Charité-Chef Heyo Kroemer hat sich in der Debatte um mögliche Tricksereien bei staatlichen Hilfen für Klinikbetten zu Wort gemeldet – er fordert einen Umbau der Krankenhaus-Finanzierung in Deutschland. „Ein System, das monetär eng gestrickt ist, setzt in Ausnahmesituationen möglicherweise Anreize, fragwürdige Dinge zu tun“, sagte er dem „Spiegel“. Vor allem privat geführte Konzerne stünden unter großem Druck ihrer Aktionäre. Hohe Renditeerwartungen im Gesundheitssystem sehe er „generell kritisch“.
Der Vorwurf, Kliniken hätten bei der Zahl der Intensivbetten möglicherweise geschummelt, um staatliche Hilfen zu erhalten, müsse nach der Pandemie „kritisch aufgearbeitet“ werden, so der Charité-Vorstandsvorsitzende Kroemer. „Diese Vorwürfe gibt es bei der Maskenbeschaffung, bei Teststationen und jetzt bei den Intensivbetten.“ Heute wisse man, dass während der Pandemie nicht überall intensiv kontrolliert wurde. „Aber die Politik musste im vergangenen Frühjahr ja schnell reagieren, weil wir alle Angst vor einer Bergamo-Situation hatten.“
Die umstrittenen staatlichen Ausgleichszahlungen für frei gehaltene Betten mögen „für manche Kliniken das Geschäft ihres Lebens gewesen sein“. Daran zweifle er nicht. Anfangs zahlte der Staat für ein frei gehaltenes Bett täglich 560 Euro. „Großen Universitätskliniken wie uns hat das zwar geholfen, wir haben aber trotzdem Verluste gemacht“, so Kroemer. Nach der Pandemie müsse auch über die Finanzierung von Universitätskliniken gesprochen werden.
Dass die Belastung von Intensivstationen derzeit infrage gestellt werde, mache ihn fassungslos. „Die Lage war ohne Zweifel extrem angespannt, das gilt für die meisten Krankenhäuser in Deutschland, die sich um Covid-Patienten gekümmert haben“, sagte Kroemer. „Zu Anfang waren vor allem sehr alte Menschen bei uns, die sind inzwischen geimpft.“ Derzeit seien mehr als ein Drittel der Covid-Patienten auf den Charité-Intensivstationen jünger als 60. „Das heißt: Aktuell sterben hier Mütter und Väter, die oft sehr lange bei uns waren. Das ist für unsere Leute besonders schlimm.“
Der digitalen Pandemiebekämpfung in Deutschland stellte Kroemer ein vernichtendes Urteil aus. „Wir sind bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems wirklich weit, weit zurück.“ Als Grund nannte er auch fehlenden Veränderungswillen. „Wir alle haben 15 Monate lang in der ‚Tagesschau‘ gesehen, dass die neuesten Infektionszahlen immer wieder nicht stimmten, weil die Behörden am Wochenende nicht gefaxt haben. Ein eklatanter Missstand – einen öffentlichen Aufschrei gab es nicht.“ Ein weiteres Beispiel: „Nach der Impfung bekommt man einen Vermerk in ein kleines gelbes Buch. Den elektronischen Impfnachweis gibt es erst seit dieser Woche, das ist doch zum Schämen.“
Kritik äußerte Kroemer auch an der Corona-Warn-App: „Hätten wir eine vernünftige, verpflichtende Tracking-App gehabt, hätte man vermutlich die Infektionszahlen stärker reduzieren können.“ Das Problem sei aber ein grundsätzliches: „Wer heute in die Charité oder andere Krankenhäuser kommt, verlässt die Klinik noch immer mit einem ausgedruckten Arztbrief.“ Einflussreiche Interessenvertreter hätten mehr Digitalisierung bislang verhindert.