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Hessen: Linke mahnt klare Regeln in Psychiatrie an

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Kliniken und Gerichte gehen uneinheitlich mit Fixierungen um, sagt der Praktiker. Das Ministerium widerspricht.

Eine längere Fixierung eines verwirrten Menschen ohne Zustimmung eines Amtsgerichts ist rechtswidrig. „Pro Tag steht dem Betroffenen Schadensersatz von 1000 Euro zu“, sagt Szymon Mazur, Betreuungsrichter am Amtsgericht Fulda. Dass ein solcher Eingriff in die Grundrechte in manchen hessischen Kliniken dennoch ohne Richtervorbehalt stattfindet, sieht er angesichts eines Bundesverfassungsgerichtsurteils aus dem Jahr 2018 kritisch.

Für Mazur und seine Kolleg:innen in Fulda ist die Lage eindeutig: Steht eine Fixierung von mehr als 30 Minuten an, fahren sie in die betreffende Klinik und überprüfen, ob es keine Alternative gibt, um diesen Menschen zu beruhigen. So, sagt er, würden aber nicht alle Amtsgerichte in Hessen verfahren und auch nicht alle Kliniken. Denn es fehle eine klare rechtliche Regelung.

Die Rechtslage

Eine Fixierung, die länger als 30 Minuten dauert, stellt eine Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 Grundgesetz dar. Sie ist von der richterlichen Anordnung zur Unterbringung nicht gedeckt und bedarf einer zusätzlichen Genehmigung.

Das Bundesverfassungsgericht hat Vorschriften aus Baden-Württemberg und Bayern am 24. Juli 2018 für verfassungswidrig erklärt, die dies nicht berücksichtigen. Hessen hat seinen ähnlich lautenden Gesetzestext nicht durch den Richtervorbehalt ergänzt.

Das Psychisch-Kranken-Gesetz läuft zum Jahresende aus. Der Hessische Richterbund schreibt in einer Stellungnahme vom März, es sei „nicht zu verantworten (…) den Richterinnen und Richtern aufzubürden, zu entscheiden, ob sie auch ohne gültige Grundlage tätig werden müssen“. jur

Diese mahnt die Linksfraktion seit drei Jahren an, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin Christiane Böhm. Zumal die Landesregierung offenkundig mit zweierlei Maß messe: Während das Justizministerium die Regeln für Gefängnisse angepasst habe, glänze das Sozialministerium durch Untätigkeit, beklagten Böhm und Ulrich Wilken, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion. Ihre Sorge ist, dass sich auch künftig an der Situation nichts ändert. Ende Dezember läuft das aktuelle Gesetz aus, Neuerungen hätten angesichts der Komplexität längst in Angriff genommen werden müssen. Doch die entsprechenden Signale aus dem Sozialministerium blieben bisher aus. Es bleibt den Verantwortlichen in den Amtsgerichten und Kliniken selbst überlassen, wie sie die aktuelle Rechtslage interpretieren. Dabei hatte Mazur gehofft, dass sich nach der Reportage des Teams Wallraff über das Klinikum in Frankfurt-Höchst endlich etwas ändert. Im Frühjahr 2019 beschäftigten die darin geschilderten Missstände über Wochen die Öffentlichkeit. Ein Gutachter wurde eingesetzt, die Leitung der Psychiatrie ausgetauscht.

Die Gesetzesverschärfung zur Fixierung blieb jedoch aus, wie Mazur ernüchtert feststellt. Im Endeffekt habe die Wallraff-Reportage den Druck auf die Beschäftigten nur noch erhöht. „Mein persönlicher Eindruck ist, dass das Personal völlig überfordert ist.“ Rund die Hälfte aller Bundesländer habe das Bundesverfassungsgerichtsurteil inzwischen umgesetzt. Böhm macht klar: Ein Gesetz, das sehr enge Grenzen für eine Fixierung und eine klare Dokumentations- und Berichtspflicht für eine wirksame parlamentarische Kontrolle schafft, könne nur ein erster Schritt sein. Diesem sollte eine Reform folgen, der Fixierungen mit Gurten oder Medikamenten überflüssig macht. „Wir brauchen eine gewaltfreie Psychiatrie mit Ambulanzen und flächendeckenden Krisendiensten.“

Wie das Sozialministerium auf FR-Anfrage mitteilt, befindet sich das evaluierte Gesetz aktuell in der Ressortabstimmung. „Es ist beabsichtigt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Fixierungen umzusetzen.“ Unabhängig davon unterlägen Entscheidungen über Fixierungen bereits jetzt einem Richtervorbehalt.

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