Gesundheit
Jahrelanges Feilen vorerst umsonst: Der Bundesrat spricht ein Machtwort im Gezerre um den neuen Arzttarif

Die Regierung sagt vorerst Nein zum Tardoc – und fordert Ärzte, Kassen und Spitäler «mit Nachdruck» dazu auf, eine Lösung zu finden.

Dominic Wirth
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Über den neuen Arzttarif wird seit Jahren gestritten.

Über den neuen Arzttarif wird seit Jahren gestritten.

Christian Beutler / Keystone

Er sollte nichts weniger als eine Milliardenfrage klären: der Tardoc. Das neue Tarifwerk für die Ärzte wurde ausgehandelt, um den Tarmed, den in die Jahre gekommenen und deshalb nicht mehr zeitgemässen Vorgänger, abzulösen. Jahrelang haben Ärzte und Krankenkassen daran gefeilt – umsonst, vorerst zumindest. Das hat sich am Mittwoch gezeigt. Da erteilte der Bundesrat dem Tarifwerk eine unmissverständliche Absage.

Das Departement von Bundesrat Alain Berset verschickte dazu eine Medienmitteilung, die ziemlich deutlich war. Und als der Gesundheitsminister später im Rahmen seiner Pressekonferenz zur künftigen Coronapolitik zum Tardoc-Nein befragt wurde, versuchte Berset gar nicht erst, seinen Ärger zu verbergen. Er sei «sehr frustriert», sagte der Freiburger.

Es soll etwas passieren – nur was?

Das Projekt, die Vergütung von ambulanten ärztlichen Leistungen neu aufzustellen, hält das Schweizer Gesundheitswesen schon länger in Atem. Zwar sind sich von den Ärzten über die Versicherer bis zu den Spitälern alle Akteure einig, dass das aktuelle Werk aus der Zeit gefallen ist. Doch daran, wie man in die Zukunft gehen soll, scheiden sich die Geister.

Das hat dazu geführt, dass sich Santésuisse und Hplus vom Verhandlungstisch verabschiedeten – also einer der zwei grossen Versichererverbände sowie jener der Schweizer Spitäler. Der zweite Versichererverband, Curafutura, sowie der Ärzteverband FMH verhandelten weiter über den Tardoc – und reichten diesen schliesslich 2019 beim Bundesrat ein.

Zweifel an der Stabilität und der Kostenneutralität

Laut Alain Berset funktioniere das Tarifwerk nicht, weil die Kostenneutralität nicht gewährleistet sei. (Bild: Juni 2021)

Laut Alain Berset funktioniere das Tarifwerk nicht, weil die Kostenneutralität nicht gewährleistet sei. (Bild: Juni 2021)

Peter Schneider / Keystone

Jetzt hat sich die Regierung mit einer langen Mängelliste gemeldet. Sie kritisiert insbesondere zwei Punkte. So sagte Gesundheitsminister Alain Berset, das Tarifwerk funktioniere inhaltlich nicht, weil die Kostenneutralität nicht gewährleistet sei. Daneben sprach er mehrmals von der Stabilität, die es bei der Frage der Tarifierung ärztlicher Leistungen brauche.

Diese sieht der Bundesrat offenbar als nicht gegeben an, weil nur Curafutura und die FMH hinter dem Tardoc stehen, nicht aber Santésuisse und Hplus. Er fordert die Tarifpartner deshalb mit Nachdruck dazu auf, den Tardoc zu überarbeiten – und zwar gemeinsam, noch so ein Wort das gestern öfter fiel, in der Medienmitteilung und auch in der Pressekonferenz von Bundesrat Berset.

Nun gilt es, «die Maschine neu zu starten»

Die Verlierer vom Mittwoch sind Curafutura und die FMH. Beide wollten sich nicht zum Entscheid äussern. Sie haben für Donnerstag zu einer Pressekonferenz geladen. Santésuisse und der Spitalverband Hplus zeigten sich derweil zufrieden. Die Verbände setzen sich seit längerem dafür ein, dass statt eines neuen Tarifsystems künftig auf Pauschalen gesetzt wird, um die ambulanten ärztlichen Leistungen zu vergüten. Santésuisse sieht eine «historische Chance» gekommen, nun einen Tarif zu entwickeln, der «einfach und transparent» funktioniert – und bekräftigt erneut, wie wichtig ambulante Pauschalen seien.

Wie geht es nun weiter? Schon nächste Woche sollen sich die Tarifpartner auf Einladung des Bundesamts für Gesundheit treffen. Alain Berset betonte gestern, es gelte nun, «die Maschine neu zu starten». Das Ziel des Bundesrats: eine optimale Ausgangslage für die Schaffung einer neuen nationalen Tariforganisation.

Ruth Humbel ist enttäuscht. (Bild: März 2021)

Ruth Humbel ist enttäuscht. (Bild: März 2021)

Alessandro Della Valle / Keystone

Ruth Humbel, die Präsidentin der nationalrätlichen Gesundheitskommission, bezweifelt, dass die zerstrittenen Verbände sich zusammenraufen können. Bei ihr kommt der Entscheid des Bundesrats nicht gut an. «Ich bin enttäuscht», sagt sie. Und betont, dass mit Curafutura und der FMH die Mehrheit der Versicherten und der Leistungserbringer hinter dem Tardoc stehe. Es sei irritierend, dass der Bundesrat diese Lösung «einfach abmurkst».