fachkenntnisse verfügt und dies ex ante auch schon bei der Einstellung für die Verwaltung und ggf. den Justitiar erkennbar war. Soweit dem in Weiterbildung befindlichen Arzt die vom Facharztstandard geforderte Erfahrung fehlt, muss dies durch besondere Maßnahmen der Überwachung und jederzeitige Eingriffsbereitschaft durch einen erfahrenen Arzt ausgeglichen werden, wie auch ein aktuelles Urteil des OLG Köln bestätigt (OLG Köln, 09.01.2019, Az.: 5 U 25/18, MedR 2019, 964 mit Anmerkung Middendorf).

Andererseits stellt der Einsatz von Ärzten, die im Zeitpunkt der Behandlung aufgrund unzureichender Pausen keine standardgerechte Leistung mehr erbringen können, einen Organisationsfehler des Krankenhausträgers dar (Bergmann/Kienzle 2015, Seite 84). Die Organisationspflicht umfasst im Übrigen auch die Pflicht, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen und zu kontrollieren, dass die Patientenaufklärung standardentsprechend und individualisiert stattfindet (Bergmann/Kienzle 2015, Seite 84).

Fazit

In der Praxis kann es daher Aufgabe des Krankenhausjustitiars sein, etwa in Chefarztrunden oder im Rahmen eines Risikomanagements zur Schadensminimierung, die Problemkreise des vollbeherrschbaren Risikos, insbesondere also der Organisationspflichten, in enger Abstimmung mit Verwaltung, Ärzteschaft und Pflege zu erörtern. Aus anwaltlicher Sicht erscheint es wünschenswert, wenn das ärztliche und pflegerische Personal über Haftungsfragen insbesondere aus dem Bereich der Organisationspflichten informiert wird.

Weiterführende Literatur

Bergmann/Kienzle (Hrsg.) (2015) Krankenhaushaftung. Organisation, Schadensverhütung und Versicherung – Leitfaden für die tägliche Praxis, 4. Auflage, Kohlhammer Verlag, Seite 84

Glanzmann (2017) in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, 3. Auflage, Nomos Verlag, § 630h BGB, Rn 4–54