Der Streit um die Kodierung einer Aortenklappenstenose (KDE 585) – ein Fall für den Schlichtungsausschuss Bund?

Beim Schlichtungsausschuss Bund war am 11.11.2020 ein Schlichtungsverfahren anhängig zu der Frage, ob eine Aortenklappenstenose mit dem ICD-Kode I35.0 (Aortenklappenstenose) oder mit dem ICD-Kode Q23.0 (Angeborene Aortenklappenstenose) zu kodieren ist, wenn sich intraoperativ eine bikuspidale Aortenklappe mit Stenose findet.

Die SEG-4 hat in diesen Fällen empfohlen, die Aortenklappenstenose nur mit I35.0 (Aortenklappenstenose) zu kodieren. Der Foka hingegen ist der Ansicht, dass der Kode Q23.0 (Angeborene Aortenklappenstenose) auszuwählen sei.

Charlien Lorenz

Charlien Lorenz

Rechtsanwältin

Rechtsanwältin Lorenz berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren.

Der Schlichtungsausschuss hat am 25.11.2020 entschieden, dass bei einer erst intraoperativ festgestellten bikuspidalen Aortenklappe mit Stenose diese nicht als Hauptdiagnose zu kodieren sei, sondern der Kode I35.0. Die bikuspidale Aortenklappe habe nämlich keinen Einfluss auf den geplanten Operationsablauf.

Aber lagen überhaupt die Voraussetzungen vor, damit der Schlichtungsausschuss eine Entscheidung treffen konnte?

Die Aufgabe des Schlichtungsausschusses auf Bundesebene ist gemäß § 19 Abs. 2 KHG die verbindliche Klärung von Kodier- und Abrechnungsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, welche nach § 19 Abs.6 KHG sodann als Kodierregeln gelten. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 der Vereinbarung zu § 19 KHG sind Kodier- und Abrechnungsfragen nur von grundsätzlicher Bedeutung, wenn es sich u.a. um eine streitige Kodierfrage handelt.

Es stellt sich die Frage, ob in diesem Fall überhaupt eine streitige Kodierfrage vorliegt.

Was dagegen spricht sind die eindeutigen Kodiervorschriften. Der Wortlaut des ICD-Kodes Q23.1 spricht von einer angeborenen Aortenklappenstenose. Zudem findet sich die Kategorie der angeborenen nichtrheumatischen Aortenklappenkrankheiten als Exklusivum unter der Kategorie I35.-Nichtrheumatische Aortenklappenkrankheiten.

Nach der DKR D013 handelt es sich bei Exklusiva um Bezeichnungen, die – selbst wenn der Titel der Rubrik vermuten lässt, dass sie an dieser Stelle zu klassifizieren wären – tatsächlich an anderer Stelle klassifiziert sind.

Auch das BSG hat mit Urteil vom 19.03.2020, Az.: B 1 KR 69/19 B, entscheiden, dass in derartigen Fällen der ICD-Kode Q23.1 zu kodieren ist. Das BSG hat sich mit dem Wortlaut der Diagnose befasst, welcher sich ausdrücklich auf die bikuspidale Aortenklappe beziehe. Eine wie auch immer zu bestimmende zeitliche Obergrenze bis zum Auftreten behandlungsbedürftiger funktioneller Störungen sehe ICD-10-GM Q23.1 als weitere Kodiervoraussetzung nicht vor. Auch die Systematik innerhalb des ICD-10-Katalogs spreche für die Einbeziehung. Die Überschrift zu Q23.- laute „Angeborene Fehlbildungen der Aorten- und Mitralklappe„. Außerdem seien angeborene Aortenklappenkrankheiten durch eine Ausschlussregelung (Exklusivum) in I35.-ausdrücklich ausgeschlossen.

Für die Annahme einer streitigen Kodierfrage sprechen die divergierenden Auffassungen zwischen dem Foka und der SEG-4.Sieht man das Vorliegen einer ungeregelten Kodierfrage als erfüllt an, ergibt sich die Entscheidungsbefugnis des Schlichtungsausschusses sodann aus § 19 Abs.5 KHG, der wie folgt lautet:

„Der Schlichtungsausschuss entscheidet bis zum 31. Dezember 2020 über die zwischen der Sozialmedizinischen Expertengruppe Vergütung und Abrechnung der Medizinischen Dienste und dem Fachausschuss für ordnungsgemäße Kodierung und Abrechnung der Deutschen Gesellschaft für Medizincontrolling bis zum 31. Dezember 2019 als strittig festgestellten Kodierempfehlungen.“

Sodann stellt sich die Frage, ob die Vorgaben des ICD-10 oder die Schlichtungsentscheidung anzuwenden sind. Für den Vorrang der Entscheidung des Schlichtungsausschusses dürfte wohl § 19 Abs.6 KHG sprechen, der wie folgt lautet:

„Die Entscheidungen des Schlichtungsausschusses sind zu veröffentlichen und gelten als Kodierregeln.“

Damit sind sie Kodierregeln. Auf S. VI der DKR 2021 heißt es wie folgt:

 „Für den Fall, dass zwischen den Hinweisen zur Benutzung der ICD-10 (Band 2 der WHO-Ausgabe) bzw. des OPS-301 und den Kodierrichtlinien Widersprüche bestehen, haben die Kodierrichtlinien Vorrang.

Es dürfte aber zu diskutieren bleiben, ob aufgrund des Verweises auf die WHO-Ausgabe, dass ganze für die ICD-10-GM gar nicht gilt (s. BSG, Urteil vom 16.07.2020 – B 1 KR 16/19 R, juris Rdn.20f.) Gleiches steht auch bei Inklusiva und Exklusiva – sollen diese dann auch nicht mehr für die ICD-10-GM gelten?

Fazit

Es bleibt daher abzuwarten, welche verbindliche Regelung (die des ICD-10 oder die des Schlichtungsausschusses) in Zukunft zur Anwendung gelangt. Zudem ergibt sich aus unserer Sicht aus der Entscheidung des Schlichtungsausschusses nicht eindeutig, in welchen Fällen genau diese anzuwenden ist. Nach dem Wortlaut beschreibt die Regelung allein Fälle, denen gemein ist, dass die bikuspidale Aortenklappe intraoperativ festgestellt worden ist. Offen bleibt, ob die Entscheidung des Schlichtungsausschusses auch solche Fälle umfasst, in denen schon vor der Aufnahme der Patienten bekannt ist, dass die Aortenklappenstenose auf einem angeborenen Herzfehler beruht.

Zu beachten ist, dass die Entscheidung des Schlichtungsausschusses Bund allenfalls erst bei Behandlungsfällen mit Aufnahmedatum ab dem 01.01.2021 gilt bzw. bei denjenigen Fällen, die am 25.11.2020 bereits Gegenstand einer MD-Prüfung gewesen sind.